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Stefan Hochstadt


Die Zukunft der Qualifikation in der Bauwirtschaft
Innere und äußere Momente des Strukturwandels
Die Zukunft der Qualifikation in der Bauwirtschaft.

Innere und äußere Momente des Strukturwandels


Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades

am Fachbereich Sozialwissenschaften

der Universität Osnabrück
eingereicht von Stefan Hochstadt im Juli 2002

(zur Veröffentlichung überarbeitete Fassung)


1. Gutachter: Prof. Dr. György Széll

2. Gutachter: Prof. Dr. Wiking Ehlert

Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1
2 Problemaufriss 15

2.1 Europäisierung und Strukturwandel 15

2.2 Einsatz von Fremdpersonal 17

2.3 Qualifikation 19

2.4 Segmentierung und Substituierung 20

2.5 Qualifikationsverlust ... und mehr 22

2.6 Markt und Ideologie 24
3 Der Bausektor in Deutschland und Europa 26

3.1 Statistische Grundlagen 27

3.2 Allgemeine konjunkturelle Entwicklung 32

3.3 Charakteristika 39

3.3.1 Allgemeines 39

3.3.2 Aspekte des Besonderen 41

3.4 Kleinbetrieblichkeit 54

3.4.1 Betriebsgrößenstruktur im Baugewerbe 55

3.4.2 Kleinbetriebe als Indiz für Rückständigkeit? 57

3.4.3 Mit Kleinbetrieben in die Zukunft? 63

3.4.4 Der Schwanz wedelt mit dem Hund 65

3.5 Phasen der sektoriellen Entwicklung 70

3.5.1 Ein kurzer Blick in die Vergangenheit 72

3.5.2 Aktuelle Tendenzen 81


4 Die Entwicklung der Beschäftigung und der Beschäftigungsstruktur 93

4.1 Allgemeines 93

4.2 Qualifikation – Versuch einer Näherung 94

4.3 Statistische Befunde 102

4.3.1 Beschäftigungsentwicklung seit 1991 105

4.3.2 Beschäftigungsentwicklung nach Betriebsgröße 110

4.3.3 Kaufmännische Angestellte 112

4.3.4 Technische Angestellte 118

4.3.5 Poliere, Schachtmeister, Meister 123

4.3.6 Werkpoliere, Bauvorarbeiter 130

4.3.7 Facharbeiter 134

4.3.8 Fachwerker, Werker 139

5 Ausbildung im Bausektor 147

5.1 Struktur und Organisation der Berufsausbildung im Baugewerbe 148

5.2 Tendenzen der Ausbildung 152

5.3 Die Entwicklung der Ausbildung im Baugewerbe


in den neunziger Jahren 157

5.4 Angebots-Nachfrage-Relation 171


6 Externe Faktoren 180

6.1 Grundlagen der europäischen Integration 180

6.2 Migration 188

6.2.1 Dimensionen der Arbeitsmigration im Baugewerbe 192

6.2.2 Migration: Begriffsbestimmung 196

6.2.3 Migration hat Tradition 199

6.2.4 Migration aus Mittel- und Osteuropa nach Deutschland 202

6.2.5 Migration aus den Ländern der EU nach Deutschland 206

6.2.6 Zielkonflikt der EU-Mobilitätspolitik 207
7 Gesellschaftliche Bedingtheiten 213

7.1 Konkurrenz der Kapitalismen und Auswirkungen


auf die Qualifikation 213

7.2 Die deutsche Vereinigung als Ausgangspunkt für


einen Paradigmenwechsel 220

7.3 De-Regulierung oder Re-Regulierung 226

7.4 Der Bau als anormale Branche 229

7.5 Rekrutierungsprobleme aufgrund der Stigmatisierung


der Branche 244
8 Schlussbewertung 254
9 Literatur 265
Verzeichnis der Übersichten und Tabellen 289
Übersichten und Tabellen 293
1 Einleitung

