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er immer schon in diesen gegenseitigen Beziehungen Gott ist. Sein göttliches Personsein ist von innigster Kommunikation erfüllt und bewegt. So ist er im Blick auf uns der »Immanuel«, der Mit-uns-Gott. Sein göttliches Personsein ist Mitsein. Und unser menschliches Personsein kommt darin zu seiner Erfüllung, dass es ebenfalls als Mitsein sein kann.
Der in sich beziehungsreiche Gott geht über sich hinaus. Er lässt die unerschöpfliche innergöttliche Liebe überströmen, um den Geschöpfen Anteil an dieser Liebe zu geben. Der biblische Gott ist zu einer Hingabe fähig, die aller Lieblosigkeit, ja sogar dem Tod trotzt. Und darin, dass sie sich das gefallen lässt, findet die Personalität des Menschen zu ihrer Bestimmung. Im abschließenden fünften Kapitel wird das entfaltet. Es wird bedacht, was das Personsein Gottes für das Verständnis und die Bewährung menschlicher Personalität bedeutet. In einer Welt, in der das Personsein wesentlich über soziokultu-relle Faktoren und individuelle Lebensleistungen definiert und damit ständig gefährdet wird, schuldet die christliche Kirche die Zusage, dass die jedem Menschen als Geschöpf zukommende Würde im Anruf Gottes gründet: »Du bist mein und ich bin Gott für Dich« (S. 132).
Und es wird gezeigt, dass der christliche Gottesdienst der zentrale Ort des Lebens und des Redens aus der Begegnung mit Gott als Person ist. Im Gottesdienst als dem öffentlichen Ort der Begegnung zwischen Gott und Mensch vergegenwärtigt sich der dreieinige Gott und wendet uns sein Angesicht zu. Hier wird das Evangelium von Jesus Christus zugesprochen. Hier wird die Fülle, Tiefe und Weite des Handelns Gottes bezeugt, besungen und dankbar gepriesen. Wo Menschen vom Evangelium angesprochen und ergriffen werden, begegnet ihnen der dreieinige Gott als Person: Gott »für mich« und Gott »für uns«. Dann wird es ganz leicht und ganz selbstverständlich, mit Gott zu reden. Und es wird dann auch nicht mehr schwer sein, der Freude an Gott Ausdruck zu geben und von Gott zu reden.
1. Mit Gott reden wie mit einer Person: Die christliche Praxis und ihre Infragestellung
1.1 Die Selbstverständlichkeit personaler Gottesrede in Gebet, Gottesdienst und Verkündigung
»Vater unser im Himmel. Geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme, Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden...« Das Gebet Jesu ist der bekannteste biblische und christliche Text überhaupt. Es hat nicht nur im Gottesdienst, sondern auch in der Seelsorge und in der persönlichen Frömmigkeit seinen festen Platz. Das Vaterunser erschließt die christliche Gotteserfahrung in umfassender Weise. Jesus zeigte, wie man Gott als Vater ansprechen darf und soll. Das hat seine Predigt und seine Lebenspraxis geprägt. Der Gott Israels, der sich Mose im Dornbusch und Gottes Volk am Sinai offenbart hat und den doch »der Himmel und aller Himmel Himmel« nicht fassen können (so der König Salomo in seinem Tempel weihgebet in 1 Kön 8,27), wird von Jesus in so elementarer Weise angesprochen, dass es schon Kindern verständlich ist. Wer Jesus nachfolgt, muss beim Beten nicht viele Worte machen, sondern kann als bedürftiger Mensch zu Gott sprechen. Deshalb ist das Gebet Jesu für die christliche Kirche seit ihren Anfängen Vorbild für das Sprechen mit Gott und auch für das Sprechen von Gott.
