Nach meinem Abgang aus der Jugend war Arbeit in der Partei geboten. Die Manöver Hofmaiers hatten in der Jugend und Partei viel Unwillen erregt, doch da ich von mir aus zurücktrat, legte sich das rasch. Von der Partei erhielt ich den Auftrag, in den chemischen Betrieben Basels Betriebszellen zu bilden. Das war damals wohl der härteste Boden selbst für gewerkschaftliche Arbeit, da diese von den Betriebsleitungen unterdrückt wurde. Die Bildung kommunistischer Betriebszellen war blanker Unsinn, die wenigen Parteimitglieder hatten nicht die geringste Lust, ihre Arbeitsstelle zu riskieren, was man ihnen nicht verargen konnte. Die ganze Sache erwies sich als Utopie und wurde bald eingestellt.
Nun war ich tatsächlich arbeitslos und ging stempeln. Im Winter 1924/25 gab es einige hundert Arbeitslose in der Stadt. Ich sprach öfters in ihren Versammlungen. Ihr Hauptanliegen war ein Wärmelokal, das die Behörden einfach nicht zur Verfügung stellten. Auf einer Versammlung schlug ich eine direkte Aktion vor und erläuterte: «Da man uns kein Lokal gibt, wo man sich bei der Kälte aufhalten kann, setzen wir uns ab morgen einfach in die besseren Restaurants der Stadt, und zwar ohne etwas zu verzehren, sondern nur, um uns zu wärmen.»
Der Vorschlag fand Zustimmung, und wir verabredeten für zwei Uhr nachmittags ein Rendezvous vor dem Stadtcasino. Wirklich erschienen etwa fünfzig Arbeitslose, standen aber zunächst unentschlossen vor dem vornehmen Lokal herum. Mit einigen beherzten Burschen trat ich ein. Wir setzten uns ruhig an einige Tische. Gäste und Personal betrachteten uns erst mißtrauisch, flüsterten untereinander, dann aber bequemte sich die Bedienung doch zu uns. «Ich wünsche ein Glas Wasser», «Geben Sie mir die ‹Nationalzeitung›», «Ich will nichts, ich wärme mich hier», das waren so unsere Bestellungen. Ermutigt durch diesen Anfang, gesellte sich ein gutes Dutzend Arbeitsloser hinzu. So blieben wir gemütlich sitzen, bis endlich der Wirt persönlich zu uns kam und sich ziemlich barsch erkundigte, was hier gespielt werde. «Wir sind arbeitslos, es ist kalt, die Regierung stellt uns nicht mal ein Wärmelokal zur Verfügung, darum kommen wir zu Ihnen, um uns aufzuwärmen», beschied ich ihn.
Er zog ab und telefonierte mit der Polizei. Als die Beamten anrückten, waren sie zunächst etwas verdutzt, baten uns dann aber, das Lokal zu verlassen. Wir trabten ohne Zwischenfall ab und zogen schnurstracks zur «Wolfsschlucht». Dieses - kleinere — Lokal füllten wir fast ganz. Dieselbe Zeremonie wiederholte sich, dieselben Polizisten marschierten an und drohten uns diesmal mit Arrest. Wir empfahlen uns erneut und besetzten gleich anschließend die «Safranzunft». Neugierigen Gästen erklärten wir bereitwillig den Sinn unserer Aktion, mit dem Erfolg, daß dem ganzen Trupp eine Runde Kaffee bezahlt wurde. Hier verschwanden wir indessen, ohne die Polizei abzuwarten. Die Aktion fand großen Widerhall in den Zeitungen; vorwerfen konnte man uns nichts, da hatten wir die Lacher auf unserer Seite. Kaum acht Tage danach wurde den Arbeitslosen ein Wärmelokal zugewiesen.
Mein und anderer Parteimitglieder fruchtloses Bemühen um den Aufbau von Betriebszellen löste in der Partei eine hitzige Diskussion aus. Franz Welti war entschiedener Gegner dieser organisatorischen Umstellung, die er als einen fundamentalen Blödsinn betrachtete, und hielt eigensinnig an der alten, bewährten Organisationsform der Wohnquartiere fest. Da er in der Minderheit blieb, bekam er schließlich die Nase so voll, daß er auf einer Sitzung die Nerven verlor, wütend aufstand und mit dem Ausruf «So macht eueren Dreck alleine!» die Tür hinter sich zuknallte.
Nach einigen Wochen fand ich Arbeit bei einem aus Palästina zurückgekehrten Freund, einem jüdischen Gärtner, der nach seines Vaters Tod das kleine Familienunternehmen leitete. Seine Kundschaft bestand aus wohlhabenderen jüdischen Familien, deren Gärten er instand hielt.
Wir nannten unseren Freund «Mufti», weil er zwei Jahre in Palästina gelebt hatte; er gehörte keiner Partei an, sympathisierte mit der Linken, war ein ausgesprochen kritischer Nörglertyp. Wir kamen gut miteinander aus, und ich verdiente genug, um auch meine Mutter zu unterstützen, was ich mit meiner Sekretariatsarbeit nie zuwege gebracht hatte.
Das rote Denkmal
Zu Erinnerung an den Weltkrieg und die Grenzbesetzung beschloß die Basler Regierung, ein Wehrmännerdenkmal zu errichten. Der Auftrag ging an den Bildhauer Louis Weber, und das Monument sollte seinen Platz auf der Batterie auf dem Bruderholz finden, die Frontseite zur Stadt. Das Basler Bürgertum bereitete sich auf eine feierliche Eröffnung unter Teilnahme von Bundesräten vor. Der betont nationale Charakter der Sache reizte mich. Mit einigen Freunden faßte ich den Plan, den Bürgern den Spaß zu verderben. Mein Gärtnermeister wurde eingeweiht und war gleich Feuer und Flamme. Wir brauchten einige Leute für unser Vorhaben und sprachen vorher alles gründlich durch, denn wir wollten uns gegen einen Fehlschlag absichern und uns nicht erwischen lassen. Das Denkmal sollte mit roter Farbe tüchtig beschmiert werden. Der Kauf der Farbe war ein delikates Problem, weil ja gerade an diesem Punkt sofort Nachforschungen einsetzen würden. Hier half ein arbeitsloser Jugendgenosse, Maler von Beruf, der eben von seinem Hausmeister den Auftrag erhalten hatte, den Gartenzaun anzustreichen. Er kaufte Mennige und begann einen Tag vor der Aktion seine Arbeit an dem Zaun. Das Denkmal war in der Nacht bewacht und von einer riesigen Schweizerfahne bedeckt, über die noch eine wasserdichte Plane gebreitet war. Bei Anbruch der Dunkelheit zogen der «Mufti» und ich mit Büchsen und großen Pinseln los. Wir hatten ein Liebespärchen vorausgeschickt; es sollte auf der Batterie herumstreichen und uns den Standort der Nachtwächter signalisieren. Als unsere beiden Späher meldeten, die zwei Herren seien weit weg, schlüpften wir unter die Fahne und begannen hastig unser Malerwerk. In wenigen Minuten war's getan, Büchsen und Pinsel flogen ins Gebüsch, und wir trollten uns. Beim Streichen hatte der leichte Regenmantel des «Mufti» ein paar Flecken abgekriegt, weshalb er ihn noch in derselben Nacht bei einer Freundin versteckte. Die Eröffnungsfeier am 1. August, dem schweizerischen Nationalfeiertag, geriet zu einer einzigen Katastrophe. Natürlich war am Morgen des Einweihungstages die Schmiererei entdeckt worden. Eine ganze Equipe von Spezialisten bemühte sich um die Behebung des Schadens.
Aber alles Waschen und Bürsten des porösen Sandsteins verschlimmerte die Sache eher, da Stücke ausbrachen. Wohl oder übel mußten es die Reiniger bei halber Arbeit bewenden lassen.
Tausende von Bürgern hatten sich am Nachmittag zur Einweihung eingefunden, und als beim Hochziehen der Fahne die rot beschmierten Soldatenfiguren sichtbar wurden, entrang sich der Menge ein wildes Wutgeschrei.
Die zwei Redakteure am «Basler Vorwärts» hatte ich vorher allgemein informiert. Wieser und Arnold, etwas skeptisch, befürchteten einen großen Skandal. Der kam denn auch prompt. Die Kommunistische Partei hatte zum Nationalfeiertag eine Gegenkundgebung auf einem neu eingeweihten Sportplatz organisiert. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Gerücht vom «roten Denkmal», und es gab eine Menge Bierleichen.
Das Bürgertum kochte vor Empörung. Es kam zu einigen kleineren Zusammenstößen, bürgerliche Turnvereine demonstrierten und wollten die Druckerei des «Basler Vorwärts» demolieren. In aller Eile beorderte die Partei eine Anzahl Arbeitersportler in das Gebäude an der Brunngasse zur Abwehr eines eventuellen Angriffs. Am Tage darauf tobte die bürgerliche Presse gegen die «Roten» und ihr feiges Attentat. Auf die Ergreifung der Täter setzte die Regierung eine Belohnung von zweitausend Franken und das konservativ-bürgerliche Blatt «Basler Nachrichten» aus eigenen Mitteln nochmals dieselbe Summe aus. Zwei Tage später waren wir alle - mit Ausnahme des Liebespärchens - verhaftet. Irgendwer mußte geplaudert haben. Früh morgens bei Arbeitsbeginn an der Kornhausgasse stand Detektivkorporal Jud mit einem Kollegen bereit, mich mitzunehmen. Der «Mufti» befand sich bereits in ihrer Mitte. Eine Viertelstunde später schleppten sie meinen jüngeren Bruder an, der nur vage von der Sache gehört hatte. Per Straßenbahn brachten uns die Beamten zum Lohnhof und wollten uns durch Hinweise auf die ausgesetzte Geldsumme zu einem Geständnis ermuntern. Mein Bruder meinte seelenruhig, das Geld nähme er gerne, aber wissen tue er nichts. Auf dem Lohnhof setzten sie den Gärtnermeister und mich in ein Vorzimmer, meinen Bruder führten sie zum Verhör. Wir hockten gut eine Stunde allein in dem Zimmer. Da sich niemand um uns kümmerte, wurde uns das Warten zu langweilig. Wir öffneten die Tür zum Korridor - kein Mensch. Unbehelligt spazierten wir hinaus und gingen nach Hause.Wie vermutet, fand die Polizei den Käufer der Farbe ziemlich rasch.
Die Spur war aber nicht verwertbar, da unser Mann nachweisen konnte, daß er die Mennige für das Streichen des Gartenzaunes gekauft hatte und der ahnungslose Hausbesitzer die Auftragserteilung bestätigte, so fehlten alle Beweise, die Polizei streckte die Waffen.
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