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Nun sollen die wesentlichen ökonomischen bzw. konjunkturellen Daten zur Bauwirt­schaft dargestellt werden, um einen Eindruck von der Richtung zu vermitteln, in die sich die Branche bewegt. Zu diesem Zweck werden die üblichen ökonomischen Pa­rameter benutzt, wie sie auch in den darauf bezogenen Veröffentlichungen des Sta­tistischen Bundesamtes und der verschiedenen Verbände (also Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und Zentralverband des Deutschen Baugewerbes einerseits und Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt34 andererseits) verwendet werden. Im Wesentlichen zählen zu diesen Parametern das Bauvolumen bzw. die Bauinvesti­tionen, die Umsatz-, Kosten- und Beschäftigtenentwicklung, die Auftragslage mit den Auftragseingängen und -beständen sowie die Zahl der Konkurse und Insolvenzen. Zu dieser Darstellung gehört auch die Aufgliederung in die verschiedenen Bausparten (also Hoch- und Tiefbau, Bauinstallation und sonstiges Baugewerbe resp. Bauhaupt- und Ausbaugewerbe oder Wohnungs-, öffentlicher und Wirtschaftsbau). Zur besse­ren Einordnung der diskutierten Parameter finden sich im Anhang in der Übersicht 3 Definitionen der verschiedenen bisher noch nicht entwickelten Begriffe, die norma­lerweise der Festlegung des Statistischen Bundesamtes (bzw. der Darstellung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie bzw. im Falle der Unterteilung nach Berufsgruppen dem Text des geltenden Tarifvertrags) folgt; allerdings gibt es hier kaum einen Dissens zwischen den Verbänden oder den vorliegenden Publikationen, so dass von einer allgemeinen Anerkennung dieser begrifflichen Bestimmungen aus­gegangen werden kann, zumal die Debatten normalerweise erst bei der Interpreta­tion der so festgelegten statistischen Merkmalstypen bzw. Abgrenzungen beginnen; sofern bereits die statistische Festlegung problematisch ist, wird dies – sofern nicht bereits geschehen – wenigstens notiert. Zwar steht die Betrachtung der Entwicklung in Deutschland im Mittelpunkt dieses Abschnitts, jedoch soll wenigstens ein kurzer Blick über die Grenzen ins europäische Ausland geworfen werden, wo dies zur bes­seren Einordnung der Daten erforderlich ist.

3.2 Allgemeine konjunkturelle Entwicklung


Die folgende Darstellung der ökonomischen Lage bzw. konjunkturellen Entwicklung beschränkt sich auf einige für die Erfassung ebendieser Entwicklung zentrale Aspek­te. An anderer Stelle erfolgt eine soziologische Interpretation einzelner Momente; wesentlich ist dies die Debatte um Beschäftigung, Beschäftigungsstruktur und Ratio­nalisierungsmuster. Diese Debatte, die einen Kernbereich der vorliegenden Arbeit ausmacht, mündet schließlich in die Behandlung möglicher weiterer Einflussmomen­te, z.B. der Internationalisierung der Arbeitsmärkte. Denn die Auswirkungen der im Folgenden darzulegenden tiefgreifenden Branchenkrise sind keineswegs nur auf enge ökonomische Aspekte bezogen, also wesentlich Konkurse und Arbeitslosigkeit, son­dern auch auf die besonderen Formen der Regulierung, wie sie sich im Bausektor über Jahrzehnte hinweg entwickelt hatten und mit denen die spezifischen Produkti­ons- und Beschäftigungsbedingungen am Bau aufgehoben werden sollten. Zunächst soll es aber nur um die kursorische Präsentation der jüngeren konjunkturellen Ent­wicklung und der weiteren konjunkturellen Perspektiven gehen, weil angenommen werden kann, dass dies einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die weitere Ar­beitskräftepolitik der Betriebe und damit die Qualifikationsentwicklung im Sektor hat.
