Revolution für die Freiheit


IM SPANISCHEN BÜRGERKRIEG Von der Schwierigkeit, nach Spanien zu reisen



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IM SPANISCHEN BÜRGERKRIEG

Von der Schwierigkeit, nach Spanien zu reisen


Anfang Juli 1936 tippelte Clara mit einem Freund nach Barcelona. Sie wollte als Schwimmerin an der «Spartakiade» teilnehmen, einem Gegenstück zur bürgerlichen Olympiade in Nazi-Berlin. In den Jahren 1932 bis 1934 hatten wir ganz Südspanien von Barcelona bis nach Las Lineas und Gibraltar und anschließend das spanisch-marokkanische Rifgebiet durchwandert. Land und Leute waren uns nicht fremd, wir hatten das spanische Volk kennen und lieben gelernt und von der unendlichen Armut der spanischen Bauern und Tagelöhner in den kleinen Dörfern Andalusiens und Kastiliens unauslöschliche Eindrücke empfangen.

In der Nacht vom 17. auf den 18. Juli sollte die «Spartakiade» in Barcelona eröffnet werden. Die spanischen Generäle begannen ihren Putsch gegen die Republik. Die Nachrichten überstürzten sich. Die spanischen Arbeiter und Bauern, die Republikaner, setzten dem Coup hartnäckigen Widerstand entgegen; große Teile der Iberischen Halbinsel, die Hauptstadt Madrid, die Städte Valencia und Malaga, ganz Katalonien, weite Gebiete Nordspaniens und das Baskenland blieben in den Händen der legalen republikanischen Regierung. Mittelspanien sowie die südspanischen Städte Sevilla, Granada und Córdoba gehörten nach hartem Kampf zum Bereich der meuternden Generäle, und Spanisch-Marokko, von wo der Putsch seinen Ausgang nahm, stand völlig unter ihrer Fuchtel. Mit Unterstützung der spanischen Fremdenlegion und der «Moros», den marokkanischen Truppen, marschierten die Aufständischen gegen die spanische Hauptstadt. Aus den verwirrenden Nachrichten schälte sich nur eine Gewißheit heraus: In Spanien begann ein blutiger Bürgerkrieg, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Was tun? Von Clara und unserem Freund fehlte jede Kunde. Waren sie noch vor dem Putsch nach Spanien gekommen? Konnte man dem Freiheitskampf aus der Ferne tatenlos zusehen? Zwei Tage wartete und zögerte ich, dann quittierte ich meine Arbeit auf dem Bau, löste eine Karte nach Cerbere und fuhr nach Spanien.

Im Bahnhof von Toulouse wehte mir der Gluthauch der Ereignisse entgegen. Hunderte von Spaniern drängten sich ungestüm in den Zug, sangen Lieder ihrer Heimat, schwangen rote und schwarz-rote Fahnen und die Farben der Republik. Vor dem großen Tunnel nach Cerbere standen französische Mobilgarden, alles mußte aussteigen und den Tunnel zu Fuß durchqueren. Die spanische Grenze war von Arbeitern und Bauern besetzt, die, mit alten Jagdflinten bewehrt, Revolver am Gürtel, eine strenge Kontrolle ausübten. Für spanische Bürger gab es keine Schwierigkeiten, die meisten konnten sich mit einem Mitgliedsbuch einer spanischen Organisation ausweisen. Für Ausländer wurde es problematischer. Nach stundenlangem Herumstehen kam ich mit einem jungen Franzosen, der sich zu mir gesellt hatte, an die Reihe. Die Grenzkontrolleure sahen unsere Papiere kaum an. Konnten sie lesen? Mit meinen wenigen spanischen Brocken versuchte ich zu erklären, daß ich am Kampf gegen die aufständischen Generäle teilnehmen wolle. Sie blieben mißtrauisch. Aus ihren Unterhaltungen hörte ich heraus, daß sie keine «Marxistas» ins Land lassen wollten. Wir hatten es mit katalanischen Anarchisten zu tun, deren Abneigung gegen alles, was nach Marxismus roch, mir nur zu gut bekannt war. Mit dem Franzosen zusammen quälte ich mich stundenlang mit den braven Männern ab; sie gaben nicht nach und verweigerten uns hartnäckig die Einreise.

Gegen Abend zogen wir durch den Tunnel zurück. Gemeinsam mit dem Franzosen versuchte ich in der Nacht, durch die bewaldeten Höhen über die Grenze zu schleichen. Es war ein aussichtsloses Unterfangen, wir kannten uns nicht aus, verirrten uns hoffnungslos im Wald, irgendwo wurde dauernd geschossen; wir gaben auf. Erschöpft, hungrig, enttäuscht traten wir den Rückweg nach Toulouse an. Dort hoffte ich, mit Hilfe des Schweizer Konsulats nach Hause fahren zu können. Auf einen zweiten Versuch wollte ich mich besser vorbereiten! Mein Gefährte erwischte bald einen Landsmann, der ihn in seinem Wagen mitnahm. Zwei Stunden später glückte es mir ebenfalls, und am Abend kam ich in Toulouse an. In einem Postbüro fischte ich mir die Adresse des schweizerischen konsularischen Vertreters heraus und marschierte stracks hin. Pech. Es war Samstag, das Büro geschlossen, bis Montag hieß es warten. Bis zur Dunkelheit trieb ich mich in der Stadt herum und legte mich dann vor einer Kirche im Gebüsch aufs Ohr. Ein Tritt in den Hintern weckte mich unsanft auf. Vor mir standen zwei französische Polizisten und verlangten meine Papiere. Sie schleppten mich auf ein Kommissariat, dort durfte ich in einer Zelle weiterschlafen. Am Morgen mußte ich dem Kommissar meine Situation erklären. «Na ja», sagte er schließlich zu seinen Untergebenen, «der Mann ist in Ordnung, am Montag wird ihm sein Konsul weiterhelfen, es hat keinen Sinn, ihn in eine verlauste Zelle zu stecken. Lassen wir ihn laufen.»

Draußen war ich, verflogen der Traum von einem warmen Kaffee und einem Stück Brot.

Hungrig und ohne Zigaretten, trieb ich mich den ganzen endlosen Sonntag an den Ufern der Garonne herum. Nach einer langen Nacht erschien ich Montagfrüh als erster und einziger Kunde auf der schweizerischen Vertretung, einem kleinen Büro mit einem einzigen Schalter und Beamten. Freundlich war der Herr nicht. Da ich meinen Hunger eingestand, gab er mir Eßcoupons für eine Volksküche. «Und meine Rückreise?» fragte ich.

«Gehen Sie zurück, wie Sie gekommen sind, Geld geben wir prinzipiell nicht.» Erst ging ich mal essen, mit vollem Bauch läßt sich besser verhandeln. Am Nachmittag rückte ich dem Herrn wieder auf die Bude. «Na, was wollen Sie denn noch?» erkundigte er sich leutselig. «Ein Rückreisebillet nach Genf, von dort helfe ich mir selbst weiter.» «Wir haben kein Geld für Touristen, die sich in fremde Händel einmischen», erwiderte er trocken.

«Ich werde mein Billet zurückbezahlen», versicherte ich. Er lachte hämisch: «Das sagen sie alle, hab' aber noch nie was davon gesehen.»

Energisch ließ er das Schalterfenster niederrasseln. Da stand ich. Von Toulouse nach Genf ist kein Katzensprung. Ich blieb sitzen. Klopfte wieder an seine Scheibe. Hartnäckig. Mit bösem Blick öffnete er abermals.

«Und wenn ich Ihnen meine Armbanduhr als Pfand da lasse?» Er wurde schwankend, wollte endlich den unbequemen Gast loswerden. Ich hinterlegte meine Uhr und erhielt eine Fahrkarte nach Genf. Von Genf kam ich mit Hilfe von Freunden rasch nach Basel. Stolzer Spanienfahrer war ich nicht.

Zu Hause fand ich eine Karte von Clara aus Barcelona vor: Ich solle sofort nachkommen! Dazu war ich mehr denn je entschlossen.

In der Basler «Arbeiterzeitung» erschien eben ein Bericht von Chefredakteur Schneider über Spanien, der mir allerlei Aufschlüsse gab. Schneider war als Mitglied des Organisationskomitees für die «Spartakiade» nach Barcelona gefahren, mußte aber trotz all seiner Papiere als Nationalrat, Redakteur und Mitglied des Spartakiadekomitees an der Grenze die gleichen Erfahrungen machen wie ich. Ausführlich schilderte Schneider, wie er wütend an der Grenze herumirrte, erbittert, daß ihn nur wenige, aber offenbar unüberwindliche Bahnstunden von den geschichtlichen Ereignissen trennten. Plötzlich stieß er an der Grenze auf Clara.

