Laut Europäischer Kommission sind Gerichtsfälle wegen angeblicher Beleidigung des Präsidenten weit verbreitet, die gegen Journalisten, Schriftsteller, soziale Medien und andere öffentlich agierende Personen eingeleitet wurden. Die Sanktionen reichen bis zu Gefängnisstrafen. Dieses einschüchternde Klima führe zu vermehrter Selbstzensur (10.11.2015). Der türkische Justizminister, Bekir Bozda?, verlautbarte Anfang März 2016, dass in 1.845 Fällen eine rechtliche Verfolgung wegen Beleidigung des Präsidenten anhängig sei (HDN 2.3.2016).
Laut der Jahresstatistik 2014 des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, wurde für die Türkei die zweithöchste Zahl an Urteilen, nämlich 101, von allen Mitgliedsländern vermeldet. Von diesen fielen 24 Urteile in die Kategorie: Verletzung der Meinungsfreiheit (ECHR 29.1.2015).
Nahezu alle Medienverbände gehören großen Holding-Firmen mit Verbindungen zu politischen Parteien oder haben geschäftliche Interessen in anderen Bereichen. Die Zentralisierung des öffentlichen Vergabewesens beim Büro des Premierministers unter der AKP-Regierung hat zu einer wachsenden Einflussnahme geführt, mit dem Ziel die Holdings auf Linie der Regierungspartei zu bringen. Durchgesickerte Dokumente und Tonaufnahmen aus den Jahren 2013 und 2014 enthüllten das Ausmaß der Bemühungen seitens der Regierung und des Staatspräsidenten, sich loyale Medien zu schaffen. Dazu gehörten etwa direkte Instruktionen oder Ermahnungen hinsichtlich der medialen Inhalte. Überdies hielten Regierungsmitglieder Manager von Unternehmen an, Kapital zum Kauf von Medienhäusern anzuhäufen. Im Austausch würden diese Firmen lukrative Regierungsaufträge erhalten (FH 28.4.2015)
Die Behörden gingen 2015 in zahlreichen Fällen gegen Journalisten, Medienhäuser und Akademiker vor. Strafrechtliche Untersuchungen wurden gegen Dutzende Journalisten, Medienhäuser und Nutzer sozialer Medien eingeleitet. Manche Medienprodukte wurden infolge der Untersuchungen konfisziert. Journalisten berichteten, dass die gegen sie gerichtete Gewalt und die Angriffe auf die Medien zu einer zunehmenden Selbstzensur führten (OSCE 28.1.2016).
Im Mai 2015 leitete die Istanbuler Staatsanwaltschaft wegen Verdacht auf Terrorismus und Spionage Ermittlungen gegen die Zeitung Cumhuriyet ein, weil diese ein Video und einen Bericht veröffentlichte, die Waffenlieferungen an den sog. Islamischen Staat in Syrien zeigten. Staatspräsident Recep Tayyip Erdo?an verurteilte aufs Schärfste die Berichte und erhob eine separate Strafanzeige. Im November 2015 wurden zwei Journalisten von Cumhuriyet in Haft genommen (HRW 27.1.2016; vgl. FSN 28.11.2015). Dem Cumhuriyet Chefredakteur, Can Dündar, und seinem Kollegen Erdem Gül wurden wegen Spionage und Kollaboration mit der Gülen-Bewegung angeklagt. Ihnen droht lebenslange Haft (BBC 27.1.2016). Dündar und Gül wurden am 26.2.2016 nach einem Urteilsspruch des Verfassungsgerichts nach 92 Tagen Haft freigelassen. Staatspräsident Erdo?an erklärte, das Urteil weder zu respektieren noch zu akzeptieren. Erdo?an warf dem Verfassungsgericht selbst die Verletzung der Verfassung vor (HDN 4.3.2016).
