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Aus dieser negativen Entwicklung ergibt sich der insgesamt schlechtere sektorielle Versorgungsgrad im Jahr 2000. In insgesamt 38 Bezirken war die Versorgung mit ei­ner Relation von weniger als 100 ungenügend, in neun davon wurden sogar nicht einmal 95 erreicht. In einem guten Drittel aller Bezirke (52) wurde mit einer Relation bis 105 eine knappe Ausgeglichenheit erreicht. In einem Fünftel der Bezirke (29) lag die Relation zwischen 105 und 110. In weiteren 22 Bezirken wurden noch bessere Werte erzielt. Allerdings lag die höchste Angebots-Nachfrage-Relation nicht mehr an­nähernd so hoch wie 1991, als der Spitzenwert ja noch bei über 380 lag. Im Jahr 2000 weist Villingen-Schwenningen mit dem Spitzenwert von 137,3 einen nur ein Drittel so hohen Wert auf.
Auch in dieser insgesamt sehr viel schlechteren sektoriellen Ausbildungsplatzversor­gung erhält sich die schon dokumentierte regionale Ungleichheit. Auch hier stellt sich die Situation in Bayern und Baden-Württemberg sehr viel positiver dar als im Durch­schnitt: Wie schon bei der allgemeinen weisen auch bei der sektoriellen Versorgung 49 der 51 Arbeitsamtsbezirke dieser beiden Bundesländer positive Relationen auf. Von den 51 Bezirken, die insgesamt in den alten Ländern Werte von 105 und mehr aufweisen konnten, lagen 38 in Bayern oder Baden-Württemberg. Und von den 22 Bezirken mit Werten von mindestens 110 befinden sich mit einer Ausnahme alle dort.
Aus diesen Befunden lassen sich verschiedene Zusammenhänge ableiten. Erstens gibt es eine eindrucksvoll bestätigte Korrelation von allgemeiner und sektorieller Ver­sorgung mit Ausbildungsplätzen. Je besser die allgemeine Angebots-Nachfrage-Rela­tion war, desto besser stellte sich die Situation auch in den Bau- und Baunebenbe­rufen dar. Dies galt nicht nur für das Jahr 1991, es gilt auch für das Jahr 2000: Von den 26 Bezirken, in denen die sektorielle Versorgung um mindestens fünf Prozent­punkte über der allgemeinen lag, gab es in nur einem Bezirk eine ungenügende all­gemeine Versorgung (99,3). In allen anderen Bezirken lag wenigstens eine ausgegli­chene Relation vor. Daraus folgt die Bestätigung eines zweiten Zusammenhangs. Nicht nur gibt es eine positive Korrelation von allgemeiner und sektorieller Versor­gung; darüber hinaus gilt sogar: Je höher die allgemeine Relation, desto stärker weicht die sektorielle Relation nach oben von der allgemeinen ab. Dieser Zusammen­hang kann wiederum nicht nur für das Jahr 1991 postuliert werden, sondern sogar für das Jahr 2000 mit einer insgesamt recht ausgeglichenen Situation. Umgekehrtes gilt genauso: In keinem der drei Bezirke, in denen die Bau-Versorgung um wenigs­tens fünf Prozentpunkte unter der allgemeinen lag, konnte eine rechnerische Ausge­glichenheit erreicht werden, in zwei Fällen wurde noch nicht einmal der Wert 95 er­zielt. Das heißt, dass der formulierte Zusammenhang in beiden Richtungen funktio­niert: Die sektorielle Versorgung folgt der allgemeinen "nach oben" und "nach unten" und weist in beiden Richtungen größere Ausschläge auf (siehe dazu die Tabellen 46 und 47 im Anhang).
Dieser Zusammenhang bestätigt sich auch bei der Betrachtung der Entwicklung seit 1991. Von den 43 Arbeitsamtsbezirken, in denen im Jahr 2000 die sektorielle Versor­gung mit Ausbildungsplätzen um wenigstens 40 vH unter der im Jahr 1991 lag, be­fanden sich 31 der insgesamt 36 Bezirke, in denen sich in diesem Zeitraum auch die allgemeine Versorgung um mindestens 20 vH verschlechtert hatte. Zusätzlich zu die­ser Abhängigkeit von der Dynamik, die über den gesamten Untersuchungszeitraum gemessen wurde, gibt es noch die Abhängigkeit von der Dynamik gegenüber dem Vorjahr. War 1991 die Veränderung gegenüber dem Vorjahr in einem Drittel aller Be­zirke negativ, so hat sich der Ausbildungsstellenmarkt zwischen 1999 und 2000 bes­ser entwickelt. In 38 Arbeitsamtsbezirken war diese Dynamik negativ, in über 100 positiv. Und anders als 1991, als kein Zusammenhang zwischen der sektoriellen An­gebots-Nachfrage-Relation und der Dynamik ermittelt werden konnte, ist diesmal ein klarer Zusammenhang festzustellen. Obwohl insgesamt in 56 der 141 untersuchten Bezirke die sektorielle Relation schlechter als die allgemeine war, finden sich unter den 38 Bezirken mit negativer Entwicklung gegenüber dem Vorjahr 19 Bezirke mit gegenüber der allgemeinen schlechterer sektorieller Versorgung. Gemessen an den Grundgesamtheiten bedeutet dies: In einem Drittel der Bezirke mit unterdurch­schnittlicher sektorieller Ausbildungsplatzversorgung hat sich die allgemeine Versor­gung negativ entwickelt gegenüber nur einem guten Fünftel der Bezirke mit über­durchschnittlicher sektorieller Ausbildungsplatzversorgung193.
Mit diesen Ergebnissen kann eindrucksvoll die These als bestätigt gelten, wonach die Ausbildung in den Bauberufen heute für die infrage kommenden Ausbildungsplatz­nachfrager, also in der Mehrzahl die jugendlichen männlichen Schulabgänger keine erste Wahl mehr darstellt. Daran ändern auch die nach wie vor überdurchschnittlich hohen Ausbildungsvergütungen nichts, die den Jugendlichen in der Regel, wenn schon nicht in der genauen Summe, so doch als "besonders hoch" bekannt sind (Hochstadt 2000a). Auf dieses Argument wird zurückzukommen sein, stellt es doch bzw. stellt der ihm zugrunde liegende Sachverhalt ein zentrales Movens der weiteren Analyse dar.
6 Externe Faktoren

In diesem Kapitel stehen externe Faktoren des Strukturwandels, wozu vor allem die Internationalisierung der Märkte und die Migration zu zählen sind, im Zentrum der Betrachtung. Gerade die Migration muss als wichtige Bedingung für den Bausektor gelten, ist doch diese Branche seit jeher für zuwandernde Menschen von herausra­gender Attraktivität. Für diesen besonderen Reiz, den die Baubranche für diese Men­schen hat, gibt es Gründe, auf die im hinteren Teil dieses Kapitels eingegangen wer­den wird; neben der Diskussion der empirischen Dimension von Migration findet dort auch eine allgemeine Auseinandersetzung mit Migration statt. Zunächst soll jedoch der Versuch unternommen werden, über das Beispiel der europäischen Integration in aller Kürze eine theoretische Fundierung für Internationalisierungsprozesse zu skiz­zieren, um zumindest eine Idee davon zu vermitteln, auf welchen allgemeinen gesell­schaftlich-ökonomischen Grundlagen die Bauwirtschaft überhaupt steht. Dieser kleine Exkurs wird auch deshalb betrieben, weil es in Wirklichkeit nicht die Internationalisie­rung der Märkte ist, die der Bauwirtschaft als neue Realität gegenübertritt, sondern die Europäisierung.

6.1 Grundlagen der europäischen Integration
Zuerst stellt sich die Integrationsgeschichte Westeuropas dar als ein politisch gewoll­ter Prozess, der nach dem zweiten Weltkrieg einsetzte und bis heute anhält. In vielen Veröffentlichungen reduziert sich die Analyse dieses Prozesses tatsächlich auf das bloße Nachzeichnen der verschiedenen Integrationsschritte in Form von Vertragsab­schlüssen194. Zwar definieren solche Verträge zwischen den Mitgliedern der EU in der Tat den Stand der Integration de jure, aber damit ist noch nichts gesagt über andere Integrationsbereiche (Wirtschaftsverflechtung, Bewusstsein in der Bevölkerung ...) und auch nichts über die der Integrationsbewegung zugrunde liegenden Beweggrün­de, egal ob singulären, d.h. jeweils nur für die Durchführung eines bestimmten Inte­grationsschrittes, oder generellen, d.h. der Integrationsbewegung insgesamt zugrun­de liegenden Motivation oder Gesetzmäßigkeit.
Grob lassen sich vier Interpretationsversuche unterscheiden:


  • Die europäische Integration ist die Umsetzung einer politischen Idee, deren Ge­schichte zwar schon Anfang des 20. Jahrhunderts (oder noch früher) beginnt, aber erst nach dem zweiten Weltkrieg in der aktuellen Form auftritt.

  • Die politische Integration ist der bloße Nachvollzug ökonomisch gesetzter Fakten (wobei der Nachvollzug unterschiedlich begründet und bewertet wird).

  • Es gibt mehrere, recht unverbunden nebeneinander stehende Gründe für die Inte­grationsbewegung.

  • Mehrere Gründe werden für die Integration verantwortlich gemacht, die aber mit­einander in Zusammenhang stehen und sich zum Teil gegenseitig bedingen.

Trotz der unterschiedlichen theoretischen Herangehensweise ist den meisten Autoren eines gemeinsam: Die Anerkennung des historischen Standes der europäischen Inte­gration als gegebene Tatsache, die zu ignorieren fatalistisch wäre und im Sinne der eigenen politischen Vorstellungen kontraproduktiv. In dieser breiten Koalition drückt sich die Verwurzelung aus, die Europa inzwischen erfahren hat, und es wäre in der Tat die Verkennung der Realität, beim erreichten Stand der Integration gegen diese zu arbeiten anstatt sie den eigenen Wünschen entsprechend zu beeinflussen195.


Die vorherrschende Erklärungsvariante ist offensichtlich im Komplex Ökonomie und Politik zu finden. In vielen Publikationen wird hier die Ursache für die Integrations­bewegung gesehen, wenn auch unterschiedlich bewertet. Wesentliche Unterschiede zeigen sich beim unterhalb dieser Ebene zu untersuchenden Verhältnis der beiden Sphären Ökonomie und Politik. Während einerseits eine direkte Abhängigkeit der po­litischen Integration von der ökonomischen gesehen wird, bezweifeln andere Autoren diesen einfachen Reflex. Diese zweite Gruppe unterscheidet sich wiederum, indem die einen gleichwohl Motiven außerhalb des Bereichs Politik und Ökonomie keinen Platz einräumen, die anderen aber sehr wohl nicht-ökonomische Gründe nennen, die für die Integrationsbewegung nach ihrer Auffassung zumindest mitverantwortlich ge­macht werden können. Die letztere Position hat sich wenigstens für die Einschätzung der europäischen Integration in der unmittelbaren Nachkriegszeit durchgesetzt. Zwar ist auch hier ein Schwerpunkt in der ökonomischen Dimension als integrationsverant­wortlich zu erkennen, aber in praktisch allen Veröffentlichungen werden auch Gründe wie beispielsweise der Frankreich-Deutschland-Konflikt genannt. Als ein unmittelbar in die staatlich organisierte Dimension ökonomischen Wirkens fallender Aspekt der europäischen Integration wird das besondere Verhältnis USA – Europa gefasst, das schon damals von einem ambivalenten Konkurrenz-Kooperation-Denken geprägt war. Ursache für dieses spezielle Muster zwischenstaatlichen Agierens war die unbestritte­ne ökonomische, politische und militärische Vormachtstellung der USA (die mittler­weile durch die kulturelle erweitert wurde). Die europäischen Staaten sahen im sup­ranationalen Zusammenschluss eine, wenn nicht die einzige Möglichkeit, die hegemo­niale Position der USA zu relativieren (Ziltener 1999). Diese hegemoniale Position der USA entwickelte sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und lässt sich insbeson­dere mit der Etablierung eines spezifischen Produktionsmodells erklären. "Die erfolg­reiche Durchsetzung fordistischer Produktions- und Reproduktionsstrukturen begrün­dete die internationale ökonomische und politische Dominanz der USA und setzte die übrigen kapitalistischen Metropolen einem enormen Anpassungsdruck aus" (Hirsch, Roth 1986, 46). Die Durchsetzung des Fordismus kann damit als Gründungsmerkmal und motivationale Grundlage der europäischen Integration begriffen werden, ohne dass damit aber notwendig ein bewusstes Fordismus-Konzept verbunden gewesen wäre. Aus dieser ursächlichen Kombination von nachholender Modernisierung und Fordismus mit dem sich anschließenden nicht nur auf Deutschland beschränkten, sondern größere Teile Westeuropas erfassenden Wirtschaftswunder resultierte ein enormer ideologischer Druck auf die gesellschaftliche Durchsetzung fordistischer Pa­radigmata196.