Die westdeutsche Bauwirtschaft hatte bis weit in die sechziger Jahre hinein stets überdurchschnittlich hohe Wachstumsquoten. 1967 erlebte sie mit einem Rückgang der Bauinvestitionen von immerhin über 6 vH ihre erste Krise, von der sie sich aber schnell wieder erholte. Allerdings war die konjunkturelle Entwicklung bis zur nächsten Krise 1974/75, die einen Einbruch der Investitionen von fast 8 vH mit sich brachte, schon nicht mehr so gut und auch nicht mehr so stark von der gesamtwirtschaftli­chen Entwicklung abweichend. Die letzte Boomphase vor der Vereinigung endete 1980. Fast die gesamten achtziger Jahre waren für das Baugewerbe nicht zufrieden stellend. Die Bauinvestitionen gingen in dieser Zeit fast ununterbrochen zurück und erst 1990 wurde wieder das Realniveau der frühen siebziger Jahre erreicht. Die Zahl der im Baugewerbe beschäftigten Menschen erreichte 1964 mit 1,7 Mio. ihren Höhe­punkt und lag knapp drei Jahrzehnte später nur bei weniger als einer Million35.
Diese krisenhafte Entwicklung wurde von der deutschen Vereinigung unterbrochen bzw. überlagert. Spätestens seit Mitte der neunziger Jahre befindet sich die Bauwirt­schaft in Deutschland jedoch erneut in einer tiefen Krise. Um 1995 kam der durch die Vereinigung Ende der achtziger Jahre induzierte Sonderboom zu seinem Ende und die westdeutsche Bauwirtschaft kehrte in die bereits in der ersten Hälfte der achtzi­ger Jahre begonnene krisenhafte Entwicklung zurück. Die ostdeutsche Bauwirtschaft konnte noch ein oder zwei Jahre länger vom Nachfragestau profitieren, aber auch dort hat sich die Krise inzwischen mit Nachdruck durchgesetzt.
Die Bauwirtschaft36 gehört bei allen zum Teil erheblichen regionalen Unterschieden bundesweit zu den Branchen mit den größten Beschäftigungsverlusten. Der Abbau der Arbeitsplätze betraf bis in die achtziger Jahre hinein vor allem die gewerblichen Beschäftigten, seit Mitte der neunziger Jahre auch die nicht-gewerblichen Beschäftig­ten. Seit 1995 nimmt die Zahl der im Baugewerbe beschäftigten Menschen aufgrund des Endes der vereinigungsbedingten Sonderkonjunktur beschleunigt ab. Seitdem befindet sich die Bauwirtschaft in ihrer bislang tiefsten Krise; in nur fünf Jahren hat das Bauhauptgewerbe (das allerdings stärker als das Ausbaugewerbe von der Krise betroffen ist) über 25 Prozent der Beschäftigung abgebaut und ein Ende dieser Ent­wicklung ist vorläufig nicht abzusehen. Auch geht die volkswirtschaftliche Bedeutung der Branche unabhängig von konjunkturellen oder regionalen Einflüssen zurück. Dies ist eine säkulare Tendenz, die im Zusammenhang steht mit dem allgemeinen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung. Rußig u.a. (1996, 39ff) reden sogar von einer ökonomischen Gesetzmäßigkeit. Sie gliedern die Entwicklung in vier Phasen: "In den ärmsten, noch ganz wenig industrialisierten Ländern kann kaum etwas für langlebige und aufwendigere Bauwerke abgezweigt werden. Erst mit einsetzender Industrialisie­rung steigen auch die Bauinvestitionen – erst ganz allmählich, dann aber beschleu­nigt und zunehmend überproportional, so daß der Bauanteil kräftig zunimmt. In der Spätphase des Industrialisierungsprozesses reicht der aufgebaute und erhaltene bau­liche Kapitalstock zunächst für die dann in der Regel deutlich verlangsamte Produkti­onsausweitung aus. Schließlich benötigen 'ausgereifte' Dienstleistungs- und Kommu­nikationsgesellschaften ... immer weniger zusätzliche Bauwerke, so daß der Bauanteil an der gesamtwirtschaftlichen Leistung immer mehr schrumpft" (siehe auch: Stroink 1997 und Syben 1999b). In der Tat werden die Anzeichen einer schrumpfenden Branche immer deutlicher; insbesondere die ausgeprägteren degressiven Ausschläge im konjunkturellen Verlauf sind ein wichtiges Indiz für diese Tendenz (Bosch, Zühlke-Robinet 2000, 40ff). Dennoch nimmt der Sektor bei allen arbeitsmarktpolitischen Überlegungen noch immer eine zentrale Position ein. Insbesondere der hohe und noch steigende Anteil der Vorleistungen und die so begründete Rolle einer Initial­branche führt zu dieser arbeitsmarktpolitisch herausragenden Stellung. Vor 40 Jahren kam auf einen Arbeitsplatz im Baugewerbe ein weiterer im Zulieferbereich. Heute kommen auf einen baugewerblichen Arbeitsplatz zwei Zuliefer-Arbeitsplätze. Diese Entwicklung drückt sich aus im sich verändernden Verhältnis von Bauvolumen und Bruttowertschöpfung: 1960 hatte das Bauvolumen einen Anteil am Bruttoinlandspro­dukt von 20 vH und die Bau-Bruttowertschöpfung einen Anteil an der gesamten Brut­towertschöpfung von 10 vH. 1997 lagen die entsprechenden Werte bei knapp 16 vH und fast 6 vH (ebd., 32ff). Zwischenzeitlich sind diese Werte noch weiter zurückge­gangen, ohne dass sich aber eine deutlichere Verschiebung bezüglich der intersekto­ralen Arbeitsteilung ergeben hätte37. Jede Investition in die Bauwirtschaft zieht also Investitionen in fast doppelter Höhe in anderen Branchen nach sich – mit im Idealfall entsprechend positiven Resultaten auch für die Beschäftigung.
