19. Jahrhunderts
Frankenhausen27, eine Kleinstadt in Nordthüringen, am Fuße des Kyffhäusergebirges gelegen, zählte um 1900 rund 6.200 Einwohner.28 Administrativ gehörte die Stadt zum Fürstentum Schwarzburg – Rudolstadt, einem der acht thüringischen Kleinstaaten.29 Das Fürstentum bestand seit 1599 aus zwei, territorial voneinander getrennten Landesteilen, der Oberherrschaft Rudolstadt und der Unterherrschaft Frankenhausen.30 Rudolstadt war die Residenz. Hier hatten Fürst, Landesregierung und Landtag ihren Sitz. Frankenhausen war Verwaltungssitz der Unterherrschaft und zugleich Sitz des gleichnamigen Landratsamtes. Nach dem Stand von 1905 umfasste das Fürstentum 940,39 km² und 96.835 Einwohner.31 Für die Zeitgenossen war die Stadt keine „eigentliche Industriestadt im modernen Sinne“, sondern weit eher ein ruhiger Gewerbe- und Kurort.32 Zu den vorherrschenden Gewerbezweigen gehörten Gerbereien, die Zigarren- und Knopffabrikation. Letztere wies um 1900 mit rund 350-400 Personen die höchste Beschäftigtenzahl auf.33 Die einst blühende Salzgewinnung war zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken.34 Bedingt durch den Niedergang des Salinewesens gewann die Verwendung der Sole zu Heilzwecken an Zuwachs und der Kur- und Badebetrieb wurde zu einer wichtigen Erwerbsquelle.35 Nicht wenige Frankenhäuser hatten sich auf den vor allem im Sommer stark frequentierenden Fremdenverkehr eingerichtet und hielten Zimmer zur Vermietung vor. Insgesamt gesehen waren die wirtschaftlichen Verhältnisse der einstmals reichsten Stadt Schwarzburgs nicht auf Rosen gebettet.
Das Vorhandensein nur weniger Fabrikationszweige, die zudem wie die Knopffabrikation im höchsten Grade von der Mode und damit der Konjunktur abhängig waren, führte immer wieder zu sozialen Spannungen. Zwischen 1890 und 1911 erlebte die Knopffabrikation vier große Konjunktureinbrüche, die mit einer lang anhaltenden Arbeitslosigkeit einhergingen.36 Jeder Konjunktureinbruch war deshalb von Massenstreiks begleitet, die mehrere Wochen oder gar Monate dauerten. Von einem solchen Massenstreik war Frankenhausen im Jahre 1900 betroffen. Die zum Teil heftigen Auseinandersetzungen bescherten den Sozialdemokraten ungewöhnlichen Zulauf. Viele Knopfmacher, aber auch Knopffabrikanten waren als Stadträte und Landtagsabgeordnete über die Maßen politisch aktiv. Seit 1871 hatte die Sozialdemokratie sowohl im Stadtrat als auch im Schwarzburg – Rudolstädtischen Landtag stetig an Einfluss gewonnen. Mit dem Frankenhäuser Knopfmacher Johann August Friedrich Welke (1841-1885) zog 1871 überhaupt erstmals ein Vertreter der deutschen Sozialdemokratie in einen Landtag ein.37 Wenn auch zukünftig mit Höhen und Tiefen versehen, legte er damit den Grundstein, dass Frankenhausen auch über die Zeit des Deutschen Kaiserreiches hinaus eine der Hochburgen der Sozialdemokratie in Deutschland blieb. Auf Landesebene gelang den Schwarzburg-Rudolstädtischen Sozialdemokraten 1902 der eindrucksvollste Wahlsieg der Sozialdemokratie in Thüringen.38 Sie hatten im Landtag fast die Hälfte der Sitze errungen. Nur wenige Wochen, nachdem Prof. Huppert das Direktorat des Technikums angetreten hatte, wurde der Frankenhäuser Sozialdemokrat Franz August Wilhelm Winter (1860-1920) zum stellvertretenden Landtagspräsidenten gewählt.39 Der regierende Monarch, Fürst Günther Victor von Schwarzburg-Rudolstadt (1852-1925), führte ein zurückgezogenes Leben und überließ selbst wichtige repräsentative Aufgaben lieber seiner Gemahlin, Fürstin Anna Luise (1871-1951).40 Die jeweils amtierenden, konservativ eingestellten Staatsminister hatten dadurch weitgehend freie Hand. Von 1888 bis zum 31. März 1903 amtierte der äußerst konservative Staatsminister Wilhelm von Starck (1835-1913).41 Sein Nachfolger wurde der den rechten Nationalliberalen nahe stehende Franz Freiherr von der Recke (1854-1923), der das Amt des Staatsministers vom 1. April 1903 bis zum 25. Mai 1919 bekleidete.42 Bis 1907 Leiter des Innen- und Finanzressorts, übernahm er nun die Ministerialabteilung für Kirchen- und Schulfragen und war damit direkter Ansprechpartner für Prof. Huppert in Angelegenheiten des Technikum. Die Sozialdemokraten drängten im Landtag massiv auf die Trennung von Staat und Kirche und von Kirche und Schule und stießen hier auf den energischen Widerstand des Staatsministers.43 Unterstützung erhielten sie dabei zeitweilig von den Liberalen im Landtag. Einen maßgeblichen politischen Einfluss außerhalb der Stadtgrenzen von Frankenhausen, in den umliegenden Dörfern der Unterherrschaft, übte der „Bund der Landwirte“ und die weitgehend mit ihm identische Deutschkonservative Partei aus. 44 Teilweise antisemitisch eingestellt, besaß sie im ländlichen Raum eine breite Massenbasis. Herausragender Vertreter in der schwarzburgischen Unterherrschaft Frankenhausen war der Landwirt und Gutsbesitzer, Wilhelm Carl Robert Kämmerer (1848-1930), im nahe gelegenen Dorf Ringleben, mit kurzer Unterbrechung Mitglied des Landtages von 1890-1919.
Frankenhausens Stadtväter waren seit der Zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht uneingeschränkt bemüht gewesen, höhere Schulen in Frankenhausen zu etablieren. Nachdem bereits im Oktober 1872 ein Realprogymnasium eröffnet worden war, erhielt dieses erst 1890/1894 ein eigenständiges Schulgebäude.45 Der etwa zur gleichen Zeit angebotenen Einrichtung eines Technikums, standen Stadtrat und Stadtverwaltung ablehnend gegenüber.46 Je ein Angebot des Ingenieurs W. Hep, Lehrer an der Baugewerksschule Bad Sulza, 1878 und des Direktors des Technikum Genthin, Direktor Terkorn, 1881, wurden nicht angenommen. Eine der Ursachen lag in der mangelnden finanziellen Unterstützung der Landesregierung Schwarzburg-Rudolstadt. Diese gab, nicht zuletzt durch den wachsenden Einfluss der Sozialdemokratie, reichlich Geld für das Volksschulwesen aus, jedoch gab es nur ein humanistisches staatliches Gymnasium in der Residenz Rudolstadt.47 Ansonsten blieb das höhere Schulwesen eine Angelegenheit der jeweiligen Kommune und wurde lediglich mit Zuschüssen bedacht. Zudem wurde, durch ein Gesetz aus dem Jahre 1873 sanktioniert, die Schulaufsicht nebenamtlich durch Geistliche besorgt. Die Wahrnehmung der Schulaufsicht bei Gründung eines Technikum war nicht auszuschließen.
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Die Gründung des Technikums 1896 und sein Werdegang bis zum Jahre
1902
Es war Winter 1896, als der Baumeister Simon Karl Müller (geb. 1867 in Paris, Sterbejahr und -ort unbekannt) aus Hannover dem Stadtrat seine Pläne zur Einrichtung eines Technikum unterbreitete.48 In seinen Sitzungen vom 6. und 21. Februar 1896 hatte sich der Stadtrat mit dem Vorhaben befasst und leitete die von Müller eingereichten Unterlagen an das Fürstliche Landratsamt Frankenhausen mit der Bitte weiter, bei den Landesbehörden die erforderliche Erlaubnis einzuholen. Im Anschreiben schilderte der Stadtrat seine Beweggründe:
„Der Stadtrath hofft, dass auch das Technikum fördernd auf die Entwicklung des hiesigen Gewerbes einwirkt, da sich viele der hiesigen Gewerbetreibenden wohl kaum die Gelegenheit entgehen lassen werden, die in ihr Fach ev. Einschlagenden Fächer zu belegen bzw. die betreffenden jüngeren Elemente zum Besuch der Schule anzuhalten. Der Stadtrath hofft auch abgesehen von dem Nutzen, den die das Technikum besuchenden Schüler sowie die Lehrer der Anstalt hiesigen Gewerbetreibenden und Privaten zweifellos bringen, dass die Bauthätigkeit hier gehoben wird. Bei dem Wachsen der Anzahl der das Technikum besuchenden Schüler wird es nach und nach an geeigneten Logis und Pensionen fehlen und wird so auch eine belebende Wirkung auf die Bauthätigkeit ausgeübt werden.
