Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten


Täterschaft und Teilnahme bei Begehungsdelikten



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5. Täterschaft und Teilnahme bei Begehungsdelikten

Es gibt zwei Grundformen der Deliktsbeteiligung: Die Haftung für eine eigene - aber nicht notwendig eigenhändige - Tatbestandsverwirklichung, die mit dem Oberbegriff "Täterschaft" (in den ver­schieden­sten Formen) umschrieben wird, und die Haftung wegen Be­teiligung an fremder Tatbestandsverwirklichung, deren Erschei­nungs­formen Anstiftung und Beihilfe unter dem Oberbegriff "Teil­nahme" zusammengefasst werden.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der Figuren der Täterschaft ist § 25. Die gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit der Anstiftung trifft § 26, die der Beihilfe § 27.
Die Abgrenzung zwischen den einzelnen Formen der Deliktsverwirkli­chung kann im Einzelfall sehr schwierig und darum strittig sein, ohne dass sich zwingend ein eindeutiges Ergebnis ableiten ließe. Die Notwendigkeit, eine Abgrenzung zu treffen, mag manchem in den angedeuteten Zweifelsfällen wie ein Glasperlenspiel erscheinen. Sie ist aber wegen der in § 27 II angeordneten "obligatorischen" (verpflichtenden) Strafmilderung - es heißt nicht wie in § 23 II über die Versuchsstraf­barkeit: "kann gemildert werden", sondern: "ist zu mildern" - für einen nur wegen Beihilfe Angeklagten nach den in § 49 I getroffenen Re­gelungen von ungeheurer Bedeutung. Die in § 23 II vorgesehene Strafmilderungsmöglichkeit ist nur "fakul­ta­tiv", vom Willen des erkennenden Gerichts abhängig; die Straf­mil­derung des § 27 II dagegen verpflichtet das erkennende Gericht, die­se ge­setzlich vorgesehene Milderung auch vorzunehmen. Sie ist für die Richter obligatorisch angeordnet. Die Richter dürfen sich hierüber nicht hinwegsetzen. Das kann für den Einzelfall bedeuten: Ein voll schuldfähiger Mörder erhält für einen ohne Milderungs­grund vorge­nommenen Mord nach der absoluten Strafdrohung des § 211 I, die im Urteilsausspruch nicht herabgesetzt werden kann, eine lebenslange Freiheits­strafe, sein Gehilfe aber »nur« eine Freiheitsstrafe zwischen 3 - 15 Jah­ren.

Dieses für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe ungeheuer wichtige Strafzumessungsargument greift aber nicht für die Abgrenzung zwischen Täter­schaft und Anstiftung, weil gemäß § 26 ein "Anstifter gleich einem Täter be­straft" wird. Der Grund dafür, dass man neben einer genauen Bezeichnung des verwirklichten Delikts selbst für den Fall des Zweifels zwischen einer täterschaftlichen und einer anstiftenden Deliktsbegehung eine möglichst genaue Unter­schei­dung zwischen der Art der Deliktsbeteiligung treffen muss, besteht darin, dass ein Urteil wegen des durch Art. 103 II GG mit Verfassungsrang ausgestatteten Bestimmtheitsgrundsatzes vom Prinzip her nicht falsch sein darf, weder in der Feststellung der Tatumstände („Tatfrage“), noch in der richtigen Anwendung der einschlägigen Strafnormen („Rechtsfrage“) und der Festsetzung der „angemessenen“ Strafhöhe („Strafzumessung“), u.a., um die Schwere des Deliktsvorwurfes und die angemessene Reaktion hierauf deutlich zu machen. Gegen Fehler des erstinstanzlichen Gerichts bei der Beurteilung von Tat-, Rechtsfrage und Strafzumessung kann man grundsätzlich Rechtsmittel einlegen.


"BGH: Schärfere Bestrafung von rechten Brandstiftern

ADN Karlsruhe - Wer Molotowcocktails durch die Fenster eines bewohnten Gebäudes wirft, kann wegen versuchten Mordes91 verurteilt werden, auch wenn dabei niemand zu Schaden kommt. Mit dieser Begründung hat der Bundesgerichtshof (BGH) gestern ein Urteil des Landgerichts Schwerin aufgehoben. Das Landgericht hatte im Juli 1992 einen Rechtsextremisten nach einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Boizenburg (Mecklenburg-Vorpommern) nur wegen versuchter schwerer Brandstiftung und versuchter schwerer Körperverletzung zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. ..."


