4.1.4Exkurs: Auswirkungen von internetbasiertem Handel (eTrade) auf den Informationseinsatz
„e-Schlagwörter“ wie eAssetmanagement, eSales, eProcurement oder eTrade sind derzeit vielfach zitierte Begriffe in der Fachliteratur.784 Das Marktpotenzial internetbasierter IT-Konzepte scheint enorm. Im Mittelpunkt der Diskussion steht meist der Verkauf von Waren und Dienstleistungen über das Internet. Nach Prognosen des Marktforschungsinstituts Forrester Research werden diese Umsätze weltweit von ca. 660 Mrd. US$ in 2000 auf ca. 6.800 Mrd. in 2004 ansteigen, wobei der Schwerpunkt des Wachstums in Westeuropa gesehen wird.785 Als mindestens ebenso bedeutend wie das Umsatzpotenzial wird der Beitrag dieser Konzepte zu Effizienz- und Effektivitätssteigerung durch eine effizientere Abwicklung der internen und unternehmensübergreifenden Geschäftsprozesse hinsichtlich der Dimensionen Zeit, Kosten und Qualität gesehen.786 Im Bereich der Energieversorgungsunternehmen liegen die potenziellen Optimierungsmöglichkeiten vor allem im Betrieb und Instandhaltung der Anlagen im Kraftwerks- und Netzbereich.787 Im Handel mit Strom wird in diesem Zusammenhang das Thema der elektronischen Märkte (eTrade) am meisten diskutiert.
4.1.4.1Kennzeichen von elektronischem Handel
eTrading bzw. elektronischer Handel manifestiert sich durch die Schaffung von mit Hilfe der Telematik realisierten Marktplätzen, auf denen der Tausch von Gütern und Dienstleistungen in allen Phasen der Transaktion elektronisch unterstützt wird.788
Nach Schmid sind elektronische Märkte durch Ubiquität, Transparenz, Verringerung von Transaktionskosten und Offenheit gekennzeichnet.789
Ubiquität
Die Telekommunikation ermöglicht jedermann orts- und zeitunabhängigen Zugang zum Marktgeschehen.
Transparenz
Informationsbeschaffung wird durch elektronische Informationssysteme erleichtert werden. Gleichzeitig steht die Information jedem, der zum Informationssystem Zugang hat, in gleicher Weise zur Verfügung.
Verringerung der Transaktionskosten
In den verschiedenen Phasen einer Handelstransaktion können Kosten im Vergleich zum herkömmlichem Prozedere in einem realen Markt gesenkt werden.
Offenheit
Dies ist eine mögliche, jedoch nicht notwendige Eigenschaft elektronischer Märkte. Offen sind Elektronische Märkte nur dann, wenn sie für alle Anbieter und Nachfrager zugänglich sind. Da eine Beschränkung auf bestimmte Teilnehmer denkbar und technisch möglich ist, ist die Offenheit kein notwendiges Merkmal eines elektronischen Marktes.
Nach der oben bereits zitierten Prognose von Forrester Research wird davon ausgegangen, dass der weltweite Energiehandel im Internet von 30 Mrd. US$ bis 2004 auf 266 Mrd. US$ ansteigen wird.790 Wie Tabelle 82 zeigt, wird der Großteil auf Großhandelsmarktplätzen erfolgen.
Tabelle 82: Prognostizierte Marktanteile verschiedener Handelskanäle in 2004
Segment
|
Umsatz in Mrd. US$
|
Anteil in %
|
Großhandelsmarktplätze
|
171
|
64%
|
Ausschreibungssysteme industrieller Großverbraucher
|
44
|
17%
|
Aggregatorensysteme für kleine Endverbraucher
|
25
|
9%
|
Sonstige
|
26
|
10%
|
Gesamt
|
266
|
100%
|
Quelle: Forrester Reasearch(1999), http://www.forrester.com/ER/Press/Release/0,1769,165,00.html.
Im Großhandel mit Strom können drei verschiedene Formen elektronischer Marktplätze unterschieden werden:791
-
Elektronische Börse
-
Elektronische OTC-Marktplätze
-
Elektronische „Store-front“
Elektronische Börsen besetzen das Segment der stark standardisierten Produkte und sind die logische Fortentwicklung herkömmlicher Börsen, z.B. NordPool, deren Zugang mittels proprietärer Zugangssoft- und -hardware erfolgte. So setzen die neuen Börsen APX in Amsterdam und LPX/EEX in Leipzig die Internet-Technologie zur Übermittlung von Daten ein.
