François Höpflinger


Geburtenhäufigkeit, Kinderlosigkeit und späte Mutterschaft bei ausgewählten Geburts­jahrgängen der Schweiz



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Geburtenhäufigkeit, Kinderlosigkeit und späte Mutterschaft bei ausgewählten Geburts­jahrgängen der Schweiz
Lebendgeborene %-Anteil Kinderzahl pro Späte Mutterschaft:

pro 100 Frauen kinderloser Frauen 100 Frauen Lebendgeborene pro

mit mind. 1 Kind 100 Frauen im Alter:

Geburts- 35+ 40+

jahrgänge:

1911/15 208 25% 277 44 11

1916/20 223 20% 279 39 11

1921/25 226 18% 276 39 9

1926/30 226 17% 272 34 6

1931/35 224 15% 264 24 4

1940 208 14% 242 15 3

1945 186 17% 224 14 2

1950 179 18% 218 16 3

1955 175 23% 227 20 3

1960 176 25% 235 22 3

1965 169 30% 241 25 4


Quellen: Fux 2005
Die Detailbetrachtung zeigt bei jüngeren Frauengenerationen einige bedeutsame Entwicklungen:

Erstens hat sich der Anteil der endgültig kinderlosen Frauen in den jüngeren Generationen deutlich erhöht. Blieben von den 1940 geborenen Frauen – die in den 1960er Jahren ihre Familie gründeten – gut ein Siebtel ohne Nachkommen, sind dies bei den zwanzig Jahre später geborenen Frauen schon ein Viertel. Der Trend ist weiter ansteigend, und bei der jüngsten berücksichtigten Frauengeneration dürfte schon fast ein Drittel kinderlos bleiben. Bei nahezu einem Drittel dieser Frauengeneration endet damit die Generationenkette; ein Prozess, der auch die Eltern dieser Frauen berührt, da bei Kinderlosigkeit der Kinder die Eltern keine Enkelkinder erleben. Im inter­europäischen Vergleich fällt auf, dass beim Geburtsjahrgang 1965 die Schweiz – zusammen mit Deutschland – zu den europäischen Ländern mit den höchsten Werten von Kinderlosigkeit gehört (vgl. Dorbritz 2005). Detailanalysen zeigen, dass Kinderlosigkeit allerdings nur in einer Minderheit der Fälle eine früh getroffene Entscheidung ist. Sie ist zumeist die Folge nicht realisierter Pläne zur Familiengründung, sei es etwa aufgrund familial-beruflicher Unverein­barkeiten oder wegen der Verankerung eines kinderlosen Lebens- und Freizeitstils. Kinderlosigkeit ist vor allem bei gut ausgebildeten Frauen häufig, weil sowohl längere Ausbildung als auch eine ausgeprägte Karriereorientierung unter Bedingungen familial-beruflicher Unvereinbarkeiten die Opportunitätskosten einer Familiengründung erhöhen.

Zweitens haben Frauen mit Kindern zumeist mehr als ein Kind, und in der Schweiz sind Familien mit zwei bis drei Kindern am stärksten vertreten. Entsprechend ist die Geburt eines Geschwisters weiterhin ein häufiges familiendemografisches Ereignis, und 77% der 1993 geborenen Kinder hatten im Alter von 8 Jahren zumindest einen Bruder bzw. eine Schwester (vgl. Wanner, Haug 2005). Die Geburt eines dritten Kindes hängt teilweise vom Geschlecht der bereits geborenen Kinder ab. Handelt es sich bei den bereits vorhandenen Kindern um Mädchen ist die Wahrschein­lichkeit einer weiteren Geburt höher, als wenn die beiden ersten Kinder unterschiedlichen Geschlechts sind.

