Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten


Erläuterungen zu den einzelnen Verfahrensschritten



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2.2 Erläuterungen zu den einzelnen Verfahrensschritten

Die Strafverfolgungsbehörden müssen zunächst Kenntnis von den Um­ständen erhalten, die die Annahme nahe legen, dass eine Straftat verübt worden sein könnte. Ab dieser Kenntnis beginnt das Vorver­fah­ren. Meistens wird es durch eine Strafanzeige115 des Geschädigten oder eines Zeugen (besonders häufig bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort!) eingeleitet. Oder es liegt eine Leiche herum, und niemand will Schuld an dem gewaltsamen Ableben sein.

In der überwiegenden Anzahl der Fälle wird die Polizei alarmiert, oder ihren Zivilfahndern fallen sich verdächtig verhaltende Personen auf: Wer nachts außerhalb der noch so weit gespreizten Ladenöffnungszeiten mit einem Stereoturm auf den Armen hastenden Schrittes - vielleicht auch noch auf der Haupteinkaufsstraße -­ geduckt zu einem Auto eilend angetroffen wird, darf sich nicht wundern und muss darauf gefasst sein, dass ihm Fragen nach dem Ort der Party gestellt werden könnten, besonders wenn die Geräte noch sehr neu aussehen. (Der mit dem Stereoturm auf dem Arm konnte den Nachfra­gen der Polizeibeamten auf Hamburgs größter Einkaufsstraße nicht mehr ausweichen, sein Kum­pel konnte sich zunächst einmal verdrücken und wurde dann spä­ter festgenommen.)
Weil meistens die Polizei zuerst die Hand am Puls des Geschehens hat, hat sie auch das Recht und die Pflicht zum ersten Zugriff in § 163 I StPO zugesprochen erhalten. Sie versucht, das Umfeld des Opfers möglichst lückenlos abzuklären, fragt sich dabei immer: „Cui bono?“ (Wem nützt die Straftat, wer profitiert davon?) und sucht nach unter Zugrundelegung der Verbrecherlogik nach dem Täter. Dabei kann sie sich genau so irren, wie später das Gericht.

Einen erstaunlichen Fall teilt der RA Düx in seinem leisen, zum Nachdenken über das Strafrecht und die Strafgerichtsbarkeit anregenden Buch: „Vom Wackeldackel zum Doppelmord“ in dem Unterkapitel „Gefährliche Indizien“ mit:

Eine Frau ruft den RA an, teilt mit, dass ihr bisher nicht immer alkohol- und deliktfrei gelebt habender Sohn von der Polizei wegen eines angeblich von ihm verübten Doppelmordes verhaftet worden sei und bittet um die Übernahme der Verteidigung. Der RA sucht seinen Inhaftierten Mandanten auf und spricht mit ihm, wobei der Beschuldigte seine Unschuld beteuert: Mit dem Doppelmord habe er nichts zu tun!

Die nachfolgend aufgesuchten Kriminalbeamten der Mordkommission taktieren nicht rum: „Die Beweislage ist erdrückend, will sich Ihr Mandant nicht entschließen, ein Geständnis abzulegen?“ Sie lassen sich in die Karten schauen und zählen auf: Sie haben einen Zeugen, der aussagt, er habe zwei Leute angeheuert, gegen Bezahlung seinen Landsmann in dessen Wohnung aufzusuchen und den um die dort vermuteten 10.000 DM zu berauben, von denen in seinen Kreisen immer gemunkelt wurde. Der Landsmann habe Besuch gehabt. Darum sei dieser unfreiwillige Tatzeuge mit beseitigt worden. Die Polizei hat dem sich selbst bezichtigenden Anstifter zum Raub 5.000 Bilder aus ihrer Kartei vorgelegt. Aus diesem Packen habe der Zeuge den Mandanten herausgefunden. Bei der Modelshow mit sechs, sieben Polizisten habe der Zeuge den Mandanten ebenfalls wiedererkannt und zweifelsfrei identifiziert. Die Polizeibeamten erklären: „Welches Interesse sollte der M. daran haben, gerade Ihren Mandanten unter 5.000 Lichtbildern auszusortieren, wenn er nicht tatsächlich der gedungene Täter war. Und daß die Geschichte sonst wahr ist, die M. erzählt, liegt auf der Hand. Welchen Grund sollte M. haben, eine Geschichte, die ihn selbst belastet, zu erzählen; wir hatten nichts gegen ihn in der Hand.“ Sie müssen allerdings zugeben, dass am Tatort keine Körperzellen- oder Faserspur gefunden werden konnte, mit der sich die Anwesenheit des Mandanten zu irgendeinem Zeitpunkt in der Wohnung hätte belegen lassen. Der Mandant wundert sich, ist von der Sachlage nicht sonderlich berührt und versichert weiterhin: „Ich habe damit nichts zu tun, ich bringe keinen Menschen um.“ Ein Alibi hat er aber auch nicht anzubieten, dazu sei er an dem Abend viel zu besoffen gewesen. Der RA arbeitete die Ermittlungsakten durch, findet aber keinen Ansatzpunkt, zugunsten seines Mandanten einzuhaken. Bei dem beantragten Haftprüfungstermin ergeht sich der Mandant in Vermutungen, was er an dem Abend gemacht haben könnte. Das wird alles notiert, damit die Kriminalbeamten die Angaben abklären können. Die Haftprüfung wird bis dahin unterbrochen. Doch alles negativ! Nun registriert der Beschuldigte allmählich, wie sich die Schlinge um seinen Hals zuzieht und er keine realistische Chance mehr hat, aus dieser Sache unbeschadet herauszukommen.

„Am 62. Tag der Haft klingelt bei Rechtsanwalt G. das Telefon. Es ist der Haftrichter. ’Die Kripo hat alle Alibiangaben ihres Mandanten überprüft. Keine hat etwas hergegeben, alle Angaben waren falsch. Die Kripo hat aber etwas anderes herausgefunden, einer der festgestellten Fingerabdrücke in der Wohnung der Toten, der bisher nicht zugeordnet werden konnte, konnte aufgrund eines neuen chemischen Verfahrens doch festgestellt werden. Es ist der Fingerabdruck von M. Die Kripo hat M. damit konfrontiert. Er hat ein Geständnis abgelegt. Er ist der Mörder. M. hat tatsächlich aus 5.000 Lichtbildern einfach Ihren Mandanten ausgesucht. Ich habe die Anstalt angewiesen, Ihren Mandanten freizulassen.’“116

Da muss jede „Cui-bono?“-Fragestellung bei der Suche nach dem Täter und jedes Denken in Verbrecherlogik versagen.

Eine zwar seltene aber nicht unübliche Auflösung solcher Fälle und damit auch dieses Falles über einen nachträglich entdeckten, verblüffend ähnlichen Doppelgänger hätte man sich ja gefallen lassen. Aber wer sollte von den ermittelnden Kriminalbeamten, der Staatsanwaltschaft und den mit dem Fall befassten Richtern darauf kommen und daran dann auch glauben, dass der sich selbst beschuldigende Zeuge völlig wahllos einen x-beliebigen angeblichen Täter aus 5.000 Bildern ausgesucht und beschlossen hat: „Der soll es gewesen sein!“ Das Bild des von ihm Beschuldigten muss er sich so gut eingeprägt haben, dass er ihn danach dann auch aus der Gruppe der ihm mit Polizeibeamten Gegenübergestellten herausfinden konnte.

