Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Neue Folge Stadt und Hof Jahrgang 1 (2012)



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Dennis, Hormuth, Kiel

Stösser, Anke: Marburg im ausgehenden Mittelalter. Stadt und Schloss, Hauptort und Residenz, Marburg 2011 (Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde, 41) [Hessisches Landesamt für Geschichtliche Landeskunde, 351 S., kart., 29 Euro].

„Stadt und Schloss, Hauptort und Residenz“ – bereits der Untertitel von Anke Stößers Werk deutet an, dass sich hinter dem gut 350 Seiten starken Band weder eine klassische Stadtgeschichte noch eine reine Hofgeschichte, sondern eine facettenreiche Untersuchung des spätmittelalterlichen Marburg verbirgt. Und tatsächlich verfolgt die Verfasserin in ihrer Dissertationsschrift das Ziel, die Verbindungen zwischen Stadt, Hof und Landesherrschaft aufzuzeigen sowie die Entwicklung Marburgs als Hauptort und Residenz nachzuvollziehen. Quellenmäßig stützt sie sich vor allem auf seit 1471 zahlreich überlieferte Rechnungen (eine systematische Auflistung der Quellen findet sich auf S. 17-24) und definiert in Anlehnung an die umfangreiche Hof- und Residenzenforschung „Hauptort“ als festen Sitz der zentralen Verwaltungseinrichtungen und „Residenz“ als herausgehobenen Aufenthaltsort des Fürsten in seinem Herrschaftsgebiet (S. 3f.). Dass mit der 2. Hälfte des 15. Jahrhundert ein relativ eng umgrenzter Untersuchungszeitraum gewählt wurde, hängt mit der politisch-territorialen Entwicklung der Landgrafschaft Hessen zusammen. Diese war zwischen 1458 und 1500 in eine ober- und eine niederhessische Hälfte geteilt, was die notwendige Herausbildung zweier Residenzen nach sich zog und die Entwicklung der (oberhessischen) Residenz Marburg neben dem größeren (niederhessischen) Kassel überhaupt erst herbeiführte.



Nach zwei kurzen Einführungen zur Landgrafschaft Hessen und zur landgräflichen Familie von Hessen-Marburg im 15. Jahrhundert nähert sich Stösser ihrem Thema in insgesamt vier Kapiteln. Im ersten Kapitel „Residenzstadt und Hauptort Marburg“ (S. 43-115) spürt sie der städtischen Entwicklung seit der 2. Hälfte des 12. Jahrhundert nach und widmet sich einer differenzierten Betrachtung der Stadt in topographischer, wirtschaftlicher, sozialer, administrativer und kirchlicher Hinsicht für den oben beschriebenen Untersuchungszeitraum. Dabei zeigt sie, dass Marburg bereits unter Landgraf Heinrich I. von Hessen in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts ein bevorzugter Aufenthaltsort war, im ausgehenden 14. Jahrhundert jedoch immer mehr hinter das aufstrebende Kassel zurückfiel und im Wesentlichen als regionales Verwaltungszentrum fungierte. Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit dem Marburger Landgrafenschloss (S. 117-191) und gibt Aufschluss über dessen Baugeschichte seit dem frühen 11. Jahrhundert, ehe der bauliche Zustand in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts beschrieben wird und die detaillierten Informationen zu den Innenräumen und wirtschaftlichen Einrichtungen das zunehmende Streben nach Repräsentation und Versorgung des Hofes zum Ausdruck bringen. Anschließend wendet sich Stösser dem landgräflichen Hof zu (S. 193-242), dessen personelle Zusammensetzung sie, angefangen bei der Landesverwaltung mit Hofmeister, Kanzlei, Rat und Kammer über das Hofgesinde bis hin zu den militärischen und wirtschaftlichen Funktionsträgern, im Rahmen des Untersuchungszeitraums einer genauen Analyse unterzieht. Das letzte Kapitel „Wirtschaft, Konsum und Hofleben in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts“ (S. 243-301) dreht sich um die wirtschaftlichen Grundlagen des Hofes. Ausgehend von den finanziellen Voraussetzungen und der für eine Versorgung des gesamten Hofes nicht ausreichenden landgräflichen Eigenwirtschaft, untersucht die Verfasserin sehr breit gefächert, welche Waren und Dienstleistungen der Hof benötigte, woher er sie erhielt und inwiefern Feierlichkeiten die Organisation beeinflussten. Auf diese Weise kann sie u.a. belegen, dass Statusunterschiede durch unterschiedliche Nahrung und Kleidung ausgedrückt und Versorgungsengpässe durch die Verwendung einer Vielzahl von Lieferanten vermieden wurden.

