Die italienische Bibliothek Heinrich Manns
Der in der Akademie von Berlin aufgewahrte Nachlaß wurde im November 1957 von der Tochter Heinrich Manns, Leonie Mann-Askenazy, der tschechoslowakischen Regierung geschenkt, damit er der Deutschen Akademie der Künste zukomme, deren erster Präsident Heinrich Mann war. Der Nachlaß umfaßt circa 22.000 Blätter der Zeit zwischen 1885 bis 1950 und den größten Teil der Bibliothek bis um 1933. Im März 1933 hatte die Gestapo die Manuskripte und in München zurückgelassenen Bücher des Autors konfisziert, dem es gerade noch gelungen war, sich rechtzeitig nach Frankreich in Sicherheit zu bringen. Der Präsident Masaryk erklärte die Manuskripte und die Bibliothek zum Besitz des tschechoslowakischen Staates und ließ sie nach Prag bringen.
Die Bibliothek umfaßt circa 3400 Bände, viele von ihnen sind mit handschriftlichen Anmerkungen des Autors versehen; wie aus den „Marginalia“ hervorgeht, handelt es sich bei den in Berlin befindlichen Büchern vielleicht nur um ein Drittel der von Heinrich Mann vor ‘33 gesammelten Bücher. Diese Annahme wird zunehmend überzeugender, liest man die zahlreichen Hinweise in Briefen oder autobiographischen Notizen der letzten amerikanischen Jahre, in denen Heinrich Mann vermerkt, die gleichen Autoren, die sich schon in seiner „Arbeitsbibliothek“ befanden, erneut kaufen zu müssen. In Amerika kaufte er sich die Werke Bandellos und Goldonis neu; leider fehlen im Nachlaß die Ausgaben, die er Autor gekauft hatte und vielleicht schon während der italienischen Jahre mit Anmerkungen versehen hatte.
Der Bestand an italienischen Werken ist jedoch nicht ebenso umfangreich wie die französischen, enthüllt aber, wenn auch in geringerem Maße, einige Richtungen des Interesses und des Geschmacks. Daß Heinrich Mann trotz der Isolierung nicht nur Beobachter des täglichen Lebens gewesen war sondern auch Leser der literarischen Neuerscheinungen, besonders während des Aufenthaltes in Florenz, ist anhand der in die Werke eingeflossenen Namen und seinen Briefen erkennbar; in einem Notizbuch des Jahres 1904, zwischen Notizen zu anderen Ausgaben, ist Vieusseux erkennbar, dann L.4; wahrscheinlich ermöglichte es das Kabinett Vieusseux, auf dem laufenden mit den französischen Zeitschriften zu bleiben und die zeitgenössische europäische Literatur zu sichten. Der Fall Murri war, traurig und dank einiger Ungerechtigkeiten vernichtend, sein Urteil über die italienische Situation: „Aufgrund des Mangels an moderner Sensibilität, trotz des genialen Temperamentes der Rasse, bringt man auch künstlerisch nur noch Mittelmäßigkeiten längst Überholtes hervor.“ [Zitat nicht nachgeprüft, Anmerk. d. Übers.] Dabei konnte er nicht nur auf die Darstellende Kunst verweisen, war doch Pippo Spano nur ein Jahr zuvor veröffentlicht worden.
