F. Kleinheins Anton Webern Op. 6 /
Anton Webern, Orchesterstücke op. 6
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Entstehung: 1909, Briefbelege über die Arbeit ab dem 20. August 1909, rasche Vollendung, Entwurf und Instrumentation liegen also zeitlich nahe beieinander
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Widmung: "Arnold Schönberg/ meinem Lehrer :und Freund in höchster Liebe".
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UA: durch Arnold Schönberg im Wiener Skandalkonzert vom 31. März 1913 im Großen Saal des Wiener Musikvereins, damals noch als op. 4 bezeichnet.
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Besetzung: 4 Flöten (3. und 4. Fl. auch 1. und 2. Piccolo und 1 Alt-Flöte in G), 2 Oboen, 2 Englisch Hörner, 3 Klarinetten in B (3. Klar. in Es), 2 Bassklarinetten in B, 2 Fagotte (2. Fag. auch Kontrafagott), 6 Hörner in F, 6 Trompeten in B, 6 Posaunen, Basstuba, 2 Harfen, Celesta, 3 Timpani, Triangel, Glockenspiel, Rute, Becken, Tamtam, Kleine Trommel, Große Trommel, Tiefes Glockengeläute, Streicher.
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Fassungen:
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2. Fassung für Kammerorchester (Flöte, Oboe, Klarinette, Harmonium, Klavier, Schlagzeug, Streichquintett) für den 1919 von Schönberg gegründeten "Verein für musikalische Privataufführungen".
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3. Fassung im Sommer 1928 (zwischen Anfang August und 4. September), Besetzung: 2 Flöten (Picc.), 2 Oboen, 3 Klarinetten, 2 Fagotte (Kontrafagott), 4 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, Tuba, Harfe, Celesta, Schlagzeug, Streicher. Webern äußert sich dazu am 20. August 1928 an Schönberg brieflich wie folgt: "Nun fällt alles Extravagante (Altflöte), 6 Posaunen für ein paar Takte usw.). Jetzt kann ich alles viel einfacher darstellen [ ... ]" Am gleichen Tag bezeichnet er gegenüber Alban Berg die neue Partitur "wie eine alte Haydn-Partitur" (zitiert nach: H. und R. Moldenhauer, Anton Webern, S. 113)
Kompositionsgeschichtliches Umfeld
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Webern informiert Schönberg am 30. August 1909 brieflich über die Arbeit an den Orchesterstücken. Die Entstehung fallt in die Phase nach dem beruflichen Misserfolg im Frühsommer des Jahres und der 'Flucht' aus dem Innsbrucker Kapellmeisterengagement ("Es ist schrecklich! Und überhaupt, was habe ich mit so einem Theater zu tun ... " H. und R. Moldenhauer, Anton Webern, S. 93)
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Vorläufer und zugleich Vorbilder für Anton Webern und seine Sechs Stücke für Orchester op. 6 (1909) sind Mahler und Schönberg gewesen, bei Letzterem insbesondere die im gleichen Jahr erschienen Fünf Orchesterstücke op. 16, die im Übrigen auch für Bergs Drei Orchesterstücke op. 6 (1914) und für das dritte der Altenberglieder nach Besetzung und Faktur eine wichtige Rolle spielen.
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Auch der Tod der Mutter im September 1906 belastete Webern immer noch. Webern teilt am 13. Januar 1913 Schönberg den Stimmungsgehalt der Orchesterstücke mit (vgl. unten 9. Quellentexte, Zur Entstehungsgeschichte, 4). Auch der offizielle Programmtext einer 1933 für das Dortmunder Tonkünstlerfest angesetzten und abgesagten Aufführung bekräftigt diesen Kontext.
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Schönberg vollendete am 23. Mai 1909 seine "Fünf Orchesterstücke op. 16", die 1912 auf Wunsch des Verlegers assoziative Titel erhalten:
1. Vorgefühle, 2. Vergangenes, 3. Farben, 4. Peripetie, 5.Das obligate Rezitativ.
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Stellung der Orchesterstücke op. 6 im Gesamtwerk Weberns
Übersicht über Weberns Kompositionsphasen (Friedhelm Döhl)
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Periode (bis op. 2): Auseinandersetzung mit den Vorbildern (bes. Wagner, Brahms, Mahler, der junge Schönberg). Entwicklung vom Stil symphonischer Dichtung zu instrumentalen und lyrischen Formen im kammermusikalischen Stil Brahms' und Mahlers [ ... ] Auflösung der Tonikalität, "schwebende Tonalität".
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Periode (op. 3-11): Auflösung der traditionellen Formkategorien und -prinzipien.
Harmonische und formale Reduktion bis auf den Einzelton bzw. das Intervall, spez. die kleine Sekunde. Die Komposition entsteht nicht mehr diskursiv, sondern konstellativ aus den reduzierten Elementen, spez. mittels "chromatischer Verknüpfung".
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Periode (op. 12-19): Die polyphonen Verfahren werden wieder einbezogen. Doch ist darin mit Adornos Worten "eine Rückkunft ohne Zurückweichen" zu sehen. Ab op. 17 datiert die Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik.