Im September 2015 wurde das Gebäude der Zeitung Hürriyet von etwa 150 Anhängern der Regierungspartei AK gestürmt, kurz nachdem Staatspräident Erdo?an die Zeitung beschuldigte, ihn falsch zitiert zu haben (Standard 7.9.2015; vgl. HRW 27.1.2016). Im gleichen Monat haben Staatsanwälte Ermittlungen gegen die regierungskritische Mediengruppe Do?an, zu welcher die Tageszeitung Hürriyet und der Fernsehsender CNN-Türk gehören, wegen "terroristischer Propaganda" eingeleitet (FNS 2.10.2015; vgl. DTJ 16.9.2015).
Im Oktober 2015 stürmte die Polizei die Räumlichkeiten der ?pek Media Gruppe, nachdem die Regierung zwei Tage zuvor die Treuhandschaft über die Koza ?pek Holding übernommen hatte, weil diese laut Regierung die verbotene Gülen-Bewegung unterstütze und unter dem Verdacht der Terrorfinanzierung stünde. Nach Kündigungen in der Belegschaft und der Einsetzung neuer Redakteure wurden die beiden Fernsehsender und die Zeitungen der Holding zu regierungsfreundlichen Medien umgewandelt (HRW 27.1.2016; vgl. Zeit 28.10.2015).
Als im Jänner 2016 1.128 Akademiker von 89 Universitäten einen Aufruf zur Beendigung der Militäroperationen in den kurdischen Städten im Südosten der Türkei unterschrieben, griff Staatspräident Erdo?an, unterstützt von regierungsnahen Medien, die Intellektuellen scharf an, indem er ihnen u.a. Terrorpropaganda unterstellte. Es folgten Massenverhaftungen, Anklagen und Entlassungen der Betroffenen (AM 15.1.2016; HDN 15.1.2016).
Am 4.3.2016 wurde die Tageszeitung "Zaman", der ein Naheverhältnis zur Gülen-Bewegung nachgesagt wird, unter Aufsicht einer staatlichen Treuhandverwaltung gestellt. Die Gülen- oder Hizmet-Bewegung wird in der Türkei als Terrororganisation betrachtet. Die Polizei stürmte kurz nach der Anordnung unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern das Verlagsgebäude in Istanbul, vor dem es zu Protesten gegen des Vorgehen der Behörden kam (Standard 4.3.2016, vgl. Spiegel 6.3.2016).
Unter Berufung auf eine Studie der OSZE zu inhaftierten Journalisten (http://www.osce.org/fom/173036) stellte die OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, Dunja Mijatovi?, im Juli 2015 fest, dass vorhergehende Reformen nicht umfangreich genug gewesen wären, damit ein pluralistischer Dialog in der Gesellschaft gewährleistet würde. Die Mehrheit der jüngsten Gesetzesänderungen hätten das Reicht auf kritische Meinungsäußerung noch weiter eingeschränkt. Mijatovi? forderte die Türkei auf, eine umfassende Reform der Gesetze anzugehen, insbesondere des Straf-, Anti-Terror- und des Internetgesetzes (OSCE 16.7.2015).