Für die Unternehmen der Branche hat sich auch der Umsatz unbefriedigend entwi­ckelt: Seit Jahren wächst er nur langsam bzw. stagniert er; preisbereinigt ist er sogar rückläufig (siehe dazu die Tabellen 1 bis 4 im Anhang). Der sich verhalten zeigende Umsatz hängt zusammen mit seit 1994 im Westen und seit 1995 im Osten Deutsch­lands zurückgehenden Bauinvestitionen. Besonders beunruhigend ist dabei nicht nur der Rückgang der Bauinvestitionen, sondern vor allem, dass sich dieser Rückgang so­gar beschleunigt. Insgesamt wirkt sich die Baukrise wegen des hohen Anteils an der Bruttowertschöpfung und den hohen multiplikativen Effekten sehr negativ auf die ge­samtwirtschaftliche Entwicklung aus. Umgekehrt aber ist die Bauwirtschaft wie keine andere Branche von den gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten abhängig; wenn die konjunkturelle Entwicklung schlecht ist, dann wirkt sich dies vor allem auf die Bau­nachfrage negativ aus. Aus dieser doppelten Verflechtung – einerseits wichtiger Im­pulsgeber für die Gesamtwirtschaft, andererseits in besonderer Weise von der Ge­samtwirtschaft abhängig – ergibt sich eine größere Konjunkturelastizität (d.h. ausge­prägtere Ausschläge sowohl nach oben als auch nach unten). Bei insgesamt andau­ernder ungenügender Wirtschaftskraft und unter Hinzunahme einer sich langfristig vom Bau weg bewegenden Nachfragestruktur folgt allerdings eine Betonung der Aus­schläge nach unten und somit eine besondere Krisenbetroffenheit der Baubranche. Mit dieser besonderen Krisenbetroffenheit korreliert die in der Bauwirtschaft größere Gefahr, in Konkurs zu gehen. Nirgends ist die Zahl der Unternehmenspleiten größer als hier. In den alten Ländern hat sich die Zahl der Pleiten im Baugewerbe seit 1994 um über 60 vH erhöht; in den neuen Ländern sogar deutlich mehr als verdreifacht.