In den jüngsten Frauengenerationen zeigt sich somit eine verstärkte Polarisierung des generativen Verhaltens: Mehr Frauen bleiben kinderlos, aber diejenigen, die sich für Kinder entscheiden, haben teilweise mehr Kinder als frühere Geburtsjahrgänge. Dies kann in Zukunft zur gesellschaftlichen Polarisierung zwischen Frauen und Männern ohne Nachkommen und Menschen mit mehrfacher Nachkommenschaft (Kinder, Enkelkinder) beitragen.

Die verringerte Kinderzahl – gekoppelt mit einer Erhöhung der Lebenserwartung – hat zu einer Vertikalisierung familial-verwandtschaftlicher Strukturen beigetragen. Moderne Familien werden deshalb häufig auch als „Bohnenstangen-Familien“ (bean-pole-families) bezeichnet: Viele vertikale Familiengenerationen, aber wenig horizontale Familienbeziehungen (wenig Geschwister, Onkel, Tanten usw.).
Burkina Faso - Familiengründung und Fertilität in einem afrikanischen Land
Die Fertilitätsrate Burkina Fasos liegt weiterhin sehr hoch, bei insgesamt über 6 Kindern pro Frauen. Zentral sind allerdings auch ausgeprägte Land-Stadt-Differenzen: Während die Fertilitätsrate 2003 in den ruralen Regionen bei 6.9 Kindern pro Frau lag, war sie in den urbanen Regionen mit 3.7 Kindern schon deutlich tiefer (3.1 in der Hauptstadt, und 4.4 in den übrigen Städten). Darin widerspiegeln sich auch klare Land-Stadt-Differenzen in der Verbreitung von Familienplanung (und Abtreibungen). Was Abtreibungen betrifft zeigt sich eine eher wider­sprüchliche Situation in dem Sinne, dass Abtreibungen in den Städten häufiger vorkommen, aber negativer bewertet werden (vgl. Rossier 2007).

Der Vergleich der Kinderzahl von 40-49-jährigen Frauen (= ältere Frauenkohorten) mit der aktuellen Fertilitätsrate lässt erkennen, dass sich das Fertilitätsniveau in den ruralen Gebieten kaum reduziert hat (7.1 Geburten bei den 40-49-jährigen Frauen, 6.9 Geburten aktuell). In den städtischen Regionen zeichnet sich dagegen ein klarer Fertilitätsrückgang ab: Hatten die (überlebenden) 40-49-jährigen Frauen in Ouagadougou noch 5.1 Kinder, liegt die aktuelle Fertilitätsrate noch bei 3.1 Kindern. In den übrigen Städten reduzierte sich die entsprechenden Ziffern von 6.6 auf 4.4. Der demografische Übergang von hoher zu tiefer Fertilität hat das Land noch nicht erreicht, hingegen die Städte.

Erwartungsgemäss variiert die Geburtenhäufigkeit sowohl mit dem Bildungsniveau der Frauen als auch mit dem Wohlstandsniveau: Frauen ohne jede schulische Ausbildung weisen eine Fertilitätsrate von 6.7 Geburten auf, Frauen mit primärer Ausbildung eine etwas geringere Fertilitätsrate von 5.8 Geburten, und – die wenigen – Frauen mit sekundärer Ausbildung bringen nur noch 2.8 Kinder zur Welt. Bei den ärmsten zwei Fünftel der Bevölkerung liegt die Fertilitätsrate bei 7.1 Geburten, und sie ist auch bei den oberen Quintilen relativ hoch (6.7), um einzig beim wohlhabendsten Fünftel auf 3.9 Geburten zu sinken. In anderen Worten: Mit steigendem Wohlstand sinkt – wie überall – die Geburtenrate allmählich, aber die grösste Auswirkung hat die schulisch-berufliche Ausbildung der Frauen.

