Independent Labels


Internet-Kultur und Independent-Philosophie 4.1 Parallelen – Anspruch, Organisation und Mythen



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4. Internet-Kultur und Independent-Philosophie

4.1 Parallelen – Anspruch, Organisation und Mythen


Sowohl die Independent-Philosophie, wie sie sich Ende der 70er Jahre ausbildete, als auch die Hacker-Kultur des Internets werden in den gesellschaftlichen und kulturellen Umschichtungen um die Jahrhundertwende neu formuliert. In der wachsenden Verbreitung der globalen Computernetze treffen hier zwei Meta-Kulturen aufeinander, die sich auf ähnliche Mythen beziehen und strukturell gleichen. Zunächst will ich die Gemeinsamkeiten und Konflikte der beiden in den vorangegangenen Kapiteln skizzierten ursprünglichen Systeme darstellen und ihre neuen modifizierten Formen an derzeitige soziale Veränderungen rückbinden. Am Ende des Kapitels will ich herausarbeiten, wie diese Entwicklungen ineinandergreifen und sich für die Independent Labels auswirken könnten.
Beide hier vorgestellten Wertgebäude lassen sich als Bezugspunkt lesen, der nach außen eine homogene Strömung suggeriert, unter dem sich aber eine Vielzahl von kleinen, lokalen oder virtuellen Gemeinschaften voneinander abgrenzen. Damit sind die Bewegungen paradigmatisch für die selbstgewählten, temporären Bindungsformen und die Pluralisierungstendenz von Wertgemeinschaften der Postmoderne.

Beide genannten Kulturen formieren sich in einem Raum, der von dem Hobby-Bereich in die Arbeitssphäre hineinragt. Die meisten Protagonisten beginnen als Jugendliche in ihrer Freizeit, an diesen Szenen teilzuhaben; also in einer Phase, in der sie meist ungebunden und noch nicht von Lohnarbeit abhängig sind. Die Hacker-Kultur lässt sich auf ein akademisches Feld zurückführen, während die Independent-Philosophie ursprünglich im britischen Punk als Verbindung aus Arbeiterklassen- und Studentenbewegung gesehen werden kann. Beiden gemein ist eine Ablehnung kapitalistischer Verwertungsmuster. Kommerzialisierung wird als Kooptierung von Strukturen gesehen, die gemeinschaftlich aufgebaut wurden und den daran Beteiligten gehören308. Das gilt für die von den Nutzern selbst entwickelten Internet-Technologien wie für jede Musikszene. Was der Indie-Weltsicht die Major Labels sind, sind der Hacker-Kultur die großen Softwareunternehmen wie z.B. Microsoft. Damit drückt sich nicht nur eine Ablehnung von Kommerzialisierung und Monopolisierung aus, sondern auch eine zumindest gefühlsmäßige Anbindung an Pluralität, Selbstbestimmung und Solidarität. In ihrer Metaphorik und Mythenbildung heben beide Formationen auf eine „Robin Hood“-Position ab, auf einen Gegensatz von Individuum/einer kleinen verschworenen Gemeinschaft zu der großen seelenlosen Verwertungsmaschine/dem System/der Mehrheit. Diese Narrative konstituieren maßgeblich die Gruppierungen. „Die immer wieder aufgerollte Geschichte des jugendlichen Musikliebhabers Shawn Fanning, der durch eine simple Software eine global agierende Musikindustrie herausforderte, ist nur eine von vielen.“309

Das DIY-Prinzip verkörpert wie die Freie-Software-Idee den Glauben an die mögliche Einflussnahme jedes Einzelnen, der gleichberechtigt und mit der Gemeinschaft eine Sache voranbringt; sei es durch Programmierung, ein Label, Auftrittsmöglichkeiten, eine Band oder szenerelevante Infrastruktur und Kommunikation.