Bis vor kurzem konnte mit einigem Recht behauptet werden, die Bauwirtschaft (in Deutschland) sei das Stiefkind soziologischer Betrachtung (z.B. Syben 1992a, 7; ähn­lich: Richter 1981, 7f). Im Grunde befand sie sich sogar jenseits jedweder wissen­schaftlicher Betrachtung. Soziologisch repräsentierte sie das überholte Modell der handwerklichen, wenig arbeitsteiligen und kapitalextensiven Produktion, die nicht dem Ideal der fordistisch geprägten Massenproduktion entsprach. Janssen und Rich­ter (1983) können mit der ersten großen Studie1 zu den Arbeitsbedingungen am Bau als Beispiel für an diesem Paradigma orientierte soziologische Forschung gelten. All­gemein formulieren sie: "Ideales Ziel von Rationalisierungsprozessen ist … eine sta­tionäre Produktion mit kontinuierlichem Arbeitsverlauf und minimalen Einwirkungs­möglichkeiten und -notwendigkeiten durch menschliche Arbeitskräfte, um so Störun­gen ausschalten und gleichzeitig Überwachungs- und Kontrollfunktionen zentralisie­ren zu können" (36f). Daher "gleichen sich tendenziell die Arbeitsplätze und Arbeits­bedingungen zwischen den unterschiedlichen Produktionsbereichen einander an" (39). Analog zur übergeordneten Entwicklung unterscheiden sie für den Bausektor zwischen konventioneller, rationalisierter Baustellenproduktion und stationärer Vor­fertigung (112ff). Ganz ähnlich hatte das bereits Angermeier (1981, 78f) in der ers­ten Veröffentlichung aus derselben Forschung formuliert2. Es ist nur eine weitere noch ältere Untersuchung von Mickler u.a. von 1977 bekannt, in der die Bauwirt­schaft zwar nicht im Zentrum der Betrachtung stand, aber immerhin berücksichtigt wurde. Eine weitere frühe und auf die Bauwirtschaft beschränkte Studie stammt von Schneider u.a. (1982), die wie die späteren Arbeiten von Goldberg (1991) und Rußig u.a. (1996) sehr stark auf die Erfassung und Interpretation der statistischen Dimen­sionen konzentriert ist3.



In der Öffentlichkeit wurde die Bauwirtschaft nur als Baustelle wahrgenommen. An­sonsten galt sie in keiner Hinsicht als interessant. Auch politisch galt sie in diesem Sinne als rückständig. In gezielten Programmen (z.B. des Großsiedlungsbaus in den siebziger Jahren und Forschungen, die die "Verbesserung" der technischen Ausstat­tung und Organisation zum Ziel hatten; vgl.: Richter 1981) sollte sie deshalb an großindustrielle Standards herangeführt werden4. Selbst in den engagierten gewerk­schaftlichen und politischen Debatten seit den sechziger und siebziger Jahren wurde die korporatistische Politik der IG Bau Steine Erden von links als anrüchig empfun­den, weil sie den Antagonismus von Kapital und Arbeit zu ignorieren schien. Über Spezifika des Sektors, die sowohl die organisatorischen und technischen Bedingun­gen der Produktion determinieren (wenn schon die zugrunde liegende systemische Verwertungslogik nicht außer Kraft setzen) als auch eine darauf ausgerichtete ge­werkschaftliche Politik nahe legen, dachte damals offensichtlich niemand nach.
Spätestens mit der Vereinigung hat sich aber manches geändert. Erstens ist die Zahl der Arbeiten zum Bausektor seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre vor allem in Deutschland erkennbar angewachsen5 und zweitens erfährt sie unter dem Aufreißer der illegalen Beschäftigung (gelegentlich auch unter dem Aufmacher der Korruption und der Preisabsprachen) seit wenigstens Mitte der neunziger Jahre erhebliche me­diale Aufmerksamkeit. Auch die Zahl der damit in Verbindung stehenden Veröffentli­chungen – meistens mit der Schwerpunktsetzung Entsenderichtlinie oder Entsende­gesetz – seitdem ist bemerkenswert6. Soziologisch im engeren Sinne sind davon aber eher wenige. Lediglich die Publikationen um Pahl und Syben sowie um Voswinkel können diesen Anspruch für sich reklamieren. Ansonsten überwiegen Arbeiten aus dem politikwissenschaftlichen Gebiet. Meistens ist ein nicht unerheblicher Teil dieser Publikationen der Frage nach Regulierung bzw. Deregulierung, nach Fortbestand na­tionalstaatlicher Regelungskompetenz und nach möglichen Dimensionen künftiger Wanderungsbewegungen gewidmet. Im- und gelegentlich auch explizit wird zudem häufig die Frage nach aktuellen und künftigen Rationalisierungsmustern erörtert.
Mit dem Verweis auf die Vereinigung ist es schon angeklungen und die Auswahl der Literatur verdeutlicht dies: Es fällt weiterhin eine starke Konzentration dieses neuen Interesses an Fragen des Bausektors in Deutschland auf. Das mag mit der besonde­ren Problemlage dieses Wirtschaftszweiges in Deutschland zu tun haben. Jedenfalls ist – soweit dies von hier beurteilt werden kann – die Zahl der sektoriellen Veröffent­lichungen in anderen Ländern Europas deutlich kleiner. Diese Schwerpunktsetzung wird auch in der vorliegenden Arbeit betrieben. Im Zentrum dieser Untersuchung steht allgemein die Bauwirtschaft bei allerdings starker Betonung der Verhältnisse in Deutschland. Nur am Rande werden weitere Staaten in den Blick genommen. Dies mag problematisch erscheinen, weil doch zunächst angenommen werden kann oder sollte, dass sich die Produktionsbedingungen zwischen den Ländern ganz erheblich unterscheiden7. Es gibt jedoch deutliche Hinweise, dass genau dies nicht der Fall ist, so dass die gewählte Vorgehensweise nicht zwangsläufig zu Ergebnissen kommen muss, die zu einer ungenügenden Erfassung der Wirklichkeit führen. Darüber hinaus werden gerade solche Fragen thematisiert, die speziell für die deutsche Baubranche von herausragendem Interesse sind, so dass eine allzu hastige Europäisierung des Blicks der Analyse sogar schaden könnte8.
Auch in der europäischen Politik hat sich seit etwa Mitte der achtziger, spätestens je­doch seit Anfang der neunziger Jahre die Bedeutung der Bauwirtschaft erheblich ge­ändert. War die Bauwirtschaft bis dahin kaum europäisiert, so hat sie sich in den achtziger und neunziger Jahren zu der grenzüberschreitenden Fusionsbranche entwi­ckelt (Gross, Syben 1992, 12; Baumann u.a. 1997a und 1997b; Schnepf u.a. 1998). Aber schon im Vorfeld der Vorbereitung, der Ratifizierung und der schließlichen Eta­blierung des Europäischen Binnenmarktes 1992/93 wurde die Baubranche als ein Sektor von höchstem europäischen Interesse identifiziert. Die Ende der achtziger Jahre erschienene sog. Cecchini-Studie entlarvte den Bausektor nämlich als Wirt­schaftszweig mit erheblichen Einsparpotenzialen bei europaweiter Ausschreibung der öffentlichen Bauvorhaben ab einer bestimmten Größe (Cecchini 1988). Diese Ent­wicklung gipfelte schließlich in der weithin beachteten "Atkins-Studie", mit der die Bauwirtschaft im europäischen Auftrag untersucht wurde (Kommission ... 1993).
