3. Straftheorien
Um das Strafen irgendwie zu rechtfertigen, wurden die unterschiedlichsten Straftheorien entwickelt:
Die Germanen hatten die Vorstellung, dass, wer sich nach ihrem Wertekanon gröblichst vergangen und z.B. Feigheit vor dem Feind gezeigt hatte, somit nicht nach Walhall gelangen konnte, um zum Ende der Zeit an dem Endkampf auf Seiten der Götter teilzunehmen, dass der mit dem Tode zu bestrafen sei. Oberster Richter war oft der oberste Priester. Durch diese Konstellation wurde die Tötung des für schuldig befundenen »Verbrechers« zu einer kultischen Handlung, durch die die beleidigten Götter wieder versöhnt werden sollten. Diese germanische Sicht auf den Sinn des Strafens schwingt in den absoluten Straftheorien nach.
Die insbesondere von Kant und Hegel vertretenen so genannten absoluten Straftheorien wollten, überwiegend losgelöst vom Täter, durch Strafe als Schuldausgleich die durch den Rechtsbruch verletzte beleidigte »ewige«, »göttliche« Gerechtigkeit in der Welt wiederherstellen – was natürlich voraussetzt, dass man glaubt, dass es sie überhaupt gebe(!) -, oder sie sahen die dem Täter auferlegte, seiner Untat - nach dem Motto: „Aug‘ um Auge, Zahn um Zahn“ - möglichst entsprechende Strafe als den Täter von seiner Schuld reinigende Sühne an. Kant bildete zur Veranschaulichung sein berühmtes »Insel-Gleichnis«: „Selbst, wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflöste (z.B. das die Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinander zu gehen, um sich in alle Welt zu zerstreuen), müsste der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat; weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“42 Einem solchen Rigorismus trat Martin Luther King mit dem Hinweis entgegen: „Das alte Gesetz »Aug‘ um Auge« hinterlässt nur Blinde.“ Außerdem muss es nicht so »blind« angewandt werden, wie eine kleine Geschichte oder bloße Anekdote deutlich macht: „Ein Knecht Ibn Sauds fiel von einer Palme und tötete einen unter dem Baum Stehenden. Die Witwe ging zum König und forderte, auf altes Recht pochend, das Leben des Knechtes. Eine finanzielle Abfindung lehnte sie ab. Das Gesetz schreibt die Todesart für den Verurteilten nicht vor. Ibn Saud entschied daher: ‚Er soll sterben wie dein Mann. Du steigst auf die Palme und lässt dich so lange auf ihn fallen, bis er stirbt.’ Da entschloß sich die Frau zur Annahme des Geldes.“43
Doch wer kann nach u.a. Hexenprozessen, Inquisition, Zwangschristianisierung ganzer Kontinente mit ungeheuren Verlusten unter den zur Zwangsbekehrung Ausersehenen oder der Ermordung von Millionen Menschen in deutschen KZs ernstlich behaupten, dass nach einer unsichtbaren höheren Ordnung in der Welt die Gerechtigkeit herrsche und die durch den Rechtsbruch zuvor beleidigte Gerechtigkeit durch Bestrafung des oder der Schuldigen Satisfaktion erhalte?
Vielleicht kann die frühere, jetzt nur noch sprichwörtlich bekannte Institution des Prügelknaben als irgendwie gearteter Ausfluss einer absoluten Straftheorie gesehen werden? Weil an jungen Edelleuten früher eine an sich verdiente Prügelstrafe nicht vollzogen werden durfte, wurden armer Leute Kinder, die ausschließlich zu diesem Zweck gehalten wurden, an Stelle der Missetäter abgestraft - wobei seine rotzlöffelige Hochwohlgeboren aber zusehen musste. (Das Äquivalent des stellvertretend geprügelten armen Kindes – um die Gerechtigkeit in der Welt wiederherzustellen? - bestand darin, dass dieses aufgrund seiner Begabung ausgesuchte Kind durch die gemeinsame Erziehung mit dem »Edelkind« eine ausgesuchte Ausbildung und damit Sozialchancen erhielt, die ihm bei den üblicherweise verheerend geringen Aufstiegschancen in der zementierten Ständegesellschaft früherer Jahrhunderte nie zugänglich gewesen wären.)
Die so genannten relativen Straftheorien suchen nicht nach einer so abgehobenen Begründung wie der einer Versöhnung der durch die Straftat beleidigten Gerechtigkeit in der Welt durch die dem Täter auferlegte Strafe. Sie sind vielmehr dem auf die Zukunft zielenden Gedanken der Vorbeugung ("Prävention") verpflichtet. Schon Platon vertrat rund 2.000 Jahre vor den genannten, der idealistischen Schule zugerechneten deutschen Philosophen Kant und Hegel die wesentlich realistischere Ansicht, dass kein vernünftiger Mensch strafe, weil eine sowieso nicht mehr ungeschehen zu machende Tat begangen worden sei, sondern nur, damit keine neue geschähe. Wie Platon betonen die Vertreter des Gedankens der Generalprävention, der Zweck der Strafe bestehe darin, durch die abschreckende Wirkung der angedrohten Sanktionen und der mit ihnen verbundenen gesellschaftlichen Ächtung weitere potentielle Täter und damit die Allgemeinheit von der Begehung von Straftaten abzuhalten (negative Generalprävention) und das Rechtsbewusstsein der Rechtstreuen zu bestärken (positive Generalprävention).
Der Gedanke der negativen Generalprävention ist selbst in der deutschen Rechtsgeschichte kein neuer Gedanke. So können wir schon in der etwa 740 n.Chr. verfassten Lex Bajuvariorum44 lesen:
"Erlassen aber sind die Gesetze, damit aus Furcht vor ihnen die menschliche Bosheit im Zaume gehalten und die Unschuld unter den Ehrbaren gesichert, dagegen unter den Böswilligen durch die Furcht vor der Strafe die Gelegenheit, Schaden zu stiften, eingedämmt werde."
Amseln Ritter von Feuerbach hat diesen von unseren Altvorderen ganz einfach der Alltagspraxis abgeschauten Gedanken vor rund 200 Jahren als „Theorie vom psychologischen Zwang“ erneut hochgebracht und als Straftheorie verkündet. (Die Rechtsprofessoren gefallen sich halt mit »Theorie«-Bildungen.)