Der gegenwärtige Bestand an Wohnungen dürfte zunächst zureichen. Durch die im Sommer hier Wohnung nehmenden Badegäste hat sich eine große Anzahl von Einwohnern mit dem Vermiethen von Wohnungen und gegebenen Falles auch zu Gewährung von Kost an die das Technikum besuchenden Schüler haben. Es giebt hier auch sehr einfache Wohnungen und Pensionen, die auch den Mitteln einiger bemittelter Schüler gerecht werden“.49
Vom Landratsamt mit wohlwollendem Zusatz versehen und weitergeleitet, erhob das zuständige Fürstliche Ministerium Rudolstadt, Abteilung Inneres, nicht unerhebliche Bedenken:
„Wir wollen im Allgemeinen nicht verkennen, dass eine auf festen Grundlagen errichtet und gedeihlich sich entwickelnde Privat „Unterrichts“ Anstalt vorgedachter Art der Einwohnerschaft eines Ortes und diesem selbst nach den verschiedensten Richtungen zum Vortheil gereichen kann und wir möchten auch der Stadt Frankenhausen und ihrer Einwohnerschaft solche Vortheile um so mehr wünschen, als dieselbe neuer Einnahmequellen und Handel und Gewerbe fördernder Einrichtungen sehr bedarf. Allein das uns vorgelegte Project des Müllerschen Technikums hat doch nach mehreren Richtungen hin zu nicht unerheblichen Bedenken Veranlassung gegeben“.50
Bedenken bestanden vor allem an den Fähigkeiten von Baumeister Müller und seinem Lehrprogramm. Es wurde mit dem, des seit 1894 bestehenden „Thüringischen Technikum Ilmenau“ verglichen und als mangelhaft eingestuft. Am Ende dennoch alle Bedenken beiseite schiebend und den wirtschaftlichen Vorteil der Stadt im Auge, gab das Ministerium am 28. April 1896 seine Zustimmung zur Gründung. Strikt zu unterbleiben hatten jedoch alle Publizierungen, die in irgendeiner Weise darauf schließen lassen könnten, es handele sich um eine Staatliche Lehranstalt. Die Verwendung des Namens „Schwarzburg – Rudolstädtisches Technikum“ war daher nicht gestattet. Von Seiten des Stadtrats war man mit der Entscheidung zufrieden und stellte mit dem ehemaligen Refektorium des Klosters, das seit 1552 bereits als Schulgebäude im Dienst war, eines der ältesten Gebäude Frankenhausens als Lehrgebäude bereit. Die Eröffnung des „Technikum Frankenhausen a. Kyffh.“ erfolgte schließlich am 5. Oktober 1896.51
Einige der nach Frankenhausen kommenden Ingenieure hatten bereits einschlägige Erfahrungen an anderen Techniken, z. B. in Strelitz (Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz) oder Lemgo (Fürstentum Lippe-Detmold), sammeln können.52 Der Aufschwung der deutschen Industrie brachte es mit sich, dass sich die Nachfrage nach gut ausgebildeten Ingenieuren und Technikern vervielfachte.53 Vor allem die raschen Fortschritte im Maschinenbau und der Elektrotechnik zwangen selbst Mittel- und Kleinbetriebe, zumindest qualifizierte Techniker einzustellen.54 Die Absolventen der Hochschulen reichten keineswegs mehr aus, um den Bedarf decken zu können. So entstanden besonders nach 1880 zahlreiche Fachschulen, die sich wie ein Netz über ganz Deutschland ausbreiteten. Die nach eigenem Bekunden älteste Gründung war 1865/67 das „Technikum Mittweida“, die heutige „Hochschule für Technik und Wirtschaft Mittweida (FH)“.55 Da an staatlichen technischen Lehranstalten Mangel herrschte, vermochten sich die privaten Gründungen zu behaupten und z. T. gut zu entwickeln. Vorbehalte und Widerstände seitens der staatlichen Gründungen und seitens der Hochschulen blieben nicht aus.