Nun scheint sich die hektische Betriebsamkeit in Deutschland langsam wieder zu le­gen. Zwar bereiten die nicht zufrieden stellende konjunkturelle Situation und der da­raus folgende besonders intensive Verdrängungswettbewerb im Verbund mit steigen­den Arbeitslosenzahlen Sorge. Auch wird immer noch über ein neues Vergabe- oder Tariftreuegesetz nachgedacht und die sog. Ketten- oder Generalunternehmerhaftung ist noch in der Debatte, obschon mit der am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Än­derung Teil des Entsendegesetzes. Doch ist die erste Aufregung um die illegale Be­schäftigung von Menschen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern, aber auch aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein wenig verflogen. Ob dies daran liegt, dass, von Ausnahmeregionen wie Berlin abgesehen, die Zahl der auf Baustellen in Deutschland entdeckten oder vermuteten illegalen Arbeitnehmer zurückgegangen ist, bleibt dahin gestellt. Sichere Zahlen gibt es dazu sowieso nicht und die verschie­denen Schätzungen gehen nicht einheitlich von einem Rückgang der entsprechenden Zahlen aus9. Sollte dem aber so sein, so wäre dies nur zum Teil dem Engagement der deutschen Behörden zuzuschreiben; nicht unerheblich für diese Entwicklung wä­ren auch die veränderten rechtlichen Bedingungen in Großbritannien (von wo bis vor wenigen Jahren die meisten sog. Scheinselbstständigen kamen; vgl. Landesarbeits­amt ... 1996; Laux 1997) und die sowieso lahmende Branchenkonjunktur in Deutsch­land bei gleichzeitigem Florieren des Bausektors in wichtigen Herkunftsländern der wanderwilligen Bauarbeiter.
Die momentane Ruhe ist aber nicht nur der – vermeintlichen – Überwindung des Pro­blems geschuldet, sondern möglicherweise schlicht dem abgeklungenen Medieninter­esse. Jedenfalls lässt sich daraus nicht schließen, mit illegaler Beschäftigung oder all­gemein mit grenzüberschreitender Wanderung zusammenhängende Probleme vor allem im Bereich der tariflichen und sozialen Sicherung seien nicht mehr vorhanden oder sogar gelöst. Doch die Situation am Bau ist komplexer; mit dem alleinigen Ver­weis auf illegale Beschäftigung, die gleichwohl ein wichtiger Aspekt der Problemlage ist, jedenfalls lassen sich die beobachtbaren Bedingungen und deren Veränderungen nicht hinreichend erklären. Um die vielfältigen Veränderungen im Bausektor erklären zu können, muss in jedem Fall das Moment der inneren Entwicklung hinzu genom­men werden, also der seit einigen Jahren beschleunigt ablaufende Strukturwandel. Dies ist ein vollkommen normaler Prozess, der keineswegs auf den Bau beschränkt ist, sondern unter gegebenen Bedingungen auf alle und in allen Branchen wirkt. Je­doch scheint im Bausektor ein besonders vehementer Wandel weniger in techni­schen, sondern vielmehr in den organisatorischen Strukturen stattzufinden, der un­bedingt in eine Untersuchung einbezogen werden muss, in der Aussagen zur qualifi­katorischen Perspektive gemacht werden sollen. Innere und äußere Momente der Entwicklung können dabei durchaus auch als doppelter Strukturwandel bezeichnet werden, denn beide Aspekte verweisen aufeinander und zeigen zudem heute deutli­che Differenzen zu ihren jeweiligen Ausprägungen noch vor 20, vielleicht sogar zehn Jahren. In diese basale Konstruktion muss darüber hinaus die grundsätzliche Schwie­rigkeit des Baugewerbes eingebaut werden, am Ausbildungs- und am Arbeitsmarkt genügend Menschen zu finden, die im Sektor qualifiziert arbeiten wollen. Es fällt der Branche zunehmend schwerer, trotz galoppierender sektorieller Arbeitslosigkeit ge­eignete Personen zu finden. Wenigstens in Bezug auf die Versorgung am Ausbil­dungsmarkt muss von einer schwindenden Attraktivität der Bauberufe für wachsende Teile der infrage kommenden Jugendlichen, also meist männliche Hauptschüler, aus­gegangen werden. Da die Ausbildungsbedingungen sowohl in qualitativer als auch in finanzieller Hinsicht überhaupt nicht schlecht sind10, kann davon ausgegangen wer­den, dass es weniger die unmittelbaren Bedingungen in der Ausbildung sind, die zu diesem Attraktivitätsproblem führen, sondern die Arbeitsbedingungen im Sektor überhaupt. Der Ruf des Bausektors scheint sich derart verschlechtert zu haben, und die Berufswünsche vieler Jugendliche haben sich in den letzten Jahren – nicht nur wegen des schlechten Rufs, aber auch – von den Bauberufen wegverlagert, dass ohne zu übertreiben von einer Stigmatisierung der Baubranche gesprochen werden kann.