Die Vertreter des Gedankens der Individual-/Spezialprävention hingegen wollen durch Verhängung einer Strafe als „Denkzettel“ den jeweiligen Übeltäter durch individuelle Abschreckung von der Begehung weiterer Straftaten abhalten (negative Spezialprävention). Das Maximalziel ist dabei, dass ein besserungsfähiger Täter durch die erhoffte erzieherische Wirkung der Strafe gebessert werde, Resozialisierung also (positive Spezialprävention). Wilhelm Busch reimte in „Plisch und Plum“ unübertroffen prägnant:
„Tugend will ermuntert sein,
Bosheit kann man schon allein!“
Die Situation in den Gefängnissen hat sich aber sehr gewandelt. Heutzutage sitzen, nachdem die Menschheit immer enger zusammenrückt und sich die einheimische Bevölkerung zunehmend mit bei ihr aufgenommener ausländischer mischt, z.B. mehr Rauschgiftsüchtige als früher in den Gefängnissen und viele Ausländer. Bei der kulturellen Vielfalt in den Gefängnissen und den medizinischen, psychologischen, sprachlichen, religiösen und ethnischen Ausdifferenzierungen unter den Gefangenen kann der Gedanke der Resozialisierung vergessen werden. Die Gefängnisse sind eher zu Lehranstalten für Kriminalität geworden.
Gegen den sicher erwünschten und deshalb sogar angestrebten Erfolg des spezialpräventiven Ansatzes der Besserungsbemühungen durch das Instrument des Strafrechts und die Institutionen der Strafverbüßung und deren Handhabung in ihrer bisherigen Form spricht aber bislang die in der Presse berichtete Rückfallquote von zwischen 65-80 % aller Täter, die schon mindestens einmal Strafhaft verbüßt haben. Darum soll - als sich dann ergebendes Minimalziel der Spezialprävention - ein nicht besserungsbereiter Täter (von der Geisteshaltung eines Shakespeareschen Richard III: „Drum beschloss ich, ein Bösewicht zu werden und Feind den eitlen Freuden dieser Tage“) zur Absicherung seiner Mitmenschen vor soviel krimineller Energie von der Gesellschaft ferngehalten werden.
Wenn man es statistisch betrachtet, stellt sich die als stärkste Form der Generalprävention gedachte und in mindestens 75 (HH A 29.11.05) Staaten der Welt noch praktizierte Todesstrafe (Verhinderung von Morden, weil ein potentieller Täter um sein eigenes Leben fürchten muss) nur als stärkste Form der Spezialprävention dar: Von einem Hingerichteten geht keine Gefahr mehr für die Mitmenschen aus! Doch die Statistik weist auch aus, dass die Gewaltkriminalität z.B. in den skandinavischen Ländern, die keine Todesstrafe verhängen, oder in der Schweiz, wo jeder wehrfähige Mann sein Gewehr zu Hause hat, bezogen auf die Größe der Bevölkerung auf jeden Fall nicht größer ist als in den USA, wo die Todesstrafe von den entscheidenden Leuten, zuvorderst dem sich als wiedererweckter Christ begreifenden Präsidenten Bush, und der Mehrheit der Bevölkerung in einem alttestamentarischen Bibelverständnis zu 64 % (200545) noch ziemlich bedenkenlos gutgeheißen wird, für rund 60 Delikte vorgesehen ist und - nach einer vierjährigen Pause bis 1976 - in 38 der Bundesstaaten insbesondere im Süden der USA auch angewandt wurde, wobei die Anzahl der Staaten, die die weiterhin bestehende Möglichkeit der Verhängung der Todesstrafe auch wirklich noch anwendet, bis 2003 abgenommen hat. Zu ihnen gehören u.a. New York, Illinois und New Yersey, in denen offiziell ein Moratorium verkündet wurde, bis sichergestellt sei, dass kein Unschuldiger getötet werde, denn die Todesstrafe wird überproportional gegen Farbige und sozial Schwache verhängt, von denen zwischen 1972 und 2004 in 122 Fällen insbesondere durch das aufopferungsvolle Engagement des "Innocent Project" durch DNA-Analysen nachgewiesen werden konnte, dass sie das ihnen zur Last gelegte Verbrechen nicht begangen haben. 2007 kam beinahe jede eineinhalb Wochen irgendwo in den Vereinigten Staaten ein Mensch aus dem Gefängnis frei, weil ein DNA-Test bewiesen hat, dass er die ihm vorgeworefene Straftat – zu 90 % Vergewaltigung – nicht begangen hat; teilweise hatten die Vergewaltigungsopfer sich geirrt und die unschuldig Beschuldigten als Täter »wiedererkannt«. Und die Staatsanwälte handelten mit Eifer nach dem Motto: "Einen Schuldigen kann jeder überführen - aber es braucht Begabung, einen Unschuldigen zu überführen." 208 Justizopfer mussten bereits freigelassen werden. Im Mittelwert hatten die zu Unrecht Verurteilten zwölf Jahre hinter Gittern verbracht. 15 von ihnen waren sogar zum Tode verurteilt worden und sind den Henkern teilweise nur knapp entronnen. Und bei einigen Hingerichteten gibt es Zweifel über die ihnen gerichtlich zuerkannte Schuld: Im Fall des Robin Lovitt bestehen Zweifel an seiner Schuld, aber die Staatsanwaltschaft hat die Tatwaffe "aus Platzgründen" weggeworfen, sodass sie nicht mehr auf entlastende DNA-Spuren hin untersucht werden konnte. Ein weiterer Fall ist der des wegen eines ihm zur Last gelegten Mordes 1993 mittels einer Giftspritze hingerichteten Ruben Cantu. Ein Jahrzehnt nach seiner Hinrichtung erklärte der Kronzeuge des Mordprozesses, ein Mittäter, dass Cantu unschuldig gewesen sei! Auch der ehemalige Drogendealer Quintin Moss, der 1995 in Missouri wegen Mordes hingerichtet worden war, wurde vermutlich für eine Tat bestraft, die ein anderer begangen hat. Ein Polizist gestand später, dass er während der Verhandlung gelogen habe. Beide Prozesse wurden postum jedoch nicht mehr neu aufgerollt. So bleiben die Schuldsprüche gültig – und das US-Justizministerium kann darauf beharren, dass es "keinen Beweis gibt", dass jemals ein Unschuldiger seit der Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 Jahren hingerichtet worden sei und dass das System zuverlässig arbeite. Bereits vollstreckte Todesurteile sind bisher nur in wenigen Fällen von den DNA-Detektiven überprüft worden. Deshalb konnten kaum festgestellt werden, ob auch schon Unschuldige exekutiert wurden. Trotz der erschreckend-überzeugenden Ergebnisse bei der Überprüfung der Fälle unschuldig Verurteilter hatten 2007 aber bisher erst 42 der insgesamt 50 Bundesstaaten einen nachträglichen DNA-Test überhaupt zugelassen.