Für die weitere Untersuchung, die ja das Ziel verfolgt, die europäische Integrations­bewegung auf die Baubranche zu beziehen, d.h. die Bedeutung dieser Bewegung für die Baubranche zu beurteilen, ist die Vorantreibung (wenn schon nicht Beantwor­tung) der Frage wichtig, inwiefern eine einzelne Branche oder sogar ein einzelner Ak­teur in der Lage ist, sich gestaltend in diesen Prozess einzubringen. Die Rede vom "Bauernopfer", das der Bausektor im Zuge der politischen konstruierten neuen Ar­rangements Deutschlands mit den Staaten Mittel- und Osteuropas gewesen sein soll, deutet bereits an, dass es einen solchen Zusammenhang gibt – wenn auch in diesem Fall mit negativen Vorzeichen.
Tatsächlich entspricht die empirische und noch davor systematische Existenz dieses Zusammenhangs der Funktionsweise des kapitalistischen Systems. Danach ist eine politische Entwicklung nicht losgelöst von der ökonomischen Basis zu diskutieren, weil diese erst den politischen Überbau schafft. Das heißt wiederum nicht, dass eine bestimmte ökonomische Variante des Kapitalismus eine von vornherein festlegbare adäquate politische Sphäre nach sich zieht. Bei Mandel (z.B. 1975) wird der Staat als das bloße Vollzugsorgan der herrschenden Klasse von Monopolkapitalisten verstan­den; in dieser Lesart sind nationale Unterschiede in der Staatsform immer sehr ein­fach auf die Struktur des Monopolkapitals zurückzuführen. Tatsächlich lässt sich der Kapitalismus aber nicht auf einige wenige herausragende Vertreter der Kapitalisten­klasse reduzieren, nach deren Gutdünken die gesellschaftliche Entwicklung vollzogen wird. Vielmehr sind das kapitalistische System und insbesondere die vermittelnden Instanzen des Überbaus sehr viel vielfältiger. Denn es ist davon auszugehen, dass sich Basis- und Überbauphänomene realiter gar nicht trennscharf voneinander unter­scheiden lassen. Zwar gibt es hier die ökonomische Basis und gibt es dort die darauf aufbauenden Überbauten, doch interagieren und interdependieren beide so mitein­ander, dass vom "Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (Marx)197 gespro­chen werden muss.