Paritätsspezifische Daten nach Altersgruppen illustrieren die Verteilung der Lebendgeburten nach Altersgruppe (wobei es sich hier um eine Querschnittserhebung handelt, und Unterschiede zwischen den Altersgruppen können sowohl Kohorteneffekte als auch Selektionseffekte widerspiegeln). Dennoch werden einige Punkte deutlich:

a) Kinderlosigkeit ist selten, auch weil die Familiengründung sehr früh einsetzt. So sind nur 23% der 20-24-jährigen Frauen noch kinderlos, und nur noch 5% der 25-29-jährigen Frauen. Auch in den urbanen Gebieten ist Kinderlos wenig verbreitet (und kaum gewünscht) (vgl. Rossier 2007).

b) Eine frühe Familiengründung ist weiterhin häufig, und 17% der 15-19-Jährigen haben schon geboren, wobei gut 48% der 19 jährigen Frauen schon Mütter sind (und weitere 9% schwanger sind). 44% der 20-24-Jährigen haben schon mehr als ein Kind. Das mittlere Alter bei der Erstgeburt liegt bei 19.5 Jahren (19.3 Jahren in ruralen Gebieten, 20.1 Jahren in städtischen Gebieten bzw. 20.9 Jahren in der Hauptstadt).

c) Zumindest in älteren Frauenkohorten hatte ein Fünftel zehn oder mehr Kinder, allerdings zeichnet sich hier ein Rückgang ab. Von den 7.3 geborenen Kindern dieser Frauengenerationen haben allerdings nur 5.5 Kinder bis zum Befragungszeitpunkt überlebt.

d) Männer werden im allgemeinen später Eltern als Frauen, wobei die älteren Männergenerationen – auch aufgrund von Polygamie – mehr eigene Kinder angeben als Frauen. Inwiefern die Angaben der Männer zuverlässig sind, bleibt allerdings offen.


Burkina Faso: Paritätsspezifische Verteilung der Geburtenhäufigkeit nach Alter der Frauen (2003)
Altersgruppe:

15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59

Zahl an Lebendgeburten:

0 83% 23% 5% 3% 1% 2% 1%

1 15% 33% 10% 4% 2% 3% 1%

2 2% 30% 23% 7% 4% 4% 3%

3 0 11% 28% 14% 8% 6% 5%

4 0 2% 21% 22% 12% 6% 5%

5 0 1% 9% 24% 14% 10% 7%

6 0 0 3% 14% 20% 13% 12%

7 0 0 1% 8% 18% 16% 17%

8 0 0 0 3% 11% 17% 15%

9 0 0 0 1% 6% 12% 13%

10+ 0 0 0 0 4% 11% 21%

Durchschnitt 0.20 1.40 2.96 4.42 5.80 6.58 7.31

Zahl an überlebenden

Kindern 0.18 1.17 2.45 3.59 4.61 5.12 5.54

Zum Vergleich:

Angaben Männer zu

Zahl an eigenen Kindern 0.00 0.22 0.94 2.38 4.64 6.90 8.26 10.15 12.49


Zu beachten: Querschnittserhebung (mit denkbaren Kohorteneffekten und Selektionseffekten aufgrund von Mortalität)

Quelle: INSD 2004:Tab. 4.5, für männliche Fertilität: Tabl. 4.10.


Die mittleren Geburtsintervalle (median) bewegen sich zwischen 34 Monaten bei den 20-29-jährigen Frauen, 37 Monaten bei den 30-39-Jährigen und 39 Monaten bei den 40-49-Jährigen. Oder in anderen Worten: Die mittleren Intervalle zwischen zwei Geburten bewegen sich um die 2.8 bis 3.2 Jahre (und nur insgesamt 13% der Geburten erfolgen in einem – nicht empfohlenen – Abstand von unter 24 Monaten). Die geringsten Geburtenabstände (30 Monate) ergeben sich, wenn das vorherige Kind verstarb.

Im regionalen Vergleich zeigen sich einige Unterschiede der mittleren Geburtenabstände (36 Monate in ländlichen Gebieten, gut 40 Monate in urbanen Regionen); eine nicht besonders grosse Variation. Deutlichere Unterschiede ergeben sich nach dem Bildungsstand der Mutter (35-36 Monate bei geringer Bildung, 41 Monate bei sekundärer Ausbildung). Frauen mit sekundärer Ausbildung erleben ihre Erstgeburt zudem im Mittel (median) erst mit 23 Jahren, im Vergleich zu 19 bis 19.5 Jahren in den übrigen Bildungskategorien.


Die ideale Kinderzahl von Frauen ist geringer als die tatsächliche Fertilität, und dies gilt insbesondere bei Frauen. Im einzelnen zeigt sich folgendes:

a) die ideale Kinderzahl aus Sicht der Männer liegt über der idealen Kinderzahl der Frauen. Dies gilt allerdings nur in ländlichen Regionen (und nicht für städtische Verhältnisse)

b) die ideale Kinderzahl der städtischen Bevölkerung liegt unter dem der ländlichen Bevölkerung, wobei das Ideal in den Städten eher höher liegt als die faktische Fertilität. In ländlichen Gegenden ist umgekehrt die faktische Fertilität höher als die ideale Kinderzahl.

c) jüngere Altersgruppen bzw. Kohorten von Frauen präferieren weniger Kinder als ältere Altersgruppen bzw. Kohorten. Die Idealvorstellungen zur Familiengrösse scheinen einem allmählichen Generationenwandel zu unterliegen.


Burkina Faso: Ideale Kinderzahl nach Alter und Wohnregion 2003
Durchschnittliche ideale Kinderzahl:

Frauen im Alter: Frauen Männer

15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 insgesamt insgesamt

insgesamt 5.1 5.2 5.4 5.8 5.9 6.2 6.4 5.6 6.3

ländliche Regionen 5.6 5.6 5.8 6.1 6.2 6.5 6.7 5.9 7.1

urbane Regionen 3.8 3.9 4.0 4.4 4.6 4.9 4.9 4.2 4.1


Quelle: INSD 2004: Tabl. 7.6.
Eine genauere Analyse der Daten erlaubt eine Differenzierung der (synthetischen) Fertilitätsrate für die fünf Jahre vor der Erhebung 2003 zwischen: a) Index der faktischen Gesamtfertilität (Indice synthétique de fécondité) und b) dem Index der gewünschten Gesamtfertilität (Indice synthétique de fécondité). Dieser zweite Index ist die faktische Fertilität minus erfolgte unerwünschte Geburten (gemäss Erhebung).

Auch diese Detaildaten belegen, dass die gewünschte Kinderzahl deutlich – um fast ein Kind – geringer liegt als die tatsächliche Kinderzahl (und der Wunsch vieler Frauen ist es, weniger als 5 bis 6 Kinder zu haben). Besonders ausgeprägt sind die Diskrepanzen zwischen gewünschter und tatsächlicher Kinderzahl in ländlichen Gebieten, aber auch in urbanen Regionen – mit faktisch deutlich tieferer Fertilität – zeigen sich Differenzen zwischen Kinderwunsch und faktischer Fertilität. Die vorher angeführte Tatsache, dass vor allem junge Generationen weniger Kinder möchten, kann dazu führen, dass Familiengründung und Fertilitätsverhalten junger Frauen (und teilweise junger Männer) in immer Familien zu intergenerationellen Diskussionen oder gar Konflikten beitragen kann.

Kinderwunsch und Kinderzahl sinken ganz klar mit steigendem Bildungsniveau der Frauen, wobei gleichzeitig Frauen mit sekundärer und tertiärer Ausbildung besser in der Lage sind, ihren Kinderwunsch – gegenüber Männern oder bzw. älteren Generationen – besser durchzusetzen. Bei dieser Gruppe von Frauen sind die Diskrepanzen zwischen Wunsch und Realität am geringsten.

Eine ähnliche Beziehung – wenn auch schwächer – wird sichtbar, wenn nach Wohlstandsquintile unterschieden wird.