Ihren Ausdruck findet diese Entwicklung auch in der sich verschlechternden Auftrags­lage. Sowohl die Auftragseingänge als auch die Auftragsbestände (siehe dazu die Ta­bellen 5 und 6 im Anhang) entwickelten sich beinahe über die ganzen neunziger Jah­re hinweg rückläufig; erst zum Ende der neunziger Jahre konnte der Abwärtstrend vorübergehend etwas gestoppt werden, ohne dass aber damit eine andauernde Un­terbrechung der negativen Grundentwicklung erzielt worden wäre; denn die neueren Zahlen deuten bereits die Beendigung dieser kurzen Erholung an. In den Jahren 2000 und 2001 sind die Auftragseingänge wieder stark zurückgegangen. In den alten Ländern war der Rückgang insbesondere im Jahr 2000 und in den Monaten Januar und Februar 2001 sehr stark, ab März 2001 hat sich das Niveau dann vorläufig sta­bilisiert, so dass der jüngere Rückgang etwas gebremst ist. In den neuen Ländern ist bis in die zweite Hälfte des Jahres 2001 ein ganz besonders starker Rückgang zu ver­zeichnen gewesen; in fast jedem Monat wurden die sowieso schon geringen Werte des Vorjahres nochmals deutlich unterschritten. Ähnliches gilt auch für die seit 1995 um 35 vH gesunkenen Auftragsbestände, deren Rückgang eine problematischere Pla­nungsgrundlage für die Betriebe bedeutet. Gerade die zurückgehenden Auftrags­eingänge deuten wegen der üblichen Vorlaufzeit (von Auftragseingang bis Baubeginn vergehen in der Regel einige Wochen bis Monate) auf eine Fortsetzung des Trends hin. Es lässt sich also sagen, dass die Bauwirtschaft nach allen zur Beurteilung der konjunkturellen Situation üblicherweise herangezogenen Parametern in einer ausge­sprochen schlechten Verfassung ist.
Da davon auszugehen ist, dass sich auch in Zukunft wichtige Sparten wie der öffent­liche Bau, der seit inzwischen etlichen Jahren gegenüber den anderen Bausparten an Bedeutung verliert38, und der Wohnungsbau, der ebenfalls seit nunmehr bereits zwei Jahren einen ausgesprochen massiven Rückgang erlebt (siehe dazu die Tabelle 7 im Anhang), schlecht entwickeln werden, ist mit einer Fortsetzung der insgesamt unbe­friedigenden baukonjunkturellen Entwicklung auch über den durch die aktuelle Auf­tragslage absehbaren Horizont hinaus zu rechnen39, die zu einer weiteren Verschär­fung des Wettbewerbs führen wird. Der besonders starke Rückgang im Wirtschafts­bau ist Ausdruck der insgesamt bestehenden krisenhaften Situation in den neuen Ländern.
In der langfristigen Entwicklung ist ein fortgesetzter Bedeutungsgewinn des Woh­nungsbaus im Vergleich zu den anderen Bausparten festzustellen: Seit 1991 hat sein Anteil am gesamten Bauvolumen stark auf zeitweilig über 55 vH zugenommen, wobei sein Anteil im Westen noch höher, im Osten dagegen trotz stärkerer Zunahme immer noch ganz erheblich darunter liegt (siehe dazu die Tabelle 8 im Anhang). Mit dieser Verschiebung zwischen den Sparten zu Gunsten des Wohnungsbaus geht eine grö­ßere Konjunkturabhängigkeit der Branche einher, denn insbesondere der (private) Wohnungsbau ist ausgesprochen einkommens- und konjunkturreagibel. Die zuletzt wieder zurückgehenden Anteile des Wohnungsbaus in beiden Teilräumen weisen auf diese besondere Abhängigkeit von der Nachfragemobilisierung der zum größten Teil privaten Endabnehmer hin. Der größte Teil des Wohnungsbaus betrifft nämlich zu­sätzlich den Einfamilienhaus- bzw. Siedlungsbau. Zwar spielen hier in jüngster Zeit sog. Investorengesellschaften oder Projektentwickler eine wachsende Rolle, dennoch ist dieser Teilmarkt sehr stark auf den privaten Erwerb von Wohneigentum gerichtet. Der Geschossbau dagegen, der sehr viel mehr als Mietermarkt funktioniert, nimmt in­zwischen eine stark untergeordnete Position ein. Es scheint, als sei die erste Nachfra­gewelle im Wohnungsbau nach der Vereinigung beendet. Die zurückgehende Bevöl­kerung, die Marktsättigung bei über entsprechende Kaufkraft verfügenden Bevölke­rungsteilen, die mit voranschreitender Zersiedelung schwieriger werdende Bauplatz­ausweisung usw. lassen den Wohnungsbau neuerdings stärker schrumpfen als das Bauvolumen insgesamt40. Als Resultat bleibt die schwieriger werdende Planbarkeit, die sowieso schon schwieriger ist als in anderen Branchen41.
