2. Was bedeutet demokratische Schulgestaltung?
SchulleiterInnen müssen für ihre betriebliche und strategische Arbeit viele wichtige Faktoren berücksichtigen: Gesetze, Lehrpläne, lokale Behörden, Eltern, SchülerInnen, finanzielle Ressourcen, das sozio-ökonomische Umfeld, Wettbewerb etc. Viele dieser Faktoren ändern sich häufig, ohne dass SchulleiterInnen darauf Einfluss nehmen könnten. Gutes Management allein reicht dafür nicht aus. SchulleiterInnen arbeiten heute „in mehr oder weniger dezentralisierten Systemen, die auf einem komplexen Zusammenspiel vieler autonomer PartnerInnen beruhen“.5 Der Begriff „Schulgestaltung“ wird in diesem Leitfaden als Definition für „Schulleitung“ im weiteren Sinne verwendet, wobei sowohl organisatorische als auch inhaltlich-gestalterische Aspekte miteinbezogen werden. „Demokratisch“ weist darauf hin, dass die Gestaltung des Schulbetriebs auf Grundlage der Menschenrechte, Ermächtigung und Mitbestimmung von SchülerInnen, LehrerInnen und anderen Interessensgruppen basiert.
Halász definiert den Unterschied zwischen „Gestaltung“ und „Management“ von Schulen folgendermaßen: Es ist wichtig zu betonen, dass diese beiden Begriffe sehr unterschiedliche Bedeutungen haben, auch wenn sie eng miteinander verbunden sind. Während mit dem Begriff „Gestaltung“ die Offenheit von Schulen und Bildungssystemen betont wird, benützt man den Begriff „Management“ eher, um die technischen und organisatorischen Seiten der Gestaltung herauszuarbeiten. Wir gestalten und führen jene Dinge oder Wesen, deren Verhalten wir nicht vollkommen vorhersehen können (weil zum Beispiel autonome Einheiten bestehen, die in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen und Alternativlösungen auszuhandeln). Wir verwalten und managen Dinge oder Wesen, deren Verhalten einfacher vorherzusehen ist. Wenn wir gestalten und führen, bedeutet das, dass wir (ver)handeln, Überzeugungsarbeit leisten, Druck ausüben usw., weil wir das, was wir regeln, nicht voll unter Kontrolle haben. Wenn wir verwalten, tendieren wir dazu, Anweisungen und Befehle zu geben, weil wir davon ausgehen, dazu eine legitime Befugnis zu haben. Wenn wir von Bildungssystemen sprechen, bevorzugen wir den Begriff „Gestaltung“. Wenn wir von Schulen als organisatorische Einheiten sprechen, verwenden wir eher den Begriff „Management“. Da die Schulen jedoch zu immer offeneren Einrichtungen werden, verwurzelt in einem spezifischen lokalen, sozialen und wirtschaftlichen Umfeld mit vielen verschiedenen Bedürfnissen und Interessen, greifen wir auch auf dieser Ebene vermehrt auf den Begriff „Gestaltung“ zurück.
Da so viele Faktoren nicht durch Amtsgewalt alleine gesteuert werden können, ist ein offener, demokratischer Ansatz der einzige Weg zu einem erfolgreichen, nachhaltigen Führungsstil in einer modernen Schule. Demokratische Schulgestaltung ist jedoch nicht nur ein Mittel, eine erfolgreiche Arbeit der SchulleiterInnen zu gewährleisten. Es gibt noch andere, wesentlich wichtigere Gründe.
Ethische Gründe
Theoretisch besteht allgemeines Einvernehmen über demokratische Werte:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“6
„Das Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden [hat] das Recht, diese Meinung frei zu äußern [und] das Recht auf Meinungsfreiheit, Gewissensfreiheit und Religionsfreiheit.“7
Beinahe jedes Land und sogar jede Schule hat ähnliche Grundsätze festgeschrieben. Wenn wir jedoch die demokratischen Werte in unserer Gesellschaft wirklich umsetzen wollen, müssen wir sie in unserer täglichen Arbeit anwenden. Das ist für LeiterInnen von Organisationen aller Art, aber insbesondere von Schulen, von besonderer Bedeutung.