Von Mittweida übertrug sich die Bezeichnung „Technikum“ auf alle nachfolgenden Gründungen dieser Art. Nicht jede Gründung war von bleibendem Erfolg gekrönt. Mangel an Kapital, unzureichende Ausstattungen und damit schwindende Schülerzahlen oder unzulängliche Fachkenntnisse und Führungsqualitäten der meist als Privatunternehmer fungierenden Gründer, führten recht häufig zum Eingehen der kaum noch überschaubaren Gründungsversuche. Sprangen die Kommunen finanziell helfend bei oder übernahmen gar die Lehranstalten in eigene Regie, waren sie nicht selten mit diesen Angelegenheiten überfordert. Ähnliche Befürchtungen hatte nicht umsonst das zuständige Ministerium in Rudolstadt bezüglich Frankenhausen geäußert. Stadtvorstand und Stadtrat hatten sich darüber im Klaren zu sein, dass eine Übernahme in Staatseigentum als völlig ausgeschlossen anzusehen war. Staatsrat Dr. Carl Friedrich August Otto Körbitz (1844-1920), der durchaus liberale Anschauungen56 vertrat, wollte keinerlei staatliche Unterstützung in Aussicht stellen.57 Vorgeschlagen und umgesetzt wurde jedoch die Bildung eines Kuratoriums zur Beaufsichtigung des Technikum. Dieses bestand aus dem Bürgermeister, zwei Stadträten, einem weiteren Vertreter der Bürgerschaft in Person des Rektors des Realprogymnasiums und dem Technikumsdirektor, dem allerdings auf Grund von Privatinteressen nur eine beratende Stimme zuerkannt wurde. Die Staatsregierung behielt sich nur die allgemeine Oberaufsicht vor. Wahrgenommen wurde diese durch einen ernannten Staatskommissar, der u. a. die Aufsicht bei den Abgangsprüfungen führte und die Abgangszeugnisse gegenzeichnete, damit sie offiziellen Charakter erhielten. Festgeschrieben waren die für das Kuratorium maßgebenden Bestimmungen in einem so genannten „Regulativ“.
Schon nach kurzem Bestehen des Technikum bewahrheiteten sich die durch die Landesregierung gegenüber Baumeister Müller gehegten Befürchtungen. Unzweifelhaft ein guter Praktiker, fiel es ihm schwer, im täglichen Ablauf den richtigen Umgang mit Dozenten und Schülern zu finden. Im Frühjahr 1897 reichten die Schüler eine Protestnote zu Gunsten eines Dozenten beim Landrat ein.58 Was folgte, war ein unüberbrückbares Zerwürfnis zwischen Direktor Müller und den meisten Dozenten, das schließlich gerichtlich ausgetragen wurde. In einer im Oktober 1897 in Umlauf gekommenen, gedruckten Rechtfertigungsschrift betonte Direktor Müller ausdrücklich den Charakter des Privateigentums des von ihm gegründeten Technikum:
„Die Anstalt, deren bedeutende Kosten ich, von einer geringen Beihilfe der Stadt abgesehen, allein aus meinen persönlichen Mitteln bestritten habe und noch bestreite, ist also mein Privateigentum. Ich bin demnach nicht etwa nur ein Beamter derselben, der eventuell auch wider seinen Willen von derselben entfernt werden könnte“.59
Staatlicherseits wurde dieser Sachverhalt nicht in Frage gestellt. Die Beziehungen zwischen Stadtrat und Direktor allerdings als beschädigt angesehen. Das Landratsamt legte Direktor Müller nahe, „zurückzutreten“ und die Leitung einem geeigneten Dozenten zu übertragen. Es sollte vermieden werden, dass Direktor Müller das Technikum auflösen, seine Schüler mitnehmen und somit der Stadt eine inzwischen unverzichtbare Erwerbsquelle verloren gehen könnte.60
Der hier geschilderte Sachverhalt ist wesentlich zum Verstehen der Auffassungen Prof. Hupperts über den Eigentumscharakter der von ihm übernommenen und geleiteten Lehranstalt.