Schematisch gesprochen lässt sich der Kapitalismus in zwei Klassen (Kapitalisten und Lohnabhängige) aufteilen, die sich antagonistisch gegenüberstehen. Die Entwicklung des Kapitalismus ist bestimmt von deren Auseinandersetzungen um die Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums. Aus diesen Auseinandersetzungen heraus entwi­ckelt sich ein Staatssystem. Dieses Staatssystem lässt sich nun nicht reduzieren auf die Funktion des Handlangers einer dieser beiden Klassen, sondern drückt als Über­bauphänomen den Stand der Klassenauseinandersetzungen aus (SOST 1983). Das heißt: Im Staat drücken sich vermittelt die Interessen der beiden Klassen aus. Der gesellschaftliche Durchschnittswillen (Krüger 1986) manifestiert sich in der konkreten Ausgestaltung des Staatswesens. Dabei kann nicht bestritten werden, dass die relati­ve Einflussmöglichkeit der Kapitalisten ob ihrer zentralen Stellung als Produktionsmit­telbesitzer im auf die Produktion von Werten zurückfahrbaren Kapitalismus die der abhängig Beschäftigten bei weitem übersteigt. Den Einfluss der Produzenten des ge­sellschaftlichen Reichtums aber zu negieren, trifft nicht die gesellschaftliche Wirklich­keit, denn über deren zentrale Stellung im Produktionsprozess als eigentliche Wert­schöpfer ist der Kapitalist auf sie angewiesen. Er muss sich also mit ihnen auseinan­dersetzen. Mit fortschreitender Entwicklung erfahren diese Auseinandersetzungen aber eine schleichende Modifikation, die sich eben auch in einem entwickelten Staatswesen ausdrückt198. Dem Staat als Träger der politischen Sphäre die Aufgabe zuzudichten, lediglich die Kapitalverwertung zu gewährleisten und also als Unterdrü­ckungsinstanz der arbeitenden Bevölkerung unter Zuhilfenahme verschiedener Mittel (Armee, Polizei, Sozialstaat als Befriedungsstrategie ...) fungierend, erinnert eher an einen feudalistischen Staatsapparat von Gottes Gnaden.
Wenn man den Staat als den Akteur des politischen Prozesses versteht bzw. ihn in dieser Weise interpretiert, hat das auch sofort ganz konkrete Auswirkungen auf den Prozess der europäischen Integration. Könnte man sich mit Fug und Recht gegen den Europäischen Binnenmarkt stellen, wenn man den Staat als "Kettenhund des Ka­pitals" (Lenin) sieht, so relativiert sich diese Haltung realistischerweise bei der hier vertretenen Sichtweise. Jetzt ist der Integrationsprozess keineswegs nur eine neue, raffiniertere Methode zur Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung, sondern kann von dieser beeinflusst werden. Dazu existieren verschiedene Möglichkeiten, die zu nutzen, Voraussetzung für einen Erfolg ist199.

Um zu erreichen, dass eine Partizipation an den mit dem Binnenmarkt in Aussicht ge­stellten Wachstumsfortschritten durch die lohnabhängige Bevölkerung überhaupt langfristig durchgesetzt werden kann, braucht es aber mehr als nur einen spontanen Angebotsschock wie ihn Cecchini prognostiziert hat. Verteilungskämpfe sind im Kapi­talismus in der Regel nur unter besonderen ökonomischen Bedingungen erfolgreich. In Zeiten verlangsamten wirtschaftlichen Wachstums ist eine steigende Beteiligung der Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums an demselben wegen des stagnie­renden oder sogar zurückgehenden Fonds' kaum und nur gegen größten Widerstand der bourgeoisen Klasse durchsetzbar. Erfolge unter derartigen Bedingungen können nur die Ausnahme sein und setzen eine ungleich höhere Kampfkraft der Beschäftig­ten voraus, als in Zeiten genügend hoher Akkumulation. Marx schließt die Möglichkeit einer Verbesserung des Lebensstandards der Lohnabhängigen im Kapitalismus unter dieser Bedingung explizit ein: "Da das Kapital jährlich einen Mehrwert produziert, wo­von ein Teil jährlich zum Originalkapital geschlagen wird, da dieses Inkrement selbst jährlich wächst mit dem zunehmenden Umfang des bereits in Funktion begriffenen Kapitals und da endlich, unter besondrem Sporn des Bereicherungstriebs, wie z.B. Öffnung neuer Märkte, neuer Sphären der Kapitalanlage infolge neu entwickelter ge­sellschaftlicher Bedürfnisse usw., die Stufenleiter der Akkumulation plötzlich aus­dehnbar ist durch bloß veränderte Teilung des Mehrwerts oder Mehrprodukts in Kapi­tal und Revenue, können die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals das Wachstum der Arbeitskraft oder der Arbeiterzahl, die Nachfrage nach Arbeitern ihre Zufuhr überflügeln und daher die Arbeitslöhne steigen. Dies muß sogar schließlich der Fall sein bei unveränderter Fortdauer obiger Voraussetzung ... Die mehr oder minder günstigen Umstände, worin sich die Lohnarbeiter erhalten und vermehren, ändern je­doch nichts am Grundcharakter der kapitalistischen Produktion" (Marx 1984, 641).