Dem Rechtsanwalt war zwar aufgefallen, dass die Polizei einen Fehler gemacht und den Zeugen vor der Vorlage der Bilder nicht zunächst den Täter hatte detailliert beschreiben lassen, sodass man z.B. über Körpergröße und -fülle einen später herausgepickten Verdächtigen wieder hätte ausschließen können. Aber der Hinweis auf dieses Versäumnis in der Hauptverhandlung hätte mit Sicherheit nicht zu einem Freispruch geführt!


Die Polizei ist aber nicht die einzige Einleitungsbehörde für ein Strafverfahren. § 158 StPO, mit dem in der StPO der Abschnitt über die Vorbereitung der öffentlichen Klage beginnt, nennt als weitere amtliche Stellen zur Entgegennahme von Strafanzeigen und Strafanträgen die Staatsanwaltschaften und die Amtsgerichte.

Der Hinweis auf die Amtsgerichte ist für die Praxis nicht sehr relevant, denn einigen in dessen zivilem Bereich tätigen Amtsrichtern scheint - nach eigenen Beobachtungen - das Strafrecht lästig zu sein. Da­zu muss man wissen, dass die Amtsgerichte getrennte Abteilungen für ei­nerseits zivilrechtliche, davon dann noch separiert familienrechtliche, und andererseits strafrechtliche Verfahren haben. Ein Amtsrichter der Sparte Strafrechtspflege wird den Ge­setzesauftrag des § 158 StPO ernster nehmen als sein zivilrechtli­cher Kollege. Welcher Anwalt hat sich nicht schon darüber geär­gert, wenn in Zivilstreitigkeiten die Gegenpartei z.B. zur Untermaue­rung ihrer vorgeblichen oder tatsächlichen Ansprüche gefälschte Ur­kunden oder falsche oder falsch aussagende Zeugen beibringt, und der Richter, auf den Sachverhalt der Fälschung oder der Falschaus­sage aufmerksam gemacht, dann, wenn er den Klaganspruch schon aus anderen Gründen in der von ihm gewollten Richtung ent­schei­den kann, sodass der versuchte Prozessbetrug schon aus anderen Gründen scheitert und gar nicht mehr zum Tragen kommt, den Anwalt mit den Worten abbügelt: "Das Strafrechtliche interessiert uns hier nicht weiter!"


Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte dagegen sind schon von ih­rem Selbstverständnis und dem Gesetzesauftrag her die "Bluthunde der Strafjustiz". Durch § 152 II StPO ist die StA verpflichtet, "we­gen aller verfolgbarer Straftaten einzuschreiten, sofern zurei­chende Anhaltspunkte vorliegen". Mit "Einschreiten" ist gemeint, dass der Ermittlungsapparat in Gang gesetzt wird. Dabei ermittelt die StA im Normalfall nicht selbst vor Ort. Sie ist, üblicherweise als "Kopf ohne Hände" arbeitend, die Herrin des Ermittlungsverfahrens und lässt darum durch ihre Hilfsbeamten aus der mittleren Kategorie der Polizei die notwendigen Ermittlungen anstellen. "POM" (Polizeiobermeister) - und nicht etwa der Polizeipräsident - macht dann meistens den Vorgang anklage- oder einstellungsreif. Nachdem er alles aus­er­mittelt hat, leitet er die Akte der StA als der Herrin des Vorver­fah­rens zu. Sie kontrolliert als "Kopf" die Arbeit ihrer "Hände", lässt gegebenenfalls durch zusätzliche gezielte Ermittlungsaufträge an anderer Stelle weiterermitteln oder ermittelt selbst. Dazu kann sie gemäß § 161 a StPO selber Zeugen und Sachverständige laden, die dann zum Erscheinen verpflich­tet sind. Zur Durchsetzung dieses Anspruchs sind der StA einige Macht­mittel an die Hand gegeben: Sie kann dem nicht hinreichend entschuldigt fernbleibenden Zeugen oder Sachver­ständigen die durch sein Ausbleiben entstandenen Kosten und zusätzlich die Zahlung eines Ordnungsgeldes auferlegen.

Im Vorverfahren richtig wehtun kann dagegen nur der Richter durch Festsetzung von Haft sowohl gegen Zeugen als auch gegen den Beschuldigten. Der Beschuldigte braucht den ermittelnden Vorladungen der Polizei nicht Folge zu leisten. Dort wird ihm genaugenommen nur "rechtliches Gehör" angeboten. Legen aber StA oder Gericht auf sei­ne Anwesenheit Wert und teilen sie ihm das durch eine förmliche Ladung mit, dann muss er Folge leisten. Wenn er dann - teils sehr widerwillig - erschienen ist, braucht er aber zur Sache selbst nicht auszusagen. Vielleicht wurde er ja nur für Gegenüberstellungen mit Zeugen benötigt. Sagt er bei Polizei oder StA nicht aus, wird in der Akte festgehalten: "Rechtliches Gehör ist angeboten aber nicht wahrgenommen worden." Damit ist dem Anspruch aus den justiziellen Grundrechten des Grundgesetzes gemäß


"Art. 103 I GG

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör."


Genüge getan.

Auch ohne sein Erscheinen bei der Polizei hat die StA gemäß § 160 II StPO nicht nur die belastenden, sondern auch die entla­sten­den Umstände des angezeigten Sachverhaltes zu ermitteln; nur tut sie sich damit manchmal wesentlich schwerer! Aber weil vom gesetzli­chen Auftrag her auch die den Beschuldigten entlastenden Umstände von der StA zu ermitteln sind, bezeichnet sie sich selber gerne als "die objektivste Behörde der Welt".

Dass aber die StA der letz­teren der vom Gesetzgeber auferlegten Verpflichtungen nicht immer im gebotenen Maße nachkommt, hat schon wiederholt Anlass zur Kritik gegeben:
Wie ein Student zum Justizirrtum wurde

Ein Student, der in seinem Nebenjob als Taxifahrer angeblich betrunken (0,8 Promille) Auto gefahren sein soll, war im Juli 2005 wegen Trunkenheit im Verkehr per Strafbefehl zu 1500 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Außerdem war ihm seine Fahrerlaubnis ihm für elf Monate entzogen worden. Dadurch hatte der Student seinen Nebenjob verloren und Schulden machen müssen. Erst als er später vor Gericht selbst auf einer eigenen Blutprobe bestand, kam der Irrtum heraus und er wurde freigesprochen.

Hinterfrund: 2005 hatte der Student sein Auto in eine Werkstatt gegeben und sich einen Mietwagen genommen, den er zeitweise Freunden überlassen hatte. Einer von ihnen war betrunken fahrend in dem Wagen von der Polizei erwischt worden. Der angehaltene Fahrer hatte den im Handschuhfach liegenden Führerschein des später beschuldigten Studenten vorgezeigt. Der Student verwies der Polizei gegenüber und in der Gerichtsverhandlung auf ein "Alibi", das vom Gericht aber als "Schutzbehauptung" gewertet worden war. Im ersten Prozeß im Januar 2006 "erkannten" ihn zwei Polizisten zu 70 beziehungsweise 80 Prozent wieder. Daraufhin verlangte der beschuldigte Student eine vergleichende Blutprobe. Sieben Monate nach dem Vorfall wurde die DNA des Blutes des Studenten mit der Blutprobe des Fahrers verglichen. Das Ergebnis: Es war nicht identisch. So wurde der beschuldigte Student im April 2006 freigesprochen – und ließ einen Amtsrichter recht nachdenklich geworden zurück. Die Staatsanwaltschaft hat von Amts wegen nicht nur belastendes, sondern auch entlastendes Material zu beschaffen. Das war versäumt worden. Nur weil Beschuldigter und Anwalt so hartnäckig gewesen waren, konnte die Unschuld des Beschuldigten letztlich doch bewiesen werden, nachdem Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht zuvor schlampig ermittelt hatten.