Wenn die Deliktsbeteiligung falsch erkannt worden ist, ist ein Urteil falsch und mit Rechtsmitteln angreifbar - selbst dann, wenn hinterher auf das gleiche Strafmaß erkannt würde. Ein solches Urteil könnte vielleicht durch eine Berufung, auf jeden Fall aber durch eine Revision zu Fall gebracht werden. Die Mitglieder des DDR-Verteidigungsrates unseligen Angedenkens sind (mit nicht von allen Strafjuristen in allen Punkten nachvollzogener Begründung) vom BGH in einem Revisionsurteil wegen eigener (aber nicht eigenhändiger) und darum (»nur«) mittelbarer Täterschaft bei den auf ihrem - von ihnen immer bestrittenen, aber 1997 und 2007 durch Dokumente nachgewiesenen - Schießbefehl beruhenden Todesschüssen mit vermutlich über 400 Opfern an der ehemaligen (Schand-) Mauer und den anderen Teilen der Staatsgrenze der DDR zum Klassenfeind hin (strafverschärfend) verurteilt worden und nicht wegen bloßer Anstiftung, wie das erstinstanzliche Gericht (nach Meinung des BGH: falsch) erkannt hatte. Eine meist nicht beachtete Konsequenz dieses Urteils: Damit ist der aus Krankheitsgründen als Angeklagter aus diesem Prozess ausgeschiedene ehemalige Staatschef Honecker automatisch postum zum Totschläger erklärt worden, denn ohne seine Krebserkrankung und sein dadurch bedingtes vorzeitiges Ausscheiden aus dem Prozess wäre dieser Schuldspruch auch gegen ihn ergangen.

Es wird aber in diesem Strafrechtsgrundriss an dieser Stelle darauf verzichtet, die sich in dem Bereich der Abgrenzung zwischen einerseits Täterschaft und andererseits Anstiftung oder Beihilfe stellenden Probleme andeutungs- und/oder teilweise zu erörtern. Nur anlässlich der Besprechung des Falles 14 wird ein kurzer Aufriss dieser wirklichen Problematik geboten. Ansonsten wird in diesem Buch nur auf relativ eindeutige Fallkonstellationen zurückge­griffen.

Ziel der folgenden Darstellung ist es aus­schließlich, das Grundwissen um die möglichen Figuren von Täter­schaft und Teilnahme zu vermitteln, damit der Leser weiß, wo er in seinem Jagdfieber ansetzen und den Täter packen könnte, denn es sollen möglichst wenige durch die Maschen der Gesetze schlüpfen - sonst lohnte es sich ja gar nicht, relativ ehrlich zu bleiben.

5.1 Täterschaft




5.1.1 Alleintäterschaft

In fast allen Beispielsfällen ist uns bisher ein Täter begegnet, der alleine handelnd den jeweiligen Unrechtstatbestand ohne Kontakte zu anderen Personen so verwirklichte, wie die gesetzlichen Tatbestände der Paragraphen des BT die einzelnen Delikte beschreiben: "Wer einen Menschen tötet ... ." Selbst wenn "Neger-Kalle" dem St-Pauli-Killer P eine Pistole besorgt, damit P seinen Plan verwirklichen und den ihn vernehmenden Staatsanwalt töten kann, ist P nach vollbrachter Tat alleiniger Täter des Tötungsdelikts - der sich seinem Gerichtsverfahren aber durch Selbsttötung entzog. (Er hatte nur noch mit einem großen Knall abtreten wollen.)


Die Straf­bar­keit des unmittelbaren Täters, hier des Alleintäters, ist in § 25 I 1. Fall geregelt:
"§ 25 Täterschaft

Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst ... begeht. ..."



5.1.2 Mittelbare Täterschaft

Allein- oder Mittäter eines Tötungsdeliktes kann aber auch sein, wer gar nicht selber tötet, sondern in einer besonderen Fallkonstellation andere zu einer von ihm gewollten Tötung veranlasst.