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Das Gebet Jesu, die Psalmen und der christliche Gottesdienst
Die Gebetspraxis Jesu wurzelt im Buch der Psalmen, dem Gebetbuch Israels. Die Psalmen eröffnen den betenden Menschen unterschiedliche Möglichkeiten für das Reden von Gott, das eine personale Beziehung zu Gott voraussetzt. In Psalm 139 wird Gott als mit der eigenen Lebensgeschichte persönlich vertraut beschrieben (Ps 139,1-4); gleichzeitig sagt der Psalm, dass Gott jenseits aller menschlichen Zeit- und Raumvorstellungen zu denken ist (V. 8-12). Damit verbindet sich in der Vorstellung des Psalms das persönliche Wissen Gottes um den Beter mit dem eigenen Wissen, dass der Mensch von der Gegenwart Gottes, die ihn umgibt (V. 5) immer nur in der Sprache des Geheimnisses reden kann: »Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen« (V. 6). Der betende Mensch steht staunend vor dem Geheimnis Gottes, das er sprachlich nicht angemessen erfassen kann.
Mit der Gebetserfahrung der biblischen Zeugen erschließen sich auch zwei grundlegende menschliche Gotteserfahrungen, die man als das persönliche Angesprochensein und als die das Beten, Denken und Reden übersteigende Zugehörigkeit zu Gott beschreiben kann. Mit Psalm 139 lässt sich sagen: Der Mensch wird zur Person, wenn er sich als verstanden (V. 2) und als angesehen erleben kann (V. 16); und der Mensch weiß sich gleichzeitig aufgehoben im Ganzen (V. 5) und zugehörig zum Ewigen (V. 8). Die Erfahrung des persönlichen Angesprochenseins hat ihren Niederschlag im Gebet und in der Liturgie der Kirche gefunden, die Erfahrung der Zugehörigkeit stärker in der Meditation.
Im christlichen Gottesdienst und im Gebet haben beide Erfahrungen ihren Platz. Neben das Vaterunser, die vertraute und vertrauensvolle Rede mit Gott, gehört die Bitte um die Zuwendung, um das Erbarmen des
25 Herrn: »Kyrie eleison«. Den verschiedenen Gebetsformen und Gebetshaltungen liegt die Erfahrung zugrunde, dass Gott dem Menschen zugewandt ist, dass er aber zugleich dem menschlichen Erkennen entzogen bleibt. So wendet sich die Gemeinde in ihren Liedern zu dem als anwesend geglaubten Gott, aber die Gemeinde bekennt auch, dass sie eigentlich vor Gott nur schweigen und sich vor ihm verneigen kann: »Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge« (EG 165,1). In der Lesung und der Predigt hört die Gemeinde von der Nähe Gottes im Reden und Handeln Jesu, aber auch davon, dass Gott ein unzugängliches Geheimnis bleibt. Gott geht nicht auf in den menschlichen Vorstellungen von Person und Personsein. Das zeigt sich in vielen biblischen Texten. In der alttestamentlichen Lesung am Sonntag Sexagesimae (Jes 55,6-12) heißt es zur Unterscheidung von Gottes Gedanken und Menschengedanken:
Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.
Dialog mit Gott
Martin Luther beschreibt in seiner Torgauer Kirchweihpredigt von 1544 das gottesdienstliche Geschehen als einen Dialog: Gott selbst redet mit uns durch sein heiliges Wort und wir antworten ihm in Gebet und Lobgesang. Damit hat Luther nicht gemeint, dass bestimmte Teile des Gottesdienstes (z.B. die Predigt) nur als Gottesrede und andere Teile (etwa die Lieder und das Glaubensbekenntnis) nur als Menschenwort zu verstehen wären. Es handelt sich vielmehr bei »Wort« und »Antwort« um die beiden Dimensionen des ganzen Gottesdienstes, der sich insgesamt als Begegnung mit Gott, als Erfahrung
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des in seinem Wort gegenwärtigen Herrn darstellt. Das menschliche Reden und Schweigen, das Musizieren und das zeichenhafte Handeln sprechen uns so an, dass uns Gott als redend begegnet und wir ihm antworten können. Glaubende Menschen verstehen ihr eigenes Handeln und Verhalten - sei es in gestaltender Aktivität, sei es in schöpferischer Passivität - als Begegnung mit Gott.
