Revolution für die Freiheit



Yüklə 0,96 Mb.
səhifə20/56
tarix27.10.2017
ölçüsü0,96 Mb.
#16324
1   ...   16   17   18   19   20   21   22   23   ...   56

Barcelona 1936


Wilde Fahrt durch Katalonien. Unsere Milizionäre sangen begeistert ihre Kampflieder. Am Straßenrand lagen ausgebrannte Autos und Lastwagen. Vor jedem Dorfeingang und Ausgang versperrten, von Bauern bewacht, Barrikaden den Weg. Erst nach Kontrolle der Papiere durften wir weiterfahren.

Im Hafen von Barcelona wurden wir sofort ins Propagandaministerium geführt. Von Jaime Miratvitles, einem Vertreter der katalanischen Links-Republikaner, erhielten wir Ausweise zum Besuch der Front.

In der Stadt waren die Spuren der schweren Kämpfe überall sichtbar: zerschossene Häuser, verbrannte Autos, aufgerissene Straßen. Aus vielen Fenstern der Wohnhäuser hingen weiße Tücher - Zeichen der Ergebenheit, der Waffenruhe oder der Loyalität? Ich kannte Barcelona von meinem früheren Besuch her und steuerte schnurstracks die Rambla de las Flores an, die zu Barcelonas Hauptstraße gehört. Wenn irgendwo, mußte ich da meine Clara treffen. An der Kolumbussäule, dem Eingang zur großen Verkehrsader, empfing uns ein Höllenbetrieb. Eine dichte Menschenmenge drängte sich auf der Straße, die Uniformen der Miliz (einfacher blauer Overall, buntfarbene Mütze) überwogen. An den Farben der Fahnen, der Mützen oder Armbinden erkannte man die Richtung. Schwarz-Rot, die Farbe der Anarchisten, dominierte bei weitem. Lastwagen und Privatautos, mit bis an die Zähne bewaffneten Milizionären besetzt, durchrasten die Straßen in waghalsigem Tempo. Vor Partei- und Gewerkschaftshäusern formierten sich militärische Einheiten mit primitiver Bewaffnung zum Abmarsch an die Front. Jede abrückende Abteilung wurde vom Publikum begeistert gefeiert.

Aus einem Halbdutzend Lautsprechern dröhnten Gesänge, Ansprachen und Nachrichten in die Luft. Alles sah schrecklich martialisch und doch irgendwie gemütlich aus. Ziellos schlenderten Hans und ich auf der Rambla umher und schauten uns den Betrieb an. Plötzlich erblickten wir dicht vor uns Clara. Im blauen Overall, das Gewehr umgehängt, stand sie mitten in einer Gruppe diskutierender Männer.

«Endlich bist du da, ich habe dir schon ein Interview mit Andre Nin organisiert. Du mußt noch heute zu ihm, denn morgen fahre ich mit Armin und unserer Gruppe an die Front.»

«Nur langsam, wir kommen ja eben an, wissen noch nicht, wo wir schlafen, essen, wohin wir an die Front fahren.»

«Ach was, das ist schon alles geregelt, ich war überzeugt, daß du kommst. Ihr schlaft im Hotel Falcon. Die POUM hat das Hotel besetzt und als Unterkunft für ausländische befreundete Organisationen, für Journalisten und Parteivertreter eingerichtet. Jetzt gehen wir gleich zu Nin, ich hab ihn vorbereitet und kann zu ihm, wann ich will.»

Andre Nin war einer der Führer der POUM. Als jahrelanger Mitarbeiter der Roten Gewerkschaftsinternationale hatte er einige Jahre in Moskau geweilt. Er kannte die Männer der bolschewistischen Partei und der Kommunistischen Internationale ausgezeichnet. Mit Trotzki hatten ihn freundschaftliche und politische Bande verbunden; sie brachen, als Nin in Spanien die trotzkistische Gruppe auflöste und gemeinsam mit Joachim Maurin und Juan Andrade die POUM gründete. In Moskau hatte ich Nin öfters gesehen, aber keinen Kontakt mit ihm gehabt.

Das politische Hauptquartier der POUM befand sich direkt gegenüber dem Hotel Falcon in einem ehemaligen Theater. Nun stand er vor mir im weiten Saal, in dem noch Theaterrequisiten herumlagen, ein halbes Dutzend Schreibmaschinen klapperten. Dauernd stürmten Milizionäre herein und hinaus. Auch Nin trug die einfache Uniform der Miliz, am Gürtel den Revolver umgeschnallt. Seine pechschwarzen Haare, straff zurückgekämmt, kontrastierten mit seinem bleichen, etwas eingefallenen Gesicht. Nin schien übernächtigt, müde und nervös. Es war ihm anzumerken, daß er zu Interviews wenig Lust verspürte, aber dank Claras intensiver Vorarbeit konnte er sich dem gegebenen Versprechen nicht entziehen. Claras Optimismus und Tatendrang hatten ihn beeindruckt. Nun gab er uns einen knappen Situationsüberblick.

«Zunächst, wir haben Krieg. Es wird ein richtiger langer Krieg werden. Wir sind schlecht organisiert, unser Volk weiß nicht, was Krieg ist. Im Vordergrund stehen der Aufbau einer Armee und die Versorgung der Front. Die Regierung in Madrid ist unfähig, sie wird bald abtreten müssen. Hier in Katalonien hat der Krieg einen absolut revolutionären Einschlag. Praktisch ist die katalanische Regierung unter Luis Companys eine Schattenregierung, eine Fassade. Die wirkliche Macht liegt in den Händen des zentralen antifaschistischen Milizkomitees. In ihm sind die CNT, die FAI (die gewerkschaftliche und politische Organisation der Anarchisten), die UGT und die POUM je mit drei Mitgliedern vertreten, die PSUC und die katalanischen Republikaner mit je einem Mitglied. Diese Vertretung entspricht keineswegs den tatsächlichen Verhältnissen. Die Anarchisten müßten entsprechend ihrer Stärke im Komitee die absolute Majorität besitzen; sie verzichten aber darauf, weil sie genau wissen, daß sie über eine sichere Mehrheit im Volk verfügen, und weil sie getreu ihrer Theorie den politischen Machtmitteln keine Bedeutung zumessen. Dieses Komitee ist unsere „Räteregierung“. Sie unterscheidet sich aber von allen historischen Vorbildern, da die Anarchisten bekanntlich keine „Politik“ betreiben wollen und gegen den Staat in jeder Form sind. Gelingt es uns, die anarchistischen Massen zu überzeugen und nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die politische Macht zu übernehmen, kommen wir ein gutes Stück weiter. Das wird nicht leicht sein, die anarchistische Tradition ist in Spanien verwurzelt und die russische Politik mit ihren autoritären Allüren behindert diesen Annäherungsprozeß. In den übrigen Provinzen Spaniens ist die Lage anders. In Madrid sind die Sozialisten ausschlaggebend, POUM und Anarchisten schwächer. Im Baskenland werden die Probleme wie bei uns in Katalonien durch die Nationalitätenfrage kompliziert. Auf keinen Fall werden wir in eine künftige Volksfrontregierung eintreten. Die revolutionären Errungenschaften in Katalonien, nämlich die Enteignung der herrschenden Klasse, die Übernahme der Wirtschaft durch die Gewerkschaften, die Kollektivierung des Landes, die Arbeitermiliz und die katalanische Autonomie, sind nicht mehr rückgängig zu machen. Wir bemühen uns, die Entwicklung in Katalonien so zu gestalten, daß sie für das ganze Land richtungweisend wird. Jetzt müssen wir vor allem den Krieg gegen Franco gewinnen. Die beginnenden Einmischungen von Italien und Deutschland in unseren Konflikt können unabsehbare internationale Konsequenzen haben. Im Prinzip ist unser Kampf nur durch revolutionäre Maßnahmen ohne Kompromisse und Zweideutigkeiten zu gewinnen.» Dieser Darstellung hatten wir, die wir erst ein paar Stunden in Barcelona weilten, nichts hinzuzufügen.