Burkina Faso:

Gewünschte und faktische Fertilität in den fünf Jahren vorgängig der Erhebung von 2003
Index der: Index der

gewünschten Fertilität faktischen Fertilität Differenz

Insgesamt 5.4 6.2 + 0.8

Rurale Regionen 6.0 6.9 + 0.9

Urbane Regionen 3.2 3.7 + 0.5

Hauptstadt 2.8 3.1 + 0.3

Bildungsniveau der Frau

Keine Bildung 5.8 6.7 + 0.9

Primäre Bildung 5.0 5.8 + 0.8

Sekundäre Bildung und höher 2.5 2.8 + 0.3

Wohlstandsquintile:

Ärmstes Fünftel 6.2 7.1 + 0.9

Zweitärmstes Fünftel 6.1 7.1 + 1.0

Durchschnitt 5.9 6.8 + 0.9

Viertes Fünftel 5.8 6.7 + 0.9

Reichstes Fünftel 3.4 3.9 + 0.5


Quelle: INSD 2004: Tabl. 7.8
Fertilitätsentwicklung in ausgewählten aussereuopäischen Ländern 1950-55 bis 2008
Total fertility rates: 1950-55 um 2008

Yemen 8.2 6.2

Niger 8.1 7.1

Ethiopia 7.1 5.2

Guatemala 7.0 4.4

Uganda 6.9 6.7

Bangladesh 6.7 2.7

Mexico 6.7 2.3

South Africa 6.5 2.7

China 4 bis 5 1.6


Quelle: Population Reference Bureau 2008

Soziale Unterschiede der Geburtenhäufigkeit und des generativen Verhaltens
In den letzten Jahrzehnten wurde eine kaum mehr überblickbare Menge von Analysen über soziale Unterschiede in verschiedenen Aspekten des generativen Verhaltens (gewünschte und realisierte Kinderzahl, Familiengründungs- und Familienplanungsverhalten) durchgeführt. Dabei wurde eine Vielzahl unterschiedlicher und teilweise widersprüchlicher empirischer Beziehungen zwischen sozialen Indikatoren und dem Kinderwunsch oder der Kinderzahl von Paaren gefunden. Die meisten Analysen zur differentiellen Fertilität leiden daran, dass es sich um Querschnittsdaten handelt. Der prozesshafte und lebenszyklische Charakter generativen Verhaltens bleibt oft unberücksichtigt. Soziale Faktoren, wie Ausbildung, Einkommen, Berufsstatus usw., sind faktisch nur in Interaktion mit den einer Geburt vorgelagerten intermediären Einflussfaktoren und lebenszyklischen Entscheidungen von Bedeutung. Das Resultat sind komplexe Wechselwirkungen indirekter oder interaktiver Art, die sich einfachen linearen Erklärungsmuster entziehen.

Die in einem spezifischen Kontext zu einem spezifischen Zeitpunkt durchgeführten Studien zur differentiellen Fertilität lassen sich selten auf andere Kontexte, andere Geburtsjahrgänge oder andere Perioden verallgemeinern, da individuelles oder eheliches generatives Verhalten eng mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verhängt ist und sich im Verlaufe gesellschaftlicher Entwicklungen wandelt. Empirische Beziehungen - etwa Korrelationen zwischen Einkommen, Ausbildung, sozioökonomischem Status und gewünschter oder realisierter Kinderzahl - sind kohorten-, perioden- und kontextspezifisch geprägt (was sich etwa darin ausdrückt, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt festgestellte positive Korrelationen zu späteren Zeitpunkten negative Vorzeichen aufweisen können).

Auch die theoretische Einbettung vieler Studien zur differentiellen Fertilität kann bemängelt werden. Die bisherige Forschung zur differentiellen Fertilität hat eine Unmenge von Daten geliefert, ohne jedoch eine genügende theoretische Einordnung und Interpretation der Geburtenentwicklung zu ermöglichen. Häufig zeigt sich eine unreflektierte Gleichsetzung von Merkmal, Variable, Faktoren und Erklärung.