Verkündigung und Gebet bestimmen den Gottesdienst und das christliche Leben. Christen machen die Erfahrung, dass sie selbst in ihrer unverwechselbaren Identität gemeint sind, dass ihr Leben aufgehoben ist und dass sie auf dieses persönliche Angesprochensein reagieren können. Diese grundlegende Glaubenserfahrung wird damit zum Ausdruck gebracht, dass wir Gottes Wort hören, dass Gott uns anspricht und wir mit ihm sprechen können wie mit einem guten Vater. Im Gebet lassen wir Schritt für Schritt das alltägliche Handeln los. Die eigenen Taten treten in den Hintergrund. Der Mensch erfährt die spirituelle Dimension des eigenen Lebens, indem er sich als von Gott angesprochen versteht. Dabei begegnet ihm Gott als ein personales Gegenüber, das er selbst ansprechen kann.
Die Vorstellung, man könne zu einem abstrakten Gegenüber beten, zu einem Gedanken der »Unendlichkeit«, des »Seins« oder der »Tiefe«, widerspricht damit nicht allein der biblischen Überlieferung. Sie ist auch psychologisch betrachtet nicht schlüssig. Bei aller Unterschiedlichkeit kann das Gebet durchaus mit unseren zwischenmenschlichen Begegnungen verglichen werden, wo wir den Gedankenaustausch mit anderen Menschen suchen und nicht mit Gegenständen reden oder im Selbstgespräch verharren wollen. Nur ein personales Gegenüber reagiert auf uns und vergewissert uns so der eigenen Lebendigkeit. Deshalb ist ein Gebet ohne einen Adressaten ein Widerspruch in sich. Weil Beten dasjenige Handeln ist, bei dem der Mensch sich den Grenzen des eigenen Handelns stellt, ist er darauf angewiesen, nicht nur zu sprechen, sondern sich auch angesprochen zu wissen, nicht nur in sich selbst hineinzuhören, sondern sich auch erhört zu wissen. Das ist gemeint, wenn Menschen personal von Gott sprechen. In der Sprache der Theorie lässt sich über Gott reden. Aber von Gott her, aus der betenden Erfahrung mit Gott und aus dem Hören auf Gott reden wir zum himmlischen Vater, wie Jesus es gelehrt hat.
Unterscheidung zwischen dem Beten zu Gott und dem Sprechen von Gott
Der erwachsene Mensch kann zwischen dem Vollzug des eigenen Betens und dem Sprechen von Gott bzw. über Gott unterscheiden. Beide Redeweisen sind zu unterscheiden, bleiben aber eng aufeinander bezogen. Betend sprechen wir mit Gott, obwohl wir wissen, dass Gott in unseren Erfahrungen von Hören, Sprechen und Antworten nicht aufgeht. Die Erfahrung mit Gott unterscheidet sich von den Erfahrungen, die wir mit Menschen in unserer Umgebung machen können. Die glaubende Erfahrung ist etwas anderes als das gelegentliche, tiefgehende oder erheiternde Gespräch mit Menschen, durch das unser Lebensgefühl immer wieder bereichert und belebt wird. Denn Gott umgreift alle unsere Erfahrungen und so auch die Menschen, mit denen wir Erfahrungen machen. Er geht in menschlichen Beschreibungen nicht auf. So sind wir gerade aufgrund unserer persönlichen Erfahrungen mit Gott auf Bilder und Gleichnisse angewiesen, wenn wir von ihm reden. Auch Erfahrungen mit unseren Mitmenschen können wir nicht auf die Begriffe reduzieren, die wir für diese Erfahrungen finden. Lebenserfahrungen mit anderen lassen sich durch Psychogramme oder Soziogramme allein nicht angemessen beschreiben. Wenn Menschen durch ein lebendiges Gegenüber ange-
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sprochen werden, suchen sie nach der passenden Sprache, um ihre Erfahrungen auszudrücken. Dasselbe lässt sich für die christliche Gotteserfahrung sagen: Christen sprechen so von Gott, wie sie zu Gott sprechen - in einer Sprache, die von Begegnungen erzählt und neue Entdeckungen ermöglicht.