Clara führte uns ins Hotel Falcon. Dort schwirrte ein Schwarm von Journalisten, Politikern, Emigranten aus aller Welt herum, gaben sich sämtliche sozialistischen und kommunistischen Oppositionsgruppen ein Stelldichein. Die SAP, vertreten durch Max Diamant und Willy Brandt, Funktionäre der KPO - Richtung Brandler, Rätekommunisten aus Holland, Trotzkisten aus Amerika, Frankreich, England, Südamerika, italienische Maximalisten, deutsche Anarcho-Syndikalisten, der Jüdische Bund, sie waren alle da. Als einzige bildeten die italienischen Maximalisten und die SAP eigene militärische Einheiten, die sich der POUM-Miliz eingliederten. Viele dieser Emigranten hatten im Weltkrieg als Soldaten gedient, besaßen militärische Erfahrung, brannten in echter Begeisterung darauf, der spanischen Revolution politisch und militärisch beizustehen. Die Leiter der POUM hatten weder Zeit noch Lust, an den Diskussionen und Fraktionsintrigen dieser Gruppen teilzunehmen. Deshalb bestellten sie den Österreicher Kurt Landau, den Leiter der Gruppe «Funke», zum Koordinator und Ratgeber, der die brauchbaren Kräfte dieser Freiwilligen sammeln und organisieren sowie die internationalen Beziehungen ausbauen sollte. Im Hotel Falcon trafen wir den Österreicher Franz Borkenau, einst Leiter des roten Studentenbundes in Deutschland. Nervös, dauernd in Debatten über die Perspektiven des Konfliktes verstrickt, ständig auf der Jagd nach Informationen, schrieb er für englische Zeitungen. Er verfaßte eines der ersten und besten Bücher über den Bürgerkrieg, das unter dem Titel «Spanish Cockpit» erschien. (Erst nach dem Zweiten Weltkrieg lernten wir Franz Borkenau näher kennen und befreundeten uns mit ihm. Er war ein anerkannter Soziologe. Von seinem politischen Temperament ließ er sich dazu hinreißen, sich speziell mit russischen Fragen zu beschäftigen - leider, denn seine Abscheu vor der inhumanen Politik in Rußland trieb ihn oft zu antikommunistischen Positionen und zu einigen Fehlleistungen. Trotzdem sind seine Bücher über den europäischen Kommunismus heute noch lesenswert. Bei Ausbruch des Koreakrieges setzte er sich und seine Familie, da er überzeugt war, ein weltweiter Konflikt stehe bevor, aus Berlin nach Paris ab. Die Familie logierte einige Monate bei uns. Sein früher Tod war ein Verlust für die soziologische Wissenschaft. Er hinterließ einige unvollständige Manuskripte über die Rolandsage, die Geschichte und die Kunst der französischen Kathedralen.)

In dem jungen rumänischen Arzt Felix Ippen, den wir aus seiner Basler Studienzeit kannten und der sich der SAP anschloß, verbarg sich unter physischer Trägheit eine lebendige Intelligenz; Ippen ist später als Arzt der Internationalen Brigaden in der Schlacht von Brunete gefallen.

Alle diese Ausländer schliefen in einem großen Saal auf Strohsäcken. Schon in der ersten Nacht brachte uns ein donnerndes Schnarchen um den Schlaf. Der Ruhestörer wurde aufgespürt, wir verschlossen ihm den Mund mit Klebestreifen, ohne daß er erwachte. Wie wir am Morgen lachend feststellten, handelte es sich um den amerikanischen Trotzkisten Mark Sharron, der später in Mexiko zur Leibgarde Trotzkis gehörte.

Am dritten Tag unseres Aufenthalts in Barcelona wohnten Hans und ich dem Abmarsch der Gruppe bei, mit der Clara an die Front zog. Stolz marschierte sie in den Reihen der Männer mit und winkte uns fröhlich zu. Sie rückten in ihre Kaserne ein, von wo sie mit Lastwagen an die Front fuhren.

Mit der Verpflegung hatten wir Ausländer in den ersten zwei Wochen keine Schwierigkeiten. Einige Tage lang durfte die gesamte Bevölkerung in den Restaurants und Hotels gratis essen und trinken. Alle diese Betriebe waren kollektiviert und standen unter Leitung der Gewerkschaften. Später konnten sich die Korrespondenten einfach in den Milizkantinen verköstigen; es gab noch keinen Schwarzmarkt, und mit Geld war kein Essen zu kaufen. Bargeld übrigens spielte auch später an der aragonesischen Front, in Madrid, auf all unseren Frontfahrten eine untergeordnete Rolle. Wir wurden stets von der Miliz verpflegt und sogar mit Tabak und Zigaretten versorgt. In der zweiten Woche unseres Aufenthaltes in der katalanischen Hauptstadt fand der Prozeß gegen die beim Militärputsch gefangenen Generäle und Offiziere statt. Die Verhandlung war öffentlich. Andre Nin, der im zentralen Milizkomitee der Justizabteilung vorstand, leitete souverän die Verhandlungen. Hauptangeklagter war General Godet, Militärkommandant von Barcelona, der sich dem Putschisten Franco angeschlossen hatte. Angeklagte und Verteidiger kamen trotz der dauernden stürmischen Unterbrechungen durch das zahlreiche Publikum ausgiebig zu Wort. General Godet wurde zum Tode verurteilt, eine Anzahl höherer Offiziere erhielt Freiheitsstrafen, ein erheblicher Teil der unteren Chargen kam mit Freisprüchen davon. Beim Verlesen der Urteile gab es dramatische Szenen, da Verwandte der Verurteilten und Freigesprochenen im Saal anwesend waren.

Wenige Tage später begann in Moskau der große Schauprozeß gegen Sinowjew und Kamenew ...



Yüklə 0,96 Mb.

Dostları ilə paylaş:
1   ...   16   17   18   19   20   21   22   23   ...   56




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©muhaz.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

gir | qeydiyyatdan keç
    Ana səhifə


yükləyin