Mittels Vergleich schied Direktor Müller zum 15. Januar 1898 aus dem Vertrag aus.61 Kurzzeitiger Nachfolger wurde Architekt und Kunstmaler Peter Krug. Inzwischen war den Stadtvätern auch klar geworden, dass zum Erhalt des Technikums unbedingt der Bau eines neuen Lehrgebäudes beitragen könnte und es begannen erste Planungen. Fertig gestellt und probehalber bezogen wurde der Umbau des alten Schulgebäudes dann im Herbst 1901.62 Zu diesem Zeitpunkt besaß das Technikum mit Oberingenieur Joseph Krämer (gestorben 1902) aus Potschappel bei Dresden seit 1. April 1902 einen neuen Direktor.63 Auf dessen Wunsch hin beschloss der Stadtrat eine neue Anstaltsbezeichnung. Jetzt lautete der Name „Technische Lehranstalt Frankenhausen am Kyffhäuser – Schule für Maschinenbau & Elektrotechnik – Baugewerkeschule – Tiefbauschule“. Bislang waren die Fachrichtungen Hoch- und Tiefbau bestimmend gewesen. Nun kamen mit Maschinenbau und Elektrotechnik zwei Fachrichtungen dazu, die am „Thüringischen Technikum Ilmenau“ schon für einen gehörigen Aufschwung gesorgt hatten. Paragraph 2 des zwischen Stadtrat und Oberingenieur Krämer geschlossenen Vertrages zur Übernahme des Technikum betonte ausdrücklich den Charakter einer Privatanstalt des Technikum. Dem Stadtrat stand die Aufsicht, dem Staat64 die Oberaufsicht zu. Direktor Krämer war keine lange Amtszeit beschieden. Zum Jahreswechsel 1901/1902 war er ein schwer kranker Mann, der nach kurzer Leidenszeit verstarb. Seine Erben, Frau und Kinder, führten die Lehranstalt mit Hilfe eines staatlicherseits anerkannten Ingenieurs bis zum Ende des Wintersemesters 1901/1902 weiter. Dann übernahm die Stadt das Technikum in eigene Regie und musste sich überraschenderweise nach einem neuen Direktor und damit Betreiber umsehen.
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Die Emanzipation der Juden in Frankenhausen bis zum Eintreffen von
Prof. Huppert 1902
Die Frankenhäuser und ihr Stadtvorstand taten sich während des gesamten 19. Jahrhunderts schwer im Umgang mit der jüdischen Bevölkerung.65 Erst im Jahre 1813 wurde überhaupt einem Juden und seiner Familie gestattet, sich innerhalb der Mauern der Stadt niederzulassen. Dabei handelte es sich um eine Ausnahmegenehmigung, weil der betreffende Jude, Salomon Schönland, sich während der Befreiungskriege als Dolmetscher für die Stadtverwaltung bei Verhandlungen mit durchziehenden und verweilenden russischen Truppen eingesetzt hatte. Ansonsten waren Frankenhausens Stadtväter bemüht, den Zuzug von Personen jüdischen Glaubens zu verhindern oder, wenn schon insgeheim zugezogen, wieder auszuweisen. Anfänglich mit Zustimmung des Landratsamtes, später auch gegen dessen Einwände wurden die Juden in das zur schwarzburgischen Unterherrschaft Frankenhausen gehörige Dorf Immenrode, eine ca. 30 km von Frankenhausen entfernt liegende Exklave, abgeschoben. Das Dorf beherbergte auf diese Art und Weise die größte jüdische Gemeinde des Fürstentums Schwarzburg – Rudolstadt im 18. und 19.Jahrhundert und trug sich den abfälligen Namen „Juden - Immenrode“ ein.66 Eintragungen ins Bürgerbuch datieren erst aus den Jahren 1845 und 1847.67 Damit wurden jedoch nur die Juden legitimiert, die bereits seit Jahren von Immenrode aus immer wieder versuchten, sich in Frankenhausen anzusiedeln. Staatsbürgerliche Rechte waren damit noch nicht verbunden. Deshalb richtete die israelitische Gemeinde zu Frankenhausen ein Gesuch an den Landtag und erbat darin eine Abänderung des bestehenden Grundgesetzes, damit auch den Juden staatsbürgerliche Rechte zuerkannt werden mögen.68 Der Landtag ließ die Petition durch eine Spezialkommission beraten, die dem Landtag nachstehende Empfehlung gab:
„Das Gutachten des Specialausschusses über die Petition der israelitischen Gemeinde zu Frankenhausen vom 4. Febr. 1864 wegen Abänderung des Grundgesetzes betreffend geht dahin: der Specialausschuß empfiehlt dem Landtage folgenden Beschluß: der Landtag hält es sowohl der geschichtlichen Entwicklung, als den Grundsätzen der Humanität für angemessen, dass eine Gleichstellung der Bekenner des jüdischen Glaubens mit denen der christlichen Religion im Bezug auf den Genuß der staatsbürgerlichen Rechte erfolge unter Festsetzung derjenigen Modificationen, welche durch die religiöse Verschiedenheit nothwendig geboten sind; weshalb der Landtag an Fürstliche Staatsregierung den Antrag richtet: dass dieselbe auf dem Wege der Gesetzgebung in dieser Richtung vorschreiten wolle“.
