"Jacomo Tentor f."


Tintorettos Sansovino-Rezeption



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Tintorettos Sansovino-Rezeption
Tintorettos Sklavenwunder verdankte Sansovinos linkem Pergolozyklus wohl nicht nur die Thematik der Marterszene und eine Reihe von Einzelmotiven, sondern schulte sich auch an verborgeneren Aspekten wie die parataktischen Rhythmen und Symmetrien, die Synchronisierung der Bewegungsabläufe, die Logik und Simultaneität der Handlung, die 3 zu 2 - Teilung von Horizontal- zu Vertikalordnung, die zentralperspektivische Anlage, die typisch bildhauerische Getragenheit der Komposition durch Figuren allein (die Bühnenrequisiten Tintorettos sind nur geringfügig raumbestimmend und haben vornehmlich verschlüsselte inhaltliche Relevanz).139
Bereits die Idee des wunderbewirkenden Fluges Marci nimmt – Zwischenstationen der Realisierung bei Raffael, Pordenone und Michelangelo vorausgesetzt – in Sansovinos zweitem Zyklus eine wenn auch konformistische, doch reliefwürdige Gestalt an, die den Maler zu seiner gewagten, wie so oft gescholtenen, aber unzweifelhaft stark skulptural geprägten Sturz- und Skurzfigur inspirierte (den 'kraulenden Schwimmer' Sansovinos, dessen niemand im Relief ansichtig wird, steigert Tintoretto zum gigantischen 'Taucher', zu dem nur das unter der Masse der Schergen und Gaffer zu ertrinken drohende Opfer eine rettende Blick-Leine werfen kann!). Dem Regenwunder entnahm der Maler die dominante und zentrale Rückenfigur des bäuerlichen Adoranten mit erhobenen Händen, den Sansovino bereits auf den entsprechenden Apostel in Tizians Assunta (Abb.0) gemünzt haben dürfte, der seinerseits vielleicht ein Omaggio auf die bewunderte, von Rhodos stammende lysippische Grossbronze des Berliner Betenden Knaben (Abb.0) sein mochte:140 seitenverkehrt wird sie zum mächtigen Lehrstück einer 'figura serpentinata', wiedergeboren im 'Türken' Tintorettos, der die nutzlosen Werkzeuge emporhält; gleichsam formale wie sinngemässe Überhöhung, wenn nicht Überforderung des bildhauerischen Freundes und "proto" mit Hammer und Spitzmeissel. Aus dem zur lebensspendenden Erde Apuliens niedergebückten Bauern wird nun des Malers Folterknecht und die als einzige den Greueltaten beiwohnende Frauengestalt hat ihren Weg zumindest ideell aus dem Relief ins Gemälde genommen. Die Entlehnungen aus dem Soldatenwunder sind eher gestueller Art, variieren Stand-, Blick- und Kniemotive, während der Marterung des Sklaven neben Details wie Kaftan und 'Zylinder' aus der Zuschauermenge, etwa die Formel der Sitzpose des Padrone141 oder die ihm gegenüberliegende Position eines Säulenportikus, die vektorielle Koordinierung der Stellungen von Heiligem und Sklaven in nuce das Vorbild auszuwerten bestrebt sind, doch die stets zugleich im Sinne des 'paragone' dieses bis an die Grenzen des Malbaren auszureizen und zu überrunden versuchen.
Die Rezeption der Kunstfertigkeit eines Sansovino dürfte für Tintoretto weniger im formalen Detail gelegen haben, war doch, wie längst veranschaulicht worden ist, das übermächtige Formengut Michelangelos sei es in graphischer oder (modell-) skulpturaler Weise bereits zur Genüge auch in Venedig greifbar. Eher dürfte die logische, organisatorische Konsequenz und der erfinderische Reichtum des bedächtigen Architekten und Bildhauers den von Natur aus heissspornigen und ungeduldigen Schnellmaler142 im Sinne der Kontrast-Affinität beeindruckt haben: jenes überväterliche 'Alter Ego' arbeitete beharrlich an der Orchestrierung eines geradezu utopischen Konzeptes, nämlich den vornehmsten Spielplatz kirchlicher und säkularer Macht zwischen Markuskirche, Dogenpalast, Prokuratien, Libreria, Zecca und Loggetta zu einer einzigen gesamtkunstlichen Vision zusammenzuschmieden. Sollte sich da das Färberlein Robusti mit dem Malen von Truhen und Madonnen bescheiden?
Die Loggetta 'picta'
Mit dem Sklavenwunder versuchte sich Tintoretto mit schlagfertiger von Aretin nichtsdestoweniger erkannter Hybris ein malerisches Monument und zugleich Programm zu setzen, das den diversifizierten Manifestationen Sansovinos ebenbürtig, wenn nicht überlegen sein wollte.