(Nach HH A 05.07.06)


Darum heißt es bei verärgerten Strafverteidigern immer wieder hin­ter vorgehaltener Hand: "Die StA ist die Kavallerie der Justiz: Schneidig, aber dumm." Und der schon mehrfach hier zitierte Straf­richter Ostermeyer schreibt (für seinen Stil ungewöhnlich abgewo­gen):

"Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass die Staatsanwälte manch­mal zur Forschheit im Erheben von Anklagen ermuntert werden: Ein Staatsanwalt, dessen Anklagen nicht mit einem bestimmten Prozentsatz von Freisprüchen enden, gilt als zu vorsichtig."

Eine solche „Ermunterung“ ist natürlich nur bei weisungsabhängigen Beamten möglich. So eine Weisungsabhängigkeit kann auch Nachteile haben, weil durch von Seiten der Politik dem Vorgesetzten gegenüber angedeuteten Hinweis bis zum ausgeübten Druck und dann dessen gezielte Weisung/en an den ermittelnden Staatsanwalt Skandale von strafrechtlicher Relevanz »unter den Teppich gekehrt« werden können und gekehrt wurden.

Darum sind manche Länder einen anderen Weg gegangen und lassen die Vorermittlungen durch ebenfalls unabhängige Untersuchungs- oder Ermittlungsrichter führen!


Im Vorverfahren werden rund 70 % der durch Anzeigen in Gang gebrachten Verfahren durch Einstellungsverfügungen der StA erledigt. Das kann gemäß § 170 II 1 StPO der Fall sein, weil die Ermittlungen nicht genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten: sei es, dass sich die Unschuld des Beschuldigten erwiesen hat, oder sei es, dass wegen einer zu ungünstigen Beweislage dem Beschuldig­ten die Straftat in der Hauptverhandlung nicht nachzuweisen sein wird.

Darüber hinaus hat die StA weitere Möglichkeiten zur Verfahrens­erledigung ohne Beantragung eines förmlichen Gerichtsverfahrens mit Hauptverhandlung durch spezielle Vorschriften, deren wichtig­ste die §§ 153 und 153 a StPO sind, die aber auch für eine Verfah­rens­einstellung nach Klageerhebung und während des Hauptverfahrens Bedeutung haben. Durch diese Vorschriften wird die StA von dem sie zur Strafverfolgung zwingenden "Legalitätsprinzip" (Verfolgungs- und Anklagezwang gemäß dem gesetzlichen Auftrag) freigestellt, zu des­sen Absicherung die Strafbestimmung des § 258 a Strafvereitelung im Amt im StGB zur Drohung gegen u.a. Richter, Staatsanwälte, Po­li­zisten und Vollstreckungsbeamte geschaffen wur­de. Und der Paragraph wird auch angewandt:


„Kriminal-Romanze

dpa Potsdam – Einer brandenburgischen Staatsanwältin (51) drohen fünf Jahre Haft. Sie soll Ermittlungen gegen einen Bankräuber (54) aus Liebe hinausgezögert haben, bis er aus der U-Haft entlassen werden musste. Nun ist sie wegen Strafvereitelung angeklagt.“ (HH A 03.08.01)


Dieses Vorgehen nach dem durch die §§ 153 und 153 a StPO ermöglich­ten so genannten "Opportunitätsprinzip" ist gemäß § 153 StPO z.B. bei der Verfolgung von "Bagatell-Kriminalität" angezeigt, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und deshalb ein öffent­li­ches Interesse an der Strafverfolgung von dem jeweiligen Staats­an­walt nach eigenem Gutdünken verneint wird. Da lässt man lieber die ganz Klei­nen laufen, um sich besser auf das „Hängen“ der Größeren und Großen konzentrieren zu können. Und das ist richtig so!

Eine Einstellung gemäß § 153 a StPO ist nach der Intention des Ge­setz­gebers dann möglich und angebracht, wenn der Täter zur Scha­denswiedergutmachung in tätiger Reue oder zur Befriedigung des Strafbedürfnisses des die Allgemeinheit repräsentierenden Staatsanwaltes und des Richters eine bestimmte Handlung vor­nimmt, einen festzusetzenden Geldbetrag an eine gemeinnützige Ein­richtung oder die Staatskasse »spendet« (das einer Spende üblicherweise immanente Moment der »Freiwil­lig­keit« ist dabei doch sehr eingeschränkt zu sehen, es ist mehr die Wahl zwischen Skylla und Charybdis), oder sonst eine gemein­nützige Leistung erbringt, "wenn die Auflagen und Weisungen ge­eignet sind, bei geringer Schuld das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen". Damit kann nur der Gedanke der Generalprävention gemeint sein. Da werden die ganz Kleinen und die nicht so Kleinen wie der ehemalige Bundeskanzler Kohl aus Gründen der Prozessökonomie dann relativ unbeschadet, aber nicht ungerupft, laufen gelassen. Die Einstellung eines Verfahrens bei Zahlung von maximal 90 Tagessätzen bewirkt, dass der ehemals Beschuldigte weiterhin als nicht bestraft gilt. Das Verfahren wurde ja vor einer Urteilsfindung eingestellt.


In den nach den Einstellungen verbleibenden 30 % der restlichen Strafverfahren reicht die StA gemäß § 170 I StPO mit einer Anklageschrift einen Antrag zur Erhebung der öffentlichen Klage bei dem von ihr als zu­ständig erachteten Gericht ein. Gleichzeitig vermerkt der die Akte bearbeitende Staatsanwalt spätestens jetzt gemäß § 169 a StPO in der jeweiligen Strafakte den Satz:
"Die Ermittlungen sind abgeschlos­sen."
Hatte sich die StA in kitzligen Verfahren vielleicht gegen einen möglichst frühen Akteneinsichts­wunsch des Verteidigers mit dem Hinweis auf eine mögliche "Verdunklungsgefahr", die gemäß §§ 112 ff StPO sogar neben Flucht- und Wiederholungsgefahr einer der Gründe für die Anordnung von U-Haft sein kann, geweigert, sich in dem Frühstadium der Ermittlungen in die Karten kucken zu lassen, damit der Beschuldigte nicht so leicht Meineids-Zeugen mo­bilisieren kann, was nicht nur bei St.-Pauli-Prozessen immer wie­der passiert, so besteht in unserem Rechtsstaat nach der Nieder­schrift dieses so harmlos klingenden Satzes nunmehr für die Ver­teidigung ein uneingeschränk­tes Akteneinsichtsrecht, um sich mit dem vollständigen Ergebnis der Ermittlungen und dem darauf basierenden Anklagevorwurf ver­traut machen zu können.
Das ist ausweislich der dem nachfolgend wiedergegebenen Bericht zu entnehmenden diesbezüglichen Information nicht in jedem demokratisch organisierten Staat so; in Justizfällen gibt es leider sehr oft Anlass zur Klage über das zu oft und verhinderbar nicht rechtsstaatlich sauber arbeitende Justizwesen in den Bundesstaaten der USA:
STUDENTIN UNTER DROGENVERDACHT

Knast wegen Mehl in Kondomen

Ein witzig gemeinter Erstsemester-Gag brachte eine US-Studentin, die Mehl in Kondomen im Gepäck dabei hatte, für drei Wochen in Haft.

Am Philadelphia International Airport fanden die Drogenfahnder, kurz bevor die Studentin zu einem Weihnachtsheimflug an Bord gehen wollte, drei mit weißem Pulver gefüllte Kondome in ihrem Reisegepäck. Da lachte die Studentin noch über den Studentinnenulk, als die Beamten sie auf ihren Fund ansprachen: In den Kondomen befinde sich doch nur Mehl!