Für diese Situation wird auch der Begriff der beschleunigten Akkumulation verwen­det. Sie "bezeichnet eine Entwicklungskonstellation ihrer bestimmenden ökonomi­schen Variablen – Mehrwertrate bzw. Lohn- und Gewinnquote, Kapitalzusammenset­zung bzw. Kapitalkoeffizient, Anteil der Zirkulationskosten, Zinsbelastung des Brutto­profits etc. –, die eine überzyklische Bewegungsform der immanenten Widersprüche kapitalistischer Produktion ermöglichen" (Krüger 1989, 15). In einer Phase beschleu­nigter Akkumulation übersteigt der durch die angewachsene Produktion gestiegene Bedarf an Arbeitskräften die Freisetzungspotenziale, die durch Rationalisierung, also Produktivkraftsteigerung erreicht wurden. "Nur unter derartigen Bedingungen einer beschleunigten Akkumulation von Kapital ist eine (gleichwohl beschränkte) Teilhabe der arbeitenden Klassen an den zivilisatorischen Tendenzen der kapitalistischen Pro­duktionsweise unter ökonomischen und sozialen, kulturellen und politischen Dimensi­onen durchsetzbar" (ebd.; Klammer im Original)200.
Ohne also den Kapitalismus als Realgröße infrage zu stellen, ohne seinen Charakter zu leugnen, ist eine progressive Beteiligung des größten Teils der Bevölkerung an dessen stofflichen Ergebnissen möglich. Erstes Ziel einer demokratischen Entwicklung muss also die Installation eines neuen Modells beschleunigter Akkumulation sein; da­zu gehört zentral die radikale Reduzierung der im internationalen Vergleich noch im­mer exorbitant hohen Arbeitslosigkeit im EU-Raum. Damit ist die Grundbedingung für eine auch für die abhängig Beschäftigten erfolgreiche Fortführung der europäischen Integration genannt201. Auf die Baubranche angewendet, wird die unmittelbare Pro­blemlage deutlich, die mit einem Anwachsen der Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte in Europa einhergeht. Gerade das Zusammentreffen von sowieso krisenhaften Bedin­gungen und der zusätzlichen Verfügbarkeit von exploitierbarem Material führt mit Si­cherheit zu Resultaten, die mit der größeren Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum nichts zu tun haben.
Prinzip kapitalistischen Wirtschaftens ist die Produktion von Profit. Das vom Kapita­listen vorgeschossene Kapital soll sich möglichst effektiv verwerten, d.h. am Ende ei­nes Produktionsprozesses soll möglichst mehr Geld (eigentlich: Kapital) als zu Beginn stehen. Geld unterscheidet sich von Geld nicht qualitativ, sondern ausschließlich quantitativ. Daraus folgt eine immanente Maßlosigkeit, die den Kapitalisten – als "Charaktermaske" (Marx) – zu immer neuen Versuchen treibt, seinen Profit zu maxi­mieren. Das geschieht z.B. über die ständige Revolutionierung der Produktionsme­thoden, die Intensivierung der Arbeit oder auch über die Erschließung neuer Märkte. Diese Möglichkeiten stehen dem Idealkapitalisten parallel zur Verfügung, allerdings wird es realiter so sein, dass sich die eine oder andere Variante problemloser umset­zen lässt, so dass eine andere Möglichkeit nicht zum Tragen kommt. Wenn allerdings sich die Bedingungen ändern, unter denen produziert wird, kann sich eine Verschie­bung ergeben. Zentral wichtig für die Umsetzbarkeit bzw. Durchsetzung von Akku­mulationsstrategien, um die es sich dabei handelt, ist ihre Einbettung in die unmittel­bar ökonomische Dimensionen übersteigende Gesellschaftlichkeit. Nach Hirsch und Roth (1986, 37f) sind Akkumulationsstrategien "an die Durchsetzbarkeit einer damit kompatiblen, politisch-ideologisch hegemonialen Struktur ... gebunden", wobei dies keineswegs handlungstheoretisch missverstanden werden darf. Die Strategie ent­spricht vielmehr einem "Prozess ohne Subjekt". Das schließt nun aber überhaupt nicht aus, dass einzelne Teile des gesellschaftlich-ökonomischen Komplexes in eine subalterne Position rutschen können, die sie zum Objekt eines Prozesses machen kann, also auch zum "Bauernopfer", wenn auch mit diesem Begriff eine allzu große Nähe zu handlungstheoretischen Konzepten konnotiert ist.