Fall

Der Bauer M.T. liebte die Frau seines Nachbarn O und sie ihn. Beide fühlten sich durch den O in der Erfüllung ihrer Wünsche gehindert. Das sollte sich aber nach dem Willen der beiden än­dern. Darum zeigte M.T. den O kurz vor Ende des letzten Krieges bei den einrüc­ken­den Truppen der Alliierten als angeblich al­ten Nazi an, der an­geblich Juden an die Gestapo verraten hät­te. Daraufhin ist O ver­haf­tet und ohne rechtliche Klärung kur­zerhand erschossen worden. Das hatte M.T. bezweckt und den O in der dargestellten Weise verleum­det, weil er zuvor davon gehört hatte, dass in ähnlichen Fällen sofortige Erschießungen vorgenommen worden waren.


In dem Beispielsfall ist M.T. mittelbarer Täter, denn ihm wird bei der strafrechtlichen Prüfung seines Handelns das Gesche­hen, das durch das (seinerseits unrechtmäßige) Handeln der als Erschießungskommando eingesetz­ten, von M.T. so gewollten Tatmittler oder "Vordermänner" verwirklicht worden ist, im Un­rechtstatbestand objektiv als eigene Tat zugerechnet, weil er die Gefahr für diesen Geschehensablauf bewusst herbeigeführt hat. Er ist der das Tatgeschehen steuernde und darum dafür verantwortlich zu machende "Hintermann", der in strafrechtlicher Wertung die Tat be­ging, obwohl er sie durch Tatmittler als seine planmäßig dazu einge­setzten Werkzeuge begehen ließ. Er ist "der Täter hinter dem Tä­ter". Mit dieser Begründung ist z.B. Politbüromitgliedern ihr Prozess gemacht worden: Die unmittelbaren Täter waren die „Mauerschützen“, die den Abzugsbügel durchzogen, aber das taten sie nur, weil es ihnen „von ganz oben“ so befohlen worden war und sie drangsaliert und bestraft wurden, wenn ein „Durchbruch“ gelungen war. Die mittelbaren Täter, die Täter hinter den Tätern, waren die Politbüromitglieder, die wegen dieser schwersten Menschenrechtsverletzungen - nachträglich vom BVerfG abgesegnet - zu bis zu 6 ½ Jahren Gefängnis verurteilt wurden, was den noch bei Strafantritt Anfang des Jahres 2000 völlig uneinsichtigen letzten ehemaligen Ministerpräsidenten der DDR Krentz zu der Äußerung veranlasste: „Ich trete die Haft an, nicht als Krimineller, sondern als politisch Verfolgter der Justiz!“

Der von Krenz dieserhalb angerufene EuGH hat aber die Rechtsauffassung und damit das Urteil des BGH und des BVerfG inhaltlich ohne jeden Abstrich voll bestätigt.