Die Studentin und ihre Kommilitoninnen hatten sich einen Scherz erlaubt und mit Mehl gefüllte Gummis zum Abreagieren benutzt. "Wir quetschen sie in der Hand, während wir Formeln pauken. Das hilft gegen den Lernstress", erklärte sie den Polizisten und war sicher, dass sich bald alles aufklären würde. Schließlich handelte es sich um einen Spaß unter Mädchen, und es sei ein traditioneller Erstsemester-Gag an ihrer Uni, solche Kondome vor den Prüfungen bei einer kleinen Party im Schlafsaal herzustellen und zu verschenken.

Doch die Polizisten fanden den phallischen Spaß gar nicht witzig. Ein Drogenscreening habe ergeben, dass die Substanz Opiate und Kokain enthalte, sagten die Beamten und führten sie ab.

Auf der Polizeistation wurde sie fotografiert, man nahm ihre Fingerabdrücke, las ihr den Haftbefehl vor und sperrte sie ein, weil sie fast ein Kilo Drogen mit sich geführt habe. Ein Irrtum, zu dem sich weder der Polizei-Sprecher in Philadelphia noch die Sprecherin der Staatsanwaltschaft äußern wollten.

Satte 21 Tage dauerte es, bis ein gründlicherer Labortest ergab, dass Lee wirklich nur Mehl in ihre Kondome gefüllt hatte und auch der Staatsanwalt auf "unschuldig" plädierte.

Dabei hätte der Fehler beim Drogenscreening mit dem normalerweise sehr zuverläsig erbeitenden Testgerät eigentlich auffallen müssen: Der Drogentest auf die Schnelle zeigte nicht nur ein Rauschgift, sondern gleich drei verdächtige Substanzen Kokain und Amphetamine an. Vermutlich war der Polizist, der den Test durchführte, überhaupt nicht für den Umgang mit dem Gerät geschult.

Drei Wochen lang lebte die Tochter koreanischer Einwanderer mit der Vorstellung, unschuldig 20 Jahre im Knast sitzen zu müssen. Der Anwalt der Studentin zeigte sich überzeugt, dass der Drogentest am Flughafen entweder fehlerhaft durchgeführt worden sei - oder jemand habe die Ergebnisse bewusst manipuliert!

Im von der Studentin angestrengten Schadensersatzprozess geht es vor allem um die Frage, wie der polizeiliche Drogentest zu dem Ergebnis kam, das weiße Pulver in den Kondomen enthalte Drogen.

(Nach SPIEGEL ONLINE 31.12.05)


Dieses war ein weiterer Mosaikstein, an der Rechtsstaatlichkeit mancher in den USA ablaufender Verfahren zu zweifeln. Aber auch aus anderen Gründen haben wir hinreichenden Anlass, uns keine strafrechtliche Verquickung in den USA zu wünschen!
Vor Niederschrift des Satzes: "Die Ermittlungen sind abgeschlos­sen.", konnte jeg­liche Akteneinsicht verweigert werden, um das Ergebnis der Er­mittlungen nicht zu gefährden. Es passiert doch recht häufig, dass ein Angeklagter auf Zeugen einzuwirken und so die "Verdunke­lung" (Vertuschung) der Straftathintergründe zu betreiben versucht!

Wohlgemerkt: Dieses Akteneinsichtsrecht besteht nur für den be­stell­ten Verteidiger. Die Bestellung als Wahlverteidiger durch den Beschuldigten muss dabei durch Vorlage einer vom Beschuldigten unterschriebenen Prozessvollmacht nachgewiesen werden, bevor seinem Wahlverteidiger Akteneinsicht gewährt wird. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers durch das Gericht, die der Beschuldigte nicht ablehnen kann, damit er nicht so die Durchführung des Prozesses gefährden könnte, wird gleich in der Akte vermerkt und ist darum ausreichende Legitimation. Bestellt der Beschuldigte neben dem vom Gericht eventuell ernannten Pflichtverteidiger, der sein Mandat nicht(!) niederlegen darf, einen Wahlverteidiger, der im Gegensatz dazu sein Mandat niederlegen darf, oder wandelt er durch Erklärung das bisherige Pflichtmandat in ein Wahlmandat um, so muss sich auch dieser nunmehrige Wahlverteidiger "zur Akte legitimieren", d.h., die vom Beschuldigten unterschriebene Prozessvollmacht zum Verbleib in der Akte einreichen. Die Akteneinsichtsmöglich­keit besteht (- mir unver­ständlicherweise! -) aber nicht für den Haupt­betroffenen, den Be­schul­digten; eine nach meinem Dafürhalten irrsinnige Regelung: Ohne Verteidiger erfährt er nichts, auch vor der Hauptverhandlung darf er die Akte nicht ein­mal kurz einsehen, und mit Verteidiger, der die Akte in seiner Kanz­lei fotokopiert und dann jeden Punkt mit ihm durchspricht, er­fährt er alles. Oft gibt ihm sein Verteidiger zur Vorbereitung des Verteidigergesprächs - zulässigerweise - eine Zweitkopie. Warum darf dann nicht ein ar­mer Beschuldigter, der die Kosten für die Bestellung eines Vertei­digers sparen möchte, aber noch nicht kriminell genug war, dass ihm das Gericht einen Pflichtverteidiger bestellen müsste, nicht selber auf der Geschäftsstelle die ihn am meisten und zu tiefst betreffende Akte einsehen und gegen Kostenerstattung die ihn interessierenden Teile fotokopiert erhalten? Dieser von mir so gesehene Anspruch darf doch nicht an den in den ärmlich eingerichteten Geschäftsstellen oft fehlenden Kopierern scheitern! Da wird das aus Art. 20 GG von den Richtern indirekt abge­lei­tete Rechtsstaats­ge­bot unserer Verfassung nicht genügend ernst­genommen - und das kann einen engagierten Straf­juristen wie mich ärgern, selbst wenn er davon leben musste, dass ihm Mandate übertragen wur­den. Dem im Strafverfahren übermächtigen Staat stände eine be­schul­dig­tenfreundlichere gesetzliche Regelung gut zu Gesicht!


Die StA ist in vielen Fällen relativ frei zu entscheiden, bei welchem Gericht sie die Anklageschrift mit der Bitte um Anbe­raumung eines baldigen Termins zur Eröffnung der Hauptverhandlung erstinstanzlich einreicht. Soweit nicht die Zuständigkeit eines be­stimmten Gerichts vom Gesetzgeber durch eine Bestimmung im GVG aus­drücklich angeordnet ist - so gehören z.B. fast alle Delikte mit Todesfolge gemäß § 74 GVG vor eine Große Strafkammer des Land­ge­richts als Schwurgericht -, ergeben sich aus den §§ 24, 25, 28 und 74 GVG die Richtwerte für die Ermessensentscheidung der StA nach deren Straferwartung in dem jeweils anstehenden Verfahren:

Ist keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren zu erwarten, so ist gemäß § 25 GVG der Strafrichter beim Amtsge­richt (AG) als Einzelrichter für das Verfahren zuständig.

Da durch § 24 II GVG die Strafgewalt des AG auf maximal vier Jahre Frei­heitsstrafe begrenzt ist, sind gemäß § 28 GVG für alle die Fäl­le, in de­nen eine Verurteilung von über zwei Jahren bis zu vier Jah­ren zu er­warten ist, beim AG so genannte Schöffengerichte zu bil­den, die – man hätte es an sich für eine nicht regelungsbedürftige Selbstverständlichkeit gehalten – mit Schöffen zu besetzen sind, die des Deutschen in ausreichendem Maße mächtig sind, weil gemäß § 184 Gerichtsverfassungsgesetz geregelt ist: „Die Gerichtssprache ist deutsch.“ Aber auch Selbstverständlichkeiten müssen in der Juristerei oft zweifelsfrei geklärt und bestimmt werden:
SPIEGEL ONLINE vom 01.06.05 berichtete, dass das rheinland-pfälzische Kabinett eine Gesetzesinitiative gestartet habe, die – wie man an sich bereits zu glauben geneigt war - Selbstverständliches garantieren solle: Schöffen an deutschen Amts- und Landgerichten müssen die deutsche Sprache beherrschen.