Zugleich galt es, dessen erklärten Malerfreund und -fürsten zu treffen, der gerade am Hofe Karls weilte, doch als graue Eminenz die Alpträume des jungen Robusti beherrscht haben wird: Tizian.

Dass er seine Wegbereiter und Vorbilder zu schätzen, ja formal zu ehren wusste, lehrt der Meisterwurf selbst: ist doch im Portikus der linken Bildseite nichts Geringeres als die massgerechte Schrägsicht der Loggetta143 konterfeit (Abb.0), die jüngste und einzigartige Schöpfung des Florentiners,144 in deren Konzept sich die geringste urbanistische Nützlich- und Notwendigkeit mit dem höchsten künstlerischen Engagement ihres Erbauers paarten: fast ein Manifest unzeitgemässer l'art pour l'art, eine damals noch unbekannte Seite künstlerischen Selbstverständnisses, das nur ein Mann vom Zeuge Robustis wenn nicht vorauszuahnen, so in gewissen Seiten seines Schaffens auszuleben imstande war.

Die Akribie, mit der das gefeierte Bauwerk wiedergegeben ist, wird erst heute offenbar, seit man sich an die Gewissheit gewöhnen darf, dass Jacopo Tintoretto auch peinlich genau kopierender und miniaturisierender Detaillist sein konnte.145

Die heutige Situation der Sockelperspektive der Loggetta ist lediglich durch den Terrassenvorbau von 1663 verfälscht, der die Standhöhe der Zuschauer im Gemälde heute nicht mehr nacherleben lässt. Die ehemalige Zugänglichkeit der Seitenarkaden und die einstige Elevation geht aus Giacomo Franco's Stich in Gli habiti von etwa 1600 hervor. Tintoretto zitiert selbst das Frontrelief des vorderen Sockels und es mag sich sogar das Motiv seines 'Säulenkletterers'146 aus den bronzenen Standfiguren von Minerva und Merkur entwickelt haben,147 die gleichsam lebendiggeworden – "più vere che finte" – ihre Muschelnischen verlassen. Erst wenn man ahnt, dass die dunkelgewandete Halbprofilfigur, über die der antikische Hüne hinwegsteigt, sich hinter einer verdeckten, erhöhten Marmorbalustrade hervorlehnt, die ihn hindert, ohne unangemessenen Flankensprung zum übrigen Zuschauervolk zu gelangen, erhellt sich die Disposition der 'Ränge'. Der zuäusserst links unten ins Bild hineingebeugte Verifikant des Wunders, den wir vorausgreifend mit dem Arzt, Physikus und Gelehrten Tommaso Rangone – "ricoperto da la toga dottorale"148 – identifizieren, ist vermutlich am äussersten Loggettasockel in eine halbkniende Stellung herabgesunken. Technisch-malerisch gesehen ist der so flink und summarisch hingesetzte 'Säulenkletterer', der wie Anchises auf den Schultern des Aeneas voltigiert, vom Halbporträt unter ihm, auffällig verschieden, als sei dem Schemen eines halb antikisierenden, halb orientalisierenden Recken bewusst die zeitgenössische Gegenwärtigkeit eines real Konterfeiten gegenübergestellt. Letzterer bewegt sich auf einer von ihm verschiedenen Realitätsebene, ist der zeitgenössischen Loggia als "redutto o loggia dei nobili"149 zugehörig, in der, wie Aretin schon 1537 in einem seiner Briefe voraussagte, "spassegeranno personaggi di cotanta nobiltade".150 Die schemenhafte Nischenfigur ist dagegen unwirklicher 'typos' oder 'topos', ist malereigewordene Skulptur,151 verwandt den Pergoloreliefs Sansovinos und schliesslich dessen gesamtem Bronzeoeuvre im Markus-Presbyterium, das – man denke etwa an die Sakristeitür-Paneelen – zur skulpturgewordenen Malerei geriet. Die Anspielung Tintorettos auf den Paragone der bildenden Künste152 ist evident: schon der Bau der Loggetta mit ihrem Kanon farbiger Steinsorten und ihrer dank der Nord-Süd-Ausrichtung stets in ein malerisches Schattenspiel getauchten Erscheinung nimmt daran teil (Lorenzetti nannte mit Recht das Produkt spielerisch und dekorativ verbauter Triumphalideen "l'opera meno architettonica" Sansovinos).153