Schichtspezifische Unterschiede

Die schichtspezifischen Unterschiede generativen Verhaltens zeigen je nach den gesell­chaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten eine andere Form, und sie sind deshalb ohne Berücksichtigung makro-soziologischer Rahmenbedingungen nicht begreifbar. So verändern sich etwa die Beziehungen zwischen Haushalteinkommen und endgültiger Kinderzahl je nach sozio-ökonomischen Produktionsverhältnissen. In wenig industrialisierten Gesellschaften ist die Beziehung zwischen Einkommen und Kinderzahl teilweise positiv, da sich mit steigendem Einkommen die materiellen Ressourcen für eine frühe Familiengründung und viele Kinder verbessern. In Phasen rascher wirtschaftlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Modernisierung ergibt sich hingegen oft eine deutlich negative Beziehung zwischen Einkommen und der endgültigen Kinderzahl. Dies primär, weil die reicheren Sozialgruppen als erste moderne Verhaltens- und Wertmuster übernehmen, wozu auch die Übernahme des Modells der Kleinfamilie mit wenig Kindern gehört. In hochentwickelten Gesellschaften mit allgemein tiefer Geburtenhäufigkeit sind die Beziehungen zwischen Einkommensindikatoren und endgültiger Kinderzahl hingegen relativ schwach oder nicht linear.

In Europa waren es historisch die städtischen Oberschichten, die zuerst eine gezielte Geburten­beschränkung betrieben. Neben der französischen Oberschicht gehörten schweizerische Ratsgeschlechter protestantischer Städte (Genf, Zürich) zu den ersten Gruppen, die ihre Geburtenzahl gezielt einschränkten, und erste Formen der Geburtenbeschränkung lassen sich für die Zürcher Oberschicht schon ab Ende des 17. Jahrhunderts nachweisen. Auch in anderen europäischen Ländern gehörten die städtischen Oberschichten ab dem 18. Jahrhundert zu den Vorreitern einer gezielten Familienplanung. Wie Ulrich Pfister (1985) nachwies, lag der Hauptgrund für eine gezielte Geburtenbeschränkung im 18. Jahrhundert in ökonomischen Zwängen: Die zunehmende Aristokratisierung städtischer Sozialstrukturen behinderte die soziale Mobilität, und selbst für regierende Familien wurde es kostspieliger, ihre soziale Stellung zu behaupten. Vor allem 'zu viele' überlebende Söhne erwiesen sich als Bedrohung der sozialen Stellung, da jeder Sohn entsprechend auszustatten war. Ein sozialer Abstieg konnte vielfach nur durch Geburten­beschränkung verhindert werden. Wie heute waren somit auch früher die hohen ökonomischen Kosten von Kindern ein wichtiges Motiv, ihre Zahl zu begrenzen. Die unteren Volksschichten und vor allem die Bauern und ländlich geprägten Arbeiter folgten erst später.

Entsprechend weiteten sich in der ersten Phase des Geburtenrückgangs (Ende des 19. Jahrhunderts und anfangs des 20. Jahrhunderts) die sozio-ökonomischen Fertilitätsdifferenzen in verschiedenen Ländern (England & Wales, USA, Frankreich und Norwegen) merkbar aus. Auch in Deutschland zeigten sich in den 1930er Jahren markante schichtspezifische Unterschiede (höchste Fertilität bei Arbeitern, geringste Fertilität bei Angestellten und Beamten, wobei die Selbständigerwerbende eine mittlere Position einnahmen). Allerdings war die Kinderzahl bei einigen Gruppen der Unterschicht zeitweise ebenfalls gering, da wirtschaftliche Probleme (Arbeitslosigkeit oder wirtschaftliche Unsicherheit) eine Familiengründung überhaupt verhinderten.