In einer Gerichtsverhandlung am Amtsgericht Mainz konnte nicht etwa der Angeklagte, sondern die deutsch-rumänische Schöffin, die gerade erst auf vier Jahre zur ehrenamtlichen Richterin bestellt worden war, der Verhandlung nicht folgen – weil sie kein Wort verstand.

"Es kann nicht sein, dass Angeklagte von Schöffen verurteilt werden, die gar kein Deutsch verstehen", meinte man im rheinland-pfälzischen Justizministerium.

Die Problematik ist seit Jahren bekannt. Im Stadtstaat Hamburg musste im März 2001 am Amtsgericht Altona ein Prozess abgebrochen werden, weil der Hilfsschöffe als Russlanddeutscher des Deutschen nicht mächtig war. Für die Übersetzung schon allein der Eidesformel, mit der ein Schöffe in sein Amt eingeführt werden muss, musste ein Dolmetscher hinzugezogen werden. In Bayern wurde ebenfalls im Jahr 2001 der Fall einer nicht deutsch sprechenden Hilfsschöffin ans Justizministerium gemeldet.

Bislang konnte das Ehrenamt des Schöffen, der als " als gesetzliche Richter" an der Entscheidungsfindung mitwirkt, von jedem deutschen Staatsangehörigen ausgeübt werden, wenn er über 25, aber unter 70 Jahre alt sein, mindestens seit einem Jahr in der entsprechenden Gemeinde wohnen und nicht wegen einer strafbaren Handlung zu mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden sein und nicht Rechtsanwalt war.

Bislang sah man zu große Schwierigkeiten darin, die Deutschkenntnisse von potentiellen Schöffen zu prüfen. Außerdem wollten die Kabinette der Länder und der Gesetzgeber aus Gründen der Integration nicht-deutschstämmiger Bürger mit nachträglich erworbener deutschen Staatsbürgerschaft kein »falsches politisches Signal« senden – lieber die Arbeit der Justiz behindern: sollen die doch sehen, wie die sich durch die Schwierigkeiten lavieren, obwohl § 52 I GVG bestimmt:


"Ein Schöffe ist von der Schöffenliste zu streichen, wenn

  1. seine Unfähigkeit zum Amt eines Schöffen eintritt oder bekannt wird, oder

  2. Umstände eintreten oder bekannt werden, bei deren Vorhandensein eine Berufung zum Schöffenamt nicht erfolgen soll."

Nach der Gesetzesinitiative Rheinland-Pfalz soll nun § 33 GVG Nicht zu berufende Personen dahingehend ergänzt werden, dass "Personen, die nicht über hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen" vom Schöffenamt ausschließen seien. Außerdem solle eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen werden, dass in Zukunft auch bereits gewählte, aber nicht deutsch sprechende Schöffen abberufen werden können, ohne dass es Folgen für den Prozessverlauf habe. Das aber ist bedenklich, weil ein gesetzlicher Richter dann eventuell nicht die volle vieltätige Verhandlung miterlebt hat, an deren Ende er ein Urteil fällen soll, das er auf sein Gewissen zu nehmen hat!!!

Der Amts­richter, der als Einzelrichter für die Verhandlung zuständig wäre, wenn auch er glaubte, mit dem Strafrahmen von zwei Jahren auszukom­men, ernennt sich nunmehr, wenn seine Straferwartung auf­grund der Aktenlage zwi­schen zwei und vier Jahren liegt, zum Vorsitzenden des mit dieser Rechtssache zu befassenden Schöf­fengerichtes, legt die Akte auf einen anderen Stapel seines Schreib­tisches und gibt seiner Geschäftsstelle durch eine "Verfü­gung" den Auftrag, ihm nach der dort verwahrten, alle vier Jahre neu aufzustellenden Schöffenliste die für den von ihm terminier­ten Verhandlungstag vorbestimmten zwei Schöffen zu benennen und diese zu benachrichtigen, dass sie zu dem angesetzten Termin als Laienrichter ("Schöffen") eingeteilt sind. Erscheinen sie nicht, kann ein Ordnungsgeld gegen sie verhängt werden. Außerdem wird ihnen die Übernahme der Kosten für die vergebliche Anberaumung der Sitzung auferlegt. Das kann schon ins Geld gehen.
"Erst wurde ein Schöffe, dann der Angeklagte bestraft

do Harburg. Die Schöffengerichtsverhandlung wegen Diebstahls gegen Michi (23) sollte um 9 Uhr anfangen. Alle Beteiligten waren anwesend. Nur ein Schöffe fehlte. Die übrigen warteten und nach einer guten viertel Stunde versuchte der vorsitzende Richter telefonisch die Lage zu klären. Vergebens. Der Herr Schöffe hatte den Termin vergessen, oder etwas Besseres vor, als über einen jungen Mann zu Gericht zu sitzen. Und dieses nicht zum ersten Mal.

Aber ein Schöffenamt ist ein Ehrenamt, dem man nicht einfach unentschuldigt fernbleiben darf. Und so erging, als nach eineinhalbstündiger Wartezeit eine Ersatzschöffin "eingeflogen" kam, als erste Amtshandlung eine Geldstrafe von 500 Mark an den nicht anwesenden Schöffen.

Und dann wurde verhandelt. ..."


"Schöffen" sind im Gegensatz zu Berufsrichtern "Laienrichter", die es nicht nur in Strafsachen, sondern auch bei den Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs- und Finanzgerichten, sowie bei den Kammern für Handelssachen gibt, wo sie aber überall "ehrenamtliche Richter" ge­nannt werden. Sie müssen Deutsche und im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sein und sollen Menschen wie Du und nicht ich sein, als ich noch als Rechtsanwalt arbeitete, die also nicht durch eine herausgehobene Tätig­keit im Justizbereich verbildet worden sind und darum des prallen Lebens Fülle mit gesundem Men­schen­verstand gegenüberstehen und ju­ristisch unbefan­gen an die Beurteilung des jeweiligen Falles herangehen sollen. In der vorletzten, auf 1.000 Jahre angelegten aber zum Glück dann nur 12 Jahre andau­ernden Epoche der deutschen Ge­schichte wurden sie als die Verkör­pe­rung des "gesunden Volksem­pfin­dens" apostrophiert. Wenn auch die­se Bezeichnung jetzt nationalsozialistisch kontaminiert ist, so traf sie doch gut das, was durch den Einsatz von Schöffen erreicht werden soll. Der Richter urteilt auf Grund des Gesetzbuches, die Schöffen »nur« nach ihrer Vernunft. Und das ist so gewollt.

Das Schöffenamt muss man grundsätzlich anneh­men, wenn man nicht durch Gesetz davon ausgeschlossen ist. So durf­te z.B. der Autor zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt kein Schöffe werden. Nunmehr wieder als Studienrat tätig darf ich es wieder werden, darf das Schöf­fen­amt sogar nicht ablehnen - und habe als Strafrechtler von Geblüt Spaß daran.