„Es gibt eine Gerechtigkeit für die Reichen und eine Gerechtigkeit für die Armen!“46, sagte einer der unschuldig Verurteilten, die einen Stafettenmarsch Betroffener nach Chicago organisiert hatten, um den Gouverneur durch die Überreichung einer Bittschrift zu bewegen, aus grundsätzlichen Erwägungen auf die Vollstreckung der Todesstrafe im Staate Illinois zu verzichten. Aber mehrheitlich hängen die Amerikaner immer noch dem Irrglauben an, nur so die ausufernde Kriminalität in ihrer Gesellschaft mit Aussicht auf größtmöglichen Erfolg bekämpfen zu können. Das ist deswegen ein Irrglaube, weil dort, wo regelmäßige verlässliche Daten zur Kriminalstatistik erhoben werden, bisher nirgends ein Zusammenhang zwischen Todesstrafe und Rückgang von Gewaltverbrechen festgestellt werden konnte. Eine Reihe von Studien für US-Staaten zum Beispiel scheint eher das Gegenteil zu belegen: Dort, wo keine Todesstrafe existiert oder angewandt wurde, lag die Zahl der Morde fast immer niedriger als dort, wo im selben Zeitraum Hinrichtungen durchgeführt wurden. Dies stützt Überlegungen, wonach die Todesstrafe als äußerste staatliche Gewalttat eher zu einer allgemeinen Verrohung führen und die Hemmschwelle für Gewalttaten senken könnte; was allerdings nicht als zwangsläufiger Mechanismus interpretiert werden darf, denn im Vatikan wurde die Todesstrafe erst 2001 nach einem Mord eines Schweizer Gardisten an einem Kameraden abgeschafft. Der Vatikan wandte sich folgerichtig Ende 06 auch gegen die Verhängung der Todesstrafe über den irakischen Ex-Diktator Hussein oder gegen deren Vollstreckung mit dem Argument: Nur Gott dürfe das Leben nehmen. Darum könne man "nicht ein Verbrechen durch ein anderes sühnen".
Ich zögere sehr, mit meinem (eingeschränkten) Wissensstand, die USA als Rechtsstaat zu bezeichnen – was sie ihrem Selbstverständnis nach aber sein wollen und zu sein behaupten! Amerikas Gefängnisse halten zu viele Unschuldige in ihren Todeszellen fest, die befürchten, dass jeder heraufdämmernde Tag ihr letzter sein könnte, und das jahre-, ja sogar jahrzehntelang! Aufsehen erregte der republikanische Gouverneur von Illinois und anfängliche Befürworter der Todesstrafe, Georg H. Ryan, als er nach der Aufdeckung vieler durch Polizeiwillkür und -folter während der Vernehmungen verursachter, ihn alarmierender Fehlurteile in seinem Staat und nach einer anschließenden gründlichen Untersuchung zu dem Ergebnis kam, dass es zu viele durch Folter erzwungene Geständnisse gegeben hat, die dann zu Todesurteilen geführt hatten. Da er nicht, wie George W. Bush, Präsident der USA werden wollte, wandelte er „in the interest of justice“ pauschal alle Todes- in Haftstrafen um, „auch wenn mich manche meiner Wähler dafür hassen werden.“
Nach dem Bericht in Phönix vom 25.10.04 hatte es viele Fälle gegeben wie den von Antony Porter, Ganger, Gabriel Solache, Furman und vielen anderen:
Antony Porter hatte schon 16 Jahre in einer Todeszelle gesessen. 50 Stunden vor der dann doch angesetzten Hinrichtung belegten Studenten an der Universität von Chicago einen Kurs in investigativem Journalismus. Sie fanden sofort heraus, dass Porter die ihm zur Last gelegte Tat nach den Fallumständen gar nicht begangen haben konnte und erreichten zunächst in einem dramatischen Wettlauf mit der Zeit den Aufschub der Hinrichtung und dann die Freilassung des Unschuldigen.
Ganger war beschuldigt worden, seine Eltern in ihrem Motorradgeschäft ermordet zu haben. Nach 18 Stunden Verhör, die meiste Zeit an einer Wand mit einer Hand angekettet, bis auf ein Brötchen ohne etwas zu essen, ohne Pause und ohne Schlaf und nach Schlägen durch die vernehmenden Polizisten setzten die Polizisten ein angebliches Geständnis auf, von dem Ganger in dem Fernsehreport sagte, dass er es nie abgegeben habe, das dann aber doch die Grundlage für das gegen ihn ergangenen Todesurteil bildete.
Grayland Johnson war mit Schlägen gefoltert worden. Polizeibeamte hatten ihm einen Sack über den Kopf gezogen und dann mit dem dicken Telefonbuch von Chicago auf seinen Kopf eingeschlagen. So vermieden sie Folterspuren und taten hinterher seine diesbezüglichen Einlassungen als Märchen ab. Und eine weiße Jury glaubt im Zweifel weißen Polizisten, wenn ein Farbiger eines Mordes beschuldigt wird. Er wurde gegen Heizkörper geworfen und es wurde ihm ein Gewehrlauf in den Mund gesteckt. An Händen und Füßen gefesselt war Johnson schließlich von den ihn vernehmenden Polizeibeamten kopfüber aus einem Fenster gehängt worden: „Wenn du nicht gestehst, kommt dir das Auto da unten ganz schnell entgegen!“ Da unterschrieb er das ihm vorgelegte angebliche Geständnis – und wurde auf Grund dieses Geständnisses zum Tode verurteilt.