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Periode (ab op. 20, 21): Die Reihe wird - oft spiegelsymmetrisch - in Einheiten von 2-4 Tönen unterteilt, die gewissermaßen als "Mikroreihen" fungieren können und eine besondere strukturelle Bedeutung gewinnen. Reihentechnische, kanonische, spiegelsymmetrische, variative Prinzipien koinzidieren in einem äußerst komplexen und zugleich transparenten Satz"
Einordnung von op. 6 in Weberns Schaffen -
Die Orchesterstücke op. 6 werden zur als "aphoristisch" bezeichneten Phase (1908-14)
gerechnet. Hierzu gehören auch die Fünf Dehmel-Lieder (1906-08), je fünf George-Lieder op. 3 und 4 (beide 1908/09). Auch die Instrumentalwerke der folgenden Jahre, die Opera 5 bis 11, stehen in dieser Entwicklungslinie: die Fünf Sätze für Streichquartett op. 5 (1909), Vier Stücke für Violine und Klavier op. 7, die Rilke- Lieder op. 8 (beide 1910). Die Bezeichnung der Streichquartettsätze op. 9 (1911) als "Bagatellen" liegt in der Konsequenz dieser Entwicklung, 1911-13 komponierte er 23 Orchesterstücke, von denen er einige als op. 10 veröffentlichte. Gemeinsam mit op. 10 zeigen die Orchesterstücke op. 6 den frühen Personalstil Weberns.
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Beide nehmen Abschied von der sinfonischen Tradition des 19. Jahrhunderts, wobei op. 10 im Vergleich zu op. 6 den Orchesterapparat deutlich reduziert. Streicher sind in op. 6 chorisch, in op. 10 solistisch verwendet.
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Die Orchesterstücke op. 6 Abschied von der mehrsätzigen Sonatenform und der zyklischen Gestaltung, die an Thementransformation gebunden war.
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Die Anmerkungen des Herausgebers F. S. (Fritz Stein?) zu Weberns "einziger großer symphonischer Musik" im Vorwort zum Partiturdruck der Universal Edition machen deutlich, dass wir es hier mit einer "musikalischen Kurzprosa" zu tun haben, freilich nicht im Sinne des "Niedlichen", der "erhabenen Nonchalance" einer "Kunst im Taschenformat". Die extreme Kürze der Werke ist neben dem "entwickelnden Variieren" vorrangig in einer "Verdichtung" des musikalischen Geschehens zu sehen.
Webern über sein op.6 -
Webern gab an lässlich einer Aufführung von op. 6 1933 beim Dortmunder Tonkünstlerfest Einblicke in seine Kompositionswerkstatt: "Die Stücke op. 6 sind im Jahre 1909 entstanden. Ihre Erstaufführung hat 1913 [im berüchtigten "Skandal-Konzert" am 31. März] - also vor gerade 20 Jahren - unter der Leitung Arnold Schönbergs in Wien stattgefunden. Sie stellen kurze Liedformen dar, meist im dreiteiligen Sinne. Ein thematischer Zusammenhang besteht nicht, auch nicht innerhalb der einzelnen Stücke. Diesen nicht zu geben, war sogar bewusst angestrebt: in dem Bemühen nach immerfort verändertem Ausdrucke. Um den Charakter der Stücke - sie sind rein lyrischer Natur - kurz zu beschreiben:
das erste [Langsam] drückt die Erwartung eines Unheils aus,
das zweite [Bewegt] die Gewissheit von dessen Erfüllung;
das dritte [Mäßig] die zarteste Gegensätzlichkeit; es ist gewissermaßen die Einleitung
zum vierten, einem Trauermarsche [Sehr mäßig];
fünf [Sehr langsam] und sechs [Langsam] sind ein Epilog: Erinnerung und Ergebung.
Die Stücke erhielten 1928 eine neue instrumentale Fassung, die der ursprünglichen gegenüber eine wesentliche Vereinfachung darstellt und einzig gelten soll."
(zit. nach Moldenhauer, S. 112f.)
Im Vergleich mit einer eingehenderen Analyse müssen Weberns eigene Bemerkungen verwundern. Die latente Dreiteiligkeit scheint zwar gegeben, so im I. Stück mit einer auf die Melodiestimmen verteilten Klanglichkeit, die am Ende wieder im Vordergrund steht. Das II. Stück lebt hingegen von einer permanenten dynamischen Steigerung bis zum Schluss-Fortissimo. Das Fehlen eines thematischen Zusammenhangs lässt sich zumindest im III. Stück durch den gleichsam thematischen Zusammenhalt der auf- und absteigenden Sekunde (Viola, Trompete) widerlegen. Solchen Zusammenhalt bietet auch das Zusammenwirken von melodischer Linienführung und Klangfarbe in den ersten drei Takten des I. Stücks, vielleicht vergleichbar mit Klimts Verbindung von Linie und Farbe in seinen Landschaftsbildern.