Anfang Februar 2016 bezeichnete der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen Zeid Ra’ad Al Hussein die Anzahl der Journalisten und anderer Medienmitarbeiter, welche entweder bereits verurteilt oder den Prozess noch erwarten, als alarmierend. Dies werfe laut Al Hussein die Frage auf, ob die Türkei das Recht auf freie Meinung einhalte, wie dies Artikel 19 des von der Türkei ratifizierten Internationalen Paktes über die bürgerliche und politische Rechte vorsieht. Die Anti-Terrorismus-Gesetzgebung sollte nicht als Mittel zur Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit gebraucht werden. Niemand sollte, wie im Falle von Can Dündar und Erdem Gül, für das, was er geschrieben hat, mit lebenslanger Haft bedroht werden. Journalisten und anderer Medienmitarbeiter sollten nicht für das verhaftet, eingesperrt oder verfolgt werden, was die legitime Ausübung ihres Berufes darstellt (OHCHR 1.2.2016)
Freedom House bewertete 2015 den Status der Presse als "nicht frei". Auf der hundertteiligen Skala (100 = schlechtester Wert) wurde die Türkei mit 65 bewertet (FH 28.4.2015). In der türkischen Bevölkerung selbst lagen laut einer Umfrage des Pew Research Center vom Herbst 2015 Medien- und Meinungsfreiheit im regionalen Vergleich nicht hoch im Kurs. 43 Prozent fanden es wichtig, dass die Menschen ohne Zensur sagen können, was sie wollen, bzw. 45 Prozent, dass die Medien ohne Zensur berichten können. Lediglich 52 Prozent waren der Meinung, dass öffentliche Kritik an der Regierung möglich sein sollte. 39 Prozent waren dafür, dass die Regierung befähigt sein sollte, die Menschen von ihrer Kritik am Staat abzuhalten (Pew 18.11.2016).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.9.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei
- Al Monitor (15.1.2016): Is a witch hunt underway against Turkish intellectuals?
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/01/turkey-witch-hunt-against-academics.html, Zugriff 18.2.2016
- BBC News (27.1.2016): Turkish journalists face life in jail over Syria report,
http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-35422357#sa-ns_mchannel=rss&ns_source=PublicRSS20-sa, Zugriff 18.2.2016
- Der Standard (4.3.2016): Türkische Polizei dringt in Redaktion der Zeitung "Zaman" ein,
http://derstandard.at/2000032266145/Tuerkische-Polizei-dringt-in-Redaktion-der-Zeitung-Zaman-ein?ref=rec, Zugriff 7.3.2016
- Der Standard (7.9.2015): Erdo?an-Anhänger stürmen "Hürriyet"-Redaktion,
http://derstandard.at/2000021807858/Erdogan-Anhaenger-stuermenHuerriyet-Redaktion, Zugriff 18.2.2016
- Die Zeit (28.10.2015): Türkische Polizei stürmt Medienkonzern mit Kettensägen,
http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-10/tuerkei-medien-regimekritisch-polizei-besetzung-koza-ipek, Zugriff 18.2.2016
- DTJ – Deutsch Türkisches Journal (16.9.2015): Terror-Ermittlungen gegen Hürriyet: Feldzug gegen freie Presse erreicht die Do?an-Gruppe,
http://www.dtj-online.de/terror-ermittlungen-gegen-huerriyet-feldzug-gegen-freie-presse-erreicht-die-dogan-gruppe-61425, Zugriff 18.2.2016
- EC – European Commission (10.11.2015): Turkey 2015 Report [SWD(2015) 216 final],
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1447155728_20151110-report-turkey.pdf, Zugriff 3.3.2016
- ECHR – European Court of Human Rights (29.1.2015): Violation by Article & by State – 2014,
http://www.echr.coe.int/Documents/Stats_violation_2014_ENG.pdf, Zugriff 18.2.2016
- FH - Freedom House (28.4.2015),: Freedom of the Press 2015 – Turkey http://www.ecoi.net/local_link/301725/438554_de.html 17.2.2016)
- FNS – Friedrich Naumann Stiftung (2.10.2015): Türkei-Bulletin 18/15, Berichtszeitraum: 16.-30. September 2015;