Darüber, wie das Handeln des aktiv tätig werdenden Tatmitt­lers strafrechtlich zu beurteilen ist, sagt die Figur der mittel­baren Täterschaft gar nichts aus. Der Tatmittler kann selbst auch Tä­ter, oder nur Gehilfe, oder gar nur "undoloses Werkzeug" sein, das gar keine Deliktsverwirklichung bezweckt. Wenn das Handeln der Soldaten der alliierten Truppen aus dem letzten Beispielsfall durch das Völkerrecht und die eigenen Gesetze gedeckt gewesen wäre, hätten sie auf die den O der sofortigen Erschießung überantwortende Verleumdung als undolose Werkzeuge reagiert. Da sie aber sicher wussten, dass sie sich nicht so verhalten durften, waren sie dolose Werkzeuge. Doch beim Sieger kräht oft kein Hahn danach. Es gilt dann oft nur der dem Gallierfürsten Brennus so in den Mund gelegte (387 v. Chr. den besiegten Römern angeblich entgegengeschleuderte) Ausruf: "Vae victis!", mit dem er auch noch sein Schwert in die Waagschale geworfen haben soll, damit es über den abgepresst vereinbarten Tribut von 1000 Pfund Gold hinaus zusätzlich auch noch mit Gold aufgewogen werde. ("Wehe den Besiegten!" Der siegreiche germanische Heerführer kannte aber sicher nicht die Sprache der Römer, sondern - neben seiner eigenen - ganz offensichtlich nur die des Schwertes.)
Beispielsfall für einen in mittelbarer Täterschaft unter Zuhilfe­nah­me eines nicht mit Deliktsverwirklichungsabsicht handelnden "un­dolosen Werkzeugs" begangenen Diebstahl:
Dieb M.T. sieht auf dem Bahnsteig, dass der Reisende O seinen sperri­gen Koffer neben der Telefonzelle abgestellt hat und nun ohne Gepäck die enge Zelle betritt. Um die Gefahr des Ertappt­werdens bei dem von ihm geplanten Diebstahl des Koffers so ge­ring wie mög­lich zu halten, sagt M.T. zu dem gerade vorbeikom­menden Gepäckträger W, er solle "meinen" Koffer zum Taxi brin­gen. Der Coup gelingt.
W ist in einem solchen Fall undoloses Werkzeug, denn er weiß nicht, dass er von M.T. wie ein Werkzeug zur Begehung einer Straftat eingesetzt wird. M.T. ist mittelbarer Täter - und O der Gelack­meierte, dem aufgrund seines eigenen im Zivilrechtsstreit als grob fahrlässig einge­stuf­ten Verhaltens von seiner Reisegepäckversicherung der zur Ersatzbeschaffung der gestohlenen Sachen erforderliche Betrag mit Billigung des angeru­fenen Gerichts verweigert worden ist. Man darf laut Rechtsprechung seinen Koffer nicht aus den Augen lassen und muss ihn möglichst immer in Körperkontakt halten; das gelte insbesondere für Wertsachen. Selbst bei sich auf sehr langer Fahrt unvermeidlich irgendwann einstellendem Schlaf haben Gerichte schon gegen die Reisenden entschieden!
Beispielsfall für ein in mittelbarer Täterschaft unter Zuhilfe­nah­me eines "­dolosen Werkzeugs" möglicherweise tateinheitlich mit dem Vergehen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung begangenes Verbrechen einer Aussageerpressung:
Der stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident ordnete 2002 an, dass einem mutmaßlichen Kindermörder in Anwesenheit eines Arztes körperliche Schmerzen zuzufügen seien, damit der so unter Folterdrohung Stehende das Versteck verrate, in dem das von dem Polizeioffizier noch am Leben geglaubte Kind gefangengehalten werde.
Aussageerpressung ist wegen der in § 343 angedrohten Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe ein Verbrechen. (Strafminderungen für einen minder schweren Fall berühren und verändern laut § 12 III nicht die Deliktsqualität.) Damit ist die vom SPIEGEL gestellte Frage: „Held oder Verbrecher?“ vom Gesetz her eindeutig beantwortet.
Durchaus strittig kann sein, ob die Todesschützen an der Mauer undolos oder vielleicht sogar dolos handelnde Werkzeuge des Verteidigungsrates und damit selber Täter gewesen waren. (Reicht ein zum Teil eingestandenes ungutes Gefühl bei der Abgabe der befohlenen tödlichen Schüsse aus, um daraus den strafbegründenden Vorwurf eines potentiell erlangbaren wenigstens unbestimmten Unrechtsbewusstseins konstruieren zu können?) Woher sollten sie die Menschenrechte kennen, wenn sie ihnen von ihrem Unrechtsstaat permanent vorenthalten wurden, es z.B. u.a. keine öffentlich zugänglichen Texte der Deklaration der Menschenrechte gab, damit sich die DDR-Bürger ihrer oktroyierten Obrigkeit gegenüber nicht auf diese Rechte berufen konnten. Aber die Mitglieder des Verteidigungsrates, denen später nach der Wiedervereinigung wegen der Tötungen an der Grenze der Prozess gemacht worden war, die kannten die z.B. mit dem Beitritt zur UNO eingegangene Verpflichtung der DDR zur Wahrung der Menschenrechte, die von ihrem Staat zusätzlich mit der Unterschrift unter die OSZE-Abschlussakte von Helsinki bekräftigt worden war. Deswegen wurden sie mit dem Revisionsurteil des BGH - im Gegensatz zu dem Urteil des Landgerichts, das nur eine Verurteilung wegen erfolgter Anstiftung zur Tötung in x Fällen ausgesprochen hatte - mehrerer in mittelbarer Täterschaft begangener Totschläge für schuldig befunden. Sie waren die Hintermänner, die die Tatherrschaft innehatten. Das zeigte sich unübersehbar deutlich, wenn das (durchaus erörterungswürdige) staatliche Morden - Mordqualifikationsmerkmale "niedere Beweggründe (Rache)" und "Habgier": Willst Du undankbarerweise als Dissident unserem Arbeiter- und Bauernparadies entfliehen, ohne dass wir zuvor durch Deine hergesuchte Verurteilung mittels des Häftlingsfreikaufs der Bundesrepublik Devisen in Höhe von mindestens DM 95.000,- (€ 48.570,-) pro Mann abpressen konnten, so gehörst Du erschossen! – anläss­lich des Besuches westlicher Staatsgäste für diese Zeitdauer durch Rücknahme des Schießbefehls auf ihre Anordnung hin ausgesetzt wurde, um den Gast nicht durch eine in der Weltpresse neben seinem Bild präsentierte Leiche zu desavouieren. Dem objektiven Gewicht der Hintermänner an der Spitze einer Hierarchie werde es nicht gerecht, urteilte der BGH, diese (nur) als Teilnehmer an einer (fremden) Tat, aber die unmittelbar Handelnden, also die Grenzsoldaten, als (alleinige) Täter zu verurteilen. "Vae victis?" So beklagten es die uneinsichtigen verurteilten greisen SED-Bonzen. Das sei Siegermentalität, greinte der letzte Staatsratsvorsitzende und bestritt selbst dann noch, dass es einen Schießbefehl gegeben habe, nachdem zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung 2007 ein zweites Schriftstück aufgetaucht war, in dem es hieß: „Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben.“ Aber mit Strafen zwischen 5 und 7½ Jahren unter voller Anrechnung der mehr als zweijährigen Untersuchungshaft mit der Aussicht auf Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der festgesetzten Strafe in dem nun aufzusuchenden speziellen staatlichen Seniorenheim wurde von dem staatlichen Strafanspruch doch nur sehr moderat Gebrauch gemacht!
Die Strafbarkeit eines mittelbaren Täters ist in § 25 I 2. Fall ge­regelt:
"Als Täter wird bestraft, wer die Straftat ... durch einen anderen begeht."
Aber nicht jeder, der in mittelbarer Täterschaft eine unrechte Tat begeht, wird ihretwegen bestraft. Auch einem solchen Täter stehen gegebenenfalls Entschuldigungsgründe zur Seite, die die zunächst bei der Prüfung des Deliktes angenommene Rechtsschuld wieder entfallen lassen:
Wenn alle anderen Grauen hervorrufenden Details aus dem Artikel STERN 20.02.97 über das Buch des mit seiner Familie von den Nazis in KZs verschleppten Juden Roman F., dessen Familienangehörige in einem der KZs umgekommen sind und wo er gelernt hatte, dass Mitleid das Überleben verhindert, weggelassen werden, dann liest sich der uns in diesem Zusammenhang interessierende Abschnitt über eine Begebenheit in dem Lager Eintrachthütte so:
„Dort lernte Roman F. Arpad Basci kennen, einen Häftling mit besonderen Neigungen und Privilegien. Basci konnte aus durchgekautem Brot kleine Schachfiguren formen, die bei den Aufsehern begehrt waren. Sechs Jungen wählte Basci, die ihm das Brot durchkauten. Sie liebten den Geschmack, er liebte Knaben, so schloss sich der Kreis. Eines Nachts schleicht sich der Ungar in die Pritsche des 16jährigen Roman und vergewaltigt ihn. Damit er den Schmerz nicht herausbrüllen kann, verschließt Basci ihm mit Brotscheiben den Mund. »Als er von mir abließ und ich den letzten Brotkrümel heruntergeschluckt hatte, überfiel mich ein Gefühl der Demütigung, weil er mich so grob überfallen hatte, und eine Welle der Scham, dass der Hunger meine Ehre ausgelöscht hatte.« Aber das war nicht das einzige, was Basci ihm genommen hatte. Fs Mütze war weg. Und ein Häftling ohne Mütze beim Appell war ein toter Häftling. Arpad Basci wollte keine Zeugen.

Es war fast Morgen, als F durch die Baracke streicht und schließlich unter dem Arm eines Mithäftlings eine Streifenmütze sieht. Er zieht sie heraus und flieht unter die Decke. Bis zum Wecken macht er kein Auge zu. Beim Appell um fünf schneit es leicht. »Irgendwo hinter mir stand ein Mensch, der auf seinen sicheren Tod wartete. Ich hatte keine Ahnung, was der Mensch ohne Mütze fühlte und dachte. Ich hatte keine Gewissensbisse.« Der Mann flehte nicht um sein Leben. Der Schuss wurde ohne Vorwarnung abgegeben. Ein kurzer, trockener Knall, ohne Echo. »Ich blickte mich nicht um«, schreibt F. »Ich war froh zu leben.«




5.1.3 Nebentäterschaft

Die Neffen A und B haben je ein kostspieliges Hobby: Eine sehr anspruchsvolle Freundin. Darum wollen sie den Eintritt des Erbfalles unziemlich be­schleu­ni­gen - ohne von der gleichlaufenden Zielrichtung des je­weils ande­ren zu wissen. Unabhängig voneinander und ohne Ab­sprache unterein­an­der schütten sie dem zu beerbenden reichen Erbonkel O je eine zur Tötung ausreichende Dosis Gift in den Morgenkaffee. O hie­ße hier nicht O, wenn er nicht nur Onkel gewesen, sondern auch Opfer dieses Anschlags geworden wäre.


Der Fall zeigt, dass mehrere Täter unabhängig voneinander und ohne jede Absprache und Koordination untereinander zur Verwirklichung desselben deliktischen Erfolges tätig werden können. Ihnen ist bei Erfolg jeweils einzeln im Unrechtstatbestand der Tod des O als je­weils eigene Tat objek­tiv zuzurechnen, ohne dass die gleich nach­fol­gend dargestellten Voraussetzungen der Mittäterschaft vorlie­gen.

Weil beide Nebentäter unmittelbare Täter sind, wird die Straf­­barkeit ihres Handelns - wie bei sonstiger Alleintäterschaft - auch durch § 25 I 1. Fall erfasst und geregelt.



5.1.4 Mittäterschaft

Kann O, das Opfer eines Versuch gebliebenen Mordanschlages, gleich­zeitig Mittäter des gegen ihn selbst gerichteten Anschlages sein und dafür wegen Mordversuchs (an sich selbst!) mit lebens­lan­ger Freiheitsstrafe bestraft werden?


Phantasie eines bastelfreudigen Strafjuristen, der die Wissen­schaft narren will? Auf so etwas kommt keiner von sich aus; sonst wäre der Fall vorher schon erörtert worden, bevor er passierte. Der nach­fol­gend geschilderte Fall zeigt, dass im Bereich des Strafrechts prak­tisch keine noch so ungewöhnliche Fallkonstellation abwegig ist. Oft reicht die Phantasie eines Juristen nicht aus, ein Pro­blem im Vorhinein zu erkennen und zu behandeln. Hinterher kann man nur sagen: "Wer hätte denn auf so etwas je kommen sollen?" Das Leben ist da viel einfallsreicher!
Fall (BGHSt 11/268)

A, B und O beschließen, gemeinsam nächtens in eine Fabrik ein­zu­­stei­gen, um dort Waren zu stehlen. Um möglicherweise auf­kreu­­zende Nachtwächter in Schach halten zu können, bewaffnet sich jeder Einbrecher mit einer Pistole, und es ist verabredet, notfalls die Waffe auch gezielt einzusetzen. Nachdem sich A, B und O Zugang zu dem weit­gestreckten Werksgebäude verschafft haben, teilten sie sich auf, um arbeitsteilig bestimmte Be­rei­che nach Wertgegenständen ab­zusuchen. Als sie zur verein­bar­ten Uhrzeit dem vorher vereinbarten Treffpunkt zustrebten, glaubte B sich von einem Nachtwächter ver­folgt. Zur Verdeckung der bisher begangenen Straftat - im Schuld­tat­bestand zu prü­fen­­des und zu bejahendes Mordqualifikationsmerk­mal - schießt B in Tötungsabsicht sofort auf die Gestalt - und verletzt so den O schwer, den er irrig für einen Verfolger gehalten hatte.


O ist nicht unmittelbarer Täter des Tötungsversuchs, sondern dessen Opfer. Bezüglich des versuchten Tötungsdeliktes hätte O nicht bestraft wer­den können, wenn er selbst auf sich geschossen hätte, denn das wäre der Versuch einer straflosen Selbsttötung gewesen. Hätte B bewusst auf O geschossen, um ihn um seinen Beutean­teil zu prellen, könnte der O auch nicht wegen des (vom BGH aber so gesehenen) gegen ihn verübten Mordversuchs verurteilt werden. Nun schoss B aber auf O, weil er glaubte, ein Nachtwächter hätte ihn überrascht. Diesem gegenüber wollte er seine Straftat verdecken. Zu bestrafen ist für diesen Mordversuch auf jeden Fall B. Aber auch O (und dann auch A)? Eine objek­tive Zurechnung der Handlung des B u.a. auch als eigene (aber nicht eigenhändige) Tat des O mit der Konse­quenz, dass auch das Opfer zu O zu lebenslanger Freiheitsstrafe ver­urteilt werden könnte, kann nicht über die Figur der mittelbaren Täterschaft erfolgen, denn O ist nicht steuernder Hintermann des B.

Der BGH rechnete dem O die ihn verletzende Handlung des B aber über die Denkfigur der Mittäterschaft zu und verurteilte das Opfer wegen des an ihm selbst verübten Mordversuchs zu lebenslanger Freiheits­strafe.


Mittäterschaft wird überwiegend dann angenommen, wenn mehrere Tä­ter in Ko­or­di­nation einen gemeinsamen Entschluss zu einer speziel­len Deliktsver­wirk­lichung fassen und(!) außerdem im Hinblick auf diese spezielle Deliktsverwirklichung auch gemeinschaftlich tätig werden. Dann wird die Handlung des einen Täters dem anderen Täter als eigene Tat zugerechnet. Darum wird die Mittäterschaft von man­chen als Sonderform der mittel­baren Täterschaft angesehen: statt Zurechnung des Handelns des Werkzeugs nun ge­genseitige Zu­rechnung des Tatanteils des anderen Mittäters als eigene Tat. Diese Figur wurde entwickelt, um auch den planenden und steuernden Gangsterboss, der sich bei der konkreten Durchführung alibiwirksam zurückhält, als Täter und nicht nur als Gehilfen packen zu können.
Die gewollte Zurechnung hat aber ihre Tücken: Überschreitet ein Täter einen gemeinschaftlichen Tatentschluss und handelt er darü­ber ­hin­aus­gehend – in Abwandlung des Ausgangsfalles verabreden A, B und O einen Einbruchsdiebstahl ohne Waffen, B bringt aber heimlich eine Pistole mit und schießt O an, den er für einen Verfolger hält - so liegt in dieser versuchten Tötung unstreitig ein so genannter "Exzess" des so handelnden Täters (B) vor, für den die an­de­ren Täter des Einbruchs nicht mithaften müssen. In einem solchen Fall würde ihnen der Tötungsversuch des Exzesstäters (B) nicht als eigene Tat zugerechnet. Der Ausgangsfall hatte sich aber so abge­spielt, dass verabredet worden war, im Falle des Überraschtwerdens von der Waffe rücksichtslos Gebrauch zu machen. Dieser Entschluss war von O mitgetragen worden. Nun meinte der BGH, dass nichts an­deres gelten könne, wenn bei dem schießenden Täter ein "error in persona" (Irrtum über die Person des Opfers) vorliege. Das Opfer wurde so wegen des an ihm selbst verübten Mordversuchs bestraft. Eine solche Bestrafung setze nach Meinung des BGH nicht voraus, dass O selbst ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal des Versuch ge­bliebenen Mordes verwirklicht haben müsste. Es genüge nach ständi­ger Rechtsprechung des BGH eine geistige Mitwirkung derart, dass durch sie zu irgendeinem Zeitpunkt der Tötungswille des handelnden Täters gestärkt worden sei.

Das ist aber ein klassischer Fall der noch zu behandelnden "psy­chischen Beihilfe": Die Rostocker Bürger, die entweder die das Haus der un­tergebrachten Asylanten anzündenden Neonazis beifällig beklatschen zugeschaut oder darüber hinaus Steine herangeschafft hatten, damit dem braunen Mob nicht die Munition ausgehe, hat­ten schon allein durch ihr Beklatschen eine psychische Beihilfe zum Mordversuch der Skins und Neonazis geleistet, weil sie durch ihre johlende Zustim­mung den Pöbel in seiner Mordabsicht bestärkt hatten. Aber sie waren keine Mittäter, denn sie sind ja nicht mit einem gemeinsamen Handlungsentschluss in irgendeiner Weise arbeitsteilig handelnd tätig geworden.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf lesen Sie bitte die nachfolgende Zeitungsnotiz und überdenken Sie das, was die üblicherweise sachkundigen Journalisten des SPIEGELs in diesem Fall an strafjuristischem Unsinn verzapft haben:
„GEWALTTÄTIGE KINDER

Elfjähriger vergewaltigt greise Nachbarin

Eine 76-jährige Frau ist in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin von einem elfjährigen Jungen vergewaltigt worden. Das Kind wurde verhaftet.

Milwaukee - Der Junge habe die Vergewaltigung der Nachbarin gestanden, hieß es in einer Polizeimitteilung. Bei der Tat hätten ihm drei andere Jungen im Alter von elf bis 13 Jahren zugeschaut. Die drei Teen­ager wurden wegen Mittäterschaft festgenommen. ...“ (SPIEGEL ONLINE 23.09.04)

Gegen die zu dem Ausgangsfall dieses Kapitels geäußerte Ansicht des BGH richtet sich u.a. Schmidhäusers Kritik. Er verneint in dem zuvor behandelten Fall eine Mittäterschaft des Opfers schon deswegen, weil überhaupt kein aktueller gemeinschaftlicher Tatentschluss im Hinblick auf die Versuch gebliebene Tötungshandlung gefasst worden sei. Auf jeden Fall scheitere in dieser Konstellation die Annahme einer Mittäterschaft aber deswegen, weil keine gemein­sa­me Tatausführung hinsichtlich der Tötung vorliege, und § 25 II for­dere eine gemeinsame Begehung; das ist etwas anderes, als wenn dort stände: "Planen mehrere die Straftat gemeinsam ... ." Die Mittäterschaft am Diebstahl lasse sich nicht auch auf die am Tötungs­ver­such übertragen; das Davonlaufen des ersten und dritten Diebes könne in keiner Weise als gemeinschaftliche Tatausführung (= Bege­hung) des Tötungsdeliktes gesehen werden. Irgendein Tatbeitrag, der weiterreiche als das bloße Fassen des Entschlusses(!) - ge­mein­samer Entschluss und gemeinsame Ausführung war das Kennzeich­nende der Mittäterschaft - müsse aber von ei­nem Mittäter hinsicht­lich der Tötungshandlung vorgenommen worden sein, um ihm die Tat des handelnden Täters als eigene Handlung zu­rechnen zu können. Im Ausgangsfall fasste aber der zweite Dieb den aktuellen Entschluss, auf die hinter ihm laufende Person zu schie­ßen, ganz für sich al­lein. Und er handelte auch ganz alleine bei der Um­setzung dieses allein gefassten Entschlusses.

Und dem Urteil des BGH stehen auch aus dem von mir zuvor schon vorgebrachten Kritikpunkt heraus rechtliche Bedenken entgegen: Es ist allseits anerkannt, dass das seelische Erleben eines Täters seine Strafbarkeit begründen kann. Wer z.B. zur Befriedigung seines Geschlechtstriebes tötet, ist nicht nur Totschläger, sondern Mörder. Wenn er sich noch dabei filmt und dann diese Videoaufnahme an ebenfalls kranke Liebhaber dieses Genres zu deren Befriedigung ihres Geschlechtstriebes für sehr viel Geld verkauft, dann begründet der Kauf des Videos durch diese Abartigen nicht deren strafrechtliche Qualität als Mörder. Genau so darf aber auch die Täterschaft des O nach meinem Dafürhalten nicht durch das pure seelische Erleben des B begründet werden! Schießt B auf den hinter ihm laufenden O, um nicht die Beute mit ihm teilen zu müssen, hat O unstreitig keinen an sich selbst in mittelbarer Täterschaft begangenen Mordversuch zu verantworten. Und die rechtliche Qualität des Schusses soll sich zu einem Mordversuch des O an sich selbst verändern, wenn der B sich bei Abgabe des Schusses etwas anderes denkt und glaubt, dass er von einem Nachtwächter verfolgt werde? Das überzeugt mich nicht! Da kann ich den »Strafrechts-Riesen« des BGH nicht folgen.


Die gravierend abweichende Folge aus den unterschiedlichen Lösungen des vorstehend so ausführ­lich behandelten juristischen Problems ist wieder der Unterschied in der Strafdrohung für den angeschossenen O und für den anderen Komplizen A von lebenslanger Freiheitsstrafe bei angenom­me­­ner Mittä­terschaft zu maximal 15 Jahren Freiheitsentzug für psychi­sche Bei­hilfe von A und O zur Tat des B.
Die Strafbarkeit eines Mittäters ist in § 25 II geregelt.


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