Sie wolle die Lücke zumindest teilweise schließen, schreibt Anke Stösser in der Einleitung ihres Werkes (S. 5) und meint damit, die Marburger Residenz und Hofgesellschaft auch einmal abseits des sonst üblichen Vergleichs mit Kassel ins Blickfeld zu nehmen. Herausgekommen ist dabei die exemplarische Untersuchung einer Residenz, deren unspektakulären Charakter die Verfasserin mehrfach betont, wenn sie etwa von der „Residenz ohne auffällige Besonderheiten“ (S. 305), der mangelnden Ausstrahlungskraft (S. 199) oder der „lediglich regionalen Bedeutung“ (S. 291) spricht – Attribute, wie sie auf die Mehrheit der spätmittelalterlichen Residenzstädte zugetroffen haben dürften und die damit den besonderen Reiz des Untersuchungsgegenstandes Marburg offenbaren, nämlich den „Einblick in das gewöhnliche Leben an einer Residenz des ausgehenden Mittelalters“ (S. 305). Stössers Werk überzeugt durch seine klare Struktur, die das Gesamtbild Residenzstadt Marburg in ihre einzelnen Bestandteile Stadt, Schloss und Hof aufspaltet und differenziert analysiert. Dadurch werden viele Detailinformationen zur Alltags-, Hof- und Konsumgeschichte geboten. Diese Stärke der Forschungsarbeit ist jedoch zugleich ihre Schwäche: Aufgrund des stark deskriptiven Charakters der Darstellung, die über weite Strecken „nur“ den Zustand des Marburger Hofes in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts beschreibt, bleiben die Transformationsprozesse von der Stadt zur Residenz oder zum Hauptort merklich im Hintergrund, obschon sich Stößer durchaus um die Nachvollziehung von Entwicklungslinien bemüht. Zugleich wird durch die Dominanz der Hofperspektive die durch den Untertitel implizierte Balance zwischen den Themenbereichen Stadt, Schloss und Residenz stark beeinträchtigt. Zwar macht die Autorin auf die Berührungspunkte zwischen Stadt und Hof wiederholt aufmerksam, etwa in Zusammenhang mit den Beziehungen zwischen der städtischen Führungsgruppe und dem Hof (S. 88-91) oder der Versorgung des Hofes mit hiesigen Waren und Dienstleistungen (S. 281-284), jedoch bleiben die entsprechenden Hinweise sowie die Anmerkungen zur städtischen Entwicklung insgesamt eher kursorisch und oberflächlich – ein Eindruck, den Stösser bestätigt, wenn sie z.B. pauschalisierend schreibt, dass ökonomische Aspekte bei Stadtgründungen keine große Rolle spielten (S. 50) oder dass es in Marburg zur Ausbildung einer „typisch mittelalterlichen Ratsverfassung“ kam (S. 113). Auch die Vermutung, dass Marburg als Stadt einen Bedeutungsverlust durch die Anwesenheit des Hofes erlitten haben könnte (S. 112), überzeugt nicht, weist jedoch den Weg zu einer Untersuchung städtischen Bewusstseins. So enthält die Publikation einige interessante Ansätze, die zugunsten der akribischen Hofbeschreibung jedoch zurückgestellt bzw. nur am Rande betrachtet werden. Trotz dieser Kritikpunkte aber ist Anke Stösser eine kenntnisreiche und höchst informative Darstellung des Marburger Hofes in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts gelungen, die direkt aus den Quellen erarbeitet wurde und ein weiteres Puzzlestück bei der Erforschung der spätmittelalterlichen Residenzen aufdeckt.

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