Gabriel Solache war aus Mexiko in die USA gekommen. Er spricht nur Spanisch. Als er eines Mordes bezichtigt wurde, wurde er ohne Anwalt und Dolmetscher 40 Stunden lang hintereinander und mit Schlägen durch Polizisten verhört. Ein vernehmender Polizist übersetzte für seine Kollegen das Gespräch; in wieweit er dabei die Aussagen manipulierte, ließ sich hinterher nicht mehr feststellen. Nach diesen 40 Stunden unterschrieb der Mexikaner das ihm vorgelegte und in ihm unverständlichem Englisch abgefasste Geständnis, da er, wie gesagt, nur des Spanischen mächtig ist. „Ich konnte die Schläge nicht mehr ertragen!“ Er wurde – die Jury hatte da keinerlei Skrupel(!) - auf Grund des von ihm in ihm unverständlicher Sprache abgefassten aber gleichwohl unterschriebenen Geständnisses zum Tode verurteilt.
Im Fall Furman hatte der Oberste Gerichtshof der USA die Vollstreckung der Todesstrafe verboten.
Ein Staat, in dem so etwas geschieht – und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass der Bundesstaat Illinois in dieser Beziehung eine unrühmliche Ausnahme unter den us-amerikanischen Bundesstaaten wäre -, ist kein Rechtsstaat!
Ein zum Glück noch lebender weiterer Beweis für die geäußerte Annahme, dass noch weitere Unschulige in Todeszellen von US-Gefängnissen sitzen werden, ist der nachfolgend widergegebene Zeitungsbericht:
18 Jahre unschuldig in der Todeszelle
John Thompson saß fast die Hälfte seines Lebens im Gefängnis für einen Mord, den er nicht begangen hat. Kurz vor der Hinrichtung bewiesen seine Anwälte seine Unschuld. Jetzt haben sie 14 Millionen Dollar Entschädigung für ihn erstritten.
Der Geschäftsmann Ray Liuzza aus New Orleans ist 1984 auf dem Bürgersteig vor seinem Haus mit mehreren Schüssen in den Rücken niedergestreckt worden. Der Täter entkam mit der Brieftasche und einem Siegelring des Opfers. Wochen später hielt ein Mann, bewaffnet mit einem Revolver des gleichen Kalibers, einer 357er-Magnum, ein Auto mit drei Jugendlichen an, geriet mit ihnen in ein Handgemenge und lief davon. Kurz darauf glaubte die Polizei, Liuzzas Mörder gefunden zu haben: den 22-jährigen John Thompson, einen Drogendealer und Kleinkriminellen aus einen Armenviertel der Stadt. Die Tatwaffe und der Siegelring waren bei ihm gefunden worden. Als sein Bild in der Zeitung erschien, glaubten die im Auto überfallenen Jugendlichen, in ihm den Täter des Autoüberfalls erkennen zu können. Thompson beteuerte seine Unschuld, doch als Schwarzer, arm, ohne Alibi und Unterstützer standen seine Chancen schlecht. Er wurde vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt.
1988 wollten zwei junge, ehrgeizige Anwälten einer Großkanzlei in Philadelphia einen "Pro-Bono-Fall", einen Dienst am Gemeinwohl einen ohne Bezahlung, übernehmen, weil das zum guten Ton bei einflussreichen US-Kanzleien gehört.
Als der den weißen Anwälten gegenüber zunächst misstrauische Thompson sah, wie sehr die beiden Fremden aus Philadelphia für ihn kämpften, gewann er Vertrauen. Die Anwälte begannen im Zuge ihrer Ermittlungen an seine Unschuld zu glauben, aber sie konnten sie nicht beweisen.
Im April 1999 waren alle juristischen Mittel erschöpft, und am 20. Mai 1999 sollte Thompson durch Verabreichung einer Giftspritze sterben.
Sieben Mal war zu jenem Zeitpunkt seine Hinrichtung schon verschoben und sieben Mal wieder neu terminiert worden. „Sieben Mal ein Weg in die Hölle. Und jeder Weg war finsterer“, sagt er. Die Anwälte waren verzweifelt: Sie hatten alles – leider vergeblich – versucht. Doch auf dem Rückweg vom Gefängnisbesuch bei Thompson meldete sich eine Privatdetektivin, die eine winzige Notiz über eine Blutprobe entdeckt hatte, die die Polizei in dem entführten Auto sichergestellt hatte, die dann aber von der Anklage in dem Gerichtsverfahren unterschlagen worden war. Es war Blut, das zum Täter gehören musste. Und es stellte sich heraus, dass das Blut im Auto und Thompsons Blut nicht übereinstimmten.
Nun fanden die Anwälte auch Zeugen für die Mordnacht, die nie vernommen worden waren. Diese identifizierten einen Mann namens Kevin Freeman als Liuzzas wahren Mörder. Nach der Tat hatte er Revolver und Ring an Thompson verkauft. Doch inzwischen war Freeman gestorben. Ob auch er es war, der den Wagen hatte stehlen wollen, konnte daher nicht mehr ermittelt werden. Nun konnte Thompsons Fall 2003 erneut vor Gericht gebracht werden. Nach nur 35 Minuten Beratung befanden die Geschworenen den Angeklagten für nichtschuldig.
Thompson fand Arbeit bei Organisationen, die sich für die Rechte von Todeskandidaten einsetzen, heiratete seine Jugendliebe, eröffnete ein Café. Und nun, nachdem ihm 14 Millionen Dollar Entschädigung für seine 18 Jahre in Haft zugesprochen wurden, ist er ein reicher Mann, sofern das Gericht die Berufung der Staatsanwaltschaft ablehnt. Doch reich fühlt er sich nicht wegen des Geldes, sondern wegen seiner wiedergewonnenen Freiheit: „Wenn man einmal dem Tod so nahe war wie ich, dann zählt Geld nicht mehr so viel.“ Er engagiert sich heute für Gefangene, „für jene, die nicht so viel Glück hatten wie ich“.
Das Schicksal von Thompson soll verfilmt werden.
(Nach WELT ONLINE 18.03.07)
In der Bundesrepublik flammte die Diskussion um die Anwendung von Folter oder zumindest ihre glaubhafte Androhung auf, als ein Kind entführt, der mutmaßliche Lösegelderpresser festgenommen worden war, und der sich weigerte, das Gefängnisversteck des noch am Leben geglaubten Kindes preiszugeben. Da entschloss sich der zuständige Vize-Polizeichef, dem mutmaßlichen Täter zur Rettung des Kindes „Schmerzen, wie er sie bisher noch nie kennengelernt habe“, anzudrohen, woraufhin der Verhaftete gestand und die Polizeibeamten zu dem Fundort der Kinderleiche führte. Der Vize-Polizeichef ist für diese Androhung von Folter (von einem verständnisvollen Richter maßvoll) bestraft worden.