https://www.freiheit.org/content/tuerkei-bulletin-1815, Zugriff 18.2.2016
- FNS – Friedrich Naumann Stiftung (28.11.2015): Türkei-Bulletin 22/15, Berichtszeitraum: 16.-28. November 2015, https://shop.freiheit.org/#!/Publikation/528, Zugriff 17.2.2016
- HDN – Hürriyet Daily News (15.1.2016): 18 academics detained, over 130 face criminal charges amid accusations by president of ‘terrorist propaganda’,
http://www.hurriyetdailynews.com/18-academics-detained-over-130-face-criminal-charges-amid-accusations-by-president-of-terrorist-propaganda.aspx?pageID=238&nID=93887&NewsCatID=339, Zugriff 18.2.2016
- HDN – Hürriyet Daily News (2.3.2016): 1,845 cases of ‘insulting’ Erdo?an await prosecution: Justice Minister, http://www.hurriyetdailynews.com/1845-cases-of-insulting-erdogan-await-prosecution-justice-minister.aspx?pageID=238&nID=95969&NewsCatID=339, Zugriff 3.3.2016
- HDN – Hürriyet Daily News (4.3.2016): Constitution violated by court, not me: Erdo?an,
http://www.hurriyetdailynews.com/constitution-violated-by-court-not-me-erdogan-.aspx?pageID=238&nID=96021&NewsCatID=338, Zugriff 4.3.2016
- HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Turkey, http://www.ecoi.net/local_link/318400/457403_de.html, Zugriff 17.2.2016
- OHCHR - UN Office of the High Commissioner for Human Rights (1.2.2016): Turkey: Zeid concerned by actions of security forces and clampdown on media,
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- OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (28.1.2016): Turkey, Early Parliamentary Elections, 1 November 2015:
Final Report; OSCE/ODIHR Limited Election Observation Mission Final Report,
http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/219201?download=true, Zugriff 18.2.2016
- OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe/ The Representative on Freedom of the Media Dunja Mijatovi? (16.7.2015):
OSCE representative presents study on imprisoned journalists in Turkey, offers recommendations to improve situation and assist with legal reforms http://www.osce.org/fom/173186, Zugriff 18.2.2016
- Pew Research Center (18.11.2015): Global Support for Principle of Free Expression, but Opposition to Some Forms of Speech, (http://www.pewglobal.org/files/2015/11/Pew-Research-Center-Democracy-Report-FINAL-November-18-2015.pdf, Zugriff 17.2.2016
- Spiegel Online (6.3.2016): Staatliche Übernahme: Türkei bringt Oppositionsblatt "Zaman" auf Regierungskurs, http://www.spiegel.de/politik/ausland/zaman-tuerkei-bringt-kritische-zeitung-auf-regierungskurs-a-1080902.html, Zugriff 6.3.2016
- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014,
http://www.ecoi.net/local_link/306397/443672_de.html, Zugriff 17.2.2016
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Das Versammlungs- und Demonstrationsgesetz ist mehr auf die Rechtmäßigkeit öffentlicher Versammlungen, den auf deren friedfertigen Charakter fokussiert. Jüngste Gesetzeszusätze haben die Versammlungsfreiheit weiter eingeschränkt (OSCE 28.1.2016).
Die Versammlungsfreiheit ist übermäßig, ohne zwingende Gründe, eingeschränkt, sowohl per Gesetz als auch in der Praxis, insbesondere durch den unverhältnismäßigen Gebrauch von Polizeigewalt bei Demonstrationen und den Mangel an Bestrafung der Gesetzeshüter. Die Polizei machte bei mehreren Anlässen übermäßigen Gebrauch von Gewalt, so bei den Feiern zum 1. Mai und der Pride Parade in Istanbul am 28 Juni 2015. Demonstrationen zu Themen wie der Situation in Kobane oder Korruptionsvorwürfen gegen die Behörden wurden weiterhin auf der Grundlage des Anti-Terror-Gesetzes gehandhabt (EC 10.11.2015, vgl. HRW 27.1.2016, vgl. USDOS 25.6.2015).