Quer zur Unterscheidung nach Wohnungs-, Wirtschafts- und öffentlichem Bau liegt die Unterscheidung nach Bauhaupt- und Ausbaugewerbe, die zwar in der statisti­schen Darstellung seit der Umstellung auf gemeinsame Standards in Europa keine Rolle mehr spielt42, aber für die Verwendung der Investitionen wichtig ist und auch zu Aussagen führt, die einige Bedeutung für die Beschäftigten- und Qualifikations­struktur haben. Neben diesen beiden Gruppen wird noch nach der "sonstigen Produ­zentengruppe" unterschieden, zu der im Wesentlichen Betriebe des verarbeitenden Gewerbes gezählt werden (Bosch, Zühlke-Robinet 2000, 39). Entlang dieser Auftei­lung lässt sich ein dauerhafter Rückgang des Bauhauptgewerbes von einem Anteil am Bauvolumen von über der Hälfte in 1960 auf zuletzt nur noch gerade ein Drittel, ein starker anteiliger Anstieg des Ausbaugewerbes in dieser Zeit von einem guten Fünftel auf ein gutes Drittel und ein erheblicher Zuwachs der sonstigen Produzenten­gruppen von einem knappen Viertel auf ein knappes Drittel feststellen43. Die Ver­schiebung weg vom Bauhauptgewerbe (das eher dem Neubau zugedacht werden muss) hin zum Ausbaugewerbe (das eher dem Bauen im Bestand dient) deckt sich mit der schon beschriebenen grundsätzlichen "Sättigungs-Tendenz" des Sektors, die sich noch fortsetzen dürfte und zu einem weiteren relativen Bedeutungsverlust des Bauhauptgewerbes bzw. spiegelbildlich zu einem weiteren relativen Bedeutungsge­winn insbesondere des Ausbaugewerbes führen wird.
Da noch immer erhebliche Überkapazitäten bestehen (der Fall "Holzmann" ist dafür nur das spektakulärste Beispiel), ist auch mit einem Ende der seit etwa Mitte der neunziger Jahre andauernden enormen Pleitewelle nicht zu rechnen. Doch gerade im Osten Deutschlands, wo die Krise inzwischen besonders ausgeprägt ist, liegt ein an der Einwohnerzahl gemessenes noch immer vergleichsweise hohes Investitionsniveau vor, so dass die "Normalisierung" dort zu einer weiteren Verschärfung der Krise füh­ren wird. 1998 lagen die Bauinvestitionen je Einwohner im Osten bei fast DM 7.500, im Westen bei DM 4.600. Der Beschäftigtenanteil des Bauhauptgewerbes an den Er­werbstätigen lag im Osten bei 5,8 vH, im Westen bei 2,9 vH. Der baugewerbliche Umsatz je Einwohner lag im Osten bei annähernd DM 3.600, im Westen bei gut DM 2.200 (Zentralverband (b) ... 1999, 8). Diese Unterschiede geben eine Vorstellung von der Dimension der zu erwartenden Krise im Osten, wenn sich die Werte an die im Westen angleichen, wovon schon mittelfristig auszugehen ist44, zumal wenn die öffentlichen Transferzahlungen und besonderen Steuermodelle beendet werden, was zum Teil ja schon der Fall ist. Dies zeigt sich bereits seit einigen Jahren sowohl im Tempo des Beschäftigungsabbaus als auch in dessen Beschleunigung. Beide Werte sind höher als im Westen, so dass von einem forcierten Anpassungsprozess gespro­chen werden kann. Die aus den real rückläufigen oder wenigstens stagnierenden Bauinvestitionen resultierenden negativen Beschäftigungseffekte werden nur teilwei­se von der immer noch hohen Zahl der Unternehmensneugründungen – gerade in den neuen Ländern – ausgeglichen. Die noch ausgeprägtere Fokussierung auf den Preiswettbewerb ist eine Folge dieser Entwicklung.