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"Ich schreibe einen Zyklus von Orchesterstücken, d. h. es ist halt so geworden. 6 Stücke werden's in der Instrumentation fast nur reine Farben. Wie's halt kommt. "(Webern, Brief an Schönberg, 30. 8. 1909)
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"Das erste Stück will meine Stimmung ausdrücken, als ich noch in Wien war, bereits das Unglück ahnend, aber doch noch immer hoffend, die Mutter noch lebend anzutreffen ... " (H. und R. Moldenhauer, AntonWebern, S. 112) Zum 2. Satz: "Es war ein schöner Tag, eine Minute lang glaubte ich ganz sicher, es sei nichts geschehen. Erst auf der Fahrt nach Kärnten, es war der nämliche Tag, am nachmittag, erfuhr ich die Tatsache." "Das 3. Stück ist der Eindruck des Duftes der Eriken, die ich an einer für mich sehr bedeutungsvollen Stelle im Walde pflückte und auf die Bahre legte." "Das vierte Stück habe ich nachträglich marcia funèbre überschrieben. Nach heute verstehe ich nicht meine Empfindung, als ich hinter dem Sarge zum Friedhof gieng. Ich weiß nur, dass ich den ganzen Weg hoch aufgerichtet gieng, vielleicht um in weitem Umkreis alles niedrige zurückzubannen ... " Zum 5. Satz: "Der Abend nach dem Begräbnis war wunderbar. Ich gieng mit meiner Frau nochmals hinunter am Friedhof und ordnete dort die Kränze u. Blumen am Grabhügel. Ich hatte immer das Gefühl einer körperlichen Nähe meiner Mutter, ich sah sie freundlich lächeln, es war auf Augenblicke eine selige Empfindung." Zum 6. Satz: "zwei Sommer darauf war ich endlich andauernd wieder auf unserem Besitz, damals als ich Ende des Sommers diese Stücke schrieb. Ich war täglich gegen Abend am Grabe. Oft schon in tiefer Dämmerung." (Webern an Schönberg in einem Brief vom 13. Januar 1913, wenige Wochen vor der Uraufführung; zitiert nach: H. und R. Moldenhauer, Anton Webern, S. 112)
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"Für das Konzert ist alles in Ordnung. Die Instrumente werden alle beschafft; auch die Alt- Flöte. Die kommt aus Deutschland, und einer von der Oper wird sie spielen. Ein solcher Aufwand wegen der paar Takte! Ich habe fast Gewissensbisse, aber ich freue mich doch sehr." (Webern an Schönberg am 17. März 1913; zitiert nach: H. und R. Moldenhauer, Anton Webern, S. 154)
Webern über den Aphorismus
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"Weg vom Pathos! Weg von den 24pfündigen Dauermusiken; von den gebauten und konstruierten Türmen, Felsen und sonstigen gigantischem Kram. Meine Musik muss kurz sein. Knapp! in zwei Noten: nicht bauen, sondern 'ausdrücken'! ! Und das Resultat, das ich erhoffe: keine stylisierten und sterilisierten Dauergefühle. Das giebts im Menschen nicht: dem Menschen ist es unmöglich nur ein Gefühl gleichzeitig zu haben. Man hat tausende auf einmal ... Und diese Buntheit, diese Vielgestaltigkeit, diese Unlogik, die unsere Empfindungen zeigen, diese Unlogik, die die Associationen aufweisen, die irgend eine aufsteigende Blutwelle, irgend eine Sinnes- oder Nerven-Reaktion aufzeigt, möchte ich in meiner Musik haben. Sie soll Ausdruck der Empfindung sein, so wie die Empfindung wirklich ist, die uns mit unserem Bewusstsein in Verbindung bringt, und nicht ein Wechselbalk aus Empfindung und 'bewußter Logik'." Schönberg im August 1909 an Ferruccio Busoni mit Blick auf seine Klavierstücke op. 11; zitiert nach: Hans-Heinrich Eggebrecht: Musik im Abendland, München 1991, S. 788.
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" ... meine kleine Sachen ... sind Extrakte! Extrakte des Lebens. Das Leben der Seele und des zufalligen Tages, in 2-3 Seiten eingedampft, vom Überflüssigen befreit wie das Rind im Liebig-Tigel! Dem Leser bleibe es überlassen, diese Extrakte aus eigenen Kräften wieder aufzulösen, in genießbare Bouillon zu verwandeln, aufkochen zu lassen im eigenen Geiste, mit einem Worte sie dünnflüssig und verdaulich zu machen. Aber es gibt 'geistige Mägen', welche Extrakte nicht vertragen können ... Sie bedürfen 90 Prozent Brühe, Wässrigkeiten. Womit sollten sie die Extrakte auflösen?! 'Mit eigenen Kräften' vielleicht? So habe ich viele Gegner, ... ganz einfach! Schwer verdauende! ... Und dann, ich halte dafür: Was man 'weise verschweigt', ist künstlerischer, als was man 'geschwätzig ausspricht'. Nicht?! Ja, ich liebe das 'abgekürzte Verfahren', den Telegramm-Stil der Seele!" aus: Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt (1901); zitiert nach: Hans-Heinrich Eggebrecht: Musik im Abendland, München 1991, S. 791.