Die damaligen Schichtunterschiede der endgültigen Kinderzahl widerspiegelten daher sowohl Unterschiede im Heiratsverhalten als auch Unterschiede in der Akzeptanz des Modells der Kleinfamilie mit nur wenig Kindern. Dies führte im 20. Jahrhundert vielfach zu nicht-linearen Beziehungen, da die Wohlstandseffekte (Reiche können früher eine Familie gründen und sich mehr Kinder leisten) mit klassen- bzw. schichtspezifischen Werthaltungen und 'Kosten-Nutzen'-Funktionen von Kindern interagierten. Zeitweise ergaben sich daher u-förmige Beziehungen zwischen Einkommen und der Kinderzahl von Ehepaaren, etwa wenn verarmte Unterschichten wegen fehlender Familienplanung relativ viele Kinder zur Welt brachten und einige Teile der Oberschicht sich aus dynastischen Gründen überdurchschnittlich viele Kinder wünschten. Gleichzeitig interagierten regionale und konfessionelle Faktoren mit sozio-ökonomischen Faktoren. Einzelne Subgruppen - wie reiche Landwirte, katholische Bürgerfamilien oder Landärzte usw. - wiesen zeitweise höhere Kinderzahlen auf, als andere Gruppen mit analogen sozio-ökonomischen Ressourcen.

Mit dem Durchbruch des Modells der Kleinfamilie in der Nachkriegszeit schwächten sich die schichtspezifischen Fertilitätsunterschiede ab, namentlich was die endgültige Kinderzahl betraf. Europäische Fertilitätsstudien, die seit in den 1970er Jahren durchgeführt wurden, konnten nur noch relativ schwache Beziehungen - meist u-förmiger Art - zwischen Statusindikatoren und Kinderwunsch bzw. Kinderzahl feststellen. Eine allgemein effiziente Familienplanung und die schichtübergreifende Norm, nur wenige Kinder zu haben, haben eine Angleichung generativer Verhaltensweisen der sozialen Schichten in den 1980er Jahre weiter begünstigt. Falls sich in europäischen Ländern heute noch schichtspezifische Unterschiede ergeben, zeigt sich - teilweise mit Ausnahme der obersten Sozialschicht - eine eher negative Beziehung zwischen sozialem Status (Ausbildung, Einkommen) und Kinderzahl; eine Relation, die primär schicht- und bildungsspezifische Unterschiede des Familiengründungsverhaltens (Alter bei Erstheirat und Erstgeburt) widerspiegelt. Seit den 1970er Jahren hat sich vor allem bei Teilen der oberen Sozialschichten (und speziell bei Frauen und Männern aus der Bildungsoberschicht) die Tendenz verstärkt, die Familiengründung zu verschieben oder ganz auf Kinder zu verzichten. Es ist heute in weiten Teilen Europas weniger die Kinderzahl an sich, die nach Statusindikatoren differenziert, sondern die Entscheidung, überhaupt eine Familie mit Kindern zu gründen.

Form und Stärke schichtspezifischer Unterschiede variieren somit je nach Kontextmerkmalen (wirt­schaftliche und soziale Modernität, allgemeines Geburtenniveau und Dynamik der Geburten­entwicklung usw.). Für post-moderne Gesellschaften mit ausgeprägter Individualisierung lässt sich zudem die These vertreten, dass nicht so sehr die allgemeine Schichtzugehörigkeit als der (teilweise selbstgewählte) Lebensstil generatives Verhalten und Handeln bestimmen.
Schulisch-berufliche Ausbildung