Das Profilporträt (Abb.0) ist im Gegensatz zum 'Säulenkletterer' ein Stück präziser, haptischer, nahsichtiger und im Raum definierbarer Malerei, will quasi die Unterschiede von "prestezza" und "diligenza" als gleicherweise berechtigte Malweisen veranschaulichen. "Idea" und "realtà", "concetto" und "disegno" prallen wie Lehrstücke zeitgenössischer Malertheoreme154 aufeinander. Tintoretto beabsichtigte, sie in einem und demselben Gemälde zu vertreten und zu vereinen, ihren Antagonismus zu schlichten, so als gälte es, die Bedeutung der Loggettabronzen Sansovinos "sapienza" und "eloquenza", "concordia" und "pace" in ein malerisches Manifest der Harmonie umzusetzen.



Bleibt zu fragen, wen ein solcherweise befrachtetes, vom Chor der übrigen Protagonisten abgesetztes 'ritratto demostrativo' wiedergeben wollte, oder besser konnte.
War die Loggetta zur Selbsterhöhung der noblen Prokuratorenschaft gedacht und nur ihrem politisch-sozialen Klan reserviert, blieb sie dem kommunen Volke verwehrt. Hinter der trennenden Brüstung konnte nur ein Magistrat auftreten, ein Nobile mit seiner obligaten weitärmeligen Toga, oder ein durch hohe Verdienste Nobilitierter. Warum also nicht der Prokuratorenehren geniessende, die Prokuratien bewohnende "protomastro" des gesamten venezianischen Offizialbauwesens und würdiger "esaltator" ihres Standes?
Jacopo Sansovino selbst.
Bildnis als Omaggio
Auf die Annahme, Tintorettos Sklavenwunder sei keinesfalls ein Gruppenbild der Confratelli einer Bruderschaft155 – selbst vom Range der Scuola Grande di San Marco – sei erst im folgenden Essay eingegangen. Hielten wir die Hypothese für unser Loggetta-Porträt als gegeben und wagten, es mit Sansovino zu bezeichnen, gälte es, die physiognomische Ähnlichkeit des Dargestellten mit der bescheidenen, hauptsächlich nur die Altersphase betreffenden 'rittrattistica Sansoviniana' zu überprüfen.
Als 1545 der junge Maler für Sansovinos intimsten Freund, Aretin, eine Zimmerdecke mit Themen ovidischer Musik-Contesa schmückte und als Gegenleistung durch die öffentliche Briefpolitik des Literaten ins Stadtgespräch gelangte, hätten sich in der Folge nicht wenige Gelegenheiten bieten können, die Züge des Architekten einzufangen. Dem Loggetta-Bildnis am nahesten kommt in der Tat, was Kleidung und Gebaren angeht, das einst im Haager Bachstitz-Besitz und heute in der Sammlung Sedlmajer in Genf sich befindende Porträt mit der lateinischen Zueignung "IACOPI SANSOVINI / ARCHITECTVRAE ET SCOLPTVRAE / ARTE CELEBERIMI / IMAGINEM PINXIT / IACOBVS TINTORETTVS / EIVS AMICISSIMVS" (Abb.0).156 Der überaus jung erscheinende Dargestellte in einem in der Taille gebundenen Sammetwams bürgerlichen Unternehmertums lehnt die Rechte auf einen gewappneten Skulpturtorso und der Fensterausblick führt in eine Berglandschaft mit einer konkaven (!) Portikus-Ruine, die man in höchst unpsychologischer Weise auf den peinlichen Einsturz der ersten Libreria-Einwölbungen gemünzt wissen wollte.157 Die in der Beischrift erwähnten und für die 'artes' des Geehrten signifikanten Attribute besitzen eine entfernte Verwandtschaft zu den Zitaten im Sklavenwunder, die Sansovino als ruhmvollen Fortsetzer und Überrunder der Antike stilisieren.
Damals zählte der Architekt – in seiner höchsten Blüte wohlgemerkt – zwar schon knapp sechzig Jahre, deren Gewicht jedoch etwas relativiert wird, wenn man Vasari glaubt, der gegen 1556 berichtet, Sansovino sei nicht nur mittelgross und schlank, gehe aufrecht, sei von hellstem Teint (bianco), trage einen rötlichen Bart, sei in der Jugend äusserst schön und grazil gewesen, sondern sei auch mit seinen 78 Jahren geradezu als jung zu bezeichnen: "non ne mostra in certo modo più che quaranta". Wie jugendlich muss Jacopo zehn Jahre früher gewirkt haben!158

Aber auch die aus späteren Jahren überlieferten Züge des Architekten, namentlich das Selbstporträt an der Sakristeitür der Basilika (Abb 0), jene Buchvignette Cristofano Coriolano's der Vasari'schen Vita (1568), Porta-Salviatis Bildnis eines Architekten159, die Medaillenbildnisse aus dem Umkreis Leone Leoni's (?) und die Altersbildnisse Tintorettos in Florenz und Weimar lassen sich mit dem Profil im Sklavenwunder vereinbaren, wenn man vom zunehmend fülligen und weissen Bartkranz, der später das Greisen- und Prophetenhafte übermässig betonte, absieht.160


Fragen wir uns schliesslich, was Tintoretto bewog, dem um so vieles älteren Freunde – gerahmt von dessen signifikantestem Bauwerk, um nicht zu sagen Gesamtkunstwerk – ein so hervorragendes Monument zu setzen. Eine hypothetische Antwort wäre, dass der illustre Bildhauer und Architekt – dessen bildnerisches Oeuvre allein wohl kaum genügte, die Wissens- und Lerngier des Jüngeren zu befriedigen – vor allem in jener entscheidenden Abwesenheit Tizians von Venedig, dem jungen Emporkömmling so manche Tür zu Mäzenen und Sammlern, Künstlern und Literaten geöffnet hat. Vielleicht sogar im Zuge der Auftragvergabe des Markuswunders selbst.
In der ehrgeizigen Scuola Grande di San Marco war bis zum Antritt des florentinischen "Proto" eine Beschäftigung vornehmster Unternehmer staatlicher oder parastaatlicher Imprese wie der Buon, Lombardi, Buora, Codussi und Scarpignano geradezu Tradition.161 So mancher von Sansovinos Vorgängern war zugleich "protomaestro de' supra" gewesen. Viele von ihnen – nicht minder als die am grossen älteren Markuszyklus des Albergo beteiligten ersten Maler162 der Stadt – waren eingeschriebene Mitglieder mit bisweilen verantwortungsvollen Ämtern. Der von Tintoretto zweifellos gesuchte Dialog mit dem 'Superintendenten' Venedigs – über den persönlichen Zugang und sogar eine engere Freundschaft hinaus – gestattete gleichsam eine ideelle 'Kontaktheiligung' seines Tuns durch den 'Segen' des Proto; dieser förderte sicherlich seinen Ehrgeiz, sich mit dem damals gigantischen Wurf des Sklavenwunders in die Società der Grossen hineinzukatapultieren.

Dass ihn die ebenso fromme, wie eitle Bruderschaft darin missverstand, beargwöhnte, ja ablehnte, ist ebenso überliefert wie verständlich, setzte sich doch Jacopo über deren traditionellen Wunsch hinweg, im Monumentalgemälde gleichnishaft, spiritualiter und bildnishaft 'repräsentiert' zu werden.


Eine Erklärung des Omaggio an den Architekten ex negativo wäre ebenfalls möglich, auch wenn dieser die buchstäbliche 'Erhöhung' nicht zwingend nötig gehabt hätte.

Zur Entstehungszeit des Gemäldes 1547 war der politische und gesellschaftliche Schaden, den der partielle Einsturz des entstehenden Libreria-Baus verursacht hatte, alles andere als vergessen und verlangte noch immer den Einsatz aller Freunde, Sansovinos Ansehen wiederherzustellen. Auch die, wie immer 'offen' gemeinten Briefe Aretins vom Januar und Februar 1546 dienten jenem Zwecke, indem er die Libreria Sansoviniana Tizian etwa als "tabernacolo de la gloria del fratel nostro" schilderte, der "gli fusse diventata cimitero a la fama."

Tintorettos Reverenz verstünde sich somit – unter Einbezug aller anderen möglichen Beweggründe – auch als Schützenhilfe für den diskriminierten Freund.163

Auch wenn wir uns an dieser Stelle nicht näher mit dem architektonischen oder landschaftlichen Kontext des Sklavenwunders aufhalten wollen,164 sollte man vielleicht nicht darüber hinwegsehen, dass jene allesüberwachsende Weinlaube, die sicherlich kaum auf eine urbane Piazzetta gehört und vom rustikalen Throne des provençalischen Patrons bis zur 'Loggetta' hinüberwuchert, nicht ohne Symbolik befrachtet sein dürfte. Will sie etwa die damalige 'summa architettonica' mit einem signifikanten Gegenpart verbinden? Wäre in letzterem etwa eine versteckte Anspielung auf die getreppten 'murazzi' (des Gegenspielers Sanmicheli) zu suchen, mit denen man damals die meerseitige Sicherheit der Lagunenstadt zu erhöhen hoffte? Lagen anderseits nicht die rohen Blöcke istrischen Marmors, die auf ihre Verarbeitung durch Sansovinos Steinmetzen an Libreria, Zecca, Prokuratien und Loggetta warteten, bergeweise gestapelt wie in einem nicht endenwollenden 'eternel chantier', auf der Piazza zwischen Libreria, Zecca, Loggetta und den Prokuratien?

Auch in Sansovinos Relief des nämlichen Sklavenwunders begegnen sich die Spielformen von 'dorico' (bzw. 'antico') und 'rustico'. Im gesamten Triptychon ist das landschaftlich-meterologische Element in der Regen-Legende Bindeglied zum je seitlichen städtischen Kulturdekor. Schwingt nicht in der Pergola/Vignetta das Motto der Natura naturans mit und erinnert an das vom reiferen Tintoretto laut Ridolfi geäusserte Bekenntnis zur Natur als Mutter allen Gestaltens und ihrer Vorbildlichkeit für jegliches Disegno? Angesichts der gestalterischen und semantischen "ghiribizzi" Tintorettos ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Genese der Weinlaube "pergola" nicht doch auf Sansovinos bewunderten "pergolo" der Basilika zurückweisen will, der dem Maler so sehr zum ikonographischen und formalen Leitbild gedient hatte.165 Die Ranke wird so zum zeichenhaft-pfadfinderischen Leitfaden, nicht unähnlich dem Lesezeichen, das Tintoretto in seiner Bamberger Himmelfahrt Mariens in die dort aufgeschlagene Bibel einlegte, die Auffindung des verschlüsselten autobiographischen Rebus zu erleichtern.166 Die für Tintoretto so typischen Wortallusionen und Wortspiele gelten für pergola/pergolo nicht weniger als für "tribuna"und "tribunale", bzw. die Sänger-Cantoria zum Lobe ihres Schöpfers und die Gerichtshof-Schranken167 zum Schaden des verurteilten Sklaven.

Das Zitat der rhetorischen Loggetta,168 der Pergolo-Wortwitz und die 'vigna' erheben im Gemälde eine Art Tribunals-Podium, über des Architekten hohe Kunst zu richten und seinen Sieg zu lobpreisen, ihn gar mit dem Weinlaub der Rebe169 zu kränzen, deren Saft mitunter seinen Namen zierte. Wundere man sich nicht über solcherlei fast komödiantische und ironische Spielerei, würdig eines Aretin oder Calmo, die der junge Robusti zu seinen Freunden zählte!

Die Loggetta eignete sich vorzüglich als spektakuläres und doch serenes Repoussoir, als Kulisse für die gewaltsame Marterszenerie eines Gerichtsfrevels und dessen göttlichen Aufhebung; ihr allegorischer Hintersinn beschwor das Zusammenspiel von Grazia und Justizia als Kondition des harmonischen Zusammenlebens von Bürger und Autorität.170 Und mehr: wie Markus öffentlich die wundersamen körperlichen Fährnisse des Märtyrers als auch den Seelenwandel des barbarischen Patrons bewirkte, so konnte aus groben Steinblöcken der Künstler-Demiurg eine Zierde städtischen Dekorums zaubern. Ein weiterer 'paragone', diesmal ausgetragen zwischen den veredelnden Kräften des Glaubens und der Kunst.