Neben dem Segment der elektronischen Börsen werden sich elektronische OTC- Marktplätze ansiedeln. Bekannte Beispiele sind Netstrom, altra.com oder houstonstreet.com. Es handelt sich dabei meist um Marktplätze, bei denen die Marktteilnehmer ihre Angebote zunächst anonym einstellen. Der Geschäftsabschluss erfolgt durch automatischen Abgleich der Gebote („Matching“).792 Danach wird beiden Parteien der jeweilige Kontrahent bekannt gemacht. In Ausnahmen bleibt der Preis verhandelbar, d.h., es wird ein „virtueller“ Handelsprozess abgebildet, bei dem die Akteure miteinander kommunizieren und handeln.793 Neben dem weitestgehend automatisierten Geschäftsabschluss bemühen sich diese Marktplätze auch zunehmend, die nachgelagerten Prozesse der Abrechnung, Netznutzung und Zahlungsverkehr zu automatisieren.
Internetbasierte OTC-Marktplätze unterscheiden sich von traditionellen und elektronischen Börsen dadurch, dass volles Kreditrisiko besteht und die gehandelten Produkte eine geringere Standardisierung aufweisen. Klassische Börsen eliminieren das Kreditrisiko, indem sie als Vertragspartei zwischen Käufer und Verkäufer treten und entsprechende Sicherheiten fordern. Auf OTC-Börsen kann ein Marktteilnehmer zwar den Kreis seiner potenziellen Vertragspartner eingrenzen, kommt es mit ihnen zum Abschluss, trägt er das volle Kreditrisiko. Der geringere Standardisierungsgrad von OTC-Marktplätzen erklärt sich damit, dass sich die vorhandene Markliquidität für die hochstandardisierten Produkte auf die traditionellen Börsen verteilt. Für OTC-Marktplätze besteht daher lediglich im Bereich der zeitlich, örtlich und mengenmäßig individuell gestaltbaren Produkte Raum für Koexistenz.
In letzter Zeit gab es eine Vielzahl von neuen Marktplätzen. Experten gehen davon aus, dass nur ca. drei dieser Plattformen am Markt überleben werden und eine Konsolidierung daher unvermeidlich sein wird.794
Elektronische „Store-fronts“ werden von einzelnen Firmen aufgebaut, „um neue oder komplexe Produkte anzubieten, die nicht genügenden Commodity Charakter haben, aber genügend Standardisierung aufweisen, um nicht aufwendig telefonisch verhandelt werden müssen.“795 Im Gegensatz zu einem elektronischen OTC-Marktplatz handelt es sich hier um ein Modell, bei dem eine Vertragspartei, der Besitzer der „Store-front“, schon vorher feststeht. Die bekannteste „Store-front“ ist sicherlich EnronOnline, betrieben durch Enron, dem weltweit größten Stromhändler. Nach dem Start im November 1999 wurden bereits ein gutes halbes Jahr später 59% der Handelstransaktionen von Enron über die „Store-front“ abgewickelt.796
Infolge der Verbreitung elektronischer Märkte wird allgemein die Rolle der Handelsmittler in Frage gestellt. Beispielsweise stellen Brandtweiner/Greimel fest: „Die durch die Telekommunikation ermöglichte Vereinfachung und Verbilligung der Kommunikation und damit der Koordination und die verbesserten unternehmensinternen und -übergreifenden Verbindungen auf elektronischer Basis können das Zwischenschalten anderer Unternehmen obsolet werden lassen.“ 797
Durch die einfachere Kommunikation zwischen Erzeuger und Verbraucher wird die Funktion des Handels als Transaktionskostenrationalisierers stark beschränkt, was zunehmend dessen ökonomische Legitimation in Frage stellt,798 in jedem Fall aber zu einer Abnahme der Handelsmargen führt. Insofern stellen elektronische Marktplätze zunächst eine Bedrohung für den Handel dar. Offen ist noch die Frage, ob und welche Einsatzpotenziale bestehen und wie diese in der Informationsbereitstellung zu Informations- und Transaktionskostenvorteilen führen können. Ist dies der Fall, stellt der elektronische Handel nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Chance dar.
4.1.4.2Auswirkungen auf die Teilprozesse der Informationsbereitstellung
Im Folgenden soll internetbasierter Handel auf elektronischen Marktplätzen (eTrade) hinsichtlich ihres Auswirkungen für den Stromhandel untersucht werden.799 Betrachtet werden Auswirkungen, wenn elektronischer Handel zu Informations- und Transaktionskostenvorteilen in den Teilprozessen der Informationsbereitstellung führen können:
-
Auswirkungen in der Informationsbeschaffung bestehen zum einen, wenn durch die Konzepte Informationsvorteile durch zusätzliche Exklusivität oder schnellere Verfügbarkeit von Informationen entstehen; zum anderen, wenn durch den Einsatz dieser Konzepte der Zugang zu Informationsquellen effektiver und effizienter wird oder die Deckung des Bedarfs durch das Informationsangebot erhöht wird.
-
Auswirkungen in der Informationsabgabe bestehen, wenn die Konzepte dazu beitragen können, die Barrieren der Informationsabgabe zu überwinden.
-
Im Bereich der Informationsübertragung ergeben sich Auswirkungen, wenn die Konzepte für einen schnelleren Informationszugang sorgen. Voraussetzung hierfür ist, dass sie den Integrationsgrad zwischen Quelle und Nutzer erhöhen.
Im Folgenden sollen diese Auswirkungen auf die Teilprozesse der Informationsbereitstellung untersucht werden.
4.1.4.2.1Informationsbeschaffung
Hinsichtlich der Informationsbeschaffung ergibt sich eine Vielzahl positiver und negativer Auswirkungen. Tabelle 83 gibt einen Überblick und wird nachfolgend erläutert.
Tabelle 83: Auswirkungen elektronischer Marktplätze auf die Informationsbeschaffung
Positive Auswirkungen
|
Negative Auswirkungen
| -
Zusätzliche Marktpreisinformationen als Ergänzung zu bestehenden Indizes
-
Geringere Beschaffungskosten für Informationen über Geschäftspartner zur Identifikation potenzieller Handelspartner und Verhandlungsvorbereitung
-
Detaillierter Einblick in die Transaktionsdaten (nur Betreiber)
| -
Marktgerechtigkeit von Preisinformationen fraglich
-
Wegfall „verbaler“ Informationen resultierend aus Interaktion der Marktteilnehmer
-
Hohe Aufbaukosten (nur Betreiber)
|
Quelle: Eigene Darstellung
Elektronische Marktplätze stellen einen weiteren Zugang zu Marktinformationen dar. Sie können damit bestehende Indizes ergänzen, wenn auf den elektronischen Plattformen Produkte mit neuen Erfüllungsorten und Laufzeiten gehandelt werden. Im deutschen Marktumfeld könnten Marktplätze dazu beitragen, die bestehenden Defizite der Indizes bei langfristigen Marktpreisen mit hoher Granularität (z.B. Stundenkontrakte für den nächsten Monat) oder in den niederen Spannungsebenen (z.B. Mittelspannung) abzubauen.800
Elektronische Marktplätze führen zu geringeren Beschaffungskosten für Informationen über Geschäftspartner. Wie oben dargestellt müssen elektronische Märkte aufgrund geringerer Liquidität und dem vorhandenen Kreditrisiko im Vergleich zu Börsen auf Produkte mittleren Standardisierungsgrades ausweichen, die vor dem Aufkommen elektronischer Plattformen noch im klassischen Telefonhandel abgeschlossen wurden. Auf elektronischen OTC-Handelsplattformen verlieren Informationen zur Identifikation potenzieller Geschäftspartner und zur Verhandlungsvorbereitung an Bedeutung, da die Geschäftspartner anonym über deren Gebote auf elektronischen Marktplätzen zusammengeführt werden. Diese Entwicklung führt zu generell niedrigeren Transaktionskosten für alle Marktteilnehmer.
Für einen Betreiber eines OTC-Marktplatzes bietet sich zudem die Möglichkeit des Einblicks in die einzelnen Transaktionsdaten, um daraus weitere Schlüsse über den Markt im Allgemeinen (z.B. Marktendenz) und im Speziellen zu ziehen (z.B. das Bietverhalten einzelner Teilnehmer).
Als ein Nachteil kann gesehen werden, dass es fraglich ist, ob die Preisinformationen auf den vielen existierenden und entstehenden Plattformen aufgrund einer geringen Liquidität oder einer Bevorzugung der Käufer- oder Verkäuferseite marktgerecht sind.801
Als zentraler Nachteil für die Informationssuche muss die geringere Interaktion der Marktteilnehmer infolge des elektronischen Handels gesehen werden. In Gesprächen mit Brokern und Handelspartnern ergeben sich Informationen über deren allgemeine Markteinschätzung, aber auch zu spezifischen preisrelevanten Informationen (z.B. Aufbau einer hohen Position bestimmter Marktteilnehmer). Aus diesem Grund kommt Harding zum Schluss: „Brokers provide a lot more information to a client about the depth and transparency of a market than a screen can“802 Mögliche Informationsvorteile aller Marktteilnehmer durch diese Interaktion gehen somit verloren.
Ein weiterer Nachteil aus Betreibersicht sind die hohen Kosten für den Aufbau eines elektronischen Marktplatzes. Erfahrungen aus Amerika zeigen, dass die Kosten für die technische Implementierung und die Vermarktung derart hoch sind, dass der Aufbau eines elektronischen Marktplatzes nur noch den Allianzen großer Marktteilnehmer vorbehalten sind.803
Betrachtet man die positiven Auswirkungen, so fällt zunächst auf, dass durch elektronische Marktplätze die Transaktionskosten in der Informationsbeschaffung für alle Nutzer gesenkt werden können. Die Nachteile hingegen treffen die unabhängigen Großhändler stärker, da diese nur über Marktteilnehmer an exklusive Marktinformationen gelangen können, die nicht über Nachrichtendienste für alle zugänglich sind.804 Händler, die in einem VU eingebunden sind, können diesen Verlust jedoch durch exklusive Informationen aus den Funktionsbereichen Netz und Systemoptimierung weitestgehend kompensieren. Auf diese Weise wird ihr Informationsvorteil weiter ausgebaut, was wiederum die Bedeutung der Schnittstelle zu den internen Funktionsbereichen unterstreicht. Auch die Informationsvorteile durch den Betrieb eines Marktplatzes werden aufgrund der hohen Anlaufkosten den finanzkräftigen VU vorbehalten sein.
4.1.4.2.2Informationsabgabe
Die aufgeführten Maßnahmen zur Förderung der Informationsabgabe zielen auf interne Informationen aus den verschiedenen Funktionsbereichen des Verbundunternehmens. Elektronische Märkte hingegen richten sich an den externen Handelsmarkt und können daher die existierenden Barrieren der Informationsabgabe im VU nicht abbauen. Es können keine Auswirkungen für die Informationsabgabe abgeleitet werden.
4.1.4.2.3Informationsübertragung
Internetbasierte Marktportale ermöglichen einen fast kostenfreien Zugang zur Handelsplattform. Durch die weltweite Akzeptanz des Internet (IP)-Standards, sind die bestehenden Handelssysteme vergleichsweise einfach mit externen Handelsplattformen zu verbinden. Dies ermöglicht die Informationsübertragung zu geringeren Transaktionskosten im Vergleich zum Telefonhandel oder zu den proprietären Zugangssystemen der traditionellen Börsen. Durch die höhere Integrationsfähigkeit lassen sich Informationsflüsse im Zusammenhang mit der Abschluss, Abrechnung, Fahrplanverwaltung, Zahlungsverkehr oder Buchführung weitestgehend automatisieren.
Da es sich jedoch nicht um eine proprietäre Technologie handelt, sind dauerhafte Informations- und Transaktionskostenvorteile in Zusammenhang mit der Übertragung nicht zu erwarten.
4.1.4.3Fazit
Als Fazit muss festgehalten werden, dass elektronische Handelsplätze generell zur Transaktionskostensenkung für alle Teilnehmer des liberalisierten Strommarktes vor allem im Bereich der Informationsbeschaffung und –übertragung führen können. Dies beschränkt den Handel angesichts des niedrigeren Rationalisierungspotenzials zunehmend in seiner Funktion als Transaktionskostenrationalisierer. Wie in GP 1.4.2.3 gezeigt, führt eine solche Entwicklung zu einer reduzierten Handelsmarge, welche die Erzeuger und Verbraucher der Handelsfunktion im liberalisierten Strommarkt zubilligen werden. Somit wird der Konsolidierungsdruck unter den Stromhändlern noch verstärkt. Durch die zunehmende „Elektrifizierung“ des OTC-Handels und des damit verbundenen geringeren Informationsaustausches der Marktteilnehmer untereinander können sich die komparativen Informationsvorteile der VU-Händler gegenüber ihren Wettbewerbern erhöhen. Voraussetzung ist, dass es ihnen gelingt, die Informationsvorteile durch ihre Erzeugungs-, Netz- und Vertriebskapazitäten insbesondere in der Preisprognose zu nutzen und damit die allgemein sinkenden Handelsmargen zu kompensieren.
Dostları ilə paylaş: |