Sozial(arbeits)wissenschaftliche Anforderungen
Ausgehend vom „systemischen Paradigma der Sozialen Arbeit“ (STAUB-BERNASCONI (1998)49, demzufolge Sozialarbeit (generell als auch in ihrer gegenständlichen spezifischen Form) sowohl eine individuums- als auch eine gesellschaftsbezogene Funktion zukommt, hätte diese „als wissenschaftsbasierte Profession […] die zusätzliche Aufgabe, ihr Wissen über Soziale Probleme für die öffentlichen Entscheidungsträger zugänglich zu machen und sich in die (sozial)politischen Entscheidungsprozesse über mögliche Problemlösungen einzumischen“ (STAUB-BERNASCONI. 2002b: 11), also durchaus „normativ“ und „moralisch“ in den öffentlichen Gerechtigkeitsdiskurs einzugreifen (vgl. HOSEMANN/TRIPPMACHER. 2003).
Ein entsprechender, soziale Ungleichheit und die Empirie der sozialen Praxis einbeziehender, theoretisch-wissenschaftlicher Ansatz findet mit der soziologischen Systemtheorie allein nicht das Auslangen, zumal sich diese – so eine gängige Lesart - aufgrund ihrer äquivalenzfunktionalistischen Grundlegung weitgehend selbst behindere, das Phänomen und soziologische Grundproblem der sozialen Ungleichheit angemessen in den Blick zu nehmen (vgl. HILLEBRANDT. 2004: 30 u. 124).
Der Gewinn einer an LUHMANN anschließenden Perspektive liegt jedoch zentral darin, dass diese eine, für Theorie und Praxis der sozialen arbeitsmarktintegrativen Arbeit essentielle, hinreichend komplexe Analyse des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Individuum ermöglicht. Dies ist umso wichtiger, als ein wesentliches Spezifikum Sozialer Arbeit ihr „mehrniveaunales“ und „mehrsystemisches“ Interventionsspektrum darstellt (STAUB-BERNASCONI. 2002b: 11).
Der differenzierