4.Die genera Verbi (Aktiv, Vorgangspassiv, Zustandspassiv)
Mit Hilfe des Genus verbi wird das Verhältnis des grammatischen Subjekts zum Geschehen im Satz ausgedrückt. Zu unterscheiden sind dabei das Aktiv, das Vorgangspassiv und das Zusatandspassiv. Die charakteristischen Bedeutungen der Genera verbi (lat. - ‚Geschlecht des Verbs‛) werden besonders beim passivfähigen Verb deutlich.
4.1Das Aktiv
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Das Aktiv bezeichnet bei Tätigkeitsverben eine Handlung des Subjekts. Ein Objekt kann dabeistehen.
Die Kinder spielen. Ich las den Roman. Ich helfe dem Freund.
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Das Aktiv kann auch einen Vorgang oder Zustand bezeichnen. Vorgangs- und Zustandsverben sind nicht passivfähig.
Die Sonne scheint. Die Rose blüht. Die Tage werden kürzer.
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Nur im Aktiv kommen Impersonalia2 vor, bei denen eigentlich gar kein Subjekt zum Ausdruck kommt (es ist Scheinsubjekt).
Es donnert. Es hat geklopft. Es grünt und blüht. Was gibt´s?
4.2Das Vorgangspassiv
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Im Passiv wird das Akkusativobjekt des Aktivsatzes zum (grammatischen) Subjekt. Die Bezeichnung des Agens (des Täters) kann im Passivsatz fehlen oder wird Präpositionalobjekt, als Urheber mit von, als Ursache oder Mittel mit durch (dreigliederiges Passiv). Es gibt Fälle, wo man im Gebrauch der Präposition schwanken kann:
Er trifft das Ziel. Das Ziel wird von ihm getroffen.
Bomben zerstörten Dresden. Dresden wurde durch Bomben zerstört.
Sputniks umkreisen die Erde. Die Erde wird von (durch) Sputniks umkreist.
Die Blickrichtung ist also in den Genera verschieden. Weil das Akkusativobjekt des Aktivsatzes zum Subjekt im Passiv wird, spricht man auch von "Umkehrrichtung" (Schmidt, Grudfragen, S.208).
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Das Wesen des Passivs liegt aber nicht nur in der umgekehrten Blickrichtung. Folgendes ist zu beachten:
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Mann kann bei transitiven Verben ein Vorgangspassiv ohne Nennung des Agens bilden (zweigliedriges Passiv):
Das Ziel wurde getroffen. Die Abhandlung wurde gedruckt.
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Bei intransitiven Verben, soweit diese ein Passiv bilden können, stellt das subjektlose Passiv eine Tätigkeit ohne Angabe des persönlichen Urhebers und teilweise auch ohne Angabe des Ziels dar.
Solange verhandelt wird, wird nicht geschossen. Davon muss gesprochen werden. Der Toten wurde gedacht.
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Eine Anzahl Verben, die einen Akkusativ bei sich haben können, aber keine aktive Handlung des Subjekts bezeichnen, bilden kein Passiv. Es handelt sich um Verben wie haben, bekommen, wissen, kennen, anmuten, kosten, umfassen, betragen sowie es gibt.:
Wir haben schönes Wetter, zuverlässige Freunde. Es gibt jetzt Erdbeeren.
Dazu gehören auch die Verben mit dem Akkusativ des Inhalts.
Dieses Buch enthält Novellen von Keller. Ich habe das Buch von einem Freund bekommen.
Reflexive Verben und der Akkusativ mit Infinitiv (A.c.I.) werden in der Literatursprache nicht ins Passiv gesetzt.
4.3Das Zustandspassiv
Ausser dem Vorgangspassiv, das aus werden + Partizip II gebildet wird, gibt es noch das Zustandspassiv, das aus sein + Partizip II von Tätigkeitsverben gebildet wird und einen Zustand kennzeichnet, der Resultat einer vorausgegangenen Tätigkeit ist. Der Täter wird im Zustandspassiv nur äusserst selten genannt. Man muss Vorgangs- und Zustandspassiv klar unterscheiden.