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"Alle Werke, die seit dem Verschwinden der Tonalität bis zur Aufstellung des neuen
Zwölftongesetzes geschaffen wurden, waren kurz, auffallend kurz. - Was damals Längeres geschrieben wurde, hängt mit einem tragenden Text zusammen ... : Mit der Aufgabe der Tonalität war das wichtigste Mittel zum Aufbau längerer Stücke verloren gegangen. Denn zur Herbeiführung formaler Geschlossenheit war die Tonalität höchst wichtig. Als ob das Licht erloschen wäre! - so schien es." Anton Webern in seinen "Vorträgen" bezogen auf die Situation um 1910; zitiert nach: Hans- Heinrich Eggebrecht: Musik im Abendland, München 1991, S.792
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"Man hat diese musikalische Kurzprosa mangels
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anderer Vergleichsmöglichkeiten öfter der Miniatur oder dem Aphorismus zugeordnet. Aber sie ist von der einen Gattung soweit entfernt wie von der anderen, weil ihr sowohl der joviale Gestus einer dem Niedlichen anempfundenen Kunst im -Taschenformat fehlt als auch die erhabene Nonchalance des, je nachdem, tief- oder hochsinnigen, oft nur begonnenen, nie ganz zu Ende gespielten Puzzlespiels mit Gedankensplittern. Die Sechs Stücke des Jahres 1909 sind komplexe und durchorganisierte, in sich geschlossene Gebilde von größter formaler Stringenz. Kein Stückwerk also; aber auch kein amorphes Gemenge im freien Stil der informellen Kunst. Ihre Kürze ist ein Ergebnis weniger der Aussparung als der Verdichtung. (Vorwort zur Ausgabe in der Universal-Edition von 1961)
Analyse von Webern Op. 6/1-3
I. [etwas bewegte Achtel]
Webern: "Das erste Stück will meine Stimmung ausdrücken, als ich noch in Wien war, bereits das Unglück [der Tod der Mutter, 1906] ahnend, aber doch noch immer hoffend, die Mutter noch lebend anzutreffen ..." (zit. nach Maidenhauer, S. 112)
Nach Carl Dahlhaus (Webern, S. 208) wird hier die musikalische Form primär durch den Rhythmus geprägt.
T. 1-3: "Exposition" aus "modifizierten syntaktischen Einheiten" (Vordersatz- Nachsatz);
T.4-7: "komplementär-polyphone Fortspinnung";
T.8-14: Steigerungsabschnitt ("Eindruck eines dichten rhythmisch-klangliches Netz- oder Gitterwerks");
T. 15-19: "Eine Art Reprise mit umgruppierten Elementen". (Schweizer, S.26/27)
Rhythmische Strukturen (Carl Dahlhaus). (Im folgenden finden sich Auszüge aus: Carl Dahlhaus: Rhythmische Strukturen in Weberns Orchesterstücken op. 6, in: C. Dahlhaus: 20. Jahrhundert. Historik - Ästhetik - Theorie- Oper - Arnold Schönberg (= Carl Dahlhaus: Gesammelte Schriften, Bd. 8), Laaber 2005, S. 467-474)
Ausgangspunkt: "Die Apologetik der seriellen Musik stützt sich, um die Unterwerfung des Rhythmus - oder des Parameters Tondauer- unter die Reihentechnik zu rechtfertigen und historisch zu begründen, auf das Argument, dass in der atonalen und dodekaphonischen Musik der Rhythmus gleichsam, tonal' geblieben sei: Er habe Prinzipien bewahrt, die als Korrelate zur tonalen Harmonik entstanden seien, so dass eine avancierte Tonhöhenstruktur in Widerspruch zu einer rückwärts gewandten, veralteten Rhythmik geraten sei - in einen Widerspruch, den erst das serielle Verfahren, die Verallgemeinerung des Reihenprinzips, aufgehoben habe.
Die These von der Unstimmigkeit der Parameter in der atonalen und dodekaphonischen Musik ist jedoch zu grob, um der geschichtlichen Wirklichkeit gerecht zu werden. So triftig sie für manche Zwölftonkompositionen, etwa das dritte und das vierte Streichquartett von Schönberg, sein mag, so fragwürdig erscheint sie angesichts der frühen Atonalität, in der die Teilmomente der Komposition noch fast immer gleich entwickelt waren [ ... ]. Der ,schwebenden' oder 'aufgehobenen' Tonalität, wie sie Schönberg in der Harmonielehre beschrieben hat, entspricht in Werken wie den Orchesterstücken op. 6 von Webern eine ,schwebende' oder ,aufgehobene' Taktrhythmik, in der gleichsam der Zerfall der Tradition auskomponiert ist. Und im Einzelnen sind die rhythmischen Strukturen nicht weniger verwickelt und differenziert als die tonalen. Von einer inneren Ungleichzeitigkeit der Teilmomente des Tonsatzes -der Parameter in der Terminologie der seriellen Musik- kann schwerlich die Rede sein." (ebd. S. 469)
Analyse von op. 6, Nr. 1 unter dem Aspekt der Verwendung "reiner Farben" (Joachim Kremer)
Ausgangspunkt: Eine Stelle aus Weberns Brief an Schönberg vom 30. August 1909 stellt den
Ausgangspunkt dar: "Ich schreibe einen Zyklus von Orchesterstücken, d. h. es ist halt so
geworden. 6 Stücke werden's. In der Instrumentation fast nur reine Farben. Wie's halt
kommt."
Wie verwendet Webern das Mittel der "Klangfarbe"?
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Die Farbverwendung erfolgt in op. 6 blockartig, aber dennoch spielen nie alle Instrumente
zusammen.