«Was treiben Sie denn hier?» fragte er sie erstaunt. «Ich gehe nach Barcelona in die Milizarmee, ich warte nur noch auf eine Mitfahrmöglichkeit«, gab sie ihm zur Antwort. «Wie zum Teufel stellen Sie denn das an, über die Grenze zu kommen, mich weisen diese verrückten Anarchisten doch dauernd zurück!» Clara lachte und versprach, ihm zu helfen. Sie war mit den anarchistischen Grenzwachen schon gut bekannt, diskutierte und scherzte mit ihnen. Als «rubia», die Blonde, sah man sie überall gern, die Männer waren sehr beeindruckt von ihrem Entschluß, zur Miliz zu stoßen. Aber wie nach Barcelona kommen? Die Bahn verkehrte nicht mehr, es gab keine Autos. Doch Clara lag auf der Lauer. Da wurde an der Grenze ein französischer Automobilist zurückgehalten. Der Mann war verzweifelt, seine Frau und zwei Kinder weilten in Barcelona in den Ferien, er wollte sie aus dem Hexenkessel herausholen. Clara mischte sich ein. Sie versprach dem Franzosen den Grenzübertritt, sofern er bereit sei, drei Personen mitzunehmen. Der Handel wurde sofort akzeptiert, rasch überredete Clara die Grenzwachen - und gondelte stolz mit Armin und Friedrich Schneider in dem französischen Wagen nach der katalanischen Metropole ... Auf diesen Bericht hin ging ich sofort in die Redaktion zu Friedrich Schneider.

«Holen Sie Ihre Frau zurück, es ist heller Wahnsinn, in die Miliz einzutreten. An Mut fehlt es ihr nicht, ich werde nie im Leben vergessen, wie sie mich nach Barcelona brachte. War ein ganz tolles Abenteuer.» Ich lachte und schlug ihm vor: «Mit Ihrer Hilfe will ich versuchen, sie zu erreichen. Geben Sie mir einen Ausweis als Korrespondent der ‹Arbeiterzeitung›, damit ich nach Spanien hineinkomme.» Er tat mehr. Zwei Tage später fuhr ich als Berichterstatter der INSA, der schweizerischen sozialistischen Presseagentur, zum zweitenmal Richtung Cerbere. Diesmal in Begleitung von Hans Wirz, einem Freund, der für die Basler «Nationalzeitung» einen Auftrag hatte. Mit klopfendem Herzen ging es wieder durch den schwarzen Tunnel an die Grenze. Ein amerikanischer Journalist der Hearstpresse hatte sich uns angeschlossen. Händereibend malte er uns die Stories aus, die er seiner Agentur kabeln würde. Noch war es nicht soweit. Unsere Korrespondenten-Papiere erweckten nicht den geringsten Eindruck, fast achtlos schob man sie uns zurück. Wir verlangten einen Übersetzer oder Lesekundigen. Schließlich kam jemand und prüfte unsere Dokumente sorgfältig. Daraufhin entspann sich unter den Männern eine lebhafte Diskussion, aus der wir immer wieder die Worte «Marxistas», «Periodistas» heraushörten. Die Leute lehnten uns ab, kategorisch. Weder von Marxisten noch von Journalisten wollten sie etwas wissen. Es war zum Verzweifeln. Da hatten wir nun unsere prächtigen Ausweise präsentiert - doch die Anarchisten zuckten nur desinteressiert die Achseln, für sie waren das wertlose Papierfetzen. Wütend über schüttete der Amerikaner die Leute, die ihn verständnislos angafften, mit einem englischen Redeschwall.

Unverhofft kam die Wendung. Mein Freund Hans hatte zufällig den Reisebericht von Friedrich Schneider in der «Arbeiterzeitung» mitgenommen; darin waren einige Stempel der anarchistischen Grenzkontrolle abgedruckt. Wir hielten ihnen die deutlich lesbaren Initialen der CNT und der FAI vor die Nase. Ah, das verstanden sie, kannten sie alle. Die Zeitung machte die Runde, mit kindlicher Freude wurden die anarchistischen Zeichen immer wieder bestaunt. Das Eis war gebrochen. Ihre Gesichter wurden freundlicher, sie klopften uns auf die Schultern, als Freunde der «rubia» wollten sie uns passieren lassen. Wir wurden mit Wein traktiert, mit Sardinen und Tomaten versorgt. Noch zwei Stunden mußten wir uns gedulden, bis sie uns in einem halb zerschossenen Lastwagen, der mit Milizionären nach Barcelona fuhr, Platz verschafften. Der Hearstkorrespondent hatte sich wie ein Schoßhündchen an uns gehängt und von der ganzen Prozedur nichts mitgekriegt. Nun stieg er strahlend mit uns ein.


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