Florian Hawranek
Der botanische Garten - eine Oase Jenas?
"Sechs Schüler, das macht eine Mark achtzig", krächzt die schon etwas betagte Frau aus ihrem Kämmerlein hervor. Es riecht angenehm - endlich.
Von der stinkenden lärmenden Goetheallee im Herzen von Jena, ungefähr 150 m vom Universitätshochhaus entfernt, an tuckernden "Trabis" und "Wartburgs" vorbei, betreten wir das 4,5 ha große Gelände des grünen Botanischen Gartens und merken einen Unterschied wie Tag und Nacht.
Endlich eine Sitzgelegenheit, aber unsere Jenaer Freunde drängen weiter. Also sehen wir uns die Gewächshäuser von innen an. Vorbei an uns unbekannten Pflanzen, gelangen wir am Ende des Raumes an ein kleines Becken, das unsere Aufmerksamkeit erregt. Von weitem sieht es nach Abwasser aus, doch bei näherem Hinsehen heben sich kleine rote Striche hervor, die wir nach einiger Zeit und genauer Untersuchung als Fische identifizieren können. Deren Überlebenskunst bewundernd gehen wir weiter in das Kakteen- und Sukkulentenhaus, das viele tropische Pflanzen, Kakteen und kleine Palmen enthält. Alle Gewächse sind sorgsam mit Namen versehen. Es ist angenehm warm, mieft zwar etwas, aber daran haben wir uns hier ja bereits gewöhnt.
Die Türe zum Haus für tropische Nutzpflanzen sticht schon von weitem mit der Aufschrift "Bitte schließen" hervor. Hinter der Türe erwartet uns eine riesige Halle, die vollständig aus einer Glas/Stahl-Konstruktion besteht. Es kommt uns vor, als lebten wir im Dschungel. Riesige Palmen, dicke Sträucher, Bananen, Kakao, Kaffee, Vanille ragen nach oben und von dort hängen Lianen herunter. Es fehlen eigentlich nur noch Tarzan und Jane. Bei dem Versuch, diese nachzuahmen, fällt uns auf, daß wir gar nicht alleine sind. Bisher war uns auf dem Gelände außer der Kassiererin niemand begegnet. Gärtner gibt es wohl nur wenige, und die haben wahrscheinlich "Pause". Als wir uns aber den Pflanzen nähern, erscheint ein Aufpasser in unserem Blickfeld. Er betrachtet uns stumm, worauf wir uns veranlaßt fühlen, lieber weiterzugehen. Doch fortan bleibt er uns im Nacken, weshalb eine ungewöhnlich bedrückende Stille entsteht. Um
wieder allein zu sein, gehen wir in den Verbindungstrakt zum Viktoriahaus. Dort, in der Abteilung für Wasserpflanzen stehen auf Brusthöhe mehrere voneinander abgetrennte Becken, wobei der Begriff "Pfützen" besser angebracht scheint. In einem dieser Becken schwimmen wie Fettaugen auf der Suppe krümelartige weiße Flecken auf der Wasseroberfläche. Wenn man auf das Wasser bläst, entsteht eine fleckenfreie Fläche, die danach blitzartig wieder verschwindet. Das probieren wir solange, bis unser stummer "Freund" erneut auftaucht. So gehen wir langsam vorbei an dem Tümpel in dem sich neben der berühmten Seerose "Victoria amazonica" mehr Dreck als Fische befindet, aus dem Victoria-Haus hinaus ins Freie. Hier erst schaffen wir es, unseren Verfolger abzuschütteln und kommen zu dem Schluß, daß es sich nur um einen Überrest der "Stasi" handeln kann. Uns darüber amüsierend wandern wir an Steingärten entlang, am Alpinum vorbei. Frischer Duft von Bratwürsten hält uns schließlich davon ab, die Goethegedenkstätte zu besichtigen.
Also gehen wir Richtung Ausgang weiter, bis uns ein bekannter Gestank aufhält. Das Anzeichen ist deutlich, wir haben den botanischen Garten verlassen.
Thomas Franze/ Markus Binkert/Marc Bögelein/ Johannes Gumbmann
Die Villa Medusa ... ist Ihnen sicher ein Begriff.
Beißender Geruch nach PVC-Fußböden schlägt uns entgegen, als wir den ersten Raum der Villa Medusa - des Ernst Haeckel-Hauses - in Jena betreten, der uns als Abwechslung vom Straßengestank von den Auspuffabgasen der "Trabbis" und "Wartburgs" recht willkommen ist. Noch ist alles stockdunkel, sind die Jalousien heruntergelassen und die Vorhänge zugezogen. Doch nach dreimaligem lauten Klicken erleuchten Neonröhren drei zusammenhängende Räume im ehemaligen Wohnhaus des arbeitswütigen Zoologen, Naturforschers und Freizeitmalers Ernst Haeckels.