Er schätzte also die zeitgenössische italienische Literatur zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht besonders hochwertig ein. Die noch erhaltenen Bücher belegen dies. Von Das befreite Jerusalem und Der geraubte Eimer (in Die kleine Stadt verwendet) in guten Editionen des 18. Jahrhunderts, und dem Purgatorium und dem Inferno Dantes, übersetzt von Bassermann (auch wenn es enttäuscht zu sehen, daß diese Ausgabe der Übersetzung von Filalete vorgezogen wurde) ist das Panorama der Reste einer Bibliothek, die sicherlich einmal reicher und besser ausgewählt war, außerordenlich wenig homogen. Dies läßt die Hypothese zu, daß Heinrich Mann nur Werke in italienischer Sprache aufbewahren wollte - oder später jemand für ihn -, die ihm direkt bei seinem literarischen Schaffen nützlich gewesen wären. Tatsächlich ist das Interesse für die volkstümliche oder historische Anekdotik, die ihn während der Jahre des Frühwerks Seiten um Seiten aus historischen Traktaten und Erinnerungsbänden abschreiben ließ, wesentlich wichtiger als das literarische allgemein. Es existieren noch, allerdings ohne oder fast ohne Randbemerkung: Conti, Giuseppe: Fatti e aneddoti di storia fiorentina - Sec. XIII-XVII, Florenz 1902; Stefano Gionti: Il fioretto delle croniche di Mantova, Mantua 1741; G. Temple-Leader-G. Marcotti: Giovanni Acuto, Storia di un condottiere, Florenz 1889; eine Ausgabe, ohne Jahresangabe, der Cento novelle antiche. Gezielt gelesen und mit Randbemerkungen versehen sind die Vite von Vasari, herausgegeben von P. Ranalli, in 4 Bänden, Florenz 1848.
Auch fehlen die Bücher nicht, die ein gewisses Erstaunen auslösen, wenn man sie mit den französischen Werken vergleicht, die nach einem extrem kohärenten Gustus ausgewählt worden sind: diese Gattung, noch durchsetzt von Anekdotik und historischem, romantisiertem Kitsch, der Heinrich Mann sicherlich gefiel, weil dieser einen besonderen Einfluß auf die soziale Schicht ausübte, die ihn nach der Aristokratie der Göttinnen am meisten interessierte. Darunter sind: A.P. Fiorentino: Le grandi amorose; La Vita e imprese di Giuseppe Garibaldi narrate al popolo, Mailand 1895; Jarro (G. Piccini): Viaggio umoristico nei teatri, Florenz 1903; Novelle, favole e leggende romanesche, gesammelt von Giggi Zanazzo, Turin Rom 1907.
La fisiologia della donna (2 Bände, Mailand 1893) und Pagine d’album von Paolo Mantegazza, das oft verwendeten Werk L’Europa giovane von G. Ferrero (Mailand 1898), La questione del divorzio (Florenz 1903) von C. Giachetti, I tedeschi nella vita moderna osservati da un italiano (Mailand 1907) und die Memoiren der Linda Murri (herausgegeben von Luigi di S. Giusto, Florenz 1905) bilden die Kernlektüre des Interesses und der Informationsbeschaffung desjenigen, der die Probleme einer Gesellschaft spürte, in die er sich aber entschlossen hatte zurückzukehren und lange dort zu bleiben, getrieben von den „incompatibles nostalgies“ wie sie der französische Kritiker Bestaux in seinem Werk über Heinrich Mann: 7 années (in: Latinité, Juni 1930) nennt.
G. Ferrero reiht sich mit seinem Werk Grandezza e decadenza di Roma (Band 1-5) in die historischen „Quellen“ ein, zusammen mit A. Ghisalberti Vita di Cola di Rienzo, dem dreibändigen Storia delle crociate von A. Michaud und Le cinque giornate milanesi del 1848 von V. Ottolini.
Die italienische Literatur zwischen dem 19. u. 20. Jahrhundert ist nur mit den Übersetzungen von Fuoco Gabriele D’Annunzios (Langen, 1900), Tigre reale von Verga und einer seltsamen Marchesa d’Acello von Memini vertreten; die lyrische Sammlung der Gedichte Ada Negris fehlt völlig, obwohl sie als Epigraph in den Göttinnen Verwendung fanden.
Zahlreich hingegen sind die übersetzten Werke zur italienischen Kultur: Giordano Bruno: Die Vertreibung der triumphierenden Bestie; Aretino: Italienischer Hurenspiegel; die Anthologien: Feist-Vincenti: Frühe dramatische Dichtung, ein später Erwerb oder sogar ein Homage an Heinrich Mann. Kunstführer sind die bereits zitierten Meyers Reisebücher, eine italienische Onomatologia botanica completa, ohne Datum, ein Italienischer Sprachführer, herausgegeben von Rudolf Kleinpaul, Broschüren, Ricordo di Firenze, die mysteriöse Storia della Madonna della Corono zwischen einem Devotionalienheftchen und abergläubischer Anekdotik.