Daran anknüpfend lässt sich die Ablehnung von Hierarchien und die prinzipielle Unterstützung zwischen Gleichberechtigten in beiden Kulturen identifizieren. Lediglich Respekthierarchien entstehen durch das, was für die Szene geleistet wird. So entwickeln auch Indie- und Computergemeinschaften zwangsläufig ihre eigenen „Stars“, und gruppeninterne Anerkennung kann als wichtiger Motivationsfaktor gesehen werden. Es wird eine Offenheit der Gruppierungen proklamiert, diese entwickeln aber durchaus starke eigene Codes, Sprache und internes Wissen und somit Abgrenzungs- und Identitätsmechanismen. Und auch hier wird Identität durch Konsum und Nicht-Konsum hergestellt; in den Musik-Subkulturen anhand von Kleidung, bestimmter Tonträger, Accessoires, ausgewählter Medien; im Computerbereich durch die Nutzung bestimmter freier Software, der richtigen Programmiersprache.

Beide Strömungen stellen in ihrer radikalen Ausprägung den Anspruch, eine Alternative zu kapitalistisch-entfremdeten Produktions- und Lebensmodellen zu bieten, und somit systemstörend zu wirken, indem der Ausgangspunkt kein kommerzielles Interesse, sondern Kunst bzw. Lust ist. Denn „Produzenten, die durch das Lustprinzip geleitet werden, wären für eine profitgeleitete Ökonomie eine Katastrophe“310. Doch die gesellschaftliche Realität scheint diesen Glauben an Gegenmodelle überholt zu haben - indem sich das Gewicht auf die Konsumseite verschoben hat, „setzt das kapitalistische System das Lustprinzip zu seiner eigenen Verewigung ein.“311

Beide genannten Kulturen sind damit auch symptomatisch für die Veränderungen, die ökonomisch-kulturell den Wechsel von Produktions- zu Konsumgesellschaft begleiten. Die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit verwischen zunehmend, in der Arbeitswelt wird Flexibilisierung und Identifikation mit dem Unternehmen verlangt312. Das hedonistisch betriebene Selbstausbeutungs-Modell der Independent-Szenen kann als Wegbereiter für die Praktika- und Freie-Mitarbeits-Strukturen in der Unterhaltungs- und Medienbranche gelten. Wie für die Jugendkulturen in Kapitel 2.4.3 dargestellt, tragen auch die Internet-Verhaltensformen zu der veränderten Struktur bei. Die Illusion der flachen Hierarchien der „Dotcoms“ ergibt sich maßgeblich aus dem tendenziell gleichberechtigten Umgang in den Computernetzen. Der unformelle Umgang, wie er sich einerseits durch E-Mail-Kultur und generell in Abgrenzung zur Arbeits- bzw. Erwachsenenkultur entwickelt hat, erhält auch Einzug in die veränderte Unternehmenskommunikation. Die Auflösung von Klassen- und Status-Identitäten im Sinne einer Individualisierung und nur noch temporären Bindungen destabilisiert auch die Möglichkeit einer klassischen Interessenvertretung der Arbeitenden.

Die postmoderne Privatisierung von „Ängste[n] und den Umgang mit ihnen“313 führte zu einem „Zeitalter vorgestellter Gemeinschaften314, in dem sich Individuen anhand von Stilen gruppieren. Mit der sinkenden Bedeutung von Nationalstaaten und eines verbindlichen Kulturkanons lässt sich Gesellschaft mehr und mehr nur noch als ein Feld sozialer Bewegungen beobachten315. Das Billigung suchende Individuum konstruiert sich auch seine „billigenden Agenturen meist in der DIY-Art“316. Sowohl die Segmentierungen der Popmusik wie die virtuellen Gemeinschaften des Internets ersetzen den allgemeingültigen, intellektuell begründeten Hochkultur-Wertekanon weitgehend durch eigene ästhetische und ethische Codes.

Beide Formationen sind den postmodernen Umstrukturierungen ausgesetzt. Die Öffnung ihrer minoritären Sphären für ein breites Publikum zog auch eine Infragestellung der ursprünglichen Positionen und eine Neuorientierung nach sich, die wiederum in einer Segmentierung in großem Ausmaß resultierte. Damit einhergehend wichen die teilweise expliziten politischen Ansätze einer unverbindlicheren, pragmatischen Form.




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