Haeckel war Anhänger der Evolutionstheorie Darwins, die die Zweckgerichtetheit der Organismen durch die natürliche Auslese erklärt. Da diese Lehre in Preußen verboten war, zog es ihn nach Jena, wo man sich an der Universität liberaler zeigte. In Jena lebte Ernst Haeckel dann 58 Jahre bis zu seinem Tod 1919.
Die Villa Medusa hat er so getauft, weil er sich besonders gern mit wirbellosen Tieren beschäftigte und deshalb an der Decke eines jeden Raumes ein Gemälde einer Qualle (Meduse) anbringen ließ.
In den 72 Jahren nach seinem Tod hat sich sicherlich einiges verändert in der Berggasse 7. Die Wohnräume wurden zu Ausstellungsräumen mit schweren Metallvitrinen und altmodisch wirkendem Stahlrohrmobiliar umfunktioniert. Die Museumsführerin wirkt begeistert, macht einen gebildeten und netten Eindruck, und freut sich über unser Interesse. Sie erklärt uns praktisch alles, was im Leben Ernst Haeckels vorgefallen ist, doch manchmal überschätzt sie unser Wissen über Biologie und Geschichte ("...ist Ihnen sicher ein Begriff").
Aber es ist schwer, ihren Redefluss durch eine Frage zu unterbrechen. Wir fürchten, dass sie vielleicht ein wenig enttäuscht wäre, wenn wir zugäben, nur "primitive" Kenntnisse von der Evolution zu haben. Obwohl Ernst Haeckel 1919 starb, erscheint uns vieles immer noch aktuell. So wollte sein Vater unbedingt, dass sein Sohn Medizin studiert und sein Geld als Arzt verdient, da er der Überzeugung war, als Botaniker könne man nicht genug Geld verdienen.
Ernst Haeckel wurde nicht von allen seinen Zeitgenossen anerkannt, manche standen seiner Lehre skeptisch gegenüber. Sie belächelten ihn als "Affenprofessor", weil er behauptete, der Mensch stamme vom Affen ab.
Nun betreten wir den Teil des Museums, an dem seit dem Tod Ernst Haeckels nichts mehr verändert wurde: das Vorzimmer zum Arbeitszimmer und das Arbeitszimmer selbst. Beide Räume sind im klassizistischen Stil eingerichtet, die Uhr auf der Eckvitrine zeigt 9.35 Uhr.
Im Arbeitszimmer fällt einem als erstes der schwere Metallofen in der Ecke neben der Tür auf, daneben umrahmen vier Naturgemälde von Ernst Haeckel ein Bild, das die Abstammung des Menschen vom Affen verdeutlichen soll. Die meisten dieser Gemälde hängen offensichtlich seit 1920 schief. An der Gegenwand steht ein vollgepfropfter Bücherschrank. Sogar der Briefbeschwerer und das Tintenfass stehen noch auf dem Schreibtisch. All diese Heiligtümer werden seit Jahr und Tag von mehreren Gipsbüsten auf den verschiedenen Schränken bewacht.
Nach eineinhalb Stunden in nur acht Zimmern haben wir eher einen ausgiebigen Intensivkurs über Ernst Haeckel als eine langweilige Museumsführung hinter uns.
Jetzt ist uns die Villa Medusa ein Begriff.
Engin Kolu / Christian Seuberth
Der Name "Spezi" öffnet hier alle Türen
"Wir kommen von der Spezi." Andre unterhält sich mit Frau Brand. Sie ist im Phyletischen Museum beschäftigt. Nach herzlichem Empfang gewährt sie uns freien Eintritt.
Zuvor hatte uns Andre Grosse durch Jena geführt. Die schmutzige Luft erschreckt uns. Doch wir erleben auch Ungewöhnliches. Ein Eichhörnchen huscht über die Straße und an einem Wohnblock ist zu lesen: "Schade, dass Beton nicht brennt!" Noch herrscht bei uns Unsicherheit, da sich mit unseren Jenaern Begleitern keine größeren Gespräche entwickeln.
Die Räume des im Jugendstil erbauten Phyletischen Museum (phyletisch = gr., die Abstammung betreffend) sind von Stille und Nüchternheit geprägt. Nur die vorbeiführende Straße stört die Ruhe, die gelegentlich von Geflüster unterbrochen wird. Das Museum erweckt einen schlichten Eindruck, doch sind die ausgestellten Fossilien, Präparate und Modelle ausgesprochen selten.