Die seit Jahren und auch absehbar schlechte konjunkturelle Lage der Bauwirtschaft muss als wichtiges Moment in den Bestrebungen der Unternehmen genommen wer­den, die eigene Marktposition zu verbessern. Gerade wenn der Wettbewerb scharf ist und wegen der bestehenden Überkapazitäten über einen längeren Zeitraum als Ver­drängungswettbewerb ausgetragen wird, sind die Unternehmen gezwungen, nach Mitteln zu suchen, das eigene Bestehen am Markt zu sichern. Ein vor allem in kon­junkturell schwierigen Zeiten probates Mittel ist die Reduzierung variabler Kostenbe­standteile, zu denen insbesondere die Lohnkosten zu zählen sind. In diesem Zuge versuchen die Unternehmen nicht nur über das Ignorieren von tariflichen Vereinba­rungen (Artus u.a. 1998; Hochstadt, Janssen 1998) ihre Kostenlast zu senken, son­dern auch über die gezielte Nutzung eines am Markt bestehenden Potenzials von Bil­liganbietern (Nienhüser 1999). Die konjunkturelle Lage kann mithin als Vorausset­zung für die Durchsetzung oder Nicht-Durchsetzung eines neuen Typs von Arbeits­kräftestrategien gesehen werden. Auf dieses Argument der konjunkturinduzierten Ar­beitskräftestrategie wird noch zurückzukommen sein.

3.3 Charakteristika


3.3.1 Allgemeines
In der Einleitung zu diesem Kapitel wurde der Anspruch erhoben, aus dem Bausektor nicht einen unikalen und so mit nichts vergleichbaren Wirtschaftszweig zu machen. Dies soll auch nicht geschehen. Dennoch unterscheidet er sich in mancherlei Hinsicht von den meisten anderen Sektoren. Gliedert man die Gesamtwirtschaft in die Berei­che der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes und der Dienstleistungszwei­ge45, dann ist die Bauwirtschaft nirgends komplett unterzubringen, aber doch überall auch ein bisschen zuhause. Zwar gibt es bei ihr keine landwirtschaftlichen Produkti­onselemente46, aber schon die saisonale und witterungsabhängige Beschäftigung und die besondere Attraktion beider Bereiche für besondere Arbeitnehmergruppen, die gerade für die verfolgte Fragestellung von hoher Bedeutung sind (also z.B. ausländi­sche Arbeitnehmer, die zum Zwecke der Erwerbsarbeit vorübergehend nach Deutsch­land kommen, oder inländische Arbeitnehmer spezifischer Herkunftsmilieus), sorgen für Gemeinsamkeiten. In vielerlei Hinsicht ist die Bauwirtschaft ein produzierendes Gewerbe, aber in der statistischen Erfassung wird sie von diesem getrennt. Dies ge­schieht aus gutem Grund, denn die besonderen Produktionsbedingungen am Bau ha­ben in der Vergangenheit nicht nur andere Arbeitsformen und andere Organisations­formen hervorgebracht, sie stellen auch manches aus dem produzierenden Gewerbe buchstäblich auf den Kopf; die verkehrte Faktormobilität (Hochstadt 2001) z.B. wird an geeigneter Stelle noch ausführlicher behandelt werden. Bleibt noch das, was heu­te unter dem Begriff Dienstleistungssektor zusammengefasst wird. Es mag überra­schen, aber tatsächlich ist das Baugewerbe schon längst eher ein Dienstleister als ein Produzent. Und diese Entwicklung, die nicht mehr neu ist, schreitet seit einiger Zeit forciert voran. Nicht nur die wachsende Bedeutung der dem eigentlichen Bauen vor- und nachgelagerten Bereiche führt zu dieser Einordnung, auch die Art und Weise, in der die Produktion organisiert und umgesetzt wird, erinnert häufig mehr an Dienst­leistungs- als an produzierende Unternehmen.
