François Höpflinger



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Wichtige Wandlungen

Als wichtige, inhaltlich verknüpfte Wandlungen im Rahmen eines zweiten demographi­schen Übergangs werden von ihren Vertretern folgende Aspekte betont (Lesthaeghe 1992: 349, van de Kaa 1994, Surkyn, Lesthaeghe 2002)):

a) ein Wandel in der gesellschaftlichen Akzeptanz von Sexualität, inkl. Akzeptanz vorehelicher Sexualität und homosexueller Beziehungen.

b) die Verfügbarkeit hochwirksamer Empfängnisverhütungsmittel und eine verstärkte Kontrolle der Frauen über Fortpflanzungsentscheide.

c) eine Verminderung der sozialen Kontrolle durch gesellschaftliche Institutionen oder, alternativ dazu, eine größere individuelle Autonomie, gekoppelt mit einer stärkeren Aus­richtung auf 'Märkte'.

d) eine verstärkte Betonung der persönlichen Bedürfnisse in bezug auf Lebens­gemein­schaften (inkl. Ehe) und eine höhere Wertschätzung partnerschaftlichen Austausches. Dies impliziert die Möglichkeit alternativer Lebensformen wie auch die Auflösung unbefriedigender Lebensgemeinschaften (Scheidung).

e) eine verstärkte Verknüpfung von beruflichen und familialen Orientierungen auch bei Frauen, anstelle eines Modells 'getrennter Lebenswelten'.

f) die 'Entdeckung' der Opportunitätskosten von Kindern und eine Entkoppelung der Altersversorgung von familialen Entscheiden.


Gesamtgesellschaftlicher Rahmen des zweiten demographischen Übergangs





Strukturelle Ebene

Kulturelle Ebene

Technologie


Gesamtgesell­schaftliche Dimensionen/ Prozesse

Entwicklung der post-industriellen Gesell­schaft:
-hoher Lebensstandard/

hohes Konsumniveau

-ausgebauter Sozial­staat

-hohe strukturelle Komplexität und funktionale Differenzierung

- hohe Mobilität

-erhöhtes Bildungs­niveau

-verstärkte weibliche Partizipation


'Post-moderne Werte'

('silent revolution' nach Inglehart):


- starke Konsum­orientierung

-Betonung individueller Wahlfreiheit

- erhöhter Werteplura­lismus

-institutionalisierte demokratische Werte

- verstärkte Säkularisierung

- Betonung immaterieller Werte



'Zweite kontrazeptive Revolution':

-effiziente Verhütungs­mittel

-neue Reproduktions­technologien

-moderne Transport­mittel

-verbesserte Kommuni­kation/Massenmedien

-ausgebaute Gesund­heitstechnologie



Sekundäre Gruppen


-Entwicklung breiter Mittelschichten

-Machtverlust tradi­tioneller Interessen­gruppen

-Entstehung neuer Aktionsgruppen


-verringerte normative Kontrolle von Institu­tionen

-multiple Orientierun­gen

-rapide Informations­verbreitung

-allgemeiner Zugang zu Informationskanälen


Primärgruppen

(Familie/Paare)

-Entstehung 'alterna­tiver Lebensstile'

- erhöhte Opportuni­tätskosten von Ehe und Kindern

-verstärkte Indepen­denz der Partner

-verschärfte beruflich-familiale Rollenkon­flikte

-normative Toleranz gegenüber neuen Lebensformen/ Kinderlosigkeit usw.