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31 Jacopo Sansovino Sklavenwunder Bronzerelief I vom 2. Sänger-Pergolo der Markusbasilika (1541-44)



32 Jacopo Sansovino Regenwunder in Apulien Bronzerelief II vom 2. Sänger-Pergolo der Markusbasilika

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33 Jacopo Sansovino Das Wunder des Soldaten Bronzerelief III vom 2. Sänger-Pergolo d. Markusbasilika



34 Tizian, Assunta, Detail: (sog.) Hl. Andreas, Frari Venedig

35 Der betende Knabe Bronze, Rhodos 4.Jh. v.Chr. Antikensammlung Pergamonmuseum Berlin

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36 Jacopo Sansovino Loggetta del Campanile Markusplatz Venedig; Schrägsicht wie im Sklavenwunder



37 Jacopo Tintoretto Sklavenwunder Detail: Porträt Sansovinos aus der Loggetta lehnend

38 Jacopo Tintoretto Porträt Jacopo Sansovino Sammlung Sedlmajer Genf

39 J. Sansovino u. A.Vittoria Bildnis Jacopo Sansovino Sakristeitür Markusbasilika Venedig

Zum Publikum in Tintoretto's Sklavenwunder171
"...ed in questa [storia] è gran copia di figure, di scorti, d'armadure, casamenti, r i t r a t t i , ed altre cose simili, che rendono molto ornata quell'opera."

Vasari Vite VI 1568
Der klamorose Auftritt Jacopo Tintoretto's im Frühjahr 1548 auf der Bühne des venezianischen Kunstwettbewerbs mit seiner damals gigantischen Komposition kann nicht epocheprägend genug und für den Künstler selbst nicht wegbestimmend genug gewertet werden.
Der soeben Dreissigjährige war sich seines Stellenwerts und der Herausforderung an die ältere wie die gleichaltrige Künstlergeneration voll bewusst, riskierte alles, ohne auch nur einen Trumpf aus der Hand zu geben: er wird sich des Zuspruchs der einflussreichsten Männer aus dem Kreis der Scuolenleitung und deren künstlerischen Berater (Ridolfi wird nach einem vollen Jahrhundert berichten:"...alcuni de' Governatori della Confraternittà di S.Marco c o n g i u n t i al Tintoretto...") vergewissert haben, um sein eigenwilliges Vorhaben auch gegen alle Tradition und Konvention durchzusetzen: er war nicht bereit, wie seine illustren Vorgänger im Ausschmücken des 'Albergo', den Darstellungsgegenstand den Repräsentationswünschen der Confratelli unterzuordnen. Er beabsichtigte, den Hemmschuh alles Porträtistisch-Zeremonialen, das dem dramatischen Tempo, der Gewaltsamkeit und der Aktionslogik der Handlung zuwiderlaufen musste, abzustreifen und ging im Vornherein das Wagnis ein, sich die Sympathien der Bruderschaft, deren vornehmlicher Anspruch auf Selbstdarstellung und fromme Apotheose zielte, bis zu einem gewissen Grade zu verscherzen.

Ein entsprechend umfassender kirchlicher oder profaner Dekorationsauftrag hätte ihm die Konfrontation mit den flügelbeschneidenden Auflagen und Eitelkeiten erspart, doch wo hätte er einen strategisch angemesseneren, angeseheneren und publikeren Austragungsort seiner Ambitionen finden können, als gerade die Scuola Grande, locus politicus erster Ordnung nach den Schaltzentren der Macht am Markusplatz und zugleich bruderschaftliches Ritrovo der vornehmsten Künstlerschaft Venedigs!?