Im Erdgeschoss finden wir Belege für die Tatsache der Evolution, viele systematische Darstellungen über die Entwicklung von Vögeln und Fischen. Wir staunen über die Artenvielfalt der Tierwelt. So gibt es tatsächlich an die 854.000 Arten von Insekten, 35.000 verschiedene Krebse und 11.000 Tausendfüßlervariationen.
Erst Haeckel, ein Verfechter der Abstammungslehre, hatte das Museum 1906 bauen lassen.
Riesige, farbige Modelle veranschaulichen im 2. Raum des Erdgeschosses den Aufbau der DNS, der Trägerin der Erbsubstanz jeder Zelle. Auch der Vorgang der Replikation (Verdoppelung) einer DNS-Kette wird erklärt. Die Modelle über Bakteriophagen (=Bakterienfresser, Viren) gefallen uns ebenso, da sie einleuchtend dargestellt sind.
Die Räume im 1. Stock bilden die Abteilung Meeresbiologie. Faszinierend wirken hier die riesigen Fossilien der Riesenkrabbe und der Mördermuschel. Den Gigantismus der urzeitlichen Tierwelt unterstreicht auch ein 6,5 Meter langer Unterkiefer eines Grönlandwals.
Überrascht von der umfassenden Ausstattung verlassen wir beeindruckt das Museum.
"Der Name Spezi öffnet hier alle Türen."
Diese Aussage Andres, der die Spezialschule ("Spezi") Carl Zeiss besucht, trifft zumindest auf unseren Besuch im Phyletischen Museum zu. Im Carl-Zeiss-Museum allerdings mussten wir zahlen.
Esther Zirnsack und Martin Arend
Sehhilfen, altertümlich und modern
Eine Sehhilfe ist schon vonnöten, um die Aufschrift: "Grießbachsche Haus - Optisches Museum - Carl Zeiss Jena" zu entdecken.
Briefkästen, Wegweiser und Schilder verwirren den Suchenden. Nach minutenlanger Suche in dem Schilderwald stellen wir fest: "Zum Museum nach rechts". Schließlich die freundlichen Buchstaben "KASSE".
Gespannt betreten wir den Raum, der am interessantesten erscheint. "Fangen Sie bitte da vorne im ersten Raum an", macht uns eine Museumsangestellte mehr oder weniger freundlich darauf aufmerksam, dass wir soeben den dritten Raum betreten haben, und doch erst mit der Geschichte von Carl Zeiss beginnen sollen. Missmutig trotten wir in das angewiesene Zimmer. Den Raum beherrscht die etwas überdimensionierte Fotographie des Gründers der Optischen Werke in Jena.
Carl Zeiss, ein Pionier auf dem Gebiet der Optik, lebte von 1816 bis 1888. Sein erstes einfaches Mikroskop mit einer damals beachtlichen vierfachen Vergrößerung baute er im Jahre 1847. Ein komplexeres Mikroskop, das aus mehreren Teilen zusammengesetzt war, konstruierte er 1857. 1866 gewann er seinen Mitarbeiter Ernst Abbe (1840-1905), der zusammen mit ihm das Mikroskop weiterentwickelte und die dafür wichtigen Berechnungen anstellte, wie z.B. für die Bildentstehung im Mikroskop. In Otto Schott fanden die beiden einen genialen Glaser, der alle Linsen und optischen Hilfsmittel konstruierte. Diesen dreien ist die Gründung der Jenaer Zeiss-Werke zu verdanken.
Der zweite Raum ist vollständig der Linsenherstellung gewidmet. Gründlich informiert ein durch den halben Raum einnehmendes Schaubild über die verschiedenen Verfahren zur Linsenherstellung, deren verschiedene Einsatzgebiete als Vergrößerungs-, Verkleinerungs- und Filterinstrument in der Lasertechnik oder auch "nur" in der Fotografie sowie durch ein weiteres Schaubild über die Fertigung von Speziallinsen führt unser Weg zur "Brille im Wandel der Zeiten".
Dort treffen wir wieder unsere Angestellte, die uns sofort in ein Gespräch verwickelt und fast penetrant hilfsbereit wirkt. Kein Stück, über das sie nicht mindestens fünf Minuten hätte reden können. Dieser Raum beinhaltet Brillen, die im 15. Jahrhundert nur hochgestellten und reichen Persönlichkeiten, wie dem Kardinal Hugo von Provence, das mehr oder weniger scharfe Augenlicht zurückgaben. Über die kunstvoll verzierte und mit allerlei Zeichen bedruckte chinesische Brille aus dem 17. Jahrhundert, bis hin zu heutigen Massenware, also dem Einheits-Kassengestell mit Plastikgläsern.
Nach einem Ausflug in die Welt der optischen Täuschungen unterziehen wir uns einem Exkurs in die Mikrowelt. Unsere anhängliche Museumsführerin erklärt uns die verschiedensten Arten von Mikroskopen.