Das Heinrich-Mann-Archiv hat mit akribischer Genauigkeit die Überreste der italienischen Bibliothek aufgelistet, die in der Münchner Wohnung sicherlich wesentlich umfangreicher gewesen ist, obwohl auch nur eine Insel innerhalb der großen und vollständigen Sammlung französischer Literatur und Kultur. Selbstverständlich ist ein Großteil der Studien, Essays, Romane, Memoiren, Tagebücher und Erinnerungen dort aufbewahrt, die französische und deutsche Schriftsteller Italien gewidmet hatten: vom Lebensabend einer Idealistin von Malwyda von Meisenburg über Verdi von Werfel, den Insel-Gedichte einer italienischen Reise von Leonhard, über Venise au XVII siècle von Philippe Monier zu L’Italie mystique Gebhardts bis hin zu Villa Borchards und die Werke Suarès. Ferner die häufig verwendeten und zitierten „Klassiker“ der italienischen Erfahrungen: Platen, Stendhal, Gautier,Taine, die Brüder Goncourt, H. Régnier, Renan und Rolland (über das Leben Michelangelos); Heinrich Mann vergaß nicht, seine italienischen Eindrücke mit denen seiner Vorbilder zu vergleichen oder sie später mit denjenigen, die er selbständig als Vorbild oder Freund gewählt hatte.
Dennoch fehlt Pro Italia (eine deutsche Kunstspende, München 1920), ein großer und prächtiger Band, herausgegeben von O. J. Bierbaum, in dem die bekanntesten Autoren der 20er Jahre, darunter Heinrich und Thomas Mann, ihren italienischen Beitrag für die Opfer des Erdbebens in Sizilien und Kalabrien geleistet haben. Heinrich Mann hatte ein Kapitel seiner Kleinen Stadt darin veröffentlicht.
„Wo sind meine Bücher“ wiederholt er mehrmals in seiner Autobiographie des Besuchers einer Epoche: „Wo sind meine Bücher“ ist die Erinnerung des Zeitalters, der schmerzvolle Refrain Heinrich Manns, der Vino e Pano von Silone gekauft hatte und in Amerika voll Nostalgie an ein Italien erinnerte, das er sich durch den Krieg zerstört auch nicht mehr vorstellen konnte. Zusammen mit Goldoni und Bandello, zwischen den Büchern des Exils befindet sich ein Venzianisches Capriccio von Meyer: fast eine Erinnerung nach all den höchst traurigen Ereignissen der Emigration und der Einsamkeit, dem Vergessen durch einen Teil des Publikums, die Treue zum Ursprung und dem Beginn seiner Parabel des Schriftstellers.
Bibliographie
Ist ist weder Absicht noch die Funktion dieses Abschnittes, eine vollständige Bibliographie der Werke und Kritik zu Heinrich Mann zu präsentieren. Ebensowenig, die Titel aufzulisten und zu wiederholen, die bereits in den Fußnoten zitiert worden sind, die jedoch dem Autor als Informationsquelle dienten oder als einfache Lektüre, mehr oder weniger mit dem Ziel seiner literarischen Strategie assimiliert oder übernommen worden sind. Daher wird es einfach, auf eine bewußte Auflistung aller Werke allgemeinen, technischen oder theoretischen Charakters zu verzichten, die implizit das propädeutische Substrat desjenigen bilden, der sich daran machen will, die Arbeit eines Autors zu rekonstruieren oder zu interpretieren. Diese Bibliographie will essenziell bleiben und beschränkt sich daher auf die Zitation von Büchern und Werken, die, entweder zeitlich und abhängig von ihrer Entstehungssituation, oder aufgrund ihrer Bedeutung ihres Beitrages, einen direkten Referenzwert als Anleitung haben oder dazu dienen, die Richtung dieses Ansatzes aufzuzeigen.
Die Werke Heinrich Manns sind zitiert nach der als „klassisch“ bewerteten Ausgabe, solange die von der Akademie von Berlin vorbereitete und von Sigrid Anger betreute Gesamtausgabe nicht vollständig ist.