1.2 Infragestellungen der personalen Gottesrede Ein vermenschlicht gedachter Gott?
Die Vorstellung eines personhaft gedachten Gottes war schon früh umstritten. Bereits in der vorchristlichen Antike haben Philosophen das vermenschlichende (»anthropomorphe«) Reden von Göttern, wie es in der griechischen Volksfrömmigkeit üblich war, in Zweifel gezogen und stattdessen den Gottesgedanken mit den Ideen des höchsten Seins bzw. des schlechthin Guten und Wahren in Verbindung gebracht. Mit der Ausbreitung des Christentums wird diese Kritik auf die Gottesvorstellung und Gebetspraxis Jesu übertragen. Der entscheidende Einwand besagt, dass ein vermenschlicht gedachter Gott die Vorstellung einer umfassenden Gottesidee und damit den Wunsch nach einer radikalen Überschreitung des Denkens im Denken nicht befriedigen könne. Der platonische Philosoph Kelsos (um 180 n. Chr.) meinte, es gebe nichts Lächerlicheres als einen Gott, der einen Sohn hat und der zu einer bestimmten Zeit auf die Erde kommt. Um zu Gott zu gelangen, dürfe der Mensch nicht in menschlichen Formen von ihm denken. Er müsse vielmehr die Augen für die sinnliche Wahrnehmung schließen, mit dem Geist aufblicken und »vom Fleische abgewandt die Augen der Seele aufrichten«, um Gott als das Vollkommene und Unveränderliche schauen zu können.
Solche Einwände sind nie verstummt und haben die christliche Rede von Gott immer wieder beschäftigt. In den letzten drei Jahrhunderten haben sich die kritischen Anfragen an die christlichen Gotteserfahrungen und Gottesvorstellungen ausgeweitet und weiter zugespitzt. Die Vorstellung, dass Gott als personales Wesen der Welt gegenübersteht, sie erschaffen hat und in sie eingreift, ja sogar der Gedanke, dass Gott als höchstes Seiendes vorzustellen ist, das es neben allem anderen Seienden gibt, hat spürbar an Überzeugungskraft eingebüßt. In den 1960er Jahren wurde die Vorstellung von einer Gott-Person, die die Welt regiert, auch innerhalb der Theologie vehement bestritten. »Gott ist tot!« Dieser Ausruf des »tollen Menschen« bei Nietzsche wurde als Ausdruck einer »Grunderfahrung unserer Zeit« (Carl Friedrich von Weizsäcker) gedeutet. Als Bestätigung galten die Zeitdiagnosen Dietrich Bonhoeffers, nach denen wir einer religionslosen Welt entgegengehen, in der man »vor Gott ohne Gott« lebt. Die heutige Kritik an einer personalen Rede von Gott meint, dass diese »Grunderfahrung« auch noch in einer Situation gültig sei, in der das allgemeine Interesse an Religion wieder zunehme.
Der christlichen Verkündigung wird dann der Vorwurf gemacht, in unzulässiger Weise vermenschlichend von Gott zu reden, obwohl der Theologie die Schwierigkeiten einer solchen Redeweise bekannt seien. Gottesdienstliche Sprache erwecke immer noch den Eindruck, als sei Gott tatsächlich eine Person, die so lebe, handele und empfinde wie wir Menschen. Diese Kritik beruft sich darauf, dass die Vorstellung eines personalen Gottes keine Bedingung für die religiöse Erfahrung sei. Eine solche Vorstellung - so der Einwand - denke zu gering von Gott: Wird, wenn von Gott als Person die Rede ist, Gott nicht lediglich innerweltlich gedacht, nach menschlichen Maßstäben? Verbietet sich darum nicht eine personale Rede von Gott? Das Ärgernis des personalen Redens von Gott soll hier dadurch vermieden werden, dass man
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Gott etwa als »unbedingte Qualität und Dimension aller Dinge«, als »überpersönliche Wirklichkeit« (Matthias Kroeger) umschreibt. Das Wort »Gott« solle zu einem offenen Begriff werden, der durch die religiös vielfältigen Erfahrungen von Menschen und ihre Symbolisierungen immer weiter angereichert werden könne. Jesus von Nazareth wird in dieser Perspektive zu einem Hinweis auf Gott neben anderen.
Doch wie begegnet uns die »unbedingte Qualität und Dimension aller Dinge«? Können Erfahrungen unbedingter ethischer Forderung oder des Geschenkcharakters des ganzen Lebens zum »göttlichen Geheimnis« führen, ohne dass Gott als Gegenüber und als »Du« angesprochen wird? Wenn Gott nicht mehr personal gedacht wird, verliert unser Gebet das Gegenüber, das unseren Dank und unsere Klage hören, das eingreifen oder helfen könnte. Wenn die Anrede Gottes als eines »Du« nur eine Vermenschlichung der uns umgebenden, tragenden und fordernden Kräfte wäre, dann wäre das Gebet eine bloße Geste, deren Unangemessenheit den betenden Menschen bewusst sein müsste.
Deistisch und atheistisch geprägte Denkweisen
Seit dem 19. Jahrhundert finden asiatisch inspirierte Gottesvorstellungen ihre Anhänger, und die christliche trini-tarische Gottesvorstellung wird nicht zuletzt von Muslimen als eine unangemessen menschliche Redeweise kritisiert. Besonders Jugendliche werden von solcher Kritik angesprochen, weil sie die anthropomorphe Gottesvorstellung, wie sie für die Kindheit typisch ist, hinter sich lassen wollen. Auch viele Erwachsene denken so; die Gottesvorstellung des Vaterunsers und des christlichen Gottesdienstes erscheint ihnen als überholt. Wegen der mangelnden Vertrautheit mit der Art und Weise des biblischen Redens von Gott wird sie nicht mehr verstanden.
Empirische Studien belegen, dass Jugendliche auf den Glauben »an eine höhere Macht«, an eine »Kraft« oder Ähnliches verweisen. Probleme mit der Vorstellung von Gott als Person haben auch Erwachsene, aber sie stellen sich in der Regel erstmals im Jugendalter. In der Folge wird auch die Vorstellung eines in die eigene Autonomie eingreifenden Gottes abgelehnt. Manche folgen darum einer Form des »Deismus«, wie er für die Zeit der europäischen Aufklärung typisch war: Gott gibt es und er hat die Welt geschaffen, aber er greift nicht in sie ein. Andere vertreten einen Atheismus, bei dem es sich entweder um ein Durchgangsstadium oder um eine sich herausbildende Überzeugung von Dauer handeln kann.
Ein personaler Gott entspricht nach vielen Aussagen nicht der wissenschaftlichen Erschließung der Realität, wie sie in den Naturgesetzen erscheint; aber er entspricht auch nicht den Erfahrungen der eigenen sozialen Praxis, bei der in der Gegenwart ein Zuwachs an Autonomie und die Ablösung von Autoritäten typisch sind. Von daher kommt es dazu, dass Gottesvorstellungen wie diejenigen des »Deismus« bevorzugt werden. Atheistische Haltungen entstehen häufig dadurch, dass viele Menschen religiöse Welterfahrung und empirische Weltdeutung nicht voneinander unterscheiden und dann auch nicht miteinander vereinbaren können. Dann kann das Beobachtbare und mathematisch Beschreibbare unversehens zum alleinigen Zugang zur Wirklichkeit werden. Diese Konsequenz wird von Naturwissenschaftlern zwar kaum vertreten. Doch ein um Autonomie und Konsequenz bemühtes Denken ist leicht geneigt, das Leben so zu interpretieren. Alles ist dann so erklärbar, wie es ein 17jähriger Gymnasiast sah: Die ganze Wirklichkeit sei aus Teilchen aufgebaut und Teilchenverbände üben Anziehungskräfte auf andere Teilchen aus. Statt der Vorstellung eines Bewusstseins lasse sich das Leben
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des Menschen aus Gehirnströmen und Ladungen erklären, denn »letztendlich ist alles physikalisch«. Derartige Aussagen stellen die Bildungsarbeit von Schule und Gemeinde vor die Aufgabe, ein Denken in mehreren Erfahrungsformen, ein »komplementäres Denken« zu entwickeln.
Buddhistisch inspirierte Denkweisen
Aus dem Beschriebenen ergeben sich auch Gründe dafür, dass sich heutzutage viele religiös interessierte und suchende Menschen für den Buddhismus interessieren. Sie sind vom Buddhismus als etwas Anderem fasziniert. Der Buddhismus steht nicht zuletzt für das Nicht-Eigene, das Fremde und Exotische, das von der eigenen Tradition unterschieden ist und damit Identitätsgewinn verheißt. Hinzu kommt das Image des Pazifistischen, das dem Buddhismus - nicht ganz zu Recht - zugeschrieben wird und das in der weltweit bekannten Gestalt des Dalai Lama seine medial beeindruckende Verkörperung findet. Diese Faszination ergreift auch glaubende Menschen, darunter aktive Gemeindeglieder.
Dabei geht es in der westlichen Rezeption und Veränderung des Buddhismus um die rational einleuchtende Struktur von Totalerkenntnis einerseits und totaler Verneinung von Erkenntnis andererseits. Dies entspricht offensichtlich genau dem gegenwärtigen westlichen Lebensgefühl von Ich-Übersteigerung einerseits und Ich-Müdigkeit andererseits. Das von der eigenen Emanzipation erschöpfte Ich greift zu einer solchen Theorie, die es - mit der These von der Illusion des Ich - selbst radikal relativiert, aber in diesem Prozess gerade wieder bestätigt. Denn der Mensch entscheidet sich in diesem Falle dafür, das persönliche Ich zu verwerfen, und er unterscheidet sich dabei gleichzeitig von anderen, die das (noch) nicht wissen. Das Ich negiert sich selbst und erfährt sich auf dem Wege der eigenen Selbstdarstellung dennoch als autonome Instanz. Hinzu kommt der Gestus des „Anti-Dogmatischen“ mit dem Prinzip „Glaube nur das, was Du selbst herausfindest.“ Das glaubenskritische Grundmuster entspricht dem Bemühen, anthropomorphe Gottesvorstellungen durch eigene und abstraktere Vorstellungen zu überwinden.
1.3 Die Notwendigkeit personaler Gottesrede
Unser Nachdenken findet nicht von sich aus zur biblischen Gotteserfahrung. Wenn sich Menschen der eigenen Existenz philosophisch annähern, wirkt die Vorstellung zunächst ganz »natürlich«, dass Gott unveränderlich vollkommen ist, dass der Geist Gottes unfassbar ist und dass ihm darum eine Theorie des Unvorstellbaren entsprechen muss. So nämlich fragen Menschen nach dem Ganzen und nach den Grenzen des Lebens, nach den Möglichkeiten des Wissens und Hoffens. Christ wird man aber erst in der Begegnung mit den Gotteserfahrungen der biblischen Überlieferung und den dadurch ausgelösten eigenen Erfahrungen mit der Wirklichkeit Gottes: Gott hört auf, eine abstrakte Idee zu sein, und erweist sich als lebendiges Du des Glaubens, dem wir unser Vertrauen schenken können. Nirgendwo wird das deutlicher als im Gebet.
Das Verständnis Gottes als eines personhaften Gegenübers des Glaubens bedarf der Bekräftigung und der Bestärkung. Was heißt es, sich an einen Gott zu wenden, von dem man angeredet wird und den man mit Du anreden kann? Weshalb ist es so wichtig, den personalen Charakter des Geheimnisses Gottes gegen alle Einwände und Bedenken zur Geltung zu bringen? Diesen Fragen möchte die vorliegende Studie nachgehen. Dabei wird deutlich werden, dass Gott nicht einfach »Person« in
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dem uns anschaulichen Sinn ist, dass wir aber in personalen Kategorien von ihm reden dürfen und gerade so prägnant sein Wesen erfassen.
Gott ist nicht einfach »das Sein«, »die Tiefe« oder »das Umgreifende«, wie es sich bisweilen theologischer oder philosophischer Reflexion darstellen kann. Kein Mensch kann genau sagen, was »das Sein« ist, und dennoch benutzen wir diesen Begriff auch im Blick auf Gott. Wir dürfen die Grenzen unserer Aussagemöglichkeiten nicht übersehen. Sonst drohen der Rede von menschlichen Erfahrungen und von Gott unangemessene Verkürzungen und Vereinfachungen. Dann kann Gott zu einer magisch handelnden überweltlichen Gestalt werden, und die Welt wird zu einer mechanisch erklärbaren Maschine. Die Propagierung von Gottesvorstellungen, die auf die Kategorie des Personalen verzichten, ist aber keine Lösung. Die Kategorie des Personalen ist unentbehrlich, denn nur sie entspricht jener Freiheit und Lebendigkeit, die wir uns schon gegenseitig als Menschen nicht vorenthalten wollen - und die wir Gott erst recht nicht vorenthalten können. Die rechte Redeweise von Gott erfordert demnach eine mehrschichtige Beschreibung. Zu ihr gelangt man nicht allein durch dogmatische Lehrsätze und nicht allein durch den Vollzug des Glaubens im Hören und Beten. Beides muss immer wieder aufeinander bezogen werden.