Fast vier Jahre gingen ins Land, bevor am 17. Januar 1868 das Gesetz über die staatsrechtliche Stellung der Juden im Fürstentum Schwarzburg – Rudolstadt beschlossen wurde.69 Das Gesetz legitimierte von nun an den Zuzug von Juden aus Immenrode nach Frankenhausen, die alsbald die absolute Mehrheit unter den Frankenhäuser Juden bildeten. Auf Reichsebene rein rechtlich abgeschlossen wurde der Emanzipationsprozess durch das Gesetz vom 22. April 1871.70
Im Jahre 1850 hatte die jüdische Gemeinde mit staatlicher Zustimmung Land erwerben können, um etwas außerhalb der Stadt einen Friedhof anzulegen.71 Die erste Beisetzung erfolgte 1857. Vorbehalte gegen die Emanzipation der Juden in Frankenhausen scheinen allerdings weiterhin latent gewesen zu sein. Daraufhin deutet jedenfalls die Schändung des Jüdischen Friedhofes im Jahre 1884, bei der zahlreiche Grabsteine umgeworfen oder zerstört wurden. Obwohl eine Belohnung ausgesetzt wurde, vermochten die Behörden keine Aufklärung der Vorkommnisse herbeizuführen.
Im wirtschaftlichen Leben der Stadt spielten die Juden eher eine Nebenrolle, wenn auch zeitgenössische Beschwerden von einheimischen Gewerbetreibenden Gegenteiliges vermuten ließen.72 In der Regel trieben sie Handel mit Tuch, Wolle und Bekleidung und ihre Geschäfte waren nicht umfangreicher als die christlicher Einwohner. Unterstützt durch Bürgermeister und Rat, gelang es den Handwerksinnungen stets und ständig sich bis zur Einführung der Gewerbefreiheit im Fürstentum 1864, sich gegen die Aufnahme von Juden in ihre Innungen zu sperren. Eine Ausnahme bildete hier das Handwerk der Klempner, die 1852 einen jüdischen Klempnergesellen gewähren ließen.
In politischer Hinsicht scheint die Mehrheit der ortsansässigen Juden den bürgerlichen Parteien und Gruppierungen zugetan gewesen zu sein. Jedenfalls unterstützten sie seit 1871 immer wieder Wahlaufrufe bürgerlicher Kandidaten mit ihrer Unterschrift.73 Kandidaten der Sozialdemokratie fanden keine ersichtliche Unterstützung.
Bezogen auf die Gesamtzahl der Bevölkerung im Fürstentum war die Zahl der jüdischen Staatsbürger bzw. Einwohner gering. Laut Statistik aus dem Jahre 1864 gab es 99,64% Protestanten, 0,21% Israeliten und 0,15% Katholiken.74 Im Landratsamtsbezirk Frankenhausen war der Anteil der Juden an den Religionsgruppen etwas höher. Hier war das Verhältnis 99,06% Protestanten, 0,88% Israeliten und 0,06% Katholiken. Nach 1900 begann die katholische Religionsgemeinde die Jüdische zu überflügeln. 1913 bekannten sich im Fürstentum 78 Personen zum jüdischen Glauben.75 Insgesamt 21 von ihnen lebten in Frankenhausen. Darunter Prof. Huppert und seine Frau. Zum Vergleich, noch 1853 wohnten fast 150 Juden allein im Dorf Immenrode.76
