BVerfG Urteil vom 18.07.12, 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11, www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C2503.pdf, www.bverfg.de/entscheidungen/ls20120718_1bvl001010.html
Die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG sind verfassungswidrig. Die Höhe der Grundleistungen wurde vom Gesetzgeber nicht realitätsgerecht ermittelt und begründet. Bis heute wurden keine nachvollziehbaren Berechnungen vorgelegt. Anders als die Hartz-IV-Regelsätze sind die seit 1993 unveränderten Beträge nach § 3 AsylbLG auch evident unzureichend.
Art. 1 Abs. 1 GG garantiert in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Der Anspruch umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.
Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Das Grundrecht umfasst auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.
Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.
Ein verfassungskonformes Leistungsniveau ist - entgegen der im Vorlageverfahren vom 8. Senat des Bundessozialgerichts vorgelegten Stellungnahme (BSG B 8 AY 2/10 S v. 5.11.2010, www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/BSG_asylblg.pdf, dazu kritisch Rothkegel, Das Sachleistungsprinzip des AsylbLG vor dem Bundesverfassungsgericht, ZAR 2011, 90) - auch nicht durch individuell zu beantragende aufstockende Leistungen nach § 6 AsylbLG erreichbar.
Das BVerfG verpflichtet den Gesetzgeber, unverzüglich für den Anwendungsbereich des AsylbLG eine Neuregelung zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums zu treffen. Eine konkrete Frist setzt das BVerfG hierfür nicht.
Das BVerfG ordnet wegen der evident unzureichenden Leistungen bis zum Inkrafttreten einer verfassungskonformen gesetzlichen Neuregelung eine Übergangsregelung an. Rückwirkend ab 1.1.2011 sind gemäß § 3 AsylbLG Leistungen in Höhe der Regelbedarfe nach RBEG bzw. SGB II/XII zu erbringen, soweit über die Leistungszeiträume noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Die Anwendung des § 44 SGB X auf Nachzahlungansprüche schließt das BVerfG dabei für Zeiträume bis 31.07.2012 aus.
Da laut § 3 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz AsylbLG - anders als nach SGB II/XII - zusätzlich zu den Grundleistungsbeträgen die notwendigen Kosten für Hausrat zu übernehmen sind, womit anders als nach SGB II/XII auch Beihilfen für den laufenden Ergänzungsbedarf beansprucht werden können, werden die Grundleistungsbeträge nach § 3 Abs. 2 AsylbLG im Verhältnis zu den Regelsätzen nach SGB II/XII jeweils um die in §§ 5 und 6 RBEG genannten Beträge für Hausrat (Abteilung 5 EVS "Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände") gekürzt.
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Anmerkung: Kommentare, Tabellen, Ländererlasse, Anträge und Tipps zum BVerfG-Urteil: www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/BVerfG-AsylbLG-Urteil.html
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