Aber selbst die Einbeziehung auch dieses inneren Moments in die Analyse reicht noch nicht aus, zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen. Denn sowohl die inneren als auch die äußeren Momente der Entwicklung basieren wesentlich auf einer sich verändern­den politischen Rahmensetzung. Gerade die besondere Regulierungsdichte, die das Baugewerbe auszeichnet, gerade die auf einem breiten Konsens aller Branchenakteu­re aufbauende korporatistische Branchenpolitik kann als Ausdruck eines ganz spezifi­schen Politikmodells gesehen werden. Und gerade dieses Politikmodell, das die in­dustriellen Beziehungen seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ganz entschieden ge­prägt hat, verliert spätestens seit dem Ende der Blockkonfrontation erkennbar an faktischem entscheidungssetzenden und an ideologischem entscheidungsermögli­chenden Boden. Das Schlagwort hierzu lautet "Vom Wohlfahrts- zum Wettbewerbs­staat" (Heinze u.a. 1999, Hunger 2000a). Dieses Moment der ideologischen Bedin­gungen ist das dritte und letzte Element, das unbedingt in einer Untersuchung zur Entwicklung der Qualifikation in der Baubranche Berücksichtigung finden muss.
Zusammengefasst lassen sich die verschiedenen oberhalb der ideologischen Verhält­nisse auf die Produktions- und Wettbewerbsbedingungen einwirkenden Elemente in drei Hauptgruppen aufteilen. Die Märkte verlieren ihre nationalen Bezüge; wo früher politische Grenzen gleichzusetzen waren mit Reproduktionsgrenzen, gilt das heute nicht mehr in dieser hermetischen Weise. Die Bauunternehmern versuchen entspre­chend ihren Möglichkeiten, neue Wege zur Lösung der mit der neuen Wettbewerbssi­tuation, aber auch mit tradierten Strukturen zusammenhängenden Problemstellungen zu gehen; wesentlich zählt dazu der Versuch, die Restriktionen des Bereitstellungsge­werbes zu überwinden. Begleitet wird dies von Veränderungen in der technischen und der organisatorischen Ausstattung und Organisation der Betriebe. Zur ersten Gruppe der "transnationalen Märkte" (Bosch u.a. 2000a und 2000b; Bosch, Zühlke-Robinet 1999 und 2000) werden hier gerechnet: Offene Grenzen, Freizügigkeit, Nie­derlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit11, ungehinderter Wettbewerb, Osterwei­terung, hohe Mobilität der Arbeitskräfte, hoher Wanderungsdruck, hoher Druck auf das Lohnniveau12. Als zweite Merkmalsgruppe soll die "strategische Orientierung" der Bauunternehmen bzw. der Branche gelten, wozu die Relativierung des operativen Geschäfts, neue Unternehmensstrategien, neue Geschäftsfelder, die Konzentration auf das Kerngeschäft bei gleichzeitig wachsendem Tätigkeitsspektrum, die Etablie­rung einer Branchenhierarchie, die auch grenzübergreifend funktioniert, Segmentie­rungstendenzen und die wachsende Abhängigkeit der kleinen von den großen Betrie­ben gezählt werden. Schließlich werden in der dritten Gruppe "technische und orga­nisatorische Ausstattung" der wachsende Vorfertigungsanteil, die kürzeren Baustel­lenlaufzeiten, neue Arbeitstechniken, neue Werkstoffe, neue Arbeitsorganisationen, der stärkere Einsatz von EDV, die Etablierung serieller Fertigung sowie die zuneh­mende Bedeutung kostengünstigen und auch ökologischen Bauens gefasst13.
Diese Aufzählung kann nicht als hinreichend verstanden werden, es sind lediglich ei­nige highlights der aktuellen Dynamik, die den Bausektor auszeichnet. Die einzelnen Punkte sind dabei von unterschiedlicher Schwere und auch von unterschiedlicher Konsequenz. Auch sind einige gar nicht so neu. Obwohl diese Momente der Dynamik zunächst unabhängig voneinander stattfinden, bedingen und verstärken sie sich ge­genseitig. Aus ihnen erwächst ein hoher Druck auf das Regelungsgeflecht in der Bau­wirtschaft und alle wettbewerbsrelevanten Faktoren. Über den vor allem über den Preis ausgetragenen Wettbewerb entsteht die Gefahr einer reduktiven Spirale mit ne­gativen Konsequenzen nicht nur für die aktuelle, sondern auch für die perspektivi­sche ökonomische Potenz der Branche14. Insbesondere entstehen aus den skizzierten Veränderungen neue Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten. Sie müs­sen sich in neue Arbeitsweisen einfinden, mit neuen Stoffen und Techniken arbeiten und auf neue Arbeitsbedingungen eingehen. Damit gehen nicht nur Veränderungen in den Anforderungen an ihre spezifische fachliche Kompetenz einher, sondern auch solche an ihre fach- und stoffunspezifischen Fähigkeiten (Pahl, Syben 1993; Syben, Stroink 1995). Vor allem die Entwicklung zu transnationalen Märkten führt zu erhebli­chen und wahrscheinlich eher negativen als positiven Auswirkungen auf die Qualifi­kation. Wenn unter dem Vorzeichen eines sich auf den Preis konzentrierenden Wett­bewerbs die Löhne nach unten verschoben werden sollen, dann hat das – auch über das sich verschlechternde Image der Branche – negative Auswirkungen auf die Be­reitschaft und vielleicht sogar Fähigkeit der Betriebe und der Beschäftigten, sich ge­mäß der eigentlichen Erfordernisse zu qualifizieren. Umgekehrt entwickeln sich Quali­fikation und Qualifizierungsfähigkeit immer mehr zu Schlüsselgrößen im Strukturwan­del (und führen so die auf qualifizierte Facharbeit setzende Tradition in der Branche fort).