3 Die Ära Professor Huppert – das Kyffhäuser-Technikum
in den Jahren 1902 bis 1920
3.1 Kann ein „Israelit“ Direktor des „Technikum Frankenhausen“ werden?
Die Suche nach einem neuen Direktor für das Technikum gestaltete sich für Stadtvorstand und Stadtrat weit schwieriger als gedacht. Gegen Ende des Wintersemesters 1901/1902, im März 1902, besuchten noch ganze 56 Schüler die Lehranstalt.77 Für das Sommersemester befürchtete Oberbürgermeister Arthur Rudolph Heuschkel (1859-1929)78 ein Absinken auf 22 Schüler. Der übergangsweise von den Erben Oberingenieur Krämers eingesetzte Leiter, Ingenieur Rohde, sollte die Lehranstalt, soweit kein geeigneter Nachfolger gefunden würde, im Namen und als Vertreter des Stadtrates weiterführen. Diese Lösung, darüber war sich der Stadtrat einig, würde die Übernahme des Technikums in städtisches Eigentum bedeuten. So waren die Mitglieder des Stadtrates erleichtert, als Oberbürgermeister Heuschkel am 24. März 1902 in Person des Ingenieurs Hugo Terrot aus Stuttgart einen Bewerber vorstellen konnte, auf den die Wahl des Stadtrates schließlich fiel. Nur wenige Tage nach seiner vertragsmäßigen Verpflichtung, die Leitung zu übernehmen, trat Ing. Terrot vom Vertrag zurück. Allem Anschein nach waren mehr Bewerbungen beim Stadtvorstand eingegangen, als die des Ing. Terrot. Am 28. März 1902 fertigte das Landratsamt Frankenhausen einen Bericht an das zuständige Ministerium in Rudolstadt ab, in dem die Entbindung Ing. Terrots durch den Stadtvorstand erst für den Zeitpunkt offenkundig werden sollte, wenn ein anderer „Leiter und Unternehmer“ gefunden sei.79 „Um dies zu beschleunigen“, so weiter der Bericht, „hat sich der Stadtrath mit dem Lehrer am Rheinischen Technikum zu Bingen, Ingenieur Huppert, israelitischer Religion, in Verbindung gesetzt, welcher nach den eingezogenen Erkundigungen und den wieder zurückgesendeten Zeugnissen befähigt und geeignet erschienen sei, die Stellung zu übernehmen.“ Die Formulierung der zurückgesendeten Zeugnisse scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass Ingenieur Huppert zur Bewerberrunde um Ing. Terrot gehörte, dessen Zeugnisse nach dem Auswahlverfahren zur Entlastung zurückgegeben worden waren. Sein Interesse scheint dennoch ungebrochen gewesen zu sein, denn wenige Tage darauf, am 1. April, ist er bei einer „außerordentlich vertraulichen Sitzung“ des Stadtrates persönlich anwesend.80 Oberbürgermeister Heuschkel verwies eingangs der Sitzung auf die Tatsache, „dass Herr Ingenieur Huppert als einziger Bewerber um die Direktorstelle von der Lage der Sache sich informiert habe und auch seine Bewerbung aufrecht erhalte“. Ing. Huppert wurde aufgefordert, Auskunft über seine theoretische wie praktische Ausbildung und über seinen Gesundheitszustand und seine Vermögensverhältnisse zu geben. Er unterzog sich bereitwillig allen Befragungen, bat jedoch darum, seine endgültige Zusage erst zum 1. Mai abgeben zu müssen. Dagegen votierten mehrere Stadträte, worauf Ing. Huppert erklärte, seine Entscheidung bis zum 25. April bekannt geben zu wollen. Der Zustimmung des Stadtrates folgte dessen Bitte, Ing. Huppert möge die Lehr- und Lernmittel, die von der Witwe des Oberingenieurs Krämer angekauft werden sollten, zu begutachten. Auch hiermit erklärte sich Ing. Huppert einverstanden, insbesondere deshalb, weil er die Lehr- und Lernmittel bei Übernahme des Technikums ebenso zu übernehmen gedachte. Schließlich wurde mit ihm der Vertragsentwurf durchgesprochen und seine Anmerkungen zur Kenntnis genommen.
Eine weitere vertrauliche Sitzung folgte, diesmal in Abwesenheit von Ing. Huppert, am 10. April.81 Aus dem Protokoll dieser Sitzung ist zu entnehmen, dass es eine ganze Reihe von weiteren Bewerbern gegeben haben muss, mit denen neben Ing. Huppert verhandelt worden war. Letztlich empfahl der Oberbürgermeister den Stadträten, für Ing. Huppert „zu rücksichtigen“. Seine Äußerung, der „Gesamtstadtrath“ habe sich zustimmend geäußert, deutet jedenfalls daraufhin, dass keine Einwände erhoben wurden.
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