Im allgemeinen lässt sich eine deutlich negative Korrelation zwischen schulischer Ausbildung von Frauen und deren Kinderzahl beobachten. Eine negative Beziehung lässt sich sowohl in außereuropäischen Ländern mit allgemein hohem Geburtenniveau als auch in modernen europäischen Ländern - wenn teilweise in abgeschwächter Form - festhalten. In Ländern mit hohem Geburtenniveau wird eine verstärkte schulische Ausbildung von Frauen heute als zentrale Strategie zur langfristigen Geburtenreduktion propagiert. Frauen mit Schulausbildung heiraten zum einen später, und zum anderen sind sie besser in der Lage, ihre eigenen Wünsche - z.B. längere Geburtenabstände, weniger Kinder - gegenüber ihren Ehemännern und männlichen Verwandten durchzusetzen. Auch in modernen europäischen Ländern haben Ausbildungslänge und Ausbildungsniveau direkte und indirekte Wirkungen auf das generative Verhalten oder die endgültige Kinderzahl von Frauen:

Einerseits heiraten besser ausgebildete Frauen oftmals später und haben entsprechend später Kinder. Ein höheres Bildungs- und Ausbildungsniveau führt zu einem längeren Verbleib im Bildungssystem. Gleichzeitig beeinflusst die Ausbildung sexuelles und kontrazeptives Verhalten wie auch das Rollenverständnis in einer Partnerschaft. Hohe weibliche Bildung und späte Fami­liengründung, emanzipiertes Rollenverständnis und effektive Familienplanung sind im allgemeinen positiv assoziiert.

Andererseits ist das Ausbildungsniveau ein wichtiges Element des sozialen Status, und es erweist sich als signifikante intervenierende Variable bei der Analyse des Einflusses der Herkunftsfamilie auf das Familiengründungsverhalten. So können sich gut ausgebildete Frauen eher von Ehe- und Familienvorstellungen ihrer Eltern 'ablösen' und eigene generative Vorstellungen durchsetzen. Eine gute schulisch-berufliche Ausbildung erhöht die Chancen für gutbezahlte, statushohe Berufspositionen, womit sich die Bewertung generativer Optionen verschiebt: Je höher das Ausbildungsniveau von Frauen, um so höher sind die anfallenden Opportunitätskosten einer Familiengründung. Der Arbeitsmarkt wird attraktiver, Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten verbessern sich. Daraus resultiert, dass Frauen mit einem höheren Bildungsniveau eher auf Kinder verzichten.

Die Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte - die hauptsächlich die Bildungschancen der nach 1950 geborenen Frauen erhöhte - wird von vielen SoziologInnen als eine wesentliche Ursache des Wandels zu späterer Familiengründung angesehen. So wird auf eine stärker gewordene statistische Abhängigkeit des generativen Verhaltens von der Dauer der Bildungsbeteiligung und vom Bildungsniveau hingewiesen. Damit verfestigt sich das Bild, wonach eine Ausbildung und eine qualifizierte Erwerbstätigkeit zwar einerseits Frauen veranlassen, die Familiengründung zu verzögern oder mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu vermeiden. Andererseits stellen sie auch immer eher eine Voraussetzung für die Bewältigung der mit einer Familiengründung einhergehenden Risiken dar. Johannes Huinink (1995: 354) postulierte in diesem Zusammenhang ein zweifaches Polarisierungsphänomen generativen Verhaltens: Zum einen zeigen sich die (traditionellen) Unterschiede zwischen unteren und höheren Bildungsgruppen, zum anderen deutet sich eine Spaltung der oberen Bildungsgruppen in eine familienferne Bildungsoberschicht (Kinderlose) und eine auf neue Art familienorientierte Bildungsoberschicht. Eine solche Tendenz kann zu nicht-linearen Relationen zwischen Ausbildungsniveau einer Frau und ihrer Kinderzahl führen, z.B. in der Richtung, dass qualifizierte Frauen häufiger kinderlos bleiben; jene qualifizierten Frauen, die sich für Kinder entscheiden, hingegen häufiger mehr als zwei Kinder zur Welt bringen. Bei der Entscheidung gut ausgebildeter Frauen für oder gegen Kinder kommt daher kontextuellen Faktoren (wie etwa der strukturellen Vereinbarkeit beruflicher und familialer Rollen) eine entscheidende Bedeutung zu (vgl. dazu auch Kaufmann 2005, Künzler 2002)


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