Geht man davon aus, dass zuerst der Bezugsrahmen auch für die kapitalistische Pro­duktion der Nationalstaat ist, so steht die Sprengung der nationalstaatlichen Fesseln am Ende einer systematischen Expansion. Der Weltmarkt ist der logische Schluss­punkt kapitalistischen Wirtschaftens. Die Entwicklung dorthin ist keineswegs linear und ohne Brüche, denn es gibt, wie schon gesagt, verschiedene Möglichkeiten zur Erreichung einer bestmöglichen Verwertung des Kapitals. Administrative Vorgaben können in diesem Zusammenhang durchaus eine Strategielenkung bewirken. Bei­spielsweise wird der Warenexport dann uninteressant, wenn bestehende Produktivi­tätsvorsprünge durch entsprechend hohe Zölle eliminiert werden, um die einheimi­sche Industrie vor ungewünscht starker Konkurrenz in Form ausländischer Produkte zu schützen. Solche Schranken, die bis ins letzte Drittel der sechziger Jahre zwischen den damaligen EWG-Staaten bestanden, führen dann systematisch zur Ersetzung des Warenexportes durch den Kapitalexport (Direktinvestitionen oder Port-Folio-Investiti­onen). Das ist der erste Schritt zu einer transnationalen Verstrickung bisher unabhän­giger Märkte. Typischerweise verläuft dieser Prozess alles andere als friedlich. Stärke­re Einzelkapitale stärken in ihm ihre internationale Position auf Kosten anderer, un­terlegener Einzelkapitale. So sind Kapitalexporte das Spiegelbild der Stellung der ver­schiedenen Nationalkapitale; je wettbewerbsfähiger ein Nationalkapital ist, desto hö­her ist auch dessen Engagement in Form von Kapitalexporten im Ausland. Die Durch­setzungsmöglichkeiten politischer Maßgaben hängen im internationalen Geschäft offensichtlich direkt zusammen mit der Potenz des jeweiligen Nationalkapitals. Eine politische Entscheidung wäre demnach nicht die Vorgabe für nachfolgende ökonomi­sche Strategien, sondern in erster Linie die abhängige Variable der ökonomischen Basis. In Übereinstimmung mit der oben vertretenen "Dialektik-These" von Basis und Überbau könnte auch gesagt werden, dass beides interdependiert und insofern nicht einfach von bestimmender und abhängiger Variable gesprochen werden kann.

Die Geschichte der EU ist auch die Geschichte miteinander kooperierender kapitalisti­scher Staaten. Im Verlaufe dieser Geschichte hat sich der grenzüberschreitende Aus­tausch von Waren und Kapital permanent ausgedehnt; administrative Schranken wurden abgebaut, substituierende werden abgebaut. Mit der Modifizierung des Wert­gesetzes im internationalen Austausch gehen angleichende Tendenzen einher, d.h. Produktivitätsgefälle nivellieren sich, strukturelle Ungleichgewichte werden eingeeb­net. Die daraus folgenden homogenisierenden Effekte lassen sich in der Struktur der EU sehr gut ablesen202. In der weiteren Entwicklung ist somit mit einem Abnehmen des Migrationsdrucks zu rechnen, den gerade die Bauwirtschaft in den Kernländern Europas und insbesondere in den Anrainerstaaten zu den neuen Wettbewerbern seit geraumer Zeit erlebt. Bis dahin dürfte aber noch einige Zeit vergehen, und in der Vergangenheit wurden interne Homogenisierungen noch stets durch externe Hetero­ginisierung aufgewogen. Die Bauwirtschaft ist damit in gewisser Hinsicht Opfer der systemimmanenten Tendenzen, die sie selbst mit produziert.


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