-veränderte ge­schlechtsspezifische Normen

-mehr Wahlfreiheit/ Optionen



-Möglichkeit der per­fekten Kontrazeption versus

Option des Gebrauchs von Reproduktions­technologien


Individuen

-verstärkte Bedeutung von Bildung für soziale Plazierung

-komplexe Rollen­erwartungen

-erwartete Flexibilität

-intergenerationelle Unabhängigkeit

-Betonung von Selbst-verwirklichung

-individueller Lebens­stil

-diffuse und wider­sprüchliche Verhaltens­normen


-kontrazeptives Verhalten als individuelle Entscheidung

-individuelle Verantwortung


Adaptiert von: Van de Kaa 1994, Surkyn, Lesthaeghe 2002
In der vorher angeführten Tabelle sind wesentliche Aspekte und Entwicklungen auf struktureller, kultureller und technologischer Ebene zusammengefasst, die mit dem Konzept eines 'zweiten demographischen Übergangs' für Westeuropa in Beziehung gebracht werden. Es ist allerdings nochmals zu betonen, dass sowohl die Idee eines zweiten demographischen Übergangs als auch die damit verbundenen Faktorenkonstellationen weiterhin umstritten sind. So ist zu beachten, dass zwar faktisch alle westeuropäischen Länder analoge demographische, soziale und wirtschaftliche Wandlungen erfahren haben, dies jedoch weiterhin ausgeprägte nationale oder regionale Divergenzen demographischer, sozialer und familialer Strukturen nicht ausschließt. Detaillierte Studien über Lebens- und Fami­lienformen in verschiedenen europäischen Ländern belegen die große Diversität von Familienstrukturen innerhalb Europas.
Das Konzept eines Übergangs impliziert zudem, dass der Wandel unwiderruflich ist. Inwiefern dies der Fall ist, muss offen bleiben. Es gibt jedoch gute Argumente dafür, dass zumindest wesentliche Elemente des Wandels (verstärkte individuelle Autonomie, Emanzipation und Statusgewinn der Frauen) selbst durch wirtschaftliche Krisen nicht vollständig rückgängig gemacht werden können. Eine Rückkehr zur Situation während den 1930 oder 1950er Jahren erscheint wenig wahrscheinlich. Aktuelle marktwirtschaftliche und sozialstaatliche Entwicklungen (Deregulierung und Priva­tisierung) erhöhen die Bedeutung individueller Ansprüche sogar weiter. Dennoch darf das Konzept des 'Übergangs' nicht dazu verleiten, die zukünftigen demographischen Entwicklungen einfach als Verlängerung der Gegenwart zu sehen. Nicht-lineare Entwicklungen, wie etwa ein markanter 'Baby-Boom', eine Re-Traditionalisierung der Lebens- und Familien­formen oder eine verstärkte moralische Aufwertung generativen Verhaltens durch neu-religiöse Bewegungen, sind auch in Westeuropa nicht undenkbar.
Benützte Literatur

Ariès, Pierre (1980) Two Successive Motivations for the Declining Birth Rate in the West, Population and Development Review,6,4: 645-650.

Coale, Ansley J. (1975) The Demographic Transition, in: United Nations (ed.) The Population Debate, New York: United Nations.

Coale, Ansley J.; Watkins, Susan C. (eds.) (1986) The Decline of Fertility in Europe, Princeton: Princeton University Press.

Galor, Oded (2004) The Demographic Transition and the Emergence of Sustained Economic GrowthProvidence: Department of Economics.

Gehrmann, Rolf (1979) Einsichten und Konsequenzen aus neueren Forschungen zum generativen Verhalten im demographischen Ancien Régime und in der Transitions­phase, Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 5: 455-485.

Höpflinger, François (1997) Bevölkerungssoziologie. Eine Einführung in bevölkerungs­soziologische Ansätze und demographische Prozesse, Weinheim: Juventa.

Knodel, John; van de Walle, Etienne (1986) Lessons from the Past: Policy Implications of Historical Fertility Studies, in: Ansley J. Coale, Susan Cotts Watkins (eds.) The Decline of Fertility in Europe, Princeton: University Press: 390-419.

Lee, Ronald (2003) The Demographic Transition: Three Centuries of Fundamental Change, Journal of Economic Perspectives, 17,4: 167–190.

Lesthaeghe, Ron (1992) Der zweite demographische Übergang in den westlichen Ländern: Eine Deutung, Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 18,3: 313-354.

Linde, Hans (1984) Theorie der säkularen Nachwuchsbeschränkung 1800 bis 2000 Frankfurt: Campus.

Notestein, Frank W. (1945) Population - The Long View, in: Theodor W. Schultz (ed.) Food for the World, Chicago: 36-57.

Shorter, Eduard (1975) Der Wandel der Mutter-Kind-Beziehungen zu Beginn der Moderne, Geschichte und Gesellschaft, 1,2/3: 257-287.