Wir wissen aus Erfahrung, dass ein Mensch, dessen Handeln durch Prinzipien bestimmt und damit von außen festgelegt wird, in seiner Zuwendung zu anderen nicht frei ist. Ein Mensch hingegen, der als Person begegnet, ist unverfügbar und lebendig. Für den dreieinigen Gott des christlichen Glaubens gilt das erst recht. Damit ist noch nicht alles gesagt, was von Gott gesagt werden muss; aber weniger darf von ihm nicht gesagt werden. Gottes Unverfügbarkeit darf nicht durch ein ihn begrenzendes Reden angetastet werden. Das ist ein wichtiger Aspekt des biblischen Bilderverbotes: Es redet von Gott in seiner Lebendigkeit.
Die Beschäftigung mit der biblischen Theologie und mit den Antworten, die in der Geschichte und Gegenwart des Christentums für diese Grundfragen gefunden wurden, kann helfen, ein reflektiertes Verhältnis zu den Vorstellungen vom Personsein Gottes zu entwickeln. Der folgende Text zeichnet die Vorstellungen nach, die die biblischen Texte von Gottes Personsein entwickelt haben (2. Kapitel). In den beiden folgenden Kapiteln werden die Möglichkeiten beschrieben, heute von der Personalität des dreieinigen Gottes zu sprechen: Im 3. Kapitel wird nach den Voraussetzungen und den Chancen personaler Rede von Gott gefragt und die Bedeutung der Metapher für solche Rede herausgearbeitet. Das 4. Kapitel beschäftigt sich mit dem Person-Geheimnis des dreieinigen Gottes, der sich dem Menschen in den Seinsweisen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes personal und doch unverfügbar erschließt. Im abschließenden 5. Kapitel wird dargelegt, was es für das menschliche Personsein und für den christlichen Gottesdienst bedeutet, von Gottes Personalität zu reden und das eigene Leben von daher zu gestalten.
2. Gott als Person in der biblischen Überlieferung
2.1 Gott als Person nach dem Zeugnis des Alten Testaments
Das Alte Testament kennt kein Wort, das unserem Begriff »Person« vergleichbar wäre. Dennoch sind ihm die Sachverhalte vertraut, die wir mit dem Begriff »Person« verbinden. In diesem Sinne kann man - wenngleich mit Einschränkungen - davon sprechen, dass die alttestamentliche Überlieferung Gott als »Person« versteht.
Da die Bibel von Gott stets in seinem Verhältnis zur Welt und zu den Menschen redet, ist Gott zu keiner Zeit als einsames Wesen gedacht. Schon auf der ersten Seite der Bibel schafft Gott anderes außer sich, auf das er sich alsbald bezieht. Überdies bestimmt er den Menschen dazu, ihn in der von ihm geschaffenen Welt zu repräsentieren (lMose 1,26-31). So will Gott hinfort durch den Menschen als sein »Bild« die Welt »in Ordnung« halten. Zu diesem Zweck beauftragt er ihn mit der Herrschaft über alle anderen Lebewesen. Auch am Ende der Zeiten kann sich der weise Daniel Gott nur in Gemeinschaft mit denen vorstellen, denen er Anteil an seinem Leben, eben »ewiges Leben« gibt (Dan 12,2).