Politische Gründe
Ein ernsthaftes Bemühen um Demokratie muss in einem Land selbstverständlich sein und bereits im Kindesalter beginnen. In alten Demokratien besteht das Risiko, dass junge Menschen die Demokratie für selbstverständlich halten und das Interesse an Partizipation verlieren. In jüngeren Demokratien mit weniger soliden Grundfesten kann jeder Rückschlag zu einem Entzug der Rechte führen. Wenn man jedoch in der Praxis gelernt hat, zumindest einige der üblichen Probleme in einer demokratischen Entscheidungsfindung zu bewältigen, wird das Vertrauen in die Demokratie gestärkt und die Menschen sind eher bereit, sich auf lokaler und vielleicht auch nationaler Ebene aktiv in die Politik einzubringen.
Rasche gesellschaftliche Veränderungen
Es ist unmöglich, die Flut an Informationen, denen wir täglich ausgesetzt sind, zu stoppen oder auch nur zu steuern. Wir können unsere Kinder davor nicht schützen. Andererseits sind die jungen Menschen von heute die am besten informierte Generation, die es je gab. Wie können wir also den jungen Menschen beibringen, zu selektieren und bewerten, wenn wir nicht dabei sind, um zu entscheiden, was gut oder schlecht für sie ist? Anstelle von nutzlosen Versuchen zu zensieren oder zu beschränken, müssen wir ihnen kritisches und unabhängiges Denken beibringen.
In unserer Zeit kommt es zu einer Werteverschiebung weg von der Gruppe und hin zum Individuum. Es gibt eine Tendenz, sich selbst mehr als Kunde / Kundin, denn als BürgerIn einer Wohlfahrtsgesellschaft zu sehen. Wenn Eltern aus irgendeinem Grund mit der örtlichen Schule, die ihr Kind besucht, unzufrieden sind, ergreifen sie keine politischen Maßnahmen, kontaktieren nicht die Schulbehörde oder engagieren sich im Elternverein. Ein wesentlich wahrscheinlicheres Szenario ist dagegen, dass sie sich von der Schule emotional distanzieren, kein Engagement mehr für die Bildung ihrer Kinder zeigen, oder sogar dulden, wenn das Kind die Schule schwänzt. Wo es möglich ist, schicken die Eltern ihr Kind vielleicht in eine andere Schule. All diese Ergebnisse haben eine sehr negative Auswirkung auf die Ausbildung des Kindes, auf die Schule oder auf beide zusammen. Um das Interesse an einer aktiven Ausübung demokratiepolitischer Rechte (BürgerInnenschaft) zu stärken, müssen wir unseren Kindern in ihren prägenden Jahren beweisen, dass es sich auszahlt, sich an gemeinsamen Entscheidungen zu beteiligen, ja dass es sogar Spaß macht.
Die Gesellschaft verändert sich, rasch und konstant. Einiges von dem, was uns am Beginn des 21. Jahrhunderts beschäftigen muss, sollte hier Erwähnung finden: Unternehmen und Menschen, die von einem Teil der Welt in einen anderen ziehen, sich verändernde ökonomische, demographische und kulturelle Strukturen. Technische Innovationen stellen Bedrohungen und Chancen dar. Ein Staat oder ein Gemeinwesen ist globalen Kräften ausgesetzt, mit denen jenseits demokratischer Kontrolle interagiert werden muss. Andererseits müssen wir alle positiven Auswirkungen, welche die Globalisierung auf unser tägliches Leben hat, auch anerkennen. Wir müssen Vielfalt und Veränderung als Chance erkennen und unseren Kindern die richtige Ausbildung für diese Welt geben.
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