Die türkische Verfassung garantiert Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. In der Praxis sind diesen Rechten aber Grenzen gesetzt, die zunehmend enger werden. Die Freiheit, auch ohne vorherige Genehmigung unbewaffnet und gewaltfrei Versammlungen abzuhalten, unterliegt Einschränkungen, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Vorbeugung von Straftaten bzw. die allgemeine Gesundheit oder Moral betroffen sind. In der Praxis werden bei pro-kurdischen oder politischen Versammlungen des linken Spektrums (z.B. marxistisch-leninistisch ausgerichteter Gruppierungen) regelmäßig dem Veranstaltungszweck zuwiderlaufende Auflagen bezüglich Ort und Zeit gemacht und zum Teil aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen Verbote ausgesprochen. Betroffen von Versammlungsverboten und Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind auch immer wieder Gewerkschaftsmitglieder. Fälle von massiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte, polizeiliche Ingewahrsamnahmen und strafrechtlichen Ermittlungen bei der Teilnahme an nicht genehmigten oder durch Auflösung unrechtmäßig werdenden Demonstrationen kommen nicht selten vor. Nicht genehmigte Versammlungen werden häufig unter Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken aufgelöst. Regierungskritische Demonstrationen nach den "Gezi-Park-Protesten" im Sommer 2013 wurden vielfach aufgelöst. Die extensive Auslegung des unklar formulierten § 220 tStGB (kriminelle Vereinigung) durch den Obersten Strafgerichtshof führte zur Kriminalisierung von Teilnehmern an Demonstrationen, bei denen auch PKK-Symbole gezeigt wurden bzw. zu denen durch die PKK aufgerufen wurde, unabhängig davon, ob dieser Aufruf bzw. die Nutzung dem Betroffenen bekannt war. Sie mussten mit einer Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechnen (AA 29.9.2015)
Insbesondere das im März 2015 beschlossene Sicherheitsgesetz hat starken Einfluss auf die Versammlungsfreiheit [Anm.: siehe auch Abschnitt 5.Sicherheitsbehörden]. Laut Europarat wirft dieses Gesetz zahlreiche Fragen auf, da der Polizei bei bloßem Verdacht die Durchsuchung von Wohnungen und Fahrzeugen erlaubt und Verdächtige 24 Stunden ohne Aufsicht eines Richters verhört werden können (CoE-PACE 14.9.2015).
Die Ansprüche in Bezug auf den Erhalt auf die nationale Sicherheit, die Moral und die Türkische Familie werden weiterhin seitens der Gerichte dazu herangezogen, die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Mindestens sieben Vereinigungen, die sich mit Menschenrechten und Kurden-Themen beschäftigen, sind mit Gerichtsverfahren konfrontiert, die auf die Schließung dieser Vereinigungen abzielen (EC 10.11.2015).
Laut Gesetz müssen die Behörden zwar nicht über die Gründung einer Vereinigung informiert werden, doch müssen die Behörden im Voraus in Kenntnis gesetzt werden, wenn es zu einem Interagieren mit internationalen Organisationen kommt. Bei finanzieller Unterstützung aus dem Ausland muss den Behörden eine umfangreiche Dokumentation vorgelegt werden, was laut Vereinigungen eine Last für deren Wirken darstellt (USDOS 25.6.2015).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.9.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei
- CoE-PACE – Council of Europe – Parliamentary Assembly (14.9.2015):
The progress of the Assembly’s monitoring procedure (October 2014-August 2015) [Doc. 13868 Part 1], http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/X2H-Xref-ViewPDF.asp?FileID=22018&lang=en, Zugriff 19.2.2016
- EC – European Commission (10.11.2015): Turkey 2015 Report [SWD(2015) 216 final],
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1447155728_20151110-report-turkey.pdf, Zugriff 18.2.2016
- HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Turkey, http://www.ecoi.net/local_link/318400/457403_de.html, Zugriff 18.2.2016
- OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (28.1.2016): Turkey, Early Parliamentary Elections, 1 November 2015:
Final Report; OSCE/ODIHR Limited Election Observation Mission Final Report,
http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/219201?download=true, Zugriff 18.2.2016
- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014,
http://www.ecoi.net/local_link/306397/443672_de.html, Zugriff 19.2.2016
Opposition
Politisch Oppositionelle können sich prinzipiell frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen. Das letzte Verbot gegen eine politische Partei wurde 2009 gegen die pro-kurdische DTP (Demokratik Toplum Partisi) verhängt. Die AKP-Regierung sucht seit 2013, ihre dominante politische Stellung auf Kosten der Opposition weiter auszubauen. Gleichzeitig führt sie seit Ende 2013 einen Kampf gegen die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, mit denen sie lange Jahre als Verbündete die Ablösung der alten kemalistischen Eliten betrieb. Neben dem Vorwurf einer Unterwanderung von Polizei, Justiz und Verwaltung in "parallelen Strukturen" wurden Gülen-Anhänger zuletzt sogar mit nicht nachvollziehbaren Terrorismus-Vorwürfen konfrontiert (AA 29.9.2015).