Folter ist ein der Menschenwürde diametral entgegengesetztes und darum grundgesetzlich verbotenes, durch das StGB und die StPO abgesichertes Untersuchungsmittel. Darum muss das Folterverbot in der Bundesrepublik um unserer Selbstachtung willen abwägungs- und abänderungsresistent bleiben, wenn wir ein Rechtsstaat bleiben wollen!
Es kann höchstens fraglich sein, ob die Anwendung eines bestimmten Mittels unter das Folterverbot falle, oder nicht: Rauschgift-Kleindealer bewahren den Stoff für ihre Kunden oft im Mund auf, wenn sie auf Straßenverkauf gehen. Wenn sie beim Dealen beobachtet und von der Polizei festgenommen werden, schlucken sie zur momentanen Vernichtung der Beweismittel die Kügelchen runter. Den Gerichten genügte als Beweis zur Verurteilung nicht, dass die Polizeibeamten die von ihnen beobachteten Schluckbewegungen angaben. Dass andererseits die Polizeibeamten keine Lust verspüren, die Scheiße der Dealer so lange zu untersuchen, bis die Kügelchen abgeführt worden sind, kann jeder den Polizeibeamten nachempfinden. Da erschien die von Ärzten - notfalls zwangsweise - vorgenommene Verabreichung des als Brechmittel eingesetzten Saftes der mexikanischen Ipecacuanha-Wurzel das Ei des Kolumbus zu sein: Das in einem Zeitfenster von maximal zwei Stunden kurzfristig einzusetzende Mittel holte den Mageninhalt nach oben. Manche Zwangsbehandelten schluckten ihn dann bei geschlossenem Mund schnell wieder runter, ein, zwei Überempfindliche starben an einer eventuell zu starken Dosis dieses Brechmittels, wenn eine geringe oder mittlere Dosis nicht den gewünschten Erfolg erbracht und der damit Zwangsbehandelte nicht erbrochen hatte. Wer B(rechmitteleinsatz) sagt, muss auch A(uskotzen) sagen!
Das Bundesverfassungsgericht, dass - davon gehe ich aus - von Dealer-Anwälten sicherlich mit einer Klage »angerufen« worden ist, scheint diese Praxis gebilligt zu haben, nicht aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der 2006 urteilte, dass die zwangsweise Einführung eines Brechmittels zur Beweissicherung in einem Drogendealerverfahren gegen das Folterverbot verstoße. Seitdem ist den Polizeibeamten diese für sie elegantere Beweismittelsicherung wieder aus der Hand genommen worden; nun heißt es wieder: Scheiße quirlen!
Wenn man sich zu der Würde des Menschen als oberstem Maßstab bekennt, muss Folter generell verboten bleiben - auch wenn vielen Menschen sehr viel Leid möglicherweise dadurch erspart geblieben ist, dass im August 2006 in einigen Städten Großbritanniens muslimische Dschihad-Selbstmordattentäter der zweiten oder dritten Generation, „homeborne/home-grown terrorists“ mit britischem Pass und pakistanischem Migrationshintergrund, die ein Dutzend us-amerikanische Großraumflugzeuge mittels in der Kabine oder auf der Toilette des Flugzeugs zusammenzumixenden Flüssigsprengstoffs hatten vom Himmel herunterholen und dabei Flugzeugteile über us-amerikanischen Großstädten hatten herabregnen lassen wollen, möglicherweise nur deswegen kurz vor Ausführung der schon lange unter Beobachtung mehrerer Geheimdienste stehenden geplanten Anschläge hatten verhaftet und das konkrete Datum ihres Vorhabens, das voraussichtlich mehr Tote als der Anschlag vom 11. September 01 gekostet hätte, vielleicht nur deswegen hatte in Erfahrung gebracht werden können, weil, wie die pakistanische Tageszeitung "The Nation" unter Berufung auf Sicherheitskreise in Pakistan berichtete, konkrete Angaben auf den geplanten genauen Zeitpunkt der Ausführung der Terrorpläne von drei in der Hafenstadt Karachi festgenommenen pakistanisch-britischen Verdächtigen "herausgepresst" worden seien.
Natürlich weckt es zwiespältige Empfindungen, falls möglicherweise nur so(?) der genaue geplante Zeitpunkt des konkreten Ausführungsbeginns des vorher schon mindestens in groben Zügen bekannt gewordenen und seit Monaten in der größten Aktion Scotland Yard’s beobachteten Vorhabens hatte verhindert werden können.
Und je näher man sich selber an das Geschehen denkt, dass man möglicherweise selber in einem der zwölf Flugzeuge gesessen hätte, desto zwiespältiger werden die Gefühle!
Die Chance der Verhinderung terroristischer Anschläge durch die Folterung möglicherweise Näheres Wissender war ja auch jahrzehntelang das Argument des israelischen Obersten Gerichtshofs, mit dem der die 1987 erstellten, damals geheimen Richtlinien der Landau-Kommission hinsichtlich der Anwendung „mäßiger Folter“ gebilligt hatte. Doch selbst das seit seiner Gründung tödlichen Gefahren ausgesetzte Israel hat sich aus grundsätzlichen Erwägungen von dieser Praxis abgewandt. 1999 entschied das höchste israelische Gericht, dass die über viele Jahrzehnte geübte und auch von ihm ein Jahrzehnt lang offiziell gebilligte Praxis nicht rechtens sei und nun nicht mehr pro Jahr ca. 1.000 verdächtigte Palästinenser systematisch gefoltert werden dürfen. Die Klage von sieben Menschenrechtsorganisationen war damit erfolgreich. Der Präsident des Obersten Gerichtshofs führte in der Urteilsbegründung der für Israel historischen Entscheidung aus: „Es ist das Schicksal einer Demokratie, dass ihr nicht alle von ihren Feinden angewandten Methoden zur Verfügung stehen.“
(Aber diese für Israel bahnbrechende Entscheidung des Verbots systematisch angewandter Folter geschah nicht generell, sondern nur halbherzig, denn nach Angaben des israelischen Rundfunks stellte das Gericht laut Zeitungsmeldung - HH A 07.09.99 - seine eigene Entscheidung wieder einschränkend fest, Mitarbeiter des Schin Beth seien in Fällen „sofortiger Lebensgefahr“ wie jeder andere Bürger zu „außerordentlichen Schritten“ berechtigt, ohne sich vor Gericht dafür verantworten zu müssen. Dies berechtige den Schin Beth aber nicht, systematisch zu foltern. Der systematischen staatlichen Folter werden die Hände gebunden, die individuelle Folterneigung jedes Fanatikers oder Sadisten hat weiterhin freie Hand! Das Erschreckende ist, die Meldung liest sich so glatt, aber jeden Juristen, jeden Pazifisten, jeden Menschenrechtler, ja jeden sonstigen Zeitungsleser müsste es schütteln, und man glaubt seinen Augen nicht trauen zu dürfen, wenn man liest: jeder Bürger Israels sei bei sofortiger Lebensgefahr zu außerordentlichen Schritten berechtigt, „ohne sich vor Gericht dafür verantworten zu müssen“. Man betet, dass die Meldung eine Ente wäre, aber dafür ist das Hamburger Abendblatt zu seriös.)
Seit 1976 wurden bis 2000 in den USA rund 6.000 Todesurteile gesprochen47, von denen laut Angaben von Amnesty International 696 vollstreckt wurden, mehr als 150 davon mit wachsender Begeisterung in der Bevölkerung und Zunahme in den letzten Jahren im ehemaligen Cowboy-Staat Texas mit seiner Tradition des „Hang him high!“. 80 % aller Hinrichtungen finden in den Südstaaten statt. Alleine in Texas und Virginia wurden mehr Menschen exekutiert als in allen anderen US-Staaten zusammen. „Staatsanwalt Charles Rosenthal ist stolz darauf, daß in seinem texanischen Landkreis Harris County mit 85 Häftlingen mehr Gefangene hingerichtet wurden als in jedem anderen US-Landkreis. Selbstbewußt meint Rosenthal: ’Ich bin mir recht sicher, daß wir hier alles tun, damit wir niemand Unschuldigen hinrichten, auch wenn ich natürlich nicht jeden Fall in Texas kenne.’" Widerlich, diese Selbstgerechtigkeit!
Die Zunahme in Texas begann vielleicht auch deswegen, weil der Sohn des vormaligen amerikanischen Präsidenten George Bush sen. und damalige Gouverneur von Texas, George W. Bush jr., als Nachfolger von Clinton selber Präsident der USA werden – in den USA, in denen die Zahl der Befürworter der Todesstrafe von 1995 bis 2005 von 80 auf 64 % zurückgegangen ist (HH A 29.11.05), hat kaum ein Politiker eine Chance, gewählt zu werden, wenn er sich gegen die Todesstrafe ausspricht – und darum nicht gegen den »main-stream« in dem christlich-fundamentalistischen Bewusstsein der amerikanischen Bevölkerung verstoßen mochte, das auch ihn beherrscht. Als er Präsident geworden war, bezeichnete ihn der französische Außenminister ohne jede diplomatische Verbrämung auf Grund von dessen mitleidsloser und uneinsichtiger Todesstrafenpraxis als „serial killer“! Das führte natürlich zu den vorhersehbaren diplomatischen Verstimmungen.
Und dieses atavistische Verlangen nach Menschenblut besteht weiterhin ungebrochen, obwohl inzwischen – teilweise erst durch die Ergebnisse von bisher offiziell nicht und nur auf Betreiben von engagierten Bürgern in teilweise buchstäblich letzter Minute dann doch noch vorgenommenen DNA-Tests – feststeht, dass viele der gefällten Todesurteile nachweislich Fehlurteile waren; nur weil die Angeklagten – angeblich! – zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sein sollen! Seit 1988 wurden nur allein auf Grund von in dem Jahr eingeführten DNA-Tests (noch zu wenige) unrechtmäßig zum Tode verurteilte Gefangene nach teilweise mehrere Jahrzehnte langer oder jahrelanger Haft unter den beängstigenden Umständen im Todeszellentrakt freigelassen; und dann hatten sie Glück gehabt, dass sie in einem »richtigen« Bundesstaat wohnten, wo auch noch nach Jahren ein Unschuldsbeweis gerichtlich geltend gemacht werden darf, und nicht z.B. in Virginia, wo zum Tode Verurteilten nur bis zu 21 Tage nach ihrem Prozess die Möglichkeit bleibt, Beweise – woher sollen die plötzlich so schnell kommen, wenn sie zur Verhandlung nicht zur Verfügung standen? - für die eigene Unschuld vorzulegen. Danach ist man ein toter Mann! Allein 2004 wurden in den USA - meist auf Grund von DNA-Tests – 117 erwiesenermaßen unschuldig zum Tode Verurteilte – all die anderen unschuldig zu zeitiger Freiheitsstrafe Verurteilten nicht mit eingerechnet - aus den Todeszellen entlassen.
Wie viele der zwischenzeitlich Hingerichteten unschuldig waren, wird nach ihrer Tötung nicht mehr untersucht!
Die Todesstrafe ist in 38 US-Staaten auf jeden Fall gesetzlich (noch) zulässig, und das ist schon Skandal genug - ob sie auch angewandt wird, ist eine andere Frage. Die sogar mit dem Hinweis auf das Alte Testament begründete Todesstrafe gibt der staatlichen Gerechtigkeit in diesen Staaten eine Form, die in ihrer Selbstgerechtigkeit abschreckender ist als die Ungerechtigkeit eines Einzelnen. 25 Bundesstaaten der USA erlaubten die Verhängung der Todesstrafe sogar gegenüber Minderjährigen, 15 davon hatten ein Mindestalter zwischen 12 und 17 Jahren festgelegt (Amnesty international Internet Juni 2000). Damit verstießen diese Staaten nicht nur gegen die von der Generalversammlung der UNO verabschiedete UNO-Konvention über die Rechte der Kinder, sondern auch gegen das Internationale Abkommen über bürgerliche und politische Rechte von 1966, in dem es heißt: "Die Todesstrafe darf für strafbare Handlungen, die von Jugendlichen unter 18 Jahren begangen worden sind, nicht verhängt und an schwangeren Frauen nicht vollstreckt werden." AI hatte zwischen 1990 und 2004 Hinrichtungen von insgesamt 33 Minderjährigen in sieben Ländern registriert: Iran, Jemen, Demokratische Republik Kongo, Nigeria, Pakistan, Saudi Arabien und den USA. Auf diese Stufe hatten sich die USA bedenkenlos gestellt!
Am 01.03.05 erklärte der Supreme Court als oberstes Gericht der USA endlich die Todesstrafe an Minderjährigen für unzulässig: Die Verhängung der Todesstrafe an Minderjährigen falle unter das in einem der Zusatzartikel zur Verfassung festgeschriebene Verbot einer „grausamen Bestrafung“. Eine eigenartige Begründung: „Grausam“ kann doch nur eine Vorgehensweise sein; wenn das so ist, was ist dann an der spezifischen Ausführungsmodalität, Gift in die Adern eines Jugendlichen zu spritzen oder durch seinen Körper einen starken Stromstoß zu jagen, „grausamer“, als wenn das mit einem etwas älteren Körper geschieht? Einen eventuell ein paar Tage oder Monate älteren Erwachsenen zu »grillen«, bis er verschmort ist, ist auf Grund seiner zum Teil nur etwas längeren Lebensdauer plötzlich nicht mehr grausam?
Eine Statistik aus Kanada belegt, dass es dort 1975, ein Jahr vor Abschaffung der Todesstrafe, mit 3,09 Fällen pro 100.000 Einwohner die meisten Tötungsdelikte in der kanadischen Geschichte gegeben hat - und (bisher) nicht nach ihrer Abschaffung (1993 lautete die Maßzahl 2,19). Damit ist der italienische Jurist Cesare Beccaria aufs Schönste bestätigt, der als erster Denker der Aufklärung 1764 mit seiner Schrift „Über Verbrechen und Strafen“ die Abschaffung der Todesstrafe gefordert hatte, weil sie unnütz sei und die ihr zugeschriebene Abschreckung verfehle: Die Todesstrafe stellt „… kein Recht dar, und sie kann kein Recht sein, wie ich bewiesen habe; sondern sie ist ein Krieg der Nation gegen einen Bürger, weil sie die Vernichtung seines Daseins für notwendig oder nützlich hält.“ Beccaria verneinte sowohl das bis dahin ganz fraglos in Anspruch genommene, so gesehene und teilweise auf das Bibelwort „Die Obrigkeit hat das Schwert, und sie hat es nicht umsonst“ religiös-sittlich begründete Recht des Staates, das Leben eines Menschen um der Gesamtheit willen auf mehr oder minder grausame Weise auszulöschen, als auch die Frage, ob zum Schutz gegen schwerste Verbrechen die Todesstrafe nötig und ob sie überhaupt dazu geeignet sei.
Die in welcher Form auch immer ausgeführte Todesstrafe ist vermutlich so alt wie die Menschheit, auch wenn sie nicht immer unter Einhaltung offizieller Gerichtsbarkeit vollzogen wurde. Aber die archaisch geübte Blutrache ist auch als eine Form der Todesstrafe einzustufen. Gegner der Todesstrafe formierten sich erst im 18. Jahrhundert. In Europa fand die letzte öffentliche Exekution 1939 in Versailles statt. In Europa wurden Todesstrafen aber über diesen Zeitpunkt hinaus verhängt und vollzogen - besonders exzessiv unter der Nazi-Herrschaft! Darum wurde die Todesstrafe in der Bundesrepublik sofort von Beginn an mit dem Grundgesetzartikel 102 abgeschafft; in der DDR erst 1987 - nach mindestens 80 Vollstreckungen.
Eine der wohl unangenehmsten Arten der Vollstreckung der Todesstrafe hatten sich die Iberer ausgedacht und in Spanien bis zum Ende des Franco-Regimes auch angewandt: Im März 1974 wurden zwei Männer, einer von ihnen ein Deutscher, mit dem Halswürgeisen „Gar(r)otte“ zu Tode gebracht: Dem an einen Stuhl mit Stange gefesselten Delinquenten wurde ein mit einer doppelarmigen Schraubvorrichtung versehenes Würgeisen um den Hals gelegt, das von der Stange aus langsam zugedreht wurde, bis der Verurteilte nicht mehr röchelte und erwürgt worden war.
1999 wurde die Todesstrafe noch in 92 Ländern vollstreckt48 (2003 wurden nach ai bekannt gewordenen Zahlen in 63 Ländern mindestens 2.756 Menschen zum Tode verurteilt, vollstreckt wurde die Todesstrafe – mit unbekannter Dunkelziffer - »nur« noch an 2.756 Menschen in 28 Ländern, von denen die USA und Japan die einzigen Demokratien sind); am häufigsten in dem volkreichsten Land der Erde, in China (1997: angeblich 1876 Menschen; andere Schätzungen liegen wesentlich höher: laut Informationen eines im HH A 19.12.03 nicht genannten „Insiders der Kommunistischen Partei“ mit Bezug auf den Strafrechtsprofessor Chen Xingliang bei 15.000 pro Jahr), wo die Art der Tötung davon abhängig gemacht wird, welche Organe des zu Tötenden bestellt worden sind und darum hinterher noch gut als »Spender«organe verkauft werden können. In den USA war die Vollstreckung der Todesstrafe vom Obersten Gerichtshof bis 1976 ausgesetzt war, da die Verfassung eine „grausame und ungewöhnliche Bestrafung“ verbietet. Und als eine „grausame und ungewöhnliche Bestrafung“ wurde z.B. die Tötung in der Gaskammer und das Verschmoren mit elektrischem Strom eingestuft, sodass sich für die Amerikaner die Notwendigkeit ergab, auf andere Arten zu sinnen, um sich nicht um ihre an anderen zu vollziehende Lieblingsstrafe bringen zu lassen. Die Tötung durch eine Giftspritze wurde dann als human angesehen, und darum wurde die Wiedereinführung der Todesstrafe erlaubt. Inzwischen ist sie dort in 38 Gliedstaaten wieder eingeführt worden, erfreut sich wachsender Beliebtheit, und die Gouverneure warten auf günstige Gelegenheiten, von den Wählern bei Wahlen honorierte Härte zeigen und den Berg der Anfang 1999 noch 3517 schon verurteilten Todeskandidaten langsam abarbeiten zu können. „Wer sich nicht wie O. J. Simpson einen Freispruch erkaufen kann, fällt unter die furchtbare Rachsucht eines alttestamentarisch dirigierten Landes“ (SZ 21.08.99). 2003 sind in den USA 65 Menschen hingerichtet worden, sechs weniger als 2002; Ende 2005 wurde der Tausendste nach der Wiederzulassung der Todesstrafe durch den Supreme Court und ihre Wiederpraktizierung hingerichtet. Und über die Hinrichtung mittels einer Giftspritze sind grausige Todeskänmpfe bekannt geworden, weil die aus drei Ampullen zusammenfließenden Substanzen nicht richtig dosiert waren.
Es ist beängstigend, mit welcher Gewaltmentalität so vehement die Beibehaltung der Todesstrafe verteidigt wird, wo doch jeder zugeben muss, dass menschliche Rechtsprechung nur unter Inkaufnahme von Irrtümern möglich ist. Nach einer sehr vorsichtigen, konservativen Schätzung sind allein in den USA schon einige hundert Menschen nachweislich als Opfer von Justizirrtümern vom Staat zu Unrecht ihres Lebens beraubt worden! Allein seit 1976 sind dabei nachweislich 23 Männer unschuldig hingerichtet worden! Und das nicht nur aufgrund normaler Erkenntnisirrtümer, wie sie sich in jede Urteilsfindung einschleichen können, sondern sogar aufgrund von Beweismanipulationen durch Staatsanwälte und Polizeichefs, die in den USA von der Bevölkerung gewählt werden und auf diese Weise durch Präsentation eines Todesopfers ihre Wiederwahl sicherstellen wollten - und auch sichergestellt haben! Es ist (mir) nicht bekannt geworden, dass ein solcher Staatsanwalt oder Polizeichef seinerseits für den durch ihn in mittelbarer Täterschaft begangenen Mord hingerichtet worden wäre - denn die Todesstrafe trifft zu ca. 75 % weit überwiegend die arme, unterprivilegierte, farbige Bevölkerung! Einer veröffentlichten Universitätsstudie von 285 Mordprozessen zu Folge wurden „mehr als die Hälfte aller Verfahren mit ungesetzlichen Mitteln“ geführt. In 46 Prozessen wurden Menschen deshalb zum Tod verurteilt, weil sie ein Zellennachbar eines (angeblichen) Mordgeständnisses beschuldigt hatte. In Illinois wurde seit 1987 die Unschuld von 13 Todeskandidaten zweifelsfrei bewiesen, in Florida wurden in demselben Zeitraum 18 Justizirrtümer aufgedeckt – teilweise von einem an den Verfahren gar nicht beteiligten Strafrechtsprofessor und dessen Studenten, die privat den Todesurteilen nachgehen. In Illinois wurde durch den Gouverneur nach dem Fall Anthony Porter - und den 12 anderen unschuldig zum Tode Verurteilten - in einem Moratorium ein Stop der Hinrichtungen angeordnet: Der 43-jährige Porter hatte 15 Jahre in einer Todeszelle gesessen und ständig mit seiner Hinrichtung zu rechnen gehabt! Zwei Tage vor seinem letzten geplanten Hinrichtungstermin war seine Unschuld durch die Recherchen von College-Studenten bewiesen worden. Aber das wäre die Aufgabe der in den USA – leider – gewählten Richter, Staatsanwälte und Polizeichefs. Es gibt Fälle, in denen Richter nachweislich deswegen die Todesstrafe verhängten, um eine anstehende Wiederwahl erfolgreich bestehen zu können! Ein ständig dem Zwang zur Wiederwahl unterliegender Richter ist nicht unbedingt ein – psychisch – freier Richter! Richterliche Unabhängigkeit kann auch durch solche psychischen Zwänge aufgehoben sein. Bei sofortiger Hinrichtung nach rechtskräftigem Abschluss des jeweiligen Verfahrens wären die Unschuldigen schon getötet gewesen! Wie kann man da noch ein Befürworter der Todesstrafe sein??? Todesstrafe hat sicher sehr viel mit Irrationalität zu tun!
„Seit 1973 mussten 122 Häftlinge, die zum Tode verurteilt worden waren, meistens auf Grund von DNA-Beweisen in die Freiheit entlassen werden. Das US-Justizministerium besteht darauf, dass es ’keinen Beweis gibt’, dass jemals ein Unschuldiger seit der Wiedereinführung der Todesstrafe vor 28 Jahren hingerichtet worden sei und dass das System zuverlässig arbeite. Doch gibt es mindestens zwei Fälle, wo große Zweifel an der Schuld der Hingerichteten bestehen. So bekam Ruben Cantu 1993 die Todesspritze, weil er angeblich einen Mann umgebracht hatte. Ein Jahrzehnt nach seinem Tod erklärte der Kronzeuge, ein Mittäter, daß Cantu unschuldig gewesen sei. Auch der ehemalige Drogendealer Quintin Moss, der 1995 in Missouri wegen Mordes hingerichtet worden war, starb vermutlich für die Tat eines anderen. Ein Polizist gestand jetzt, daß er während der Verhandlung gelogen habe. Beide Prozesse wurden postum jedoch nicht mehr neu aufgerollt - und so bleiben die Schuldsprüche gültig“ (HH A 29.11.05).
Dieses Wissen müsste uns so alarmieren, dass wir seit langem bestehenden und nach herausragenden Gewaltdelikten immer wieder verstärkt aufkommenden Tendenzen zur Einführung der grundgesetzlich bisher verbotenen Todesstrafe durch eine Grundgesetzänderung – u.a. durch den inzwischen verstorbenen CSU-Abgeordneten Jäger, der deshalb von manchen Publikationsorganen „Kopf-ab-Jäger“ genannt worden war - entgegentreten sollten; Anlass für ein diesbezügliches Engagement kann der Internationale Tag der Abschaffung der Todesstrafe am 10.10. eines jeden Jahres sein.
Aber manchmal fällt es auch mir richtig schwer, aus grundsätzlichen Erwägungen heraus weiterhin gegen die Todesstrafe zu sein:
„Todesstrafe für Organhändler
Kabul – Afghanistans Präsident Hamid Karsai will Handel mit Kinderorganen künftig mit der Todesstrafe ahnden. Damit reagiert Karsai auf die steigende Zahl von Entführungen von Kindern, denen dann Organe entnommen würden, um diese ins Ausland zu verkaufen. (rtr)“ (HH A 05.07.04)
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