Mit Geleitschutz dringen wir dann in die medizinische Seite der Optik ein.
Holger untersucht unsere verschiedenen Augen und findet, dass sie unter dem Mikroskop eigentlich alle gleich aussehen.
Vermutlich liegt das daran, dass er vergessen hat, die Beleuchtung einzuschalten. Nachdem dieses Problem gelöst ist, findet Esther heraus, dass wir alle schöne Augen haben.
Für 2.00 DM erwirbt Michael am Ausgang noch ein Prisma: "Damit kann ich bei der nächsten Lateinschulaufgabe besser spicken." Clemens gelingt es, auf einem Stadtplan Jenas den Weg zu finden, der zu unserem nächsten Treffpunkt, dem Carl-Zeiss-Planetarium, führt.
Marcel Jungbauer
Robinson im Regenwald
Eine grüne Oase in einem von Braunkohlerauch eingenebelten Häusermeer stellt der Botanische Garten Jenas dar. Goethe hätte sich dies wohl auch nicht träumen lassen, als er sich 1794 für die Gründung des Botanischen Gartens eingesetzt hatte. Goethe bekam durch diesen Garten wichtige Anregungen für seine Lehre von der "Metamorphose der Pflanze". An Goethes Wirken erinnern heute noch das nahe der Gewächshäuser liegende Gartenhaus. Ein Ginkgo-Baum sei dort von ihm selbst gepflanzt worden. Das ganze Areal, welches sich auf 4,5 ha erstreckt, ist in verschiedene Vegetationszonen gegliedert. Die Frühjahrsblüher erwecken das Alpinum bereits im März zu neuem Leben. Auch die Gewächshäuser verdienen Aufmerksamkeit. In ihnen finden sich tropische und subtropische Pflanzen aus Amerika, Afrika, Asien und Australien. Im Kakteenhaus, welches ich mir in meinem Rundgang durch die gläsernen Hallen zuerst zu Gemüte führe, bewundere ich die Kaktusgewächse, deren Tröge in allen wunderbaren und wunderlichen Formen mit weißem Sand drapiert sind. Doch meine Begleitung, die offenbar wenig von Pflanzen hält, ist schon weiter, und ich muss wohl oder übel in den nächsten Raum folgen. Diese kleinere Abteilung eines Gewächshauses beherbergt die Wasserpflanzen, die in Becken auf grau gekachelten Absätzen stehen. Ein mächtiger Geweihfarn steht inmitten des Raumes. Ein wunderschönes Gewächs, nur in der Beengtheit des Raumes wirkt es mehr störend als bestaunenswert. Von hier lasse ich mich gerne fortdrängen. Im angrenzenden Gewächshaus fällt es mir dann schon wieder schwerer, mich von Pflanzen, wie mehreren meterhohen Birkenfeigen und mannshochen Kaffeesträuchern zu trennen. Auch die angenehme Temperatur und die hohe Luftfeuchtigkeit reizen zum Innehalten. Die Artenvielfalt, die sich links, rechts und über mir schwebend durch die ganze Halle verteilt, scheint auf den ersten Blick unerschöpflich. Das letzte Gewächshaus beherbergt die Seerose Victoria amazonica und trägt daher auch den Namen "Victoria Haus". Die Schwimmblätter der Seerose können einen Durchmesser von zwei Metern erreichen.
Im Botanischen Garten
Der Eindruck, als Robinson im Regenwald zu spazieren, wird aber leider durch die steil abfallenden, betonierten Ufer des Teiches, wie auch durch die quer über die Glaswände verlaufenden Rohrleitungen schnell zunichte gemacht. Es ist schade, daß der Rundgang schon beendet ist.
Ich hätte gerne noch ein wenig Zeit zwischen den nicht alltäglichen tropischen Gewächsen verbracht. Nun aber geht es wieder hinaus in die vom Braunkohlerauch drückend wirkende Stadtluft. Goethe mag seinerzeit wohl eine bessere Luft geschnuppert haben, als er die Glashäuser verließ.
Günther Knogler
Paradies in Jena
"Auf zum Paradies!" Im Herzen Jenas, nur wenige Meter von den Einkaufsstraßen im Zentrum entfernt, liegt dieser himmlische Park, der durch die Saale geteilt wird. Verdutzt folge ich der Aufforderung meines Begleiters und stelle mir die Frage, ob es in Jena, wo man andauernd von Schmutz und Trabbigestank begleitet wird, wirklich ein Paradies gibt.
Den Weg dorthin weist der verfallen wirkende Bahnhof Paradies, den Irdische mit Parolen bespritzt haben: "Das Wasser ist trüb, die Luft ist rein, Honecker muß ertrunken sein!" Unmittelbar vor dem Paradies hüpfen schreiende Kinder vor einem Kiosk. Als Vorhölle dient ein finsterer Tunnel. Am Ende strahlt helles Licht und lichtes Grün. Wir sind im Paradies.