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Ein sinfonischer Vollklang, der in der Tradition sinfonischer Musik und im
speziellen eines ,Kopfsatzes' begründet sein könnte, ergibt sich kaum.
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Insgesamt ist eine bewusste Klangökonomie festzustellen, die trotz der allgemein
festgestellten - im Vergleich zu op. 10 relativ starken- Blockhaftigkeit einen "transparenten
und höchst differenzierte Klangfarbenverteilung" (Fr. Döhl) anstrebt: Das Abwechseln der
Farben ist auch in der ,Klangregie' des gesamten Zyklus zu sehen: Folgende Besonderheiten
der Besetzung weisen auf den bewussten Einsatz von Klangfarben hin:
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Die Celesta spielt nur in Nr. 1, dann wenige Töne ein Nr. 2 und ebenso in Nr. 3, tritt
danach erst wieder in Nr. 5 hinzu, ebenso im Verlauf der Nr. 6. Ähnlich tritt das
Schlagzeug (Becken, Große Trommel, Rute) erst im Verlauf des Stücks Nr. 2 (nach
Ziffer 5) hinzu.
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Die Streicher spielen in der gesamten Nr. 4 nicht, statt dessen nur Bläser mit Schlagzeug, im Verlauf des Stückes entsteht eine sukzessive Steigerung, die im reinen Schlagzeugklang, einem Triller in den Pauken, der großen und kleinen Trommel und im dreifachen forte endet.
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Instrumente werden oft solistisch eingesetzt – dass Nr. 2 oft blockartig gesetzt ist, stellt keinen Widerspruch dar, weil dort die blockhafte Verwendung im Sinne der Steigerungsform zu sehen ist - , in besonderen Lagen und damit unter besonderen klanglichen Bedingungen und zudem oft mit Spielanweisungen, die den Klang verändern (mit und ohne Dämpfer, pizz. und arco, am Steg, col legno, Flageolett, Tremolo u.ä.)
Auch in einzelnen Sätzen ist diese durchdachte Klangsetzung zu sehen, die zugleich Zusammenhang stiftet und damit auch formbildend wirkt:
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Im ersten Satz wird zu Beginn in Takt 1 und 2 der Flötenklang durch die Celesta unterbrochen und vom Klang der geteilten Violen und Celli weitergeführt, letztere gedämpft. Dies vermeidet jede orchestrale Opulenz, jeden sinfonischen "Sound".
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Zudem wird eine zweitaktige Geschlossenheit erreicht, die - wie aus der Ferne - an eine thematische Figur erinnert, indem eine steigend - eröffnende Bewegung der Flöte durch eine fallende, beantwortet wird, was Dahlhaus veranlasste, vom Andeuten eines Vorder- und Nachsatzes zu sprechen. Diese Figur bewegt sich - unabhängig von dem Einwurf der Celesta - über einem liegenden Einzelton in der gedämpften Trompete und dem ebenfalls gedämpften dritten Horn. Der durch beide Instrumente gebildete Terzfall wirkt gemeinsam mit dem fallenden Bewegungsduktus der Flöte fast wie eine in sich geschlossene und zugleich eröffnende Geste.
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Solche eingangs gesetzten Farbwerte dienen auch Bildung einer Großform (sofern dieser Begriff überhaupt trifft): Ab dem viertletzten Takt vollzieht sich nämlich ein ähnlicher Vorgang wie zu Beginn, indem hier die zweimalige Triolenbewegung der gedämpften Trompete durch die Violen und Celli unterbrochen werden. Dass dabei nicht exakt dieselben Farben quasi reprisenhaft - die Kürze dieser Gesten weist darauf hin, wie unangebracht der Ausdruck hier wäre - gesetzt werden, zeigt, dass hier nicht im Sinne einer Reprise gedacht wird, auch nicht im Sinne einer Entwicklungslogik. Nur Andeutungen und keine exakte Analogie bilden hier den Zusammenhang, hier also gewissermaßen das Prinzip der farblichen, komplementären Verschachtelung.
Und doch weist die unveränderte Wiederholung der Triolenbewegung, die im zweiten Fall durch einen um eine Oktave nach unten versetzten Ton B abgeschlossen wird, auf den nun schlussbildenden Vorgang hin. Dieser ist hier grundsätzlich verschieden vom eröffnenden Beginn, wo vor dem drängenden und raschen Klangaufbau, der fast eine Art sinfonischer Steigerung suggeriert, ein klanglich extrem filigraner Ausgangspunkt gesetzt worden war. Die bei unterschiedlichem Bewegungsgestus festzustellende klangliche Korrespondenz weist auf die formbildende Klangdramaturgie des Stückes hin:
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In dem insgesamt 19 Takte umfassenden Stück spielen in Takt 8-13 relativ viele Instrumente zusammen, der Beginn und das Ende ist demgegenüber dünner besetzt, baut den Klang auf, bzw. ab.
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Das Aufbauen ab Takt 4 erfolgt über eine solistische Verwendung der Klarinette, der Trompete, der tiefen Harfe und des Violoncellos. Aus diesem vierstimmigen Band erwächst weniger die Klangsteigerung, als dass sie durch den sukzessiven crescendo-Einsatz von Viola und 2. Violinen ab Takt 6 und 7 überwuchert wird. Von Überwucherung zu sprechen, ist sinnvoll, weil jeder neue Einsatz in einer höheren Lage erfolgt und im nun ohne Dämpfer zu spielenden Einsatz der 1. Violinen in Takt 9 gipfelt.
