Fazit
Strom verkauft sich nicht von selbst
Fazit
Strom verkauft sich nicht von selbst: Diese Erfahrung mußte die Elektrizitätswirtschaft auch im Paderborner Raum sammeln. Von der Idee, eine öffentliche Stromversorgung aufzubauen, bis zur Gründung der PESAG vergingen mehr als zwei Jahrzehnte. Zum einen fehlte mit der Großindustrie ein wesentlicher Antreiber der Elektrifizierung; der potentielle Bedarf der Haushalte und der Landwirtschaft war dermaßen gering, daß die Rentabilität einer solchen Unternehmung als nahezu aussichtslos erschien. Zum zweiten sah sich die Stadt Paderborn aus eigener Kraft nicht in der Lage, ein Überlandwerk zu betreiben, dazu besaß sie weder die Kenntnisse und Erfahrungen noch die erforderlichen finanziellen Mittel. Und zum dritten war mit dem der Stadtkasse gute Einnahmen bescherenden Gaswerk bereits ein „Platzhirsch“ vorhanden, dessen Existenz die Stadtvertreter keinesfalls gefährden wollten, wie vor allem Hermann Schmitz erfahren mußte, der darum nicht in Paderborn, sondern in Neuhaus ein kleines Elektrizitätswerk gründete.
Ohne das Bestreben von Bürgermeister Otto Plaßmann, die Wirtschaft Paderborns ankurbeln und eine Straßenbahn ins Lipperland hinein betreiben zu wollen, und ohne den Ehrgeiz des RWE, seinen Einzugsbereich zu erweitern und mit dem Bau eines
Kohlekraftwerks die Absatzmöglichkeiten seiner Mitbesitzer, der Kohlenindustriellen Hugo Stinnes und August Thyssen, zu steigern, wäre das Paderborner Elektrizitätswerk niemals 1909 entstanden. Doch die Dominanz der Straßenbahn im Unternehmen erwies sich als folgenschwer: Bis in die 1950er Jahre hinein fehlten ausreichende finanzielle Mittel, um die ländlich strukturierte Region zu erschließen. So scheiterte der Plan, ein großes Versorgungsgebiet mit fünf Kreisen zu schaffen. Selbst das verhältnismäßig kleine Gebiet des Altkreises Paderborn und des nördlichen Teils des Altkreises Büren stellte die PESAG vor kaum zu bewältigende Probleme, vor allem das zerstreut besiedelte Delbrücker Land und das Sennegebiet.
In der Stadt Paderborn mußte sich die PESAG gegen den Mitwerber, das städtische Gaswerk, behaupten. Nachdem das Elektrizitätswerk das Gaslicht, abgesehen von der Straßenbeleuchtung, und den Gasmotor innerhalb kurzer Zeit verdrängt hatte, begann es bereits vor dem Ersten Weltkrieg damit, Strom als Koch-, Heiz- und Wärmeenergie zu propagieren und damit in die Domäne der Gaswirtschaft einzudringen. Da kaum Großabnehmer aus Industrie und Gewerbe vorhanden waren, sah die PESAG keine andere Möglichkeit, den Stromabsatz zu heben. Der Krieg und vor die Inflation unterbrachen diese Entwicklung. Ab 1924 setzte die PESAG ihr Bestreben fort, die Haushalte zu elektrifizieren. Als im Zuge der Weltwirtschaftskrise die Stromabgabe an die Großabnehmer rapide sank, verstärkte sie ihr Engagement noch weiter, um die entsteheden Lücken zu füllen, wurde aber durch eine defizitär wirtschaftende Straßenbahn in ihrer Werbetätigkeit behindert. Zudem mußte sie auf Druck des Bürgermeisters im Stadtgebiet zurückhaltend agieren, damit die Existenzgrundlage des Gaswerks nicht gefährdet wurde. Dennoch gelang es der PESAG, insbesondere im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms nach der Machtergreifung, Fortschritte auf dem Gebiet der Küchenelektrifizierung zu erzielen.
Der Zweite Weltkrieg und die Zeit bis zur Währungsreform stellte wieder ein Einschnitt dar: Erst ab den 1950er Jahren konnte das Elektrizitätswerk, nicht mehr durch die Straßenbahn behindert, dank des wachsenden Wohlstands der Bevölkerung expandieren und eine umfassende Elektrifizierung erreichen, obwohl der Konkurrenzdruck durch das Gas und der neuhinzugekommenen Energieträger Propangas und Heizöl immer härter wurde. Nachdem dank der Durchsetzung des elektrischen Kochens die Haushalte vollelektrifiziert waren, schickte sich die PESAG nun an, mit Hilfe der Nachtspeicherheizung eine Allelektrifizierung zu erreichen, um auch den Verbrauch von Nachtstrom zu erhöhen.