Bunter Spekulationen über Gottes Sein und Wesen jenseits von Raum und Zeit enthält sich die Bibel weitgehend, setzt aber Gott vor (lMose l,2f) und außerhalb der Schöpfung (Ps 90,2) voraus. Vorstellungen über Gott nach Raum und Zeit finden sich überhaupt nicht. Zwar rechnet Ps 102,26-28 mit einem Verschleiß von
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Himmel und Erde, die mürbe werden und sich verbrauchen wie abgetragene Gewänder. Gott aber verschleißt sich nicht und wird Himmel und Erde »wechseln« wie Kleider. Ein welt- oder menschenloser Gott ist der Bibel nach der Erschaffung von Himmel und Erde unbekannt.
2.1.1 »Ich will euer Gott sein«
Gott hat im Alten Testament einen Namen. Durch diesen Namen unterscheidet er sich von anderen Göttern. Der Name dieses Gottes lautet Jahwe, obwohl die ursprüngliche Aussprache der hebräischen Konsonanten JHWH nicht überliefert ist. Etwa seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. vermied man es zunehmend, den Gottesnamen auszusprechen, und ersetzte ihn durch die Gottesbezeichnung Adonäy (»Herr«). Luther folgt der griechischen Übersetzung und dem jüdischen Brauch, den Gottesnamen mit Adonäy zu umschreiben, und übersetzt ihn stets mit »Herr«. Damit man ihn von den vielen Herren auf Erden unterscheiden kann, hat schon das Judentum Adonäy, sofern es den Gottesnamen ersetzt, von Adonäy als Bezeichnung für alle anderen Herren orthographisch unterschieden. Entsprechend zeichnet Luther seine Umschreibung des Gottesnamens durch eine besondere Schreibweise aus und setzt Herr immer in Kapitälchen. Dieser Umgang mit dem Namen Gottes gibt zu verstehen, dass Gottes Name kein Name wie alle anderen ist und dass auch unser Begriff »Person« Gottes Wesen nicht voll erfasst.
Folgen wir dem Aufriss der Geschichte Israels, wie sie die Bibel erzählt, dann ist JHWH dadurch Israels Gott geworden, dass er die Seinen aus Ägypten herausgeführt, die Vorbewohner Kanaans vertrieben und ihr Land seinem Volk Israel übereignet hat. Im Sieg über die Feinde hat er sich als Gott dieses und eben keines anderen Volkes erwiesen. JHWH und Israel gehörten fortan zusam-
men. Das Verhältnis beider bedurfte noch keiner Verträge noch Eide. Gott stand Israel bei, und Israel dankte ihm das in kultischer Verehrung. Spätere Zeiten haben dann dieses Verhältnis auf den Begriff »Bund« gebracht und damit Israels Gottesverhältnis ausdrücklich als ein »Vertragsverhältnis« begründet. JHWH verhält sich zu Israel wie ein Großkönig zu seinen Vasallen. Dies überträgt der Eingang zu den Zehn Geboten (2Mose 20,2f) auf das Verhältnis Gottes zum angeredeten Du:
Ich bin JHWH, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Sklavenhause herausgeführt habe.
An erster Stelle steht die Selbstverpflichtung dieses Gottes zur Treue gegenüber seinem Volk und seinen einzelnen Gliedern. Aber diese Befreiung bedeutet für die Befreiten nicht grenzenlose Freiheit, sondern Bindung an diesen Gott. Deshalb gilt sogleich: »Du sollst keine anderen Götter haben an meiner statt.«
2.1.2 Gottes Gestalt
Menschengestaltige Götter
Im Alten Orient stellte man sich die Gottheiten schon seit dem dritten vorchristlichen Jahrtausend als menschliche Gestalten vor, allerdings in Dimensionen und Fähigkeiten, die Menschenmaße übersteigen. So sieht der Prophet Jesaja JHWH als König thronen, aber er ragt so riesengroß über dem Jerusalemer Tempelhaus auf, dass schon die Schleppen seines Gewandes den Tempelraum ausfüllen (Jes 6,1). Gottes unermessliche Gestalt reicht bis in den Himmel. Auch wenn man sich die Gottheiten menschengestaltig vorstellte, war man sich durchaus bewusst, dass Götter keine Menschen sind. Welcher Mensch könnte den Himmel mit seiner Spanne messen oder die Berge wiegen (Jes 40,12)? Was ist der Mensch
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