Dieser Aufzählung muss noch die konjunkturelle Lage der Branche hinzugefügt wer­den. Seit inzwischen 20 Jahren ist die Situation am Bau von einer insgesamt krisen­haften Entwicklung geprägt, die nur durch den durch die Vereinigung Deutschlands in der Hauptsache verursachten Boom von Ende der achtziger bis Mitte der neunziger Jahre unterbrochen wurde. Schon Anfang der achtziger Jahre aber wurde unverkenn­bar ein Schrumpfungsprozess der Branche begonnen, der bis heute fortdauert. Das heißt, dass der Wettbewerb vor allem als Verdrängungswettbewerb ausgetragen wird, dem die schwächeren Kapitaleinheiten zum Opfer fallen. Gerade bei minimalen Rentabilitätsmargen und sich verschärfendem Preiswettbewerb ist jeder Betrieb in besonderem Maße gezwungen, nach Möglichkeiten zu suchen, die Produktion kosten­günstiger zu machen. Im Zuge dieses Versuchs werden nicht nur geltende tarifliche Bestimmungen unterlaufen (Hochstadt, Janssen 1998; Artus u.a. 1998), es werden auch zunehmend neue Arbeitskräfteeinsatzstrategien probiert. Gerade die Verfügbar­keit ganz neuer, bisher nicht erschließbarer Arbeitnehmergruppen, die in geradezu idealer Weise den traditionellen Milieubedingungen der Branche entsprechen, hat dieser Strategie erhebliches Gewicht verliehen. Es kann also gesagt werden, dass die konjunkturelle Krise der Baubranche, die schon längst strukturell geworden ist, we­sentlich zur Etablierung der neuen Arbeitskräftepolitik beigetragen hat.


