Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Neue Folge Stadt und Hof Jahrgang 1 (2012)


Die Bedeutung von Raumtheorien für die methodischen Überlegungen



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5. Die Bedeutung von Raumtheorien für die methodischen Überlegungen

Um die realisierten Bauvorhaben des Kurfürsten und des Adels angemessen beurteilen zu können, wird eine theoretische Abhandlung über Raumaneignungsprozesse und Raumbesetzungen den oben genannten Untersuchungen vorangestellt. Im Anschluss soll eine Darstellung des städtischen und kurfürstlichen Bauwesens mit ihren ausführenden Organen folgen. Diese theoretischen und historischen Darstellungen sind entscheidend für die Bewertung der Untersuchungsergebnisse, da Bau- und Platzanalysen auf der Grundlage von realisierten Bauprojekten erst einzuordnen sind, wenn die Gegenfrage nach nicht durchgeführten Bauprojekten gestellt wurde. Im Vordergrund der Arbeit steht somit der Kontext, aus dem Bauvorhaben entwickelt und realisiert wurden, sowie die ihnen innewohnende Kommunikabilität und Wirkung auf den im Stadtraum sich bewegenden Rezipienten.

Dem Raum als sinnstiftende kultur- und sozialgeschichtliche Kategorie kommt bei Arbeiten zur Stadtgeschichte eine besondere Bedeutung zu. Zumindest für die Vormoderne stellt die Stadtmauer eine Abgrenzung von der Stadt zum Land dar, deren Durchlässigkeit streng reglementiert und kontrolliert wurde. Diese Abschließung nach außen begrenzte das Raumangebot innerhalb der Stadt und erzeugte so eine hohe Attraktivität ihres Besitzes, worin ihr Konfliktpotential begründet lag.

Es muss jedoch bedacht werden, dass der Raum nicht nur als eine rein physische Komponente zu verstehen ist. Insbesondere von der Soziologie wurde in den letzten Jahren der Raum als wesentlich komplexeres Konstrukt herausgestellt und von einer Vorstellung des Raumes als Container Abstand genommen. Die in ihm existenten Objekte und sozialen Organisationen sind nicht von dem physischen Raum unabhängig zu betrachten, sondern befinden sich in einem relationalen Verhältnis zu ihm. Es entsteht somit eine Wechselwirkung und ein dynamisches Gebilde, in dem das soziale Handeln Räume generiert und sie damit veränderbar macht34.

Die Bedeutungszuweisung an bestimmte Räume findet jedoch nicht immer wieder aufs Neue statt. Gerade der Architektur, als einer raumprägenden Struktur mit ihrer festen und auf Dauerhaftigkeit angelegten Materialität, ist eine gewisse Konstanz eingeschrieben. Allein durch ihre Undurchdringlichkeit kann ein einmal geschaffenes Raumgefüge Bewegungen vorprägen und ein bestimmtes Verhalten nahelegen. Diese räumlichen Strukturen sind zwar auch Veränderungen unterworfen und können durchbrochen werden, da stadtbildverändernde Maßnahmen jedoch eine lange Planungs- und Ausführungszeit benötigen und nur durch großen administrativen Aufwand betrieben werden können, haben sie eine relativ lange Haltbarkeit und sind damit in ihrer Wirkung umso größer. Zudem übt Architektur immer auch unabhängig von ihrer Funktionszuweisung allein durch ihre äußere Erscheinung eine unmittelbare und allgemeingültige Wirkung auf den Betrachter aus, die bereits durch das Verhältnis ihrer Größe zu den menschlichen Proportionen vorgegeben ist. Der bebaute und umbaute Raum wird so zu einem Kommunikationsmedium, das in vielschichtiger Weise mit dem Betrachter in einen Dialog tritt35. Dem theoretischen Ansatz von Pierre Bourdieu folgend, stellt allein die Möglichkeit über stadtbildverändernde Maßnahmen zu verfügen ein entscheidendes Kapital dar, nicht nur um soziale Ungleichheiten und damit Machtbeziehungen nach unten zu verfestigen und aufrechtzuhalten, sondern auch um die Standeskonkurrenz zu übertrumpfen36. Soziale Ungleichheit wird somit durch das Wechselverhältnis zwischen der Aneignung des physischen Stadtraumes und der Positionierung im sozial-gesellschaftlichen Raum reproduziert37.

Das theoretisch aufgerissene Spektrum der Raumanalysen und der Prozess ihrer Aneignung lassen sich an den ausgewählten Untersuchungsorten in der Residenzstadt Mainz in vielen Facetten aufzeigen. So deuten sich die Bestrebungen des Kurfürsten und des Adels an, das Bild der Stadt durch Bauvorhaben zu prägen, zugleich aber auch die Schwierigkeiten und Grenzen, die sich durch den Status der Stadt als historisch gewachsene geistliche Residenzstadt ergaben.

Mit dem vorgestellten Dissertationsprojekt werde ich neue Perspektiven für die kunsthistorische Bewertung des Mainzer Bauwesens und der kurfürstlichen Baupolitik in der Frühen Neuzeit eröffnen, wobei dem Raum als zentrale semiotisch aufgeladene Kategorie entscheidende Bedeutung beigemessen werden soll.
Christian Katschmanowski, Mainz


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