In 3 Metern Höhe über den Weg geleitete Gasrohre bilden die Himmelspforte. Diese geheimnisvollen Rohre, die unter anderem auch als Brücke über einen Bach dienen, führen uns weiter in die göttliche Oase. Von rückfälligen Paradiesbesuchern zerstörte Häuschen säumen den Weg entlang des Parkes. Eine zwischen aufgestapelten Absperrgittern gelegene Bank lädt uns zur Ruhe. Auf der Nachbarbank hat es sich ein armer Sünder bequem gemacht, der sich an einem Pornoheft erfreut.
Offensichtlich wird im Paradies umgebaut. Gehwege halbfertig, kleine Baustellen mit den dazugehörigen Materialdepots trüben das Bild. Einziger Lichtblick: ein von Bäumen umgebener Platz mit Tischtennisplatten.
Ein Höllenlärm lässt mich zusammenzucken. Ist Gott etwa wütend oder meint er es nicht gut mit uns? Doch schon erblicke ich den wahren Verursacher des Lärmes, nämlich die in etwa 400 Meter Entfernung direkt am himmlischen Park vorbeiführende Eisenbahnlinie. Dieses irdische Transportmittel erschüttert alle fünf Minuten die göttliche Ruhe im Paradies. Als uns ein 20 m langer Truck die Aussicht auf die Wiesenflächen und die Eisenbahnlinie versperrt, machen wir uns wieder auf den Kreuzzug durch das Paradies und überqueren auf einer sehr modernen Brücke die braune und undurchsichtige Flut der Saale.
In diesem Teil des Parkes säumen lange Baumalleen die trüben Gewässer und weiten Grünflächen. Eine Baumallee führt uns zum Ausgang des himmlischen Ortes im Südosten des Parks hinaus in die irdische Welt. "So, das war unser Paradies! Das muss man doch auch einmal gesehen haben!"
Clemens Pfefferle
Der Ort, an dem Napoleon vom Panzer überrollt wurde
"Und dort stand mal Napoleon." Karsten zeigt auf einen etwa 300 m entfernten Hügel in der Ferne, auf dem eine kleine Stange steht. Auf dem Gelände rings um den Hügel sind rot-weiß gestreifte Pfähle in den Boden gerammt. Die Erde ist aufgewühlt und schlammig vom ständigen Regen und von den Ketten russischer Panzer, die auf diesen Platz ihre Manöver abhalten. "Bis letztes Jahr hat da droben noch ein Gedenkstein gestanden, aber den hat ein Panzer umgewalzt."
Wir befinden uns auf dem Landgrafen, einer 283 m hohen Erhöhung am Stadtrand von Jena. Ungefähr 2km Richtung Bergmitte liegt das Schlachtfeld auf dem im Oktober 1806 das preußische Heer bei der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt von den französischen Truppen Napoleons besiegt wurde.
Man findet hier im Wald auf dem "Landgrafen" bei Jena noch Relikte anderer Truppen als den napoleonischen, nämlich die der Sowjetarmee. Am Waldrand stoßen wir auf ein Schild, auf dem eine explodierende Kugel dargestellt ist. Auf unsere Frage antwortet unser Schüler der Spezialschule Carl Zeiss Jena, daß in diesem Waldstück Minengefahr herrscht. "Aber ich bin hier noch nie explodiert".
500 m weiter kommen wir in ein Dorf mit ungefähr 10 Häusern. Da wir Hunger haben, begeben wir uns zu einem Haus am Ortseingang, das wir wegen der außen angebrachten Bierreklame für ein Wirtshaus halten. Wir treten ein und befinden uns im Museumsraum des Museums zur Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt. Im einzigen Ausstellungsraum des Museums befinden sich Glasvitrinen an den Wänden, in denen sowohl französische als auch preußische Uniformen, Waffen und anderes Kriegsgerät ausgestellt sind, ein Kassenhäuschen mit einer gelangweilten Verkäuferin und eine ca. 9 m2 große, mit Zinnfiguren nachgestellte Schlachtszene.
Als ich diese Spielzeuglandschaft betrachte, denke ich an alles andere als den verschlammten, von Panzerketten zerwühlten Platz, der uns vor allen Dingen lehmverschmierte Hosen und Schuhe bescherte. Beim bloßen Anblick dieses Feldes, das von Panzerübungsstangen gesäumt ist, verlischt der Gedanke, dass an diesem Fleck zigtausende Menschen aufeinander zugestürzt sind, in der Absicht, sich zu töten.