In der Gesamtschau ergibt sich so eine äußerst problematische Gemengelage, die dazu führen kann, dass der Sektor in ein Gefangenendilemma gerät, dessen Opfer er selbst wird. Aus betriebswirtschaftlich zunächst rationalem Verhalten ergibt sich ein volkswirtschaftlich und schließlich auch betriebswirtschaftlich irrationales Zwangsver­halten.
Aus der erfolgten Skizzierung ergeben sich folgende Untersuchungsdimensionen: Der Gegenstand dieser Arbeit ist die Bauarbeit, deren Veränderung und die Entwicklung der Qualifikation in der Bauwirtschaft. Der Sektor ist geprägt von einer sich verän­dernden innersektoriellen Arbeitsteilung, die sich in komplexer werdenden Unterneh­mensstrukturen ausdrückt. Gleichzeitig (und teilweise durch diese Prozesse bedingt) kommt es zu einer Europäisierung des Bauarbeitsmarktes. Der Sektor ist von einer ausgesprochen hohen Mobilität der Arbeitskräfte gekennzeichnet, die zu einer unmit­telbaren Konfrontation der Sozialsysteme führt. Über die zwischen den ehemals von­einander getrennten Reproduktionsräumen bestehenden Disparitäten kommt es zu einer Konkurrenzsituation, die verschärft wird durch die gleichzeitige Deregulierungs­politik in Europa. Die nahezu beliebige Verfügbarkeit von 'billiger' Arbeitskraft, die sich vertiefende Segmentierung der Branche und die Verkürzung der Verwertungs­horizonte (als teils sich einander bedingende, teils unabhängig voneinander stattfin­dende Bewegungen) bergen die Gefahr des bloßen Verzehrs bestehender Qualifika­tion in sich mit der Folge einer geschlossenen nach unten gerichteten Spirale von Qualifikation, Produktivität, Investition, Innovation und Produktqualität.
Im Kapitalismus gibt es eine Grundentwicklung, nach der menschliche Arbeitskraft in der Tendenz durch Produktionsmittel ersetzt wird; menschliche Arbeitskraft wird so produktiver angewandt. Internationalisierung ist eine im Kapitalismus selbst angeleg­te Dynamik, die als eine Ursache die mit dem vermehrten Einsatz von konstantem Kapital einhergehende Veränderung in der organischen Zusammensetzung des Kapi­tals hat. Die europäische Integrationsbewegung findet als eine aus der historischen Situation heraus entstandene Sonderform der Internationalisierung aufgrund dersel­ben Dynamik statt. Ist ein bestimmtes Niveau der supranationalen Integration er­reicht, so kann es auf die weitere Entwicklung auch der ökonomischen Basis zurück­wirken, indem es die Reproduktionssphären neu organisiert; findet dies unter dem Vorzeichen fortbestehender Disparitäten in den Produktions- und Reproduktionssphä­ren statt, so kann eine direkte Konkurrenzsituation entstehen15. Damit treten aber nicht mehr nur Einzelkapitale, sondern Gesamtkapitale (und mit ihnen die regulieren­den Systeme) zueinander in Konkurrenz. Die sich verändernde organische Zusam­mensetzung provoziert weiterhin nicht nur das Überwinden der nationalen Räume, sondern auch eine Veränderung in der Organisation der Arbeit selbst. Internationali­sierung und Flexibilisierung, Differenzierung, Individualisierung, Deregulierung sind die zwei Seiten einer Medaille. Die beschriebenen Veränderungen in der organischen Zusammensetzung des Kapitals sind nicht Ausdruck einer natürlichen Entwicklung, sondern folgen der Notwendigkeit zur Reduzierung des Kostpreises durch die beste­henden Konkurrenzmechanismen. Daraus folgt die Möglichkeit des der Grundtendenz entgegenstehenden Rückgriffs auf menschliche Arbeitskraft, wenn diese billiger ist als die sie ersetzenden Produktionsmittel.

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