Revolution für die Freiheit



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Revolution für die Freiheit

Clara und Paul Thalmann




Inhalt


Inhalt 3

DER WEG NACH MOSKAU 7

Wie ich zu den Jungburschen kam 7

Der Casinokrawall 9

Generalstreik 1918 9

Basler Auguststreik 1919 10

Über alle Grenzen 11

Die Spaltung der Arbeiterbewegung 16

Rote Armee gegen Weiße Armee 18

Moskau 1922 19

Moskau 1924 nach Lenins Tod 22

Direkte Aktion 28

Das rote Denkmal 29

Arbeiterstudent in Moskau von 1925 bis 1928 30

Sommer in Sibirien 31

Schule in demokratischem Zentralismus 33

Der Deutsche Klub in Moskau 34

Die Opposition wird zerschlagen 35

Auf Parteiarbeit in der Ukraine 36

In der Roten Armee 39

Abschied von Moskau 40

Links der Kurs 41

Die Schaffhauser Opposition 45

Redakteur in Schaffhausen 48

«Genossenschaft Kiste» 51

Rupft die Millionäre 53

IM SPANISCHEN BÜRGERKRIEG 57

Von der Schwierigkeit, nach Spanien zu reisen 57

Barcelona 1936 59

Feuertaufe am Monte Aragon 61

Bei den Anarchisten in La Zaida und Gelsa 62

Madrid, September 1936 64

Rund um den Alcázar 66

Siguenza 67

Radio POUM 68

Aranjuez 69

Franco vor Madrid 69

Volksfrontregierung Largo Caballero 70

Die russischen Flugzeuge 72

Helvetisches Intermezzo 73

Bei der DAS in Pina 75

Bei der POUM 79

Der Maiaufstand in Katalonien 81

Illegal 86

In den Fängen der GPU 88

Puerta del Angel 89

Santa Ursula 94

Pedro Hirten 95

Clara singt 96

Fritz Raab 97

«Gäste» der Regierung 99

IM WELTKRIEG 103

Friedel 104

Das spanische Drama 105

Rudolf Klement 106

Die Wandlung des Herbert Bucher 107

Kriegsausbruch 108

Drole de Guerre 110

Frankreichs Zusammenbruch 113

Exodus 115

Begegnung mit der Gestapo 119

Herr Künstler 121

Das Banksafe 122

Charles Wolf 122

Der Pavillon 123

Der Chiropraktiker 124

15. Juli 1942 125

Thesenfabrikanten 127

Koschka 128

Herr Morel 130

Margot Schröder 132

Der bekehrte Emigrant 134

Ein spanischer Anarchist im besetzten Paris 136

Viktor 139

Die Befreiung von Paris 142

SOZIALISMUS ODER BARBAREI 146

Anhang 153

Gespräch mit Paul („Pavel”) Thalmann 153

Anmerkungen 163

Abkürzungen 164




DER WEG NACH MOSKAU

Wie ich zu den Jungburschen kam


Im vierten Jahr des Ersten Weltkrieges, im Winter 1917, wurde die Kriegsmüdigkeit in allen Ländern spürbar. Die ersten, noch ungenauen Nachrichten über eine Revolution in Rußland zeugten davon. Auch in der Schweiz war die Lebenshaltung der Bevölkerung denkbar schlecht, und am schlechtesten für die arbeitende Bevölkerung. Die Rationierung der - miserablen - Lebensmittel schuf keinen gerechten Ausgleich; wer Geld besaß, konnte sich auf dem florierenden Schwarzmarkt kaufen, was ihm beliebte. Die Löhne wurden durch die zunehmende Teuerung dauernd entwertet, hielten mit den steigenden Preisen nicht Schritt. In zahlreichen Kundgebungen gegen die Teuerung, in Streiks gegen die schlechten Arbeitsbedingungen, die ungenügenden Löhne machte sich die Arbeiterschaft Luft.

Während in den Proletarierfamilien Fleisch gar nicht oder höchstens am Sonntag auf den Tisch kam, selbst Kartoffeln nicht immer zu haben waren und die Bäcker ein graues, schwer genießbares Brot lieferten, konnten sich gewisse Kreise alles leisten. Schieber, Spekulanten und Wucherer verdienten scheffelweise, eine ganze Schicht von Neureichen stellte ihren frischerworbenen Reichtum schamlos zur Schau.

Ende 1917 beschloß der Schweizer Bundesrat die Einführung der Zivildienstpflicht. Personen vom 14. bis zum 60. Lebensjahr konnten zwangsweise zum Zivildienst - hauptsächlich für Meliorationsarbeiten - aufgeboten werden. Dagegen setzte sich die Arbeiterschaft zur Wehr, in Zürich kam es zu Streiks und Unruhen. Die Regierung in Bern erließ ein Truppenaufgebot, das, da jede äußere Bedrohung fehlte, nur gegen den «inneren Feind» gerichtet war. Gewerkschaften und die sozialdemokratische Partei protestierten gegen diese Maßnahmen und kamen in Olten zu einer Konferenz zusammen, um die wirksamsten Kampfmittel zu beraten. Daraus entstand später das Oltener Aktionskomitee, das den Landesstreik organisierte. Damals arbeitete ich als Siebzehnjähriger in der Kistenfabrik Bachofen-Dennler am Klingelberg. In der Bude schafften zwei Dutzend Schreiner, Kistenmacher und einige Maschinisten, alle im Bau- und Holzarbeiterverband organisiert. Einige von ihnen, eingebürgerte Deutsche, hatten zum deutschen Arbeiterverein gehört. Schon nach wenigen Tagen war auch ich neugebackenes Mitglied der Gewerkschaft und nahm teil an zahlreichen Kundgebungen und Versammlungen, die in Basel wie in allen Schweizerstädten stattfanden. Bei diesen Manifestationen lernte ich viele jugendliche Angehörige der «Jungburschen» kennen, fand sofort Anschluß und wurde Mitglied der Organisation.

Die «Jungburschen» hatten sich in den Kriegsjahren zu einem relativ starken sozialistischen Jungendverband entwickelt. Zur Zeit meines Beitritts mag er vier- bis fünftausend Mitglieder gezählt haben. Er gab wöchentlich eine Zeitung heraus, die «Freie Jugend». Ende 1917 erschien monatlich die «Jugendinternationale» als internationales Organ. Im jungen deutschen Emigranten Willi Münzenberg besaß der Verband einen begabten Redner und genialen Organisator. Von mittlerer Größe, mit einem blassen, etwas schief geratenen Gesicht, entfaltete er eine unglaubliche Aktivität und verstand durch seine zündenden Reden, die Jugend mitzureißen. Münzenberg stand in Zürich mit den vielen russischen Emigranten in Verbindung. Lenin widmete dem jungen Agitator besonderes Interesse und beeinflußte ihn nachhaltig. Am stärksten geprägt wurde Münzenbergs Denken durch den Zürcher Arzt Fritz Brupbacher. Obwohl Brupbacher Anarchist war, begeisterter Anhänger Michael Bakunins, verkehrte er viel mit den russischen Revolutionären, mit denen er nächtelang hart diskutierte. Sein menschliches “Wirken als Arzt der armen Bevölkerung, seine vielseitige, dabei völlig selbstlose schriftstellerische Tätigkeit hatten ihm in der Schweiz, zumal in der Zürcher Arbeiterbewegung, eine einzigartige Stellung verschafft. Als glühender Verteidiger der russischen Revolution, solange diese nach dem Rezept Bakunins handelte, stieß Brupbacher den sozialistischen Jugendsekretär und seine Bewegung vorwärts zu radikalen Positionen.

Das Wirken des deutschen Emigranten fiel der Regierung in Bern lästig; man warf den gefährlichen Ausländer ins Gefängnis und wies ihn dann aus. Die Zeitungen der Jugendbewegung, «Freie Jugend» und «Jugendinternationale», durften nicht mehr erscheinen. Das Zentralkomitee der «Jungburschen» wurde von Zürich nach Basel in die Burgvogtei verlegt. In ihrer Blütezeit zählte die Basler Sektion vier- bis fünfhundert Mitglieder, beinahe ausnahmslos junge Arbeiter, Arbeiterinnen und Lehrlinge - die studentische Jugend fehlte fast ganz.

In diesen Reihen herrschte ein unermeßlicher Drang nach Wissen, Bildung und Aktion. Wohl schoben sich aufgrund der explosiv-revolutionären Situation jener Jahre politische Probleme in den Vordergrund, doch ging die jugendliche Wißbegierde viel weiter und tiefer. Die Großen der russischen Literatur, Tolstoi, Dostojewski, Gogol, Turgenjew, die deutschen Klassiker Goethe, Schiller, Lessing, Heine wurden verschlungen und diskutiert. Ein besonderes Merkmal der Bewegung bestand in ihrer strikten Alkoholabstinenz. Wie sollte diese interessierte und aktivierte Jugend nicht die russische Revolution stürmisch begrüßen, nicht aus tiefer Verehrung zu ihren Führern Lenin und Trotzki aufblicken!

Mit Feuereifer stürzte ich mich auf die belletristische und politische Literatur, die die Schundliteratur verdrängte. Nächtelang saß ich zum Kummer meiner Mutter über den Büchern. Bald konnte ich in den wöchentlichen Versammlungen mitreden, und nach einiger Zeit avancierte ich zum Schriftführer der Sektion Großbasel.

Die Verlegung des Zentralkomitees nach Basel machte eine Neuorganisation erforderlich. Münzenberg mußte ersetzt werden, an Stelle der verbotenen «Freien Jugend» erschien ein neues Blatt mit dem Titel «Neue Jugend». Im neuen Zentralkomitee wirkten Emil Arnold, Fritz Lieb, Fritz Sulzbachner, für kürzere Zeit, Edgar Woog. Jugendsekretär wurde Emil Arnold. Er besaß neben einem soliden Wissen unstreitig organisatorische Talente. Auf den Schultern seines ungeschlachten Körpers saß ein großer Kopf mit breitem, früh zerfurchtem Gesicht.

Arnold, von Beruf kaufmännischer Angestellter, in der Jugendbewegung unter dem Spitznamen «Räuber» bekannt, war durch seinen Witz und seine Schlagfertigkeit bei den Arbeitern beliebt. Fritz Sulzbachner, der Postbeamte, war von anderem Schlage. Groß und schlank, mit kohlschwarzen Haarsträhnen bis über die dicke Hornbrille, verkörperte er den Typ des anarchistischen Bohemien, doch auf seriöse Art. Der außerordentlich belesene und sprachbegabte Sulzbachner nahm frühzeitig mit linksextremen Kreisen in Deutschland Verbindung auf. Seine besondere Neigung galt der Psychoanalyse, er kannte sich aus bei Freud, Reich und Jung. Ihm war es zu verdanken, daß die Literatur der deutschen Linken zu uns ins Land kam, in den Kreisen der Jugend verbreitet und gelesen wurde. Franz Pfemferts Berliner Monatsschrift «Aktion» stand künstlerisch und politisch auf hohem Niveau. Durch Sulzbachner und die «Aktion» gelangten wir in Berührung mit der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD). Die KAPD hatte sich bereits 1919 auf dem Kongreß der kommunistischen Partei (Spartakusbund) abgetrennt. Sie war fanatisch antiparlamentarisch und vertrat den Rätegedanken. In den Jahren 1919 bis 1923 spielte diese Partei in allen revolutionären Kämpfen in Deutschland eine hervorragende Rolle. Sie leitete den mitteldeutschen Aufstand, Max Holz war ihr Rebellenführer und ihr politischer Kopf der ehemalige Reichstagsabgeordnete Otto Rühle, der als erster zusammen mit Karl Liebknecht die Kriegskredite abgelehnt hatte. Dank dieser Beziehungen blieb ein gewisser Hauch anarcho-syndikalistischer Ideen bei uns Jungen haften, der nur langsam den bolschewistischen Ideen wich.

Mit dem jungen Theologiestudenten Fritz Lieb kam ein Element des von den Ereignissen aufgeschreckten Bürgertums in die Bewegung. Gewiß haben auch ein Schuß Romantik und ehrlicher Idealismus Liebs Eintritt in die Reihen der sozialistischen Jugend bewirken helfen; aber seine eigentlichen Beweggründe waren sein starkes Gerechtigkeitsgefühl und ein tief empfundener Humanismus. Nur für kurze Zeit amtierte im Zentralkomitee der Bibliothekar Edgar Woog. Er wanderte dann frühzeitig nach Mexiko aus, wo er später Vertreter der Kommunistischen Internationale für die lateinamerikanischen Länder wurde. Aus Zürich erschien ab und zu Willi Trostel zu den Sitzungen, doch widmete er sich nach 1922 mehr und mehr der Roten Hilfe, einer Organisation zur Unterstützung politisch Verfolgter, und disponierte dort nach Anweisungen aus Moskau über ansehnliche Summen.

An der Spitze der «Internationalen Arbeiterhilfe» (gegründet 1921), die er mit Geschick ins Leben gerufen hatte, stand Willi Münzenberg. Von Berlin aus verstand er es, eine weit- und dabei selbst weite bürgerliche Kreise umfassende Hilfsaktion für das von Hungersnot und Bürgerkrieg heimgesuchte Rußland aufzuziehen. Wir Jungsozialisten beteiligten uns eifrig an den stets erfolgreichen Lebensmittel-, Kleiderund Wäschesammlungen.

Die Beziehungen der sozialistischen Jugend zur sozialdemokratischen Partei waren eng, doch nicht immer erfreulich. Es gab zahllose Reibereien, die Jungen standen links, waren «bolschewistisch», allen Leisetretern ein Dorn im Auge. Auf die sich formierende Parteilinke übte die Jugend einen starken Druck aus, um die schwankenden Elemente zu festigen. Die organisatorischen Beziehungen zwischen Partei und Jugend blieben unklar; viele Mitglieder der Jugendorganisation waren individuell Mitglied der Partei, zugleich aber war die Jugendorganisation als Ganzes Kollektivmitglied. In den Parteiversammlungen kam es bei Abstimmungen dauernd zu Zänkereien über das Stimmrecht einzelner Jugendlicher. Zudem mußte die Parteikasse der Jugendbewegung dauernd unter die Arme greifen, was die spröde Liebe der Alten zu den Jungen beträchtlich abkühlte. Die Parteiführung mochte keine Organisation unterstützen, die ihre Hauptaufgabe im Kampf gegen die «alte, bewährte» Parteitaktik erblickte.



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