Das Fenster wurde geöffnet. Der Fenster ist geöffnet.
Merke:
Das Zustandspassiv darf nicht mit Formen intransitiver Vorgangsverben verwechselt werden, die ihre zusammengesetzten Zeiten im Aktiv mit sein bilden:
Die Rose ist verblüht. Der Kollege ist ganz überraschend gestorben.
4.3.1Zum stilistischen Gebrauch des Passivs
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Soll das Ziel der Handlung zugleich Gegenstand der Aussage sein, so ist das syntaktisch nur im Passiv möglich:
Die 5. Klasse wird von Frau Meier unterrichtet.
Der Täter kann unbekannt sein.
In der Nacht zum Montag wurde in dem Juweliergeschäft ein Einbruch verübt.
Das Passiv eignet sich gut für allgemeingültige Aussagen:
Unter Materie wird die objektive Realität verstanden, d.h. alles, was ausserhalb und unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existiert.
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Für das Futur I des Passivs verwendet man in der Umgangssprache fast immer das Präsens.
Ich werde erwartet.
4.3.2Konkurrenzformen des Passivs
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Konkurrenzformen des Passivs ohne modale Komponente
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Die persönlich-unbestimmte Konstruktion mit man ist zwar agensbezogen, aber die Agensangabe ist unbestimmt und nicht spezifiziert:
Man rief nach einem Arzt, nach der Polizei.
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die Reflexivkonstruktion, bei der sich das Verb und das Reflexivum auf ein Subjekt beziehen, das das Patiens3 nennt.
Plötzlich öffnet sich die Tür.
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Intransitive lexisch-semantische Varianten von Verben, die sowohl intransitive als auch transitive Sememe besitzen:
Das Museum öffnet sonntags zehn Uhr und schliesst siebzehn Uhr.
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Bei der Konstruktion bekommen / erhalten / kriegen (umg.) + Partizip II wird die Bezeichnung des Adressaten syntaktisches Subjekt:
Eine Erkenntnis, die der Zuschauer leider nur aus dem Kommentatortext vermittelt bekommt.
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Funktionsverbfügungen mit Passivbedeutung bestehen aus einem Substantiv, das von einem transitiven Verb abgeleitet wurde, und einem der Funktionsverben erfahren, erhalten, finden, gelangen, geniessen u.a.
Seine Leistung hat allgemeine Anerkennung gefunden (= ist allgemein anerkannt worden)
Der Gelehrte geniesst in Fachkreisen grosse Achtung.
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Verbalsubstantive können auch mit Ereignisverben kombiniert werden:
Die Abscheidung des Kupfers geschieht entweder durch Zementation mit Eisen oder durch Elektrolyse.
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Konkurrenzformen des Passivs mit modaler Bedeutungskomponente
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von Verben abgeleitete Adjektive auf –bar, -lich bezeichnen die Eignung einer Sache für eine Tätigkeit, eine Möglichkeit
Die Strasse nach Elend ist nicht befahrbar.
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Die Fügung sein + zu + Infinitiv ist nicht eindeutig; sie kann eine Möglichkeit (Ersatz durch können + Passiv) oder eine Forderung (Ersatz durch sollen oder müssen + Passiv) ausdrücken:
Diese Aufgabe ist zu lösen (= kann/soll gelöst werden.)
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Ähnlich verhält es sich mit dem Gerundiv4 (lat. gerundivum ‚auszuführend‛), dem attributiven Partizip I mit zu:
die zu erwartende Nachricht (= die Nachricht, die erwartet wird)
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Reflexivkonstruktionen mit lassen oder mit Modalergänzung:
Dieses Material lässt sich biegen, dehnen, gut verarbeiten.
Diese Ware verkauft sich gut.
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Konstruktion aus es gibt / bleibt + zu + Infinitiv:
Es gibt jetzt eine Menge Arbeit zu tun (= Es muss.... getan werden)
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Funktionsverbfügungen aus bedürfen + Verbalsubstantiv im Genitiv:
Solche Beispiele bedürfen einer besonderen Erörtung und Erläuterung. (= müssen besonders erörtert und erläutert werden).
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