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Trotz des vollen Klangs in Takt 8, ist aber Takt 9 der Höhepunkt, wo die 1. Violinen mit g''' einsetzen. Der verhältnismäßig volle forte - Klang ab Takt 8 übertönt zwar das noch bis Takt 9 seine Linie fortsetzende solistische Cello, das in diesen neuen Klangkomplex hineinragt. Demgegenüber hatten aber die anderen drei Instrumente in dem Moment geendet, wo der sukzessive Einsatz beginnt.
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Ab diesem Moment ist auch eine gänzlich andere Klangstrukturierung des Satzes zu finden: Parallele-, bzw. colla-parte-Führung von Flöten und Oboen, Bassklarinette und Fagott, 1./2. und 3./4. Hörner, 2. Violinen, die geteilt sind und Celli und Kontrabass.
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Ab Ziffer drei wird diese Parallelführung von Instrumenten wieder aufgelöst. Die mit dem Aufbau des Vollklangs zurückgedrängten Instrumente treten aber nicht wieder hinzu: Trotz Auflockerung des Klangraums und des Klangspektrums tritt einen Takt nach Ziffer drei nur die Klarinette hinzu, das Cello erlangt nicht wieder seine ehemalige Eigenständigkeit wie in Takt 4ff.. Harfe und Trompete erscheinen erst verspätet bei Ziffer 4, und zwar klanglich extrem verändert, nämlich als glissando und die Trompete gedämpft, wobei hier Harfe und Trompete den Part der Flöte von T. 1+2 übernehmen
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Keine Symmetrie oder Rahmung ist deshalb festzustellen, und dennoch wirkt das Stück in sich gerundet, die schlussbildende Triolenfigur der Trompete mit folgendem Harfenton leisten dies gerade über die im Rückblick auf den Beginn entstehende Ambivalenz von Korrespondenz und Abweichung.
Aber es wird auch deutlich, wie Gestaltungsprinzipien der Themen- und Formbildung tradierter Symphonik in äußerst andeutungsvoller Weise dem Hörer präsent sein müssen, um Korrespondenzen in diesem op. 6 Nr. 1 zu entdecken, die selbst aber nicht Gegenstand des kompositorischen Anliegens sind. Friedhelm Döhls Aussage, dass die "Komposition nicht mehr diskursiv (über logisches Denken zur Erfassung eines Sachverhalts gelangend), sondern konstellativ aus den reduzierten Elementen" entstünde, gewichtet dieses stete Rekurrieren (auf etwas zurückgreifen; Bezug auf bereits Gelerntes nehmen) auf den im Hörer latent oder bewusst wirkenden Traditionshintergrund nur schwach. . .
Motivisch-Thematische Struktur
Im Sinne einer entwickelnden Variation entsteht aus dem Anfangsgestus der Trompete (VS), welcher von Trompete+Celesta (wenn man diese Instrumente als eine Einheit betrachtet) beantwortet wird ein "neuer" klassischer Halbsatz, die beiden Phrasen sind in vielfältiger Hinsicht kontrastiv (Bewegungsrichtung, Tempo, einstimmig-mehrstimmig usw.)
Takt 2+3 quasi als Nachsatz variiert die Trompete ihr Anfangsmotiv durch Intervallspreizung und Richtungswechsel, die Celesta/Tr-Antwort wird nun von den geteilten Va/Vc übernommen, jedoch – wie bei Brahms – hat sich das Motiv schon "entwickelt" es nimmt in sich die Auf- und Abbewegung auf.
Wir haben nun 4 Motive:
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(rasche) Auf- oder Abbewegung der Trompete
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Orgelpunkt (Tr)
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Zweitonmotiv der Celesta (Sekunde oder/und Terz)
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gedehnte Zick-Zack-Figur der Va/Vc
Diese vier Strukturen lassen sich sehr gut in den folgenden Takten in ihrer Entwicklung nachvollziehen.
Die Technik ist durchaus konventionell, das klangliche Ergebnis und die angestrebte klangliche Wirkung neu.
Was ist "neu"? (Kleinheins)
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"Symphonische Dimensionen werden "eingedampft"
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sowohl in bezug auf die Länge (Kürze) als auch der verwendeten klanglichen Mittel:
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Klangfarben werden nun pointiert, kurze Stellen und sehr reduzierte Instrumentalkombinationen
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neue Kombinationen und Klangwirkungen (siehe auch die vielen subtilen Spielanweisungen)
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Das Rhythmische wird neu definiert, in dem sie über das Gelöst sein vom Metrischen hinausgeht und nun strukturell eigenständig wirkt.
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das Metrum wird durch komplexe Rhythmik aufgelöst, unterstützt durch variables Metrum (rit, drängend, wieder ruhiger etc.)