Die Schöffen ha­ben bei den Abstimmungen über Schuld und eventuel­les Strafmaß das gleiche Stimmrecht wie der/die Berufsrichter. Doch schon Schil­ler formulierte: "Man soll die Stimmen wägen, und nicht zäh­len." Da hat der Berufsrichter natürlich ein Überge­wicht. (Und wenn er dann noch von zwei anderen Berufsrichtern sekundiert wird, dann haben die Schöffen nicht mehr viel zu bestellen.)
Ein Richter - gleichgültig ob als Berufsrichter oder Schöffe - muss sich vor Beginn eines jeden Verfahrens prüfen, ob er in diesem anstehenden Verfahren eventuell befangen sein könnte.
Der Junker und der Bauer
Ein Bauer trat mit seiner Klage

Vor Junker Alexander hin:

„Vernehmt, Herr, dass ich heut am Tage

recht übel angekommen bin:

Mein Hund hat Eure Kuh gebissen.

Wer wird den Schaden tragen müssen?“

„Schelm, das sollst du!“, fuhr hier der Junker auf,

„für dreißig Taler war mir nicht die Kuh zum Kauf,

die sollst du diesen Augenblick erlegen.

Das sei hiermit erkannt von Rechtes wegen!“

„Ach, nein, gestrenger Herr! Ich bitte, hört“,

rief ihm der Bauer wieder zu,

ich hab’ es in der Angst verkehrt;

nein, Euer Hund biss meine Kuh.“ –

Und wie hieß nun das Urteil Alexanders?

„Ja, Bauer! Das ist ganz was anders.“


Karl Wilhelm Ramler
Ein in einer Rechtsangelegenheit persönlich betroffener Richter hat sich aus einem ihn persönlich tangierenden Verfahren aus Gründen der möglichen Befangenheit zurückzuziehen. Tut er es nicht, und die Verteidigung kommt dahinter, kann sie einen Befangenheitsantrag stellen. So wurde das gegen Pinochet ergangene erste Urteil der fünf Lordrichter, ihm keine Immunität zuzuerkennen, deswegen aufgehoben, weil einer der Richter, der mit zwei anderen gegen ihn gestimmt und so die zwei unterlegenen Kollegen überstimmt hatte, ehrenamtlich bei einer Unterabteilung von amnesty international tätig war, seine Frau sogar hauptberuflich, und ai sich besonders für die Strafverfolgung von Pinochet stark gemacht hatte.

Eine mögliche Befangenheit kann sogar noch weiter gesehen werden, als in dem Fall des englischen Richters, der ehrenamtlich bei einer Unterabteilung von amnesty international tätig war und dann im Fall Pinochet zu entschieden hatte: Der berichterstattende Richter im "Todesengel"-Prozess, ein Prozess, in dem kein Ersatzrichter und kein Ersatzschöffe vorgesehen war und vorsichtshalber von Anfang an an der Verhandlung teilgenommen hätte, damit die Kammer bei Ausfall eines Richters trotzdem das Verfahren fortführen könnte, ein Prozess, in dem eine in den Medien als "Krebsärztin" titulierte Medizinerin angeklagt war, als langjährige Belegärztin der Paracelsus-Klinik im niedersächsischen Langenhagen acht zwar kranke, aber keineswegs sterbenskranke Patienten durch die Verabreichung unangemessen hoher Dosen Morphin sowie des Beruhigungsmittels Diazepam getötet zu haben, der Richter also, der die Verhandlung vorbereitet und damit großen Einfluss darauf hat, ob es in einem so umstrittenen Fall wie dem anstehenden überhaupt zur Ankalge kommt, hatte in einem Telefonat mit seiner von ihm geschiedenen Ex-Frau, als die sich wunderte, dass die Angeklagte die ihr vorgeworfenen Verbrechen des achtfachen Totschlags begangen haben solle, zu ihr gesagt: "Was glaubst du denn, das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir befassen uns nur mit acht Fällen und in diesen acht Fällen bin ich hundertprozentig davon überzeugt, dass sie die Patienten tot gespritzt hat. Du glaubst das gar nicht, da ist einer mit Kopfschmerzen gekommen und war schon am nächsten Tag tot. In diesen acht Fällen hat sie die Patienten vorsätzlich tot gespritzt, und man hat festgestellt, dass es in den Jahren, in denen sie in der Klinik tätig gewesen ist, über 200 Todesfälle gegeben hat. Das bisher aber noch gar nicht untersucht." Die juristisch offenbar nicht ganz »unbeleckte« Ex-Frau war über diese vorzeitige Festlegung eines Richters - und in diesem Fall eben auch Berichterstatters - höchst erstaunt und wandte sich an einen Hannoveraner Strafverteidiger mit der Frage, wie sie sich verhalten solle. Dieser Anwalt belehrte sie über ihre Wahrheitspflicht und nahm eine eidesstattliche Versicherung auf, die er dann dem Verteidiger der "Krebsärztin" zukommen ließ.

In dem genannten Fall mag man bei den vorliegenden Umständen noch recht unbedenklich von einer Befangenheit des an dem Verfahren beteiligten Richters ausgehen können. So hatte der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 10. September 2002 entschieden, dass eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit begründet sei, wenn das Verhalten eines Richters vor der Hauptverhandlung Anlass zu Befürchtungen ob seiner Unvoreingenommenheit gibt und wenn er dabei "deutlich zum Ausdruck bringt, er sei bereits vorher von der vollen Schuld des Angeklagten endgültig überzeugt".

Eine theoretische Möglichkeit der Befangenheit wird von den obersten Bundesgerichten aber noch viel weiter gesehen: Das Bundessozialgericht (BSG) hatte 2006 ein Urteil des Hamburger Landessozialgerichts aufgehoben, weil einer der in dem Verfahren zuständigen Richter mit der Richterin am Sozialgericht verheiratet war, die in erster Instanz in dem Fall das Urteil gefällt hatte. Das BSG hat in einem Beschluss ohne Prozess entschieden: „Eine instanzübergreifende Richterehe kann im Rechtsmittelverfahren Grund zur Richterablehnung sein“ (Az.: B 9a VG 6/05B) (HH A 15.06.06).

Dafür, dass der englische Richter sich nicht für befangen erklärt hatte, wurde er aber nicht bestraft. Anders erging es dem weiblichen Mitglied einer Jury, die man mit einer Schöffin gleichsetzen kann:
„Sex mit dem Angeklagten: Haft

SAD London – Ihre Blicke trafen sich in dem Gerichtssaal. Peter Gill war in Vancouver (Kanada) des Doppelmordes beschuldigt, die rotblonde Gillian Guess (43) eine der Geschworenen. Die zweifache Mutter über den langhaarigen Angeklagten mit 14-Tage-Bart: ‚Der charmanteste und attraktivste Mann, der mir je begegnet ist. Schon als ich ihn das erstemal sah, funkte es bei mir.‘ Jetzt wurde er freigesprochen und sie wegen Behinderung der Justiz zu 18 Monaten Haft verurteilt. Bei den Blicken war es nicht geblieben. ‚Jeden Tag fühlte ich mich stärker zu ihm hingezogen. Eines Tages stiegen wir nach der Verhandlung in unsere nebeneinander geparkten Wagen, er sagte: ‚Fahr mir nach.‘ Ich hatte Angst vor der Liebe, gleichzeitig war es auch wahnsinnig erregend‘, so die zweimal geschiedene Britin. Sie will in die Berufung gehen.“