Surkyn, J./Lesthaeghe, R., 2002: Values Orientations and the Second Demographic Transition (SDT) in Northern, Western and Southern Europe: An update. Vrije Universiteit Brussel: Interface Demography

Szreter, Simon (1993) The Idea of Demograpic Transition and the Study of Fertility Change. A critical intellectual history, Population and Development Review, 19,4: 659-701.

Thompson, Warren S. (1929) Population, American Journal of Sociology,34, 6: 959-975.

Watkins, Susan C. (1990) From Local to National Communities: The Transformation of Demographic Regimes in Western Europe, 1870-1960, Population and Development Review, 16, 2: 241-272.

Van de Kaa, Dirk (1994) The Second Demographic Transition Revisited: Theories and Expectations, in: Gijs Beets, Hans van den Brekel et al. (ed.) Population and Family in the Low Countries 1993: Late Fertility and Other Current Issues, Lisse: Swets & Zeitlinger: 80-126.


Dokumentation zum Thema:

Geburtenentwicklung und theoretische Erklärungsansätze generativen Verhaltens (Familien­theoretische Erklärungsansätze der Geburtenbeschränkung, Mikro-analytische Erklärungsansätze generativen Verhaltens, Mikro-ökonomische und sozio-ökonomische Modelle, Sozialpsycho­logische und mikro-soziologische Ansätze
Geburtenentwicklung und theoretische Erklärungsansätze generativen Verhaltens
Begriffliche Klärung: Fruchtbarkeit, Fertilität, generatives Verhalten und generative Struktur

In der demographischen und bevölkerungssoziologischen Diskussion ist der klassische deutsche Begriff 'Fruchtbarkeit' faktisch durch den lateinischen Begriff 'Fertilität' (engl. 'fertility') ersetzt worden. Der Hauptgrund liegt darin, dass im Alltagsgebrauch der Begriff 'Fruchtbarkeit' eine biologische Prägung aufweist. Fruchtbarkeit wird häufig als Fähigkeit zur Fortpflanzung verstanden, analog wie die Bezeichnung 'Unfruchtbarkeit' umgangssprachlich meist mit biologisch bedingter Unfähigkeit zur Fortpflanzung gleichgesetzt wird. In der bevölkerungssoziologischen Diskussion steht jedoch nicht die biologische Fähigkeit, Kinder zu erzeugen (Fecundität), sondern der Vorgang der Erzeugung von Nachwuchs (Fertilität) im Zentrum.

Die Fertilität - als Resultat eines Prozesses der Nachwuchserzeugung oder Nach­wuchs­beschränkung - kann auf zwei Ebenen erfasst werden:

Erstens können einzelne Individuen oder Familien (Ehepaare) analysiert werden. So lässt sich etwa das Geburtenverhalten und die Kinderzahl von Frauen bzw. (Ehe)Paaren beobachten. Die Fertilität von Frauen bzw. Paaren ist das Resultat einer vielfältigen Kombination von Verhaltensweisen (inklusive Unterlassungen). Seit der grundlegenden Arbeit von Gerhard Mackenroth (1953) wird für diesen Verhaltenskomplex meist der Begriff 'generatives Verhalten' benützt. Generatives Verhalten bezieht sich sowohl auf jene Handlungen, die direkt auf Fortpflanzung abzielen als auch auf Verhaltensweisen, die sich aufschiebend oder einschränkend auf die Fortpflanzung richten (z.B. Geburtenverhütung usw.). Dieses individuelle generative Verhalten ist immer eingebettet in soziale und ökonomische Strukturen, kulturelle Wertsysteme und familiale Sinnorientierungen. Aus diesem Grund wird zusätzlich unterschieden zwischen generativem Verhalten und generativem Handeln, als einem sinnhaft orientierten und zielgerichtet tätigen Verhalten. Diese Differenzierung ist vor allem sinnvoll, wo anstelle klassischer Verhaltenstheorien mehr handlungstheoretische Konzepte im Sinne von Max Weber verwendet werden.

Zweitens lässt sich Fertilität auf einer aggregierten Ebene erfassen. So wird häufig das Geburtenniveau verschiedener Länder bzw. Regionen verglichen. Die Fertilität einer Bevölkerung wird zum einen vom generativen Verhalten der einzelnen Individuen und Familien bestimmt. Zum anderen ist auch die Bevölkerungsstruktur relevant. Von Bedeutung sind insbesondere Zahl und Alter von Frauen im gebärfähigen Alter sowie Heiratsverhalten und Generationenabstände. Gleichzeitig wirkt die Fertilität ihrerseits auf die Bevölkerungsstruktur zurück, da Veränderungen der Fertilität die Altersstruktur der Bevölkerung beeinflussen.

Gerhard Mackenroth hat für die Bevölkerungsweise einer Gesellschaft den Begriff 'generative Struktur' geprägt. Er geht davon aus, dass generative Verhaltensweisen mit dem Sozialsystem, in das sie eingebettet sind, in einer sinnvollen Beziehung stehen und ein in sich gefügtes Ganzes bilden. Zu den Elementen der generativen Struktur gehören:

a) die Heiratsstruktur (durchschnittliches Heiratsalter, Heiratshäufigkeit, Scheidungshäufigkeit),

b) die Struktur der Fruchtbarkeit (eheliche Fruchtbarkeit, uneheliche Fruchtbarkeit, Gebäralter und Geburtenfolge bzw. durchschnittlicher Generationenabstand),

c) die Struktur der Sterblichkeit (alters- und geschlechtsspezifische Absterbeordnung).

Sachgemäß unterliegt die generative Struktur - wie alle gesellschaftlichen Strukturen - einem historischen Wandel, und sie wird durch generationen- bzw. kohortenspezifisches generatives Handeln bestimmt. Das wechselseitige Verhältnis von Fertilität, generativem Verhalten und generativer Struktur lässt sich gemäß folgendem Schema zusammenfassen:



Intermediäre Variablen der Fertilität und ein soziologisches Rahmenmodell

Die Fertilität wird einerseits bestimmt durch Faktoren, die direkt und unmittelbar die Wahrscheinlichkeit einer Geburt bestimmen (intermediäre Variablen, engl. 'intermediate variables'). Von Bedeutung sind andererseits aber auch indirekte Einflüsse, die mittelbar, durch ihren Einfluss auf solche intermediären Variablen, die Fertilität beeinflussen. Diese Unterscheidung ist insofern wichtig, als die intermediären Faktoren der Fertilität (wie Geschlechtsverkehr und Befruchtung, Empfängnisverhütung, spontaner Abort usw.) zwar die Wahrscheinlichkeit einer Geburt bestimmen, jedoch aus soziologischer Sicht oft wenig erklären. Die bedeutsamen sozialen, kulturellen und ökonomischen Erklärungsfaktoren bestimmen die Fertilität nur indirekt, über ihren Einfluss auf diese intermediären Variablen.

Zu den zentralen intermediären Variablen der Fertilität gehören folgende 11 Variablen:
I. Faktoren, die den Geschlechtsverkehr beeinflussen ('intercourse variables')

A) Faktoren, welche die Bildung und Auflösung sexueller Beziehungen während der Fortpflan­zungsperiode beeinflussen:

1. Alter bei Eingehen sexueller Kontakte,

2. Ständige Enthaltsamkeit (Anzahl Frauen ohne hetero-sexuelle Beziehungen),

3. Unterbrechung bzw. Auflösung von Beziehungen durch Trennung, Scheidung

oder Tod des Partners.

B) Faktoren, die den Geschlechtsverkehr innerhalb bestehender hetero-sexueller Partnerschaften beeinflussen:

4. Freiwillige Enthaltsamkeit,

5. Unfreiwillige Enthaltsamkeit (durch Abwesenheit, Krankheit, Impotenz),

6. Koitushäufigkeit (Perioden der Enthaltsamkeit ausgenommen).



II. Faktoren, welche die Empfängnis beeinflussen ('conception variables')

7. Natürlich gegebene Empfängnismöglichkeit oder -unmöglichkeit,

8. Praktizieren oder Nichtpraktizieren von Empfängnisverhütung,

9. Bewusst geschaffene Empfängnismöglichkeit oder -unmöglichkeit

(Sterilisation, medizinische Behandlung gegen Infecundität usw.).

III. Faktoren, welche die Schwangerschaft und Geburt beeinflussen ('gestation variables')

10. Natürliche, nicht herbeigeführte Fötussterblichkeit (wie spontaner Abort),

11. Abtreibung.
Durch diesen Variablenkatalog werden alle einer Geburt vorgelagerten intervenierenden Einflussfaktoren erfasst. Das Gewicht der einzelnen intermediären Variablen ist sachgemäß je nach den gesellschaftlichen Verhältnissen unterschiedlich. Zu Diskussionen Anlass gibt immer wieder die Frage, inwiefern intermediäre Variable nicht nur notwendige, sondern auch hinreichende Erklärungsfaktoren der Geburtenentwicklung sind. Beispielsweise kann die Frage gestellt werden, inwiefern die Erfindung neuer Mittel der Empfängnisverhütung (wie etwa der Verhütungspille) an sich zur Geburtenbeschränkung geführt hat (These vom Pillenknick), oder ob damit nur ein Instrument geschaffen wurde, um bestehenden Wunschvorstellungen von einer Familie mit wenig Kindern zum Durchbruch zu verhelfen. Im allgemeinen wird von soziologischer Seite eher die zweite Ansicht vertreten, aber es gibt durchaus auch Hinweise, dass technische Innovationen - wie die Erfindung der Pille - direkte Auswirkungen zeitigen. So konnte der englische Forscher Mike Murphy (1993) in Zeitreihenanalysen feststellen, dass die Verbreitung im Gebrauch der Verhütungspille auch nach statistischer Kontrolle sozio-ökonomischer Faktoren für die Geburten­entwicklung signifikant war.

Von soziologischem Interesse sind die intermediären Variablen vor allem, weil damit Variablen angesprochen werden, die in allen Gesellschaften starken sozialen und kulturellen Normierungen unterworfen sind. Dies gilt sowohl für Fragen des Geschlechtsverkehrs als auch für Fragen von Empfängnisverhütung und Geburtenverhinderung (inkl. Abtreibung). Damit lässt sich die Beobachtung verstehen, weshalb auch in vorindustriellen Gesellschaften das Fertilitätsniveau enorm variierte.
Unter Berücksichtigung der intermediären Variablen hat Ronald Freedman (1975: 15) ein soziologisches Rahmenmodell zur Analyse des generativen Verhaltens entwickelt. Er verbindet die Klassifikation intermediärer Variablen einerseits mit gesellschaftlichen Normen (Normen zur Familiengröße und Normen in bezug auf die intermediären Variablen). Andererseits bezieht er soziale und demographische Strukturfaktoren in den Erklärungsrahmen der Fertilität ein. Angesichts der vielfältigen Wechselbeziehungen in diesem Rahmenmodell wird klar, welch hohe Ansprüche an eine differenzierte Theorie der Fertilität gestellt sind. Entsprechend verwundert nicht, dass diesbezüglich kein paradigmatischer Konsens gefunden werden konnte, und dass eine ganze Reihe konkurrenzierender Erklärungsansätze vorliegt (vgl. van de Kaa 1997).

Zur Geburtenentwicklung der letzten Jahrzehnte in europäischen Ländern

Ab Mitte der 1960er Jahre begannen die Geburtenraten in den hochentwickelten Ländern Westeuropas und Nordamerikas rasch zu sinken, und in den 1970er und 1980er Jahren waren die meisten Länder Europas durch außergewöhnlich tiefe Fertilitätsraten gekennzeichnet. In Westdeutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern (Niederlande, Österreich, Schweiz, Dänemark u.a.) verblieben die Fertilitätsraten seit Beginn der 1970er Jahre unter dem für die Bestandeserhaltung der Bevölkerung notwendigen Niveau von rund 210 Geburten pro 100 Frauen). Vom Rückgang der Geburtenhäufigkeit wurden - mit einigen Jahren Verzögerung - auch die südeuropäischen Länder und - weniger eindeutig - einige osteuropäische Länder betroffen. Zu Beginn der 1990er Jahren gehörten Italien und Spanien zu den Ländern mit der europaweit geringsten Geburtenhäufigkeit. Demgegenüber stieg die Geburtenhäufigkeit in Schweden - einem Vorreiter des Wandels zu nichtehelichen Formen des Zusammenlebens - in den 1980er Jahren wieder an. Andere europäische Länder erfuhren in den letzten Jahren ebenfalls entweder eine Stabilisierung oder einen gewissen Wiederanstieg der (periodenspezifischen) Geburtenraten. Auch für die nähere Zukunft ist - auf einem zumeist tiefen Niveau - mit Fluktuationen der (perio­denspezifischen) Geburtenraten nach oben oder nach unten zu rechnen, da sogenannte 'Tempo-Verschiebungen ' - d.h. eine zeitliche Vorverlegung oder Verzögerung der Geburt von Kindern - die Geburtenzahlen wesentlich beeinflussen können.

In den osteuropäischen Ländern haben die sozial- und wirtschaftspolitischen Umwälzungen der 1990er Jahre zu zeitweise dramatischen Rückgängen der Geburten- und Heiratsraten geführt. So sank etwa in Ostdeutschland die Zahl von Eheschließungen und Geburten zwischen 1989 und 1993 um rund 65%. Dies widerspiegelt nicht nur ein 'Aufschieben' von Geburten, sondern auch einen endgültigen Verzicht auf (weitere) Kinder aufgrund schlechter wirtschaftlicher Rahmen­bedingungen (Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel usw.)

Insgesamt verblieben die Geburtenraten der meisten europäischen Länder zu Beginn des 21. Jahrhunderts unter dem sogenannten 'Reproduktionsniveau', und sofern das Geburtendefizit nicht durch Einwanderung kompensiert wird, ist ein markanter Rückgang der Bevölkerungszahl langfristig unvermeidlich.



Der Index der Gesamtfruchtbarkeit (IGF, engl. 'total fertility rate') kann allerdings irreführend sein, da es sich um eine Querschnittsbetrachtung handelt, die durch Tempoverschiebungen der Fertilität beeinflusst wird. Zudem ist es ein nicht allzu aussagekräftiger Indikator, da damit nicht bekannt wird, wieviele Frauen kinderlos bleiben und wieviele Frauen ein, zwei oder drei Kinder zur Welt bringen. Aussagekräftiger sind Angaben, die das Verhalten spezifischer Geburtsjahrgänge nach­vollziehen (sogenannte kohortenspezifische Daten), insbesondere wenn sie nach Zahl der geborenen Kinder aufgegliedert sind. So hat sich der Anteil von Frauen, die drei oder mehr Kinder gebären, deutlich reduziert. So beschränken sich die Präferenzen junger Paare in Europa heute weitgehend auf nur wenige Kinder, und kinderreiche Familien sind in jüngeren Frauengenerationen selten geworden. Frauen, die heute eine Familie gründen, beschränken sich weitgehend auf ein oder zwei Kinder. Von den 1958 geborenen westdeutschen Frauen, die überhaupt eine Familie mit Kindern gründeten, beschränkte sich ein gutes Drittel (36%) auf ein Kind, 44% hatten zwei Kinder und nur 20% drei oder mehr Kinder. Eine kleine Familie mit wenig Kindern wird generell als 'ideale Familiengröße' angesehen. Bei den jüngsten Frauengenerationen - d.h. Frauen, die in den 1970er und 1980er Jahren ins 'gebärfähige Alter' kamen - stieg zudem der Anteil der Kinderlosen an. Während in früheren Frauengenerationen oft wirtschaftliche Krise und Kriege eine Heirat und Familiengründung verhinderten, scheinen bei der jüngsten Frauen­eneration eher individuelle und berufsbezogene Gründe zur Kinderlosigkeit zu führen. Entsprechende Studien deuten allerdings darauf hin, dass Kinderlosigkeit vielfach mehr die Folge einer wiederholten Verschiebung einer Familiengründung als das Ergebnis einer früh und bewusst getroffenen Entscheidung gegen Kinder ist. Im intereuropäischen Vergleich ist auffallend, dass - obwohl alle westeuropäischen Länder eine verzögerte Familiengründung aufweisen - ein markanter Trend zu verstärkter Kinderlosigkeit nur in ausgewählten Länder feststellbar ist, und beispielsweise in Schweden oder Frankreich kaum zu beobachten ist Im intereuropäischen Vergleich lässt sich feststellen, dass Kinderlosigkeit primär in jenen Ländern deutlich angestiegen ist, die zwar einen raschen Wandel des Eheverhaltens und der zeitlichen Gestaltung der Familiengründung erlebt haben, jedoch weiterhin eine ausgeprägte Unvereinbarkeit von Berufs- und Familienleben aufweisen (z.B. weil die familienexterne Kinder­betreuung mangelhaft ausgebaut ist). Sofern dies zutrifft, kann die Zunahme der Kinderlosigkeit in einigen Ländern durchaus ein vorübergehender Trend darstellen, bis Sozialpolitik und Arbeitswelt stärker auf die Interessen junger Mütter Rücksicht nehmen. Allerdings ist in Europa auch inskünftig mit einem allgemeinen geringen Geburtenniveau unter oder höchstens knapp über dem 'Reproduktionsniveau' zu rechnen.

Entwicklung der Gesamtfruchtbarkeit in europäischen Ländern seit 1960
Index der Gesamtfruchtbarkeit (IGF)

Land: 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 2001 2007/08


Nordeuropa:

- Dänemark 2.5 2.6 2.0 1.9 1.6 1.5 1.7 1.7 1.8

- Estland 2.0 1.9 2.2 2.0 2.0 2.1 2.0 1.3 1.7

- Finnland 2.7 2.5 1.8 1.7 1.6 1.6 1.8 1.7 1.7

- Lettland 1.9 1.7 2.0 2.0 1.9 2.1 2.0 1.2 1.5

- Litauen 2.6 2.2 2.4 2.2 2.0 2.1 2.0 1.3 1.4

- Norwegen 2.9 2.9 2.2 2.0 1.7 1.7 1.9 1.8 1.9

- Schweden 2.2 2.4 1.9 1.8 1.7 1.7 2.1 1.6 1.9

- Grossbritannien 2.7 2.8 2.4 1.8 1.9 1.8 1.8 1.6 1.9

- Irland 3.8 4.0 3.9 3.4 3.2 2.5 2.1 2.0 2.1



Westeuropa:

- Belgien 2.5 2.6 2.3 1.7 1.7 1.5 1.6 1.7 1.7

- Deutschland 2.4 2.5 2.0 1.5 1.6 1.4 1.5 1.4 1.3

- Frankreich 2.7 2.8 2.5 1.9 2.0 1.8 1.8 1.9 2.0

- Niederlande 3.1 3.0 2.6 1.7 1.6 1.5 1.6 1.7 1.7

- Schweiz 2.4 2.6 2.1 1.6 1.6 1.5 1.6 1.4 1.5



Zentraleuropa:

- Österreich 2.7 2.7 2.3 1.8 1.7 1.5 1.5 1.3 1.4

- Polen 3.0 2.5 2.2 2.3 2.3 2.3 2.0 1.3 1.3

- Slovenien 2.2 2.5 2.1 2.2 2.1 1.7 1.5 1.2 1.4

- Tschechoslowakei 2.4 2.4 2.1 2.4 2.2 2.1 2.0 /1.1* 1.4

- Ungarn 2.0 1.8 2.0 2.4 1.9 1.8 1.8 1.3 1.3



Südeuropa:

- Bulgarien 2.3 2.0 2.2 2.2 2.1 2.0 1.7 1.2 1.4

- Griechenland 2.2 2.3 2.3 2.4 2.2 1.7 1.4 1.3 1.4

- Kroatien 2.2 2.2 1.8 1.9 1.9 1.8 1.7 1.4 1.4

- Italien 2.4 2.6 2.4 2.2 1.7 1.5 1.4 1.2 1.3

- Portugal 3.1 3.1 2.8 2.6 2.1 1.7 1.5 1.5 1.3

- Rumänien 2.3 1.9 2.9 2.6 2.5 2.3 1.8 1.2 1.3

- Spanien 2.8 3.0 2.8 2.8 2.2 1.6 1.3 1.3 1.4


*Tschechische Republik

Quelle: Statistische Quellenwerke der Länder.


Die nachfolgenden illustrieren Geburtenhäufigkeit und Entwicklung zur Kinderlosigkeit bei ausgewählten Geburtsjahrgängen von Frauen in der Schweiz. Ab dem Geburtsjahrgang 1945 liegt das Geburtenniveau unter zwei Kindern. Kinderreiche Familien sind in der Schweiz selten geworden, wodurch Kinder oft ohne viele Geschwister und nachfolgende Generationen ohne viele Tanten und Onkel aufwachsen.
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