Wie viel ihn der Einsatz kostete, wird man kaum je in Erfahrung bringen können, doch lässt der überlieferte Zorn der Bruderschaft,172 die zeitweilige Rücknahme des Bildes durch den Künstler, die Ablehnung einer Aufnahme Jacopo's unter die Confrati, ja auch spätere Animositäten im Zuge der Stiftungen Tommaso Rangones erahnen, wie sehr man Tintorettos Auftreten als Intrusion und Friedensstörung betrachtet haben muss. Womöglich gelang es dem Künstler, als die Rückendeckung durch die Freunde unter dem Gewicht banausischer Mehrheiten zu versagen drohte, nur über die Schenkung des Werkes, die moralischen Fronten aufzuweichen; gewissermassen ein Vorlauf für seinen bekannten anekdotischen, nicht gerade kollegialen Husarenstreich in der Scuola Grande di San Rocco, mit dem er sich letztlich sein Lebenswerk, seine 'Sixtina' zu sichern verstanden hat.
Wird mit Recht der kometenhafte Auftritt des Sklavenwunders zuweilen mit dem ebenso zeitenwendigen Ereignis der tizianischen Assunta der Frari von 1518 verglichen, so ist die anfängliche Ablehnung beider von verschiedenem Holz. Fusste bei letzterer die Rüge Padre Germano's im künstlerischen Missverständnis, so dürfte der Unwille der Bruderschaft im Falle der Markus-Szene in ethisch-sozialen, administrativen und personalpolitschen Bedenken wurzeln: das Diktat eines künstlerischen Emporkömmlings durchbrach die Tradition und Ordnung zu begünstigender Hierarchien im Parnass der Scuola zugewandter Künstler-Mitbrüder, mit deren bedächtiger und gebührend verzögerter Aufnahme man sich der Kontinuität und Attraktivität künftig zu stiftender Bewerbungswerke zu versichern pflegte. Mochte der unbequeme 'teler' noch so genial und noch so günstig erworben sein, er huldigte dem persönlichen Ehrgeiz ihres Schöpfers, nicht dem Kalkül der entmündigten Auftraggeber...
Man wird einwenden, der eingearbeiteten, schon von Vasari als "gran copia...di ritratti" anerkannten Porträts sind doch genug, die dort so eindrücklich Konterfeiten zu Befürwortern des jungen Künstlers umzustimmen! Nun scheinen jedoch weder Auftreten, Gehabe, noch Rollenverständnis der Dargestellten, sich in irgend einer Weise mit einem solchen der Confrati in Einklang bringen zu lassen, hätten sich diese doch sicher geweigert, innerhalb eines so szenisch-bühnenhaften tumultuösen Ambiente die Feindbild-Rollen von Schlächtern, Gaffern, Türken, des grausamen Padrone und seiner buntgewürfelten Bravo-Garde zu spielen. Also wird man folgern müssen, das Gemälde enthalte zwar naturnahe Bildnisse, aber nicht solche aus den Reihen der Bruderschaft; was eine Angriffsfläche mehr für etwaige Kritik aus deren Chor bedeuten musste...
Nun ist die Überlegung ebenso reizvoll wie legitim, dass der junge Tintoretto, der sich soeben anschickte, wohlwissend und in masslosem Durchsetzungswillen ins künstlerische Rampenlicht Venedigs zu treten, die Auswahl der Bildnisse auf einen Kreis ausserhalb des Scuolen-Ambientes konzentrierte, es genauestens bedachte, programmatisch rechtfertigte und keinesfalls einem Zufall überliess, den ja erst ein ferneres Jahrhundert sich zum Usus der Künstlerpraxis auserkor.
Im vorangehenden Kapitel liess sich die Hypothese, Jacopo Sansovino's Pergolo-Bronzen in San Marco hätten den Werdegang der Bildidee wesentlich beeinflusst, in dem linksseitigen Portikus sei Sansovinos Loggetta und im daraus sich vorbeugenden Profil deren Schöpfer dargestellt, weitgehend erhärten.173 Das prominente Omaggio an den Offizial-Architekten der Stadt an bevorzugter 'Incipit'-Stelle im Bildverband zeichnete einen Mann aus, der unserer Scuola als Erbauer der Westfassade (1533–46) und als deren 'proto' seit 1546174 zwar von erheblichem Nutzen sein konnte (und verschiedentlich wurde, wie im Falle des von ihm geplanten Kapitelsaal-Altars, für welchen er schon 1546 Zweithand-Material aus dem eingestürzten Libreriaflügel beschaffte), der aber bezeichnenderweise nicht ordentliches Mitglied war.
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