Heinrich Mann, Ausgewählte Werke in Einzelausgaben, hg. im Auftrag der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin von Alfred Kantorowicz, Bd. I-XII, Berlin, 1950-1955.
I. Im Schlaraffenland, Professor Unrat.
II. Zwischen den Rassen.
III. Die kleine Stadt.
IV. Der Untertan.
V. Eugénie oder die Bürgerzeit. Ein ernstes Leben.
VI. Die Jugend des Königs Henri Quatre.
VII. Die Vollendung des Königs Henri Quatre.
VIII. Novellen I.
IX. Novellen II.
X. Schauspiele.
XI. Essays I.
XII. Essays II.
Darüber hinaus sind in derselben Reihe, aber ohne Folgenummer veröffentlicht:
Empfang bei der Welt, Berlin 1956.
Die Göttinnen oder die drei Romane der Herzogin von Assy, Berlin 1957.
Die Jagd nach Liebe, Berlin 1957.
In anderen Ausgaben und nicht in die Ausgewählte Werke aufgenommen sind die folgenden Romane:
In einer Familie, München 1894.
Die Armen, Leipzig 1917.
Der Kopf, Berlin-Wien-Leipzig 1925.
Mutter Marie, Berlin-Wien-Leipzig 1927.
Die große Sache, Berlin 1930.
Lidice, Mexico D.F. 1943.
Der Atem, Amsterdam 1949.
Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen, Berlin 1960.
Novellen:
Das Wunderbare und andere Novellen, München 1897.
Mnais und Ginevra, München 1906.
Der Tyrann. Die Branzilla, Leipzig 1948.
Abrechnungen, Berlin 1924.
Liliane und Paul, Berlin-Wien-Leipzig 1926.
Autobiographische Notizen, außer dem Briefwechsel, der zum Teil noch unveröffentlicht ist und im Nachlaß aufbewahrt wird, finden sich in:
Albert Langes Verlagskatalog 1894-1904, München 1904, S. 92;
Skizze meines Lebens, in Heinrich Mann: Eine Liebesgeschichte, München 1953, S. 39-45;
Ein Zeitalter wird besichtigt, Stockholm 1945;
Antiquariatskatalog 138. Wertvolle Bücher aus fünf Jahrhunderten. Autographen, Auktion 85. Ernst Hauswedell, Hamburg 1958, Nr. 1241-1248. (Auszüge aus Postkarten und Briefen aus den Jahren 1907-1949).
Die vollständige Bibliographie aller Werke und Essays, sogar alle „Beiträge“ Heinrich Manns für Zeitungen und Zeitschriften (auch ohne ausdrückliche Namensnennung) befindet sich in dem sehr hilfreichen Werk Ulrich Weissteins Heinrich Mann. Eine historisch-kritische Einführung in sein dichterisches Werk, Tübingen 1962, S. 256-280. Weitere bibliographische Hinweise sind in Heinrich Manns Werk, Aufbau 6,1 (1950, S. 292) mit einem Anhang von Walter Kiewert Zu Heinrich Mann - Bibliographie enthalten. Die Akademie von Ost-Berlin hat eine allgemeine Bibliographie der Werke und ihrer Kritik erstellt, die nur als maschinengeschriebenes Manuskript existiert und im Archiv eingesehen werden kann: sie ist die vollständigste Bibliographie, wenn auch jeglicher Verweis auf die Beiträge, die geschrieben worden sein könnten, fehlt, sei es in unzureichender Weise, sporadisch, in italienischer Sprache, während hingegen fast alle Examensarbeiten zu Heinrich Mann aufgeführt sind, die in den Ostblockstaaten und Rußland erschienen sind. Die folgende Liste ist bewußt beschränkt, so weit möglich, auf Werke, die die Frühphase der Aktivitäten des Autors betreffen und berücksichtigt nur in beschränktem Maße was über Heinrich Mann und das französische und amerikanische Exil geschrieben worden ist.
[Es folgt die Bibliographie]
Dostları ilə paylaş: |