Um die genauere Beschreibung der so angedeuteten Aspekte des Besonderen soll es im Folgenden gehen. Diese Darstellung folgt keinem Selbstzweck, vielmehr sind die das Baugewerbe von anderen Wirtschaftszweigen unterscheidenden Charakteristika zentral für die Beantwortung der eingangs formulierten Fragestellungen. Gerade weil der Bau ein in mancher Hinsicht besonderer Wirtschaftszweig ist, sind auch die öko­nomischen, sozio-ökonomischen und im weiteren Sinne auch gesellschaftlichen Kon­sequenzen besonders. Dabei dürfen diese konstatierten und im Folgenden im Detail darzustellenden Besonderheiten nicht überbewertet werden. Zwar wird hier davon ausgegangen, dass sie in der Tat zu spezifischen Konsequenzen führen, jedoch gäbe es auch ohne Besonderheiten die gesellschaftlichen Bedingungen, die dann halt zu anderen, aber adäquaten Konsequenzen führen würden. Die Untersuchung setzt also bei den bauspezifischen Besonderheiten an, ohne behaupten zu wollen, diese bau­spezifischen Besonderheiten seien hinreichend, beobachtbare Verhältnisse zu erklä­ren, die im bzw. auf den Sektor wirken. Es sind also die faktischen und die ideologi­schen Bedingungen sowohl des Bausektors als auch des gesellschaftlichen Systems überhaupt, die zu spezifischen Konsequenzen führen. Da die gesellschaftlichen Be­dingungen aber eine dem sektoriellen Gefüge übergeordnete Position innehaben, können sie vom Bausektor bzw. dessen Akteuren nicht außer Kraft gesetzt werden. Die kapitalistischen Verwertungsbedingungen gibt es unabhängig vom Bausektor. In jedem Sektor, also auch dem Bausektor, besteht die Notwendigkeit, eine den natür­lichen und stofflichen Gegebenheiten angemessene Form der Anwendung dieses Grundprinzips zu finden. Nur auf dieser Ebene unterscheidet sich der Bausektor von anderen, nicht bezüglich der Ursachen- und Wirkungsbedingungen47.
Diese Aspekte des Besonderen sind besonders immer in Abgrenzung zu den als in diesem Sinne normal empfundenen Bedingungen in den anderen Wirtschaftssekto­ren48. Dass diese Unterscheidung zum einen Teil durchaus greifbar ist und damit der ökonomischen und organisatorischen Wirklichkeit entspricht, wird mit eben der Be­handlung dieser Besonderheiten bestätigend zugrunde gelegt. Dass diese Unterschei­dung aber zu einem guten Teil auch einer ideologischen Interpretation von industriel­ler Wirklichkeit geschuldet ist, ist weiter unten noch ausführlicher zu diskutieren, re­sultieren doch aus beidem, der wirklichen und der ideologischen Abgrenzung des Bausektors, Konsequenzen, die für die hier verfolgten Fragestellungen von weitrei­chender Bedeutung sind. In diesem Abschnitt soll es zunächst um die Beschreibung dieser vielfach dokumentierten Unterscheidungen gehen; im nächsten Abschnitt soll dann die Dynamik skizziert werden, in der sich der Sektor befindet. Diese Dynamik setzt an bei den Besonderheiten, bestätigt sie oder transzendiert sie. Gerade diese Dynamik ist verantwortlich für mittelbar entste­hende Veränderungen nicht nur in un­mittelbar produktiver, sondern auch in sozialer Hinsicht.

3.3.2 Aspekte des Besonderen


In der Literatur gibt es eine weitgehende Übereinstimmung bezüglich der verschiede­nen Charakteristika oder Spezifika des Bausektors. In der bis in die neunziger Jahre hinein einzigen empirischen Untersuchung zu den Arbeitsbedingungen der Bauarbei­ter (Janssen, Richter 1983) wird nach natürlichen und gesellschaftlichen Aspekten unterschieden49, von denen je besondere Einflüsse auf den Fortgang von Rationali­sierungsprozessen ausgingen, um den es den Autoren zentral geht.

Zu den natürlich bedingten Voraussetzungen der Bauproduktion zählen Janssen und Richter "die Ortsgebundenheit des Bauobjektes in Verbindung mit der Sperrigkeit des Endproduktes" und den Witterungseinfluss auf der Baustelle (78). Die gesellschaftli­chen Bedingungen erstrecken sich auf "die Konjunkturabhängigkeit, die Normierung/ Standardisierung der Bauobjekte bzw. -elemente, die Auftragsgröße in Verbindung mit den Eigentumsverhältnissen und dem Bodenrecht" (ebd.) und den Konzentrati­onsgrad des Kapitals (79). Bezüglich der natürlichen Bedingungen unterstellen die Autoren eine entschiedene und nur in sehr engen Grenzen überwindbare Restriktion der Bauproduktion und deren weiterer Rationalisierung. Dagegen wirkten die gesell­schaftlichen Bedingungen allgemein und könnten nicht für den Bausektor allein rekla­miert werden. Allerdings resultierten aus der Kombination von spezifischen natürli­chen Bedingungen in Verbindung mit einigen Spezifika (z.B. lange Kapitalbindung) besondere Wirkungsweisen der allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen (ebd.).


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