Die Methoden, die Bevölkerung zum Stromanschluß und zu höherem Konsum zu animieren, wurden immer ausgefeilter: Zunächst verhandelte die PESAG, um den Ausbau ihres Versorgungsgebiets bemüht, ausschließlich mit den Kommunen und den wenigen potentiellen Großabnehmern auf direkte Weise; den Kleinverbrauchern bot sie „nur“ günstige Strompreise, während das Gaswerk Kochvorführungen und Vorträge offerierte. Ab 1913/14 verstärkte das Elektrizitätswerk sein Engagement, legte einen günstigen Haushalttarif auf, warb in Anzeigen mit dem Slogan „Koche – bügle – heize mit Strom!“, bot Installationen gegen Ratenzahlungen an und verkaufte Elektrogeräte in Eigenregie, da die Fachgeschäfte sich scheuten, Koch- und Heizgeräte in ihr Sortiment aufzunehmen. Nach der Unterbrechung durch Krieg und Inflation nahm die PESAG diese Aktionen wieder auf, führte zudem mit den Marktpartnern eine gemeinsame Werbe- und Verkaufskampagne durch und eröffnete eine eigene Beratungsstelle mit angeschlossener Lehrküche. Ab 1929 wurde die Werbung noch weiter intensiviert, indem ein neuer Haushalttarif aufgelegt und im Unternehmen eine eigene Stromberatungsabteilung eingerichtet wurde. Mittels der 1934 gegründeten Elektro-Gemeinschaft PESAG entstand eine enge Kooperation mit den Installateuren und Fachgeschäften, die mit Anzeigen und Werbeveranstaltungen agierte. Nach einer erneuten Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg und die Zeit bis zur Währungsreform 1948, als aufgrund von Stromeinschränkungsmaßnahmen nicht für höheren Konsum geworben werden konnte, entfaltete die PESAG eine breite Palette von Aktivitäten mit der Elektro-Gemeinschaft, Haushaltberaterinnen, Werbeveranstaltungen, Anzeigenkampagnen, Ausstellungsräumen und einer Beratungsstelle. Nicht nur Hausfrauen, sondern auch Kommunalpolitiker, Bauherren, Architekten, Schulen und Institutionen wurden angesprochen. Doch als attraktivstes Werbemittel erwies sich stets der Strompreis.
Wie die meisten Versorgungsunternehmen vermied es die PESAG jedoch, als Unternehmensziel die Steigerung des Absatzes mittels Erhöhung des Stromverbrauchs anzugeben, denn da sich fast alle Elektrizitätswerke ganz oder teilweise in kommunalem Besitz befinden, hat offiziell der Grundsatz der sicheren und preiswerten Versorgung der Bevölkerung absoluten Vorrang vor dem reinen Gewinnstreben. Statt dessen konnte die Notwendigkeit, die Stromabgabe zu erhöhen, stets mit dem Vorhandensein von Lasttälern begründet werden. Während das elektrische Kochen den Stromverbrauch auf die Höhe der morgendlichen und abendlichen „Lichtspitzen“ anhob, trug die Nachtspeicherheizung zu einer Auffüllung der nächtlichen Lasttäler bei.
Die Elektrifizierung bescherte den Menschen große Arbeitserleichterungen und zahlreiche Annehmlichkeiten; elektrisches Licht und mit Strom betriebene Geräte und Maschinen sind aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Jedoch regte sich auch Widerstand: Vor allem das Eindringen in den Wärmemarkt, forciert durch niedrige Strompreise, rief kontroverse Diskussionen hervor. Daß Elektrizität als wesentlicher Bestandteil der zunehmenden Technisierung und Mechanisierung auch zu Rationalisierungen auf dem Arbeitsmarkt und zur Belastung der Umwelt beigetragen hat, versteht sich von selbst. Doch die Tatsache, daß niemand ernsthaft eine Umkehrung des Elektrifizierungsprozesses fordert, zeigt, wie sehr sich Strom als „fünftes Element“ hat etablieren können.
Anhang
A Zahlen und Daten
A.1 Nutzbare Stromabgabe der PESAG 1910 - 1965
A.2 Anschlußbewegung im PESAG-Versorgungsgebiet 1909 - 1943
A.3 Elektrogeräte 1952 - 1961
B Verzeichnisse
B.1 Abkürzungen
B.2 Abbildungen
B.3 Quellen und Literatur
B.3.1 Unveröffentlichte Quellen
B.3.2 Zeitungen
B.3.3 Veröffentlichte Quellen und Literatur
C Erklärung
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