Insbesondere vor dem Hintergrund der zweimaligen Parlamentswahlen im Juni und November 2015 wurden gegen einige Mitglieder der Oppositionsparteien CHP, HDP und MHP Ermittlungen wegen Herabwürdigung der Autoritäten, inklusive die Beleidigung des Staatspräidenten eingeleitet. Eine große Anzahl von Parteilokalen der pro-kurdischen HDP waren Ziele von Attacken. Zahlreiche Mitglieder der HDP wurden verhaftet, und ihre Bürgermeister vom Amt suspendiert. Laut Angaben der HDP kam es zwischen 6.9. und 9.10.2015 zu 129 Attacken gegen deren Büros. Zwischen 20.7. und 18.10.2015 wurden 2.590 Mitglieder inhaftiert und 630 festgenommen (OSCE 28.1.2016; vgl. FH 2016). Die Angreifer stammten vor allem aus rechten und rechtsradikalen Gruppierungen, wie der rechts-nationalistischen Parlamentspartei MHP und den rechtsextremistischen Grauen Wölfen (HDN 9.9.2015; vgl. MEE).
Nachdem die Waffenruhe zwischen der Regierung und der PKK im Juli 2015 kollabiert war, beschuldigten Regierungsvertreter die HDP ein Vertreter der PKK zu sein. Staatspräsident Erdo?an rief dazu auf, dass jeder HDP-Parlamentarier mit Verbindungen zur PKK verfolgt werden sollte (FH 2016).
Äußerungen des Co-Vorsitzenden der pro-kurdischen HDP, Demirta?, Ende Dezember 2015, wonach Kurdistan in diesem Jahrhundert Realität wird, und die Kurden vielleicht einen unabhängigen Staat oder einen föderalen Staat, Kantone und autonome Gebiete haben werden, führten zu Ermittlung seitens der Generalstaatsanwaltschaft. Präsident Erdo?an zufolge sind die Forderungen nach einer kurdischen Selbstverwaltung eine klare Provokation und ein Verfassungsverstoß. Die Justiz, so der Staatspräsident, werde der Partei eine Lehre erteilen (FNS 5.1.2016; vgl. TZ 28.12.2015).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (29.9.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei
- FH – Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World – Turkey, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2016/turkey, Zugriff 19.2.2016
- FNS – Friedrich Naumann Stiftung (5.1.2016): Türkei Bulletin 24/15, Berichtszeitraum: 16.Dezember 2015 – 03. Januar 2016, http://www.koeln-istanbul.de/terms/pdfs/FNS_050116.pdf, Zugriff 19.2.2016
- HDN – Hürriyet Daily News (9.9.2015): HDP offices violently attacked in several anti-terrorism protests,http://www.hurriyetdailynews.com/hdp-headquarters-local-office-shops-attacked-in-central-turkey.aspx?pageID=238&nid=88187, Zugriff 19.2.2016
- MEE – Middle East Eye (9.9.2015): Far-right activists attack HDP offices across Turkey after anti-PKK http://www.middleeasteye.net/news/thousands-across-turkey-protests-against-pkk-666574588#sthash.wEkfvQcl.dpuf, Zugriff 19.2.2016
- OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (28.1.2016): Turkey, Early Parliamentary Elections, 1 November 2015:
Final Report; OSCE/ODIHR Limited Election Observation Mission Final Report,
http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/219201?download=true, Zugriff 19.2.2016