In dem sehr interessant und spannend gestalteten Film „Suspect – Unter Verdacht“ spielt die Sängerin und Schauspielerin Cher eine äußerst engagierte Verteidigerin eines sprachgestörten, tauben Angeklagten, die sich mit einem Mitglied der Jury auf dessen Drängen hin mehr als dienstlich erlaubt einlässt. Auch das ist nicht erlaubt, um die Rechtsfindung nicht zu behindern. Den Film muss man gesehen haben! (Da hat man mehr von, als von »Container-Geschwafel«.)
Auch wenn der Berufsrichter beschließt, nicht als Einzelrichter, sondern als Vorsitzender eines Schöffengerichts zu tagen, bereitet er die Verhandlung und sich selbst nicht anders vor, als wenn er als Einzelrichter zu Gericht sitzen würde. Während der Verhandlung hat er dafür Sorge zu tragen, dass die Bestimmungen der StPO nicht verletzt werden. Er führt die Verhandlung. Von den Richtern kennt nur der Berufsrichter die Akten, den Schöffen werden sie vorenthalten. Sie sollen sich nach dem Willen des Gesetzgebers nicht auf die je­weilige Hauptver­handlung vorbereiten können, sondern aus dem Ab­lauf der Sitzung/en heraus nach ihrem gesunden Menschenverstand entscheiden - der sich nach der Wertung des Gesetzgebers von dem der Juristen erheblich unterscheiden kann! Dabei können sie mit ihrer erstinstanzlichen Stimmenmehrheit im Schöffengericht des AG den Berufsrichter sowohl hinsichtlich der Schuldfrage als auch des Strafmaßes überstimmen. Das geht auch noch in der als Berufungsinstanz für den Einzelrichter-Prozess zuständigen Kleinen Strafkammer des Landgerichts. Wenn die schwerwiegendsten Delikte abgeurteilt werden, steht den zwei Schöffen dann aber eine Phalanx von drei Berufsrichtern gegenüber.
Der schon mehrfach zitierte Strafrichter Ostermeyer beschreibt aus seiner Berufserfahrung die Schöffentätigkeit polemisch folgendermaßen:

"Weil die Juristen so sind, wie sie sind, gibt es die Laienrich­ter. Sie haben gesunden Menschenverstand und wissen zu verhüten, dass sich die Rechtsprechung dem Leben entfremdet. Eine schöne Uto­pie! Wenn es nach der Zahl ginge, müssten die Laienrichter die ihnen zugedachte Aufgabe erfüllen können, ... . Aber es geht nicht nach der Zahl, sondern nach Gewicht. Und Gewicht hat ein Laie in der juristisch gestimmten Atmosphäre des Gerichtssaals und des Be­ratungszimmers nicht, denn dort wiegt allein die Argumentierkunst, und darin sind die Juristen überlegen. Die Laienrichter, die von den Gemeinden benannt werden, sind meist biedere und rechtschaffe­ne, aber selten kluge und kritische Leute, ausgenommen die nach ei­nem besonderen Modus ausgewählten Jugendschöffen: Die Mitwirkung des normalen Laienrichters an der Urteilsfindung beschränkt sich auf Gemeinplätze, mit denen er sein Unvermögen, selbständig kri­tisch zu urteilen, zu bemänteln versucht - er könnte ebenso gut feh­len: Das Urteil lautete nicht anders. Viele Laienrichter gera­ten in Verlegenheit, werden sie nach ihrer Meinung gefragt. Tat­sächlich hat der Laienrichter keine andere Funktion, als vom Be­rufsrichter mit vielsagendem Schulterzucken (mehr darf er wegen des Beratungsgeheimnisses nicht sagen) als Entschuldigung für Fehl­urteile bemüht zu werden: Fast immer eine falsche Entschul­di­gung, denn es ist nicht schwer, Laienrichter zu überzeugen."117

Darum seien hier des promovierten Juristen Tucholsky 1929 zu Papier gebrachten bedeutungs- und beherzigenswerten Forderungen an Schöffen mitgeteilt:118
„Merkblatt für Geschworene
Wenn du Geschworener bist, dann glaube nicht, du seist der liebe Gott. Dass du neben dem Richter sitzt und der Angeklagte vor euch steht, ist Zufall – es könnte ebensogut umgekehrt sein.

Wenn du Geschworener bist, gib dir darüber Rechenschaft, dass jeder Mensch von Äußerlichkeiten gefangen genommen wird – du auch. Ein Angeklagter mit langen Haaren, der beim Sprechen sabbert, ist keine angenehme Erscheinung; laß ihn das nicht entgelten.

Wenn du Geschworener bist, denke immer daran, dass dieser Angeklagte dort nicht der erste und einzige seiner Art ist, täglich stehen solche Fälle vor anderen Geschworenen; fall also nicht aus den Wolken, dass jemand etwas Schändliches begangen hat, auch wenn du in deiner Bekanntschaft solchen Fall noch nicht erlebt hast.

Jedes Verbrechen hat zwei Grundlagen: die biologische Veranlagung eines Menschen und das soziale Milieu, in dem er lebt. Wo die moralische Schuld anfängt, kannst du fast niemals beurteilen – niemand von uns kann das, es sei denn ein geübter Psychoanalytiker oder ein sehr weiser Beicht-Priester. Du bist nur Geschworener: strafe nicht – sondern schütze die Gesellschaft vor Rechtsbrechern.

Bevor du als Geschworener fungierst, versuche mit allen Mitteln, ein Gefängnis oder Zuchthaus zu besichtigen; die Erlaubnis ist nicht leicht zu erlangen, aber man bekommt sie. Gib dir genau Rechenschaft, wie die Strafe aussieht, die du verhängst – versuche, mit ehemaligen Strafgefangenen zu sprechen und lies: Max Hölz, Karl Plattner und sonstige Gefängnis- und Zuchthauser­innerungen. Dann erst sage deinen Spruch.

Wenn du Geschworener bist, laß nicht die Anschauung deiner Klasse und deiner Kreise als die allein mögliche gelten. Es gibt auch andere – vielleicht schlechtere, vielleicht bessere, jedenfalls andre.

Glaub nicht an die abschreckende Wirkung eures Spruchs; eine solche Abschreckung gibt es nicht. Noch niemals hat sich ein Täter durch angedrohte Strafen abhalten lassen, etwas auszufressen. Glaub ja nicht, dass du oder die Richter die Aufgabe hätten, eine Untat zu sühnen – das überlaß den himmlischen Instanzen. Du hast nur, nur, nur die Gesellschaft zu schützen. Die Absperrung des Täters von der Gesellschaft ist ein zeitlicher Schutz.

Wenn du Geschworener bist, vergewissere dich vor der Sitzung über die Rechte, die du hast: Fragerecht an den Zeugen und so fort.

Die Beweisaufnahme reißt oft das Privatleben fremder Menschen vor dir auf. Bedenke: - wenn man deine Briefe, deine Gespräche, deine kleinen Liebesabenteuer und deine Ehezerwürfnisse vor fremden Menschen ausbreitete, sähen sie ganz anders aus, als sie in Wirklichkeit sind. Nimm nicht jedes Wort gleich tragisch – wir reden alle mehr daher, als wir unter Eid verantworten können. Sieh nicht in jeder Frau, die einmal einen Schwips gehabt hat, eine Hure; nicht in jedem Arbeitslosen einen Einbrecher; nicht in jedem allzu schlauen Kaufmann einen Betrüger. Denk an dich.

Wenn du Geschworener bist, vergiß dies nicht: - echte Geschworenengerichte gibt es nicht mehr. Der Herr Emminger aus Bayern hat sie zerstört, um den Einfluss der „Laien“ zu brechen. Nun sitz ihr also mit Berufsrichtern zusammen im Beratungszimmer. Sieh im Richter zweierlei: den Mann, der in der Maschinerie der juristischen Logik mehr Erfahrung hat als du – und den Fehlenden aus Routine. Der Richter kennt die Schliche und das Bild der Verbrecher besser als du – das ist sein Vorteil; er ist abgestumpft und meist in den engen Anschauungen seiner kleinen Beamtenkaste gefangen – das ist sein Nachteil. Du bist dazu da, um diesen Nachteil zu korrigieren.

Laß dir vom Richter nicht imponieren. Ihr habt diesen Tag genau die gleichen Rechte; er ist nicht dein Vorgesetzter; denke dir den Talar und die runde Mütze weg, er ist ein Mensch wie du. Laß dir von ihm nicht dumm kommen. Gib deiner Meinung auch dann Ausdruck, wenn der Richter mit Gesetzesstellen und Reichsgerichtsentscheidungen zu beweisen versucht, dass du Unrecht hast – die Entscheidungen des Reichsgerichts taugen nicht viel. Du bist nicht verpflichtet, dich nach ihnen zu richten. Versuche, deine Kollegen in diesem Sinne zu beeinflussen, das ist dein Recht. Sprich knapp, klar und sage, was du willst – langweile die Geschworenen und die Richter während der Beratung nicht mit langen Reden.

Du sollst nur über die Tat des Angeklagten dein Urteil abgeben – nicht über sein Verhalten vor Gericht. Eine Strafe darf lediglich auf Grund eines im Strafgesetzbuch angeführten Paragraphen verhängt werden; es gibt aber kein Delikt, das da heißt: ‚Freches Verhalten vor Gericht‘. Der Angeklagte hat folgende Rechte, die ihm die Richter, meist aus Bequemlichkeit, gern zu nehmen pflegen: der Angeklagte darf leugnen; der Angeklagte darf jede Aussage verweigern; der Angeklagte darf ‘verstockt‘ sein. Ein Geständnis ist niemals ein Strafmilderungsgrund: - das haben die Richter erfunden, um sich Arbeit zu ersparen. Das Geständnis ist auch kein Zeichen von Reue, man kann von außen kaum beurteilen, wann ein Mensch reuig ist, und ihr sollt das auch gar nicht beurteilen. Du kennst die menschliche Seele höchstens gefühlsmäßig, das mag genügen; du würdest dich auch nicht trauen, eine Blinddarmoperation auszuführen – laß also ab von Seelenoperationen.

Wenn du Geschworener bist, sieh nicht im Staatsanwalt eine über dir stehende Persönlichkeit. Es hat sich in der Praxis eingebürgert, dass die meisten Staatsanwälte ein Interesse daran haben, den Angeklagten ‚hineinzulegen‘ – sie machen damit Karriere. Laß den Staatsanwalt reden. Und denk dir deinen Teil.

Vergewissere dich vorher, welche Folgen die Bejahung oder Verneinung der an euch gerichteten Fragen nach sich zieht.


Hab Erbarmen. Das Leben ist schwer genug.“

Den letzten Appell Tucholskys möchte ich aufgreifen und dafür plädieren, dass die Richter nicht in Pervertierung des an sich positiv gemeinten kölschen Mottos: „Man muss auch gönne könne!“, handeln und dem von ihnen für schuldig Befundenen »ordentlich einen einschenken«. Wenn in einem Fall, in dem ich selber als Strafverteidiger auftrat, die Kammer statt eines mir durchaus möglich erschienenen Freispruchs auf ein Strafmaß von sechs Jahren erkannte und nach der Revisionsverhandlung letztlich dann wegen nicht mehr überwindbarer Festlegungen aus dem ersten Prozess auf drei Jahre Freiheitsentzug erkannt wurde, dann zeigt das, wie relativ beliebig und von der momentanen Stimmung der Richter das jeweils zu verhängende Strafmaß zu sehen ist. Da scheint mir der Appell an das Erbarmen doch sehr angebracht!


Erwartet die StA eine Verurteilung zu mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe, oder hat der Fall eine besondere Bedeutung, so klagt sie den Beschuldigten gemäß § 74 GVG bei dem Landgericht als Ein­gangsinstanz an. Die als eine der Eingangskammern des LG fungierende Große Strafkammer ist - im Gegensatz zu dem Schöf­fengericht des AG - mit 3 Berufsrichtern und 2 Schöffen be­setzt, kann in nicht so schwierigen Fällen aber durch Beschluss auch in der Zusammensetzung mit je zwei Berufs- und Laienrichtern tagen. Das für Tötungsdelikte zuständige Schwurgericht ist ebenfalls mit 3 Berufs- und 2 Laienrichtern besetzt, die nur in dieser Zusammensetzung so tagen. Die Großen Strafkammern dagegen beschließen gemäß § 76 II GVG bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, dass sie in der Hauptverhandlung mit nur zweien der drei Berufsrichter und den beiden Schöffen tagen werden, wenn nicht nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten (Berufs-)Richters notwendig erscheint. Weil das Geld knapp ist, und weil der Verurteilte sein Urteil schnell erhalten soll, will man in der Hauptverhandlung einen Berufsrichter einsparen, der zwischenzeitlich schon die Urteile abfassen kann, in denen er als Berichterstatter eingesetzt war. Die Laienrichter können, wenn sie einheitlich stimmen, im Gegensatz zu ihrer starken Stellung in Schöffengerichtsverfahren des Amtsgerichts jetzt nur noch mit ihrer Stimmengleichheit oder Zweifünftelminderheit eine Verurteilung und jede andere Entscheidung zum Nachteil eines Angeklagten verhindern, weil dazu eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist.
Bei einer Reihe von politischen Straftaten und bei Völkermord-An­klagen sind gemäß § 120 GVG die Oberlandesgerichte Eingangsinstanz. Dort gibt es (nur noch) 5 Berufsrichter.
Mit der Einreichung der Anklageschrift wird der Beschuldigte (die­se Bezeichnung ist aber auch Oberbegriff in allen bis zur Verur­tei­lung führenden Verfahrensabschnitten) zum beim Gericht Ange­schuldigten, und die Verfahrensherrschaft geht nach Abschluss des Vorverfahrens von der StA im nunmehr beginnenden Zwischenverfahren auf das angerufene Gericht über. Dieses Gericht prüft zunächst sei­ne eigene Zuständigkeit und gibt die Sache eventuell an ein ande­res Gericht zur dortigen Verhandlung ab. So gibt z.B. eine Große Strafkammer des angerufenen LG ein Verfahren an ein Schöffenge­richt des AG ab, wenn sie glaubt, dass dessen Strafrahmen von vier Jahren im Strafausspruch nicht überschritten werden sollte. Umge­kehrt reicht der Vorsitzende des Schöffengerichts noch vor Benach­richtigung der Schöffen die Akte auf der Hierarchie-Leiter nach oben weiter, wenn er meint, dass die Strafgewalt des unter seinem Vorsitz einberufbaren Schöf­fengerichts möglicherweise nicht zur Ahndung des zu verhandelnden Delikts ausreichen könnte.

Gleichzeitig überprüft das angerufene Gericht die Ergebnisse der staatsanwaltlichen Ermittlungen dahingehend, ob das vorgelegte Ak­tenmaterial mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verur­teilung führen könnte. Durch diese von einem unabhängigen Richter­gremium vorgenommene Kontrollfunktion soll der Angeschuldigte vor den Belastungen einer etwa unnötigen Hauptverhandlung bewahrt wer­den: Ergibt sich kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentli­chen Klage, so verwirft das Gericht den Antrag der StA gemäß § 174 I StPO. Erachtet das Gericht nach Anhörung des Beschuldigten den Antrag für begründet, so beschließt es gemäß § 175 die Erhebung der öffentlichen Klage, die dann wieder von der StA wahrgenommen wird. Durch diesen Beschluss wird der Angeschuldigte zum Angeklagten.



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