Klaus Neubauer
"Was sind denn das für Typen?"
Erstaunt und etwas verwirrt blickten wir, die 10a aus Forchheim, aus den großen Fenstern unseres Busses. Kurz nach 9 Uhr erreichen wir den Marktplatz Jenas. Dort erwartet uns schüchtern eine 20-köpfige Schülergruppe der Spezialschule Carl Zeiss Jena.
Nachdem sich unsere Klasse zögernd aus dem sicheren Bauch unseres Busses herausgewagt hat, bilden sich auf gemeinsame Anregung der Lehrer kleine gemischte Grüppchen, die Jena erkunden sollen. Doch bevor das Abenteuer beginnen konnte, erzählt Mirko König, der Klassenleiter der 10'ten aus Jena, über seine Heimatstadt.
Jena erlangte um 830 erstmals sein Münzrecht und stieg 1236 zur Stadt auf. In Jena kreuzten sich erstmals die Wege von Goethe und Schiller (1794). Kontraste prägen das Stadtbild: Die im 15. Jahrhundert erbaute Stadtkirche überragt der runde Hochhausturm der Universitätsbibliothek. Hinter ihm wiederum erstrecken sich die Carl Zeiss-Werke.
Auf dem Programm standen unter anderem der Botanische Garten, das Phyletische Museum, die Universität mit Bibliothek, das Ernst-Haeckel-Haus, sowie das Optische Museum. Krönung der Exkursion sollte eine Vorstellung "Raum und Zeit" im Zeiss-Planetarium bilden.
Wir bahnen uns durch den aus alten Schloten hervorquellenden Qualm unseren Weg. Gereizt, durch Abgabe aus 'spotzenden' Trabiauspüffen kommen wir hustend am Stadtmuseum an.
Das Stadtmuseum "Alte Göhre" vermittelt einen umfassenden Eindruck der Geschichte Jenas. Eine Hauptattraktion ist die originale Fahne der Jenaer Burschenschaft, mit einem goldenen Eichenzweig auf Rot-Schwarz-Rot, das Urbild des künftigen Dreifarbs der deutschen Trikolore von 1848 und unserer heutigen Deutschlandfahne. Bemerkenswert auch die originalgetreue Nachbildung eines Karzers für Studenten mit Inventar und frivolen Sprüchen.
Danach nutzten wir die Möglichkeit, das Wohndomizil unserer Gastgeber, ein Internat am Rande Jenas, zu besichtigen und waren mächtig erstaunt. Fast wie in einem Sicherheitstrakt des FBI mußten die Bewohner dieses Internats ihre Ankunft und ihren Weggang eintragen. Auch die Pässe durften natürlich nicht fehlen. "Fehlt nur noch, dass sie uns an die Wand stellen und filzen".
Die Wohnanlage machte einen fast schon pingelig sauberen Eindruck. In der Führung inbegriffen war auch eine Besichtigung der Duschräume. Um unser Ziel zu erreichen, mussten wir erst durch Neonlicht schummrig beleuchtete Treppen in die 'Katakomben' hinabsteigen. Es erwarteten uns allerdings fast völlig normale Duschen, mit der kleinen Ausnahme, dass die Regler nur mit einer Zange zu bedienen waren. Leicht betroffen über die Wohnsituation verließen wir das Internat.
"Wollt ihr da wirklich hin?"
Eine lustige, aber auch strapaziöse Bus- bzw. Straßenbahnfahrt führt uns nach Lobeda, einer Satellitenstadt Jenas. Dort gibt es nichts außer den typisch sozialistischen Betonblöcken. Jeder fünfköpfigen Familie steht ein begrenzter Wohnraum von 60 Quadratmetern zu. Lobeda gab uns an Platz und Freiheit gewohnten Kleinstädtern den Rest. In den 60'er Jahren erbaut, sollten die tristen Häuserschluchten gleiche Wohnräume für alle schaffen.
Alle Gruppen fanden sich wieder im von Prof. Walter Bauersfeld erfundenen Zeissplanetarium, heute das dienstälteste Planetarium der Welt. Die Vorführung "Raum und Zeit" soll dem Sterblichen einen Blick in die Tiefe des Alls vermitteln und das Wesen des Makrokosmos erahnen lassen.
Nach dem Löschen der Lichter schlug eine einzigartige Atmosphäre den Betrachter in seinen Bann. Die klangvolle
Stimme des Sprechers und das Rattern der Diaprojektoren taten ihr übriges. Lauschten die einen gespannt dem Vortrag, verfielen andere erschöpft in einen Tiefschlaf.
Unsere Gastgeber ließen es sich nicht nehmen, ihre Schule vorzustellen. Die Carl-Zeiss-Spezialschule erfährt von den Zeiss-Werken finanzielle Unterstützung. Betriebspraktiken in den Werken selbst und eine daraus resultierende berufliche Spezialisierung gehören zur schulischen Orientierung.
Beeindruckend sind die kleinen Klassen von nur durchschnittlich 20 Schülern und die aufwendig ausgestatteten Schulräume, wie z.B. der Physikraum, wo ein Oszilloskop neben dem anderen steht. Die Schule ist wesentlich spezifischer auf die naturwissenschaftlichen Fächer ausgerichtet. Auch aufwendige Versuche können Schüler in Physik und Chemie selbst durchführen. Besonders aber stach uns der Computerraum ins Auge, der mit hypermodernen 286-Rechnern bestückt ist.
Ein gemeinsames Abendessen in der Gaststätte zum Fuchsturm sollte die frisch geknüpften Verbindungen zwischen den Schülern festigen. Dieser gutgemeinte Schachzug schlug vollkommen fehl. Waren tagsüber die Gruppen noch gemischt, teilten sie sich spätestens zum Abendessen. Jeder versuchte in die Nähe seiner Klassenkameraden zu gelangen. Selbst wenn der Tisch noch so klein war, quetschte man sich zusammen. So geschah es, dass zwei Drittel unserer Klasse sich wie Ölsardinen an drei Tische drückten und den Abend trotzdem feucht-fröhlich genossen. Da man die Abkapselung nicht verhindern konnte, versuchte man, das Beste aus der Situation zu machen, und verabredete sich zu einem Gegenbesuch bei uns in Forchheim.
Eckehart Weiß
Zeitung in der Schule/ Jugend liest / Jugend schreibt
Ein Grundanliegen des Projekts "Zeitung in der Schule" besteht darin, Schülern die Freude an der täglichen Zeitungslektüre zu vermitteln. Eine große Tageszeitung bereichert durch die Vielfalt und Qualität des Angebots den Unterricht in allen Fächern.
Die das Projekt tragende Frankfurter Allgemeine Zeitung steht damit nicht in Konkurrenz zur Lokalzeitung, sondern ergänzt sie auf einem Anspruchsniveau, das bildungswillige Jugendliche herausfordert.
Die Schüler durchleuchten die Herstellungs- und Aufbauprinzipien der gesamten Zeitung bezogen auf die während einer Woche erscheinenden Sparten, begreifen den Grundaufbau der täglichen Zeitung, verinnerlichen das Gestaltungsprinzip der einzelnen Zeitungsseite bis hin zu den Bauformen der elementaren journalistischen Textsorten.
Sie erlernen auf diesem Weg eine Lesetechnik, die es erlaubt, die Fülle der Informationen zeitsparend aufzunehmen, schulen dabei die elementare Grundfertigkeit, das Wesentliche aus einer breiten Flut von Informationen herauszufiltern.
Meinungsbildung erfolgt im Vergleich mit der Lokalzeitung, aber auch im Vergleich mit anderen überregionalen Zeitungen, die während des Projekts auf Wunsch kostenlos bezogen werden können.
Das Grundanliegen, "Freude am Lesen" zu erwecken, verknüpft sich auf einer zweiten Ebene mit dem Anliegen, "Freude am Schreiben" zu erregen.
Die sorgsame Analyse der einzelnen Textsorten verdeutlicht die Rezeptur und erlaubt es, die Kompositionsprinzipien und stilistischen Besonderheiten zu imitieren.
Der Unterricht fördert demnach nicht nur die Lesefähigkeit, sondern auch das Vermögen, die eigene Welt sprachlich zu bewältigen.
In der Klasse 10a kommt die Fülle des täglichen Angebots erfreulicherweise in mehreren Fächern zur Geltung. Im Fach
Wirtschaft und Recht lieferte die Zeitung wertvolle Informationen zum Börsenspiel. Die schnellen Veränderungen in den osteuropäischen Staaten, die dramatischen Geschehnisse während des Golf-Krieges, die Verfolgung der Kurden sind ohne tägliche Zeitungslektüre nicht begreifbar. In Geschichte und Sozialkunde trat die F.A.Z. so teilweise an die Stelle des Lehrbuches. Die Schüler haben beispielsweise den Themenbereich 'Innenpolitik' eine Woche lang verfolgt und dann in wesentlichen Punkten zusammenschauend referiert. Die fundierten Beiträge in der Sparte Wissenschaft und Technik dienen dazu, in den Fächern Chemie und Biologie, Mathematik und Physik den Lehrstoff mit brandneuen Informationen anzureichern.
Eine erfreuliche Nebenwirkung ergab sich aus dem Fach Mathematik. Eine Gruppe von Schülern vertiefte sich in die Textverarbeitung und eroberte die schuleigenen Computer, um den kreativen Teil des Projekts zu stützen.
Motivieren die Fächer Geschichte, Sozialkunde, Wirtschaft und Recht, Biologie, Chemie und Mathematik zum eigentlichen Sinn der täglichen Zeitungslektüre, nämlich das vorhandene Wissen in den jeweiligen Bereichen zu erweitern, sich fachkundig zu machen, übernimmt das Fach Deutsch eine noch grundlegendere Rolle.
Es erlaubt, Zeitung als 'Literatur' ernst zu nehmen und über den Informationswert hinausgehend analytisch und kreativ tätig zu werden.
Die einzelnen Seiten, Sparten, Sonderbeilagen stellten die Schüler in Kurzreferaten vor. Im Rahmen der Unterrichtseinheit 'Erörterung' diskutierte die Klasse den Artikel von Dr. Kurt Reumann (Betreuer des F.A.Z. Projekts bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) "Die Zeitung ist besser als Kaffee" (F.A.Z. vom 26.10.1990).
Nach den grundsätzlichen Überlegungen verfolgt das Projekt das Prinzip von Analyse und Eigentätigkeit mit dem Ziel, eine gute Kenntnis der klassischen Textsorten einer Zeitung zu erreichen bis hin zur Fähigkeit, diese Textsorten auch eigenständig gestalten zu können.
Dem Grundanliegen 'Freut euch des Lesens' trägt das Projekt Rechnung, indem jeder Schüler sich die Aufgabe stellte, ein Dossier zu einem Themenbereich eigener Wahl zusammenzustellen.
Zu Beginn der eigentlichen Textanalyse stand die Nachricht im Mittelpunkt. Nach Klärung der Komplexität dieser Kleinform stellten die Schüler bei der Eigenproduktion mit Erstaunen fest, welcher Sorgfalt es bedarf, die berühmten sechs W's in einer Meldung hieb- und stichfest zu verarbeiten.
Die Analyse der Reportage öffnete den Blick für die hohe Kunst des guten Journalismus. Die strukturelle und stilistische Analyse dieser durchaus auch literarischen Textform bewies, daß es nicht genügt, nur vor Ort zu sein. Der sinnvolle Wechsel von vor Ort Erlebtem und Hintergrundwissen, von Abstraktion und Gefühlen sowie einem dem Thema gemäßen Aufmacher zu gestalten, fordert die Schüler heraus.
Stilprinzipien wie Angemessenheit des Ausdrucks, Dichte, Genauigkeit, rhetorische Mittel wie Wiederholung, Kontrast, Steigerung, Kürze, Stilmittel wie Metaphern, Vergleiche und Wendungen finden sich in vielfältigen Spielarten.
Dieser von Schülern wenig geliebte Bereich der Textanalyse gewinnt Leben vor der Aufgabe, selbst einen Text sprachlich angemessen ausgestalten zu wollen.
Die ersten Reportagen über Jena zeigen, dass sie nicht leere Begriffe geblieben sind.
Lernen und Unterrichten ohne gutes soziales Zusammenwirken bleibt unerfreulich.
Eine Exkursion mit dem Ziel, sie gemeinsam schriftlich aufzuarbeiten, bindet, fordert kreative Kräfte heraus und hebt den Gemeinsinn einer Klasse. Schüler, die sich erfolglos durch Erörterungen quälen, bei Interpretationen meinen, dass sie die Deutungen des Lehrers zwar verstünden, selbst jedoch nie auf solche Ideen gekommen wären, stellen zumindest fest, dass sie noch schreiben können und dies teilweise recht gut. Die Erfahrung vor Ort gibt ihnen die Worte, ein gelungener Artikel gibt ihnen etwas Selbstbewusstsein für die eigene Sprache zurück.
Das Projekt endet im Februar 1992. Bis dahin hoffen wir, in noch komplexere Formen des Schreibens einzudringen, in Kommentar und Glosse, Essay und Kritik. Wir hoffen natürlich auch, dass der eine oder andere Artikel bei der F.A.Z. Erfolg hat und eine weltweite Publikation die Mühen belohnt.
Schlussbetrachtung:
Die veröffentlichen Reportagen und Nachrichten sind Ergebnisse intensiver Einzel- und Teamarbeit. Bereitwillig haben die Schüler ihre Texte mehrfach überarbeitet oder ursprünglich getrennte Texte zu einem Text zusammengefasst. Schwierig war es, sie an einen Erlebnisstil wieder heranzuführen, der ehrlich und wirklichkeitsgerecht Gefühle und Stimmungen erfasst. Schwierig war es, sorgfältig zu recherchieren, Fakten und Daten zu präzisieren.
© www.deutsch-digital.de: Klasse 10a Ehrenbürg-Gymnasium Forchheim (1991)
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