- TZ – Today’s Zaman (28.12.2015): Probes launched against HDP co-chair for remarks over autonomy, independence, http://www.todayszaman.com/anasayfa_probes-launched-against-hdp-co-chair-for-remarks-over-autonomy-independence_408162.html, Zugriff 19.2.2016
Religionsfreiheit
In der Türkei sind laut Regierungsangaben 99 Prozent der Bevölkerung muslimischen Glaubens, die Mehrheit davon sind Hanefiten (sunnitisch). Es gibt einen beträchtlichen Anteil an Aleviten, je nach Quelle zwischen 15 und 25 Millionen. Weiters leben in der Türkei laut Eigenangabe drei Millionen schiitische Dschafariten, ca. 60.000 armenische Christen (zusätzlich noch 30.000 nicht-registrierte Immigranten aus Armenien), ca. 25.000 Angehörige der römisch-katholischen Kirche (zumeist kürzlich eingewanderte Immigranten aus Afrika und den Philippinen), ca. 18.000 Juden, ca. 20.000 syrisch-orthodoxe Christen, ca. 15.000 russisch-orthodoxe Christen (zumeist russische Einwanderer) ca. 10.000 Baha’is, ca. 22.000 Jesiden (davon 17.000, die 2014 als Flüchtlinge kamen), ca. 5.000 Zeugen Jehovas, ca. 7.000 Protestanten verschiedener Denominationen, ca. 3.000 irakisch-chaldäische Christen und bis zu 2.000 griechisch-orthodoxe Christen. Es gibt auch Atheisten, deren Anzahl jedoch nicht bekannt ist. Eine Umfrage legt nahe, dass ca. 2 Prozent der Bevölkerung Atheisten sind (US DOS 14.10.2015).
Die Verfassung sieht die positive und negative Religions- und Gewissensfreiheit vor (Art. 24). Sie gilt, wie alle Grundrechte, in Verbindung mit Art. 14, der den Missbrauch der Grundrechte regelt (insbesondere "Gefährdung der unteilbaren Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk, des Laizismus oder der Demokratie"). Die individuelle Religionsfreiheit ist weitgehend gewährt. Individuelle nicht-staatliche Repressionsmaßnahmen und staatliche Diskriminierungen (z.B. bei Anstellungen im öffentlichen Dienst) kommen vereinzelt vor. Fälle von Muslimen, die zum Christentum konvertiert sind, sind besonders aus den großen Städten bekannt. Rechtliche Hindernisse bei Übertritt bestehen nicht. Allerdings begegnet die große muslimische Mehrheit sowohl der Hinwendung zu einem anderen als dem muslimischen Glauben als auch jeglicher Missionierungstätigkeit mit großem Misstrauen und Intoleranz.
Die nach türkischer Lesart nicht vom Lausanner Vertrag erfassten religiösen Gemeinschaften, darunter auch römisch-katholische und protestantische Christen, haben keinen eigenen Rechtsstatus. Sie können sich als Verein und, nach umstrittener Auslegung des 2008 verabschiedeten Stiftungsgesetzes, auch in Form einer Stiftung organisieren. Eigentumserwerb ist in den genannten Rechtsformen möglich (AA 29.9.2015).
Die Türkei verlor in zwei Fällen, 2007 und 2014, vor dem Europäischen Gericht für Menschenrechte in Bezug auf den verpflichtenden Religions- und Ethikunterricht, da dieser nicht die Religions- oder Glaubensfreiheit der Eltern und Schüler respektiert. Der EGMR forderte die Türkei 2014 zwar auf, die Situation umgehend zu bereinigen, doch bislang hat das Unterrichtsministerium lediglich einen Aktionsplan unter Konsultation der Zivilgesellschaft beschlossen (Forum18 17.11.2015).
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