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harmonisch vermeidet Webern, wie Schönberg, tonale Strukturen, durch
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(banal) Meidung von Dreiklangsschichtungen oder Dreiklangsmelodik
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durch Spaltklänge, die ohnehin Konsonanzklänge erschweren (z.B. T.1 Trompete+Celesta, oder verfremdete Klänge "am Steg", Dämpfer )
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komplexe Rhythmusschichtung z.B: ab T.4, welche die Akkordwahrnehmung verhindert
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Thema; das thematische Material orientiert sich nach "neuen" Qualitäten: Bewegungsrichtung-, geschwindigkeit, Intervallstruktur, Klangfarbe
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Motivisch-thematische Arbeit modifiziert dann eben diese neuen Qualitäten (durchaus konventionell)
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formal:
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aphoristische Dimension
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der Formablauf wird nun bewusst durch neue Parameter bedingt: durch die "Ereignisdichte", z.B. ist das Triolenviertel der Va/Vc bei Zif 1 durch seine Länge hier abschnittsbildend, und durch die Klangfarbe (s.o.)
II. [bewegt]
"Es war ein schöner Tag, eine Minute lang glaubte ich ganz sicher, es sei nichts geschehn. Erst auf der Fahrt nach Kärnten, es war der nämliche Tag, am nachmittag, erfuhr ich die Tatsache."
(zit. nach Maidenhauer, S. 112)
T. 1-2: "Zwei kreisende melodische Linien" in "rhythmisch
unruhigem Kontext" (Fagott), T. 6-9 (Flöten);
T. 9-12: Das Figurenwerk verselbständigt sich und fährt sich fest;
T.13-14: Klagefigur der Oboen;
T. 17, 19-21: Figur "entwickelt sich in den hohen Holzbläsern drängend weiter", bildet in T. 15/16 "scharf abgehobene Kontrastgruppen" aus;
T. 22-27: Erstarrung "in extrem dissonanten Klangblöcken", abruptes
Abreißen am Schluss. (Schweizer, S. 27)
Die drei Sätze Weberns sind prinzipiell mit analogen Vorgehensweisen wie im 1. Satz beschrieben komponiert, betonen jedoch jeweils andere Schwerpunkte
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auch hier bestimmen wenige Motive, aus denen verwandte Motive mutieren das Satzbild:
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Legato-Bassklarinettenmelodie versus zufälliger,
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gesprenkelter Einwürfe der Bläser und Harfe, die eine aleatorisch anmutende Rhythmik ergeben
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Mini-Arpeggio des Fagotts, welche gleich in T. 2 von der 1. Posaune übernommen wird
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T. 1 – 4 eine zweiteilige "Devise" (VS-NS) mit amorphem Vordersatz, gehalten von einer Melodie und einem geschlossenem Nachsatz
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prägend für den gesamten Verlauf ist die Dialektik "amorph"-"geschlossen", diese Gegenüberstellung wird immer konturierter, T.11/12 frisst sich dieser Prozess fest, wird in T. 13 neu aufgebaut und verhärtet in eine blockhafte Spaltung, die Gegensätze werden in Besetzung, Länge der Abschnitte, Lautstärke extrem: Am Schluss ppp von Großer Trommel und Peitsch als Gegensatz zu fff des Tuttis.
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Die Unstetigkeit wird durch die Tempovorgaben plastischer
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Nimmt man das Stück programmatisch, dann ist der Schock Weberns mehr als deutlich vertont.
III. [mäßig]
Das 3. Stück ist der Eindruck des Duftes der Eriken, die ich an einer für mich sehr bedeutungsvollen Stelle im Walde pflückte und auf die Bahre legte."
Das kurze Stück ist von "kammermusikalischer Durchsichtigkeit" geprägt "als Folge einer durchbrochenen, überwiegend solistischen Setzweise"; "Nirgends erhebt sich das Geschehen mit seinen lose gereihten ein- bis zweitaktigen Melodiephrasen übers Piano"; "fortwährendes Changieren zwischen den Grundeinheiten Viertel und punktiertes Viertel. "Man könnte von 'schwebender' Taktrhythmik, einem metrischen Analogon zur ,schwebenden' Tonalität sprechen." (Dahlhaus, Webern, S. 206)
Die Analyse zu III entspricht in wesentlichen Punkten Nr. I, wenn auch neue Klangstrukturen erreicht werden.
Rhythmische Strukturen, Dahlhaus: Zum dritten Stück op. 6, Nr. 3:
"Im vierten' Stück [ ... wird der Takt] nicht suspendiert, sondern hervorgekehrt. Anders im dritten Stück, in dessen elf Takten nicht weniger als achtmal das Taktmaß wechselt, und zwar zwischen 4/4, 6/8, 3/4 und 2/4. Außerdem gerät das Metrum durch gehäufte Ritardandi und durch Pausen an Taktanfängen ins Ungewisse. Man könnte von ,schwebender' Taktrhythmik, einem metrischen Analogon zur ,schwebenden' Tonalität sprechen. Takt und Taktwechsel sind jedoch, obwohl sie schwerlich als solche wahrgenommen werden, keineswegs funktionslos; von Quantitätsrhythmik kann nicht die Rede sein.
[hier folgt als Notenbeispiel der Rhythmus aus Takt 5 und 6, 1. Flöte]
Der Wechsel zwischen 6/8 und 3/4 in den Takten 5 und 6 mag bei flüchtiger Betrachtung sinnwidrig anmuten, weil in Takt 6 der Akkord auf dem vierten Achtel quer zum 3/4- Takt steht und sich eher in den 6/8- Takt fügen würde, der gerade mit dem 3/4- Takt vertauscht wurde. Der Taktwechsel ist jedoch als indirekte Notation zu verstehen: einerseits als Tempovorschrift (punktierte Viertel im 6/8- Takt = Viertel im 3/4- Takt), andererseits als Artikulationsanweisung. Der Akkord erscheint auf der unbetonten Zeit des 3/4- statt auf der betonten des 6/8- Taktes, weil er nicht pointiert, sondern zögernd gespielt werden soll. Der zurückhaltende Tonansatz entspricht dem Ritardando. Nicht der Taktwechsel als Austausch des metrischen Grundmusters, sondern die Artikulation, die er zur Folge hat, macht den Sinn der scheinbar sinnwidrigen Notation aus." (ebd. S. 471f.)
Stellung der Sätze 1-3 im Zyklus op. 6
Der gesamte Zyklus besteht aus folgenden sechs Sätzen: 1. Etwas bewegte Viertel (19 Takte), II. Bewegt (27 Takte), III. Zart bewegt (11 Takte), IV. Langsam marcia funèbre (41 Takte), V. Sehr langsam (26 Takte), VI. Zart bewegt (26 Takte). Wenn auch Webern selbst einen thematischen Zusammenhang zwischen den Sätzen verneint, weist er auf' Zusammenhänge' hin: Das erwartete Unheil tritt in II ein, III ist "gewissermaßen die Einleitung zum vierten" Satz, V und VI weist er die Funktion eines Epilogs zu, sie sind "ein" (!) Epilog. Auch der von Webern in seinem Kommentar 1933 benutzte Begriff "Erinnerung" wirft die Frage nach dem Erinnerten auf. Der tägliche Friedhofsbesuch während der Entstehungszeit der Orchesterstücke op. 6 erinnert ebenfalls an die Ereignisse 1909, musikalisch erinnert das tiefe Glockengeläut "aus der Ferne, kaum hörbar" an die Klangsphäre der marcia funèbre.
(vgl. den Kommentar Weberns zu seinen Orchesterstücken op. 6, im Jahre 1933 in der
"Zeitschrift für Musik" erschienen; zitiert nach: H.. und R. Moldenhauer, Anton Webern, S.
112f.)
7. Rezeptionsgeschichtliche Dimensionen
a) Die Uraufführung erfolgte im berühmten Wiener Skandalkonzert von 1913. Dazu ein Augenzeugenbericht:
"Heute abend war ich bei dem Konzert, das Schönberg dirigierte. Gleich zu Anfang begannen die Leute, heißt ein paar Leute, gröhlend zu lachen und zu schreien. Gesprochen und gerufen und herumgetrampelt wurde fort ohne Pause. Die Canaillen hatten eben das Gefühl, dass es da jemand auf billige Weise zu schlachten gab, jemand vogelfreien. Es war alles ganz natürlich, aber über die Maßen empörend zuzusehen. Leute, die mit Kunst so viel zu tun haben, wie ich mit Kartenspiel, machten fortwährend Witze, die von den dazugehörigen Nachbarinnen für glänzend gehalten wurden. Stellenweise glaubte ich aus der Haut zu fahren. Nach der Schönberg-Symphonie, die mir trotz allem noch einen Eindruck von Macht und Kunstwerk machte, ging ein höllischer Lärm los, auf der 2. Galerie wurden ein paar Leute nach harter Rauferei hinausgeworfen. Die Lieder von Berg wurden aus unerfindlichem Grund durch schallendes Gewieher unterbrochen. Schon vorher hatte sich der Loos fast bis zu Tätlichkeiten eingelassen. Schönberg schrie ins Auditorium Drohungen hinein. Man brachte die Lieder noch zu Ende. Dann waren alle Grenzen offen. Leute forderten sich, wurden auseinander gerissen, brüllten, lachten, pfiffen. Der Arthur Schnitzlerist mir gegenüber ruhig in der Loge 2 gesessen. jemand rief dem Publikum zu, sich gesittet zu benehmen oder zu gehen. Einer schrie 'Lausbub' zurück. Der erstere sprang hinunter und in den Haufen und haute dem vermeintlichen Schimpfer eine mächtige Ohrfeige herunter. Der ganze Saal verfolgte diese Handlung gespannt. dann wieder Gejohle. Ein uniformierter Kommissär schrie irgend etwas. Jetzt erscheint mir alles komisch, aber dort zitterte ich am ganzen Leib vor Wut. - Die Musiker verließen den Saal, dem Pöbel war es gelungen, das Konzert zu sprengen. Unten wurde über irgend ein Ding gestritten. Oskar Strauss spielte den Vermittler. - Das Publikum ist eine feige, kunstfremde und kunstfeindliche Bestie, die sich das ihr auferlegte Kuschen vor dem Anerkannten, durch dieses Niederbrüllen, durch diese Hetze des Vogelfreien entschädigt." (Augenzeugenbericht des Architekten Richard Neura; zitiert nach: H. und R. Moldenhauer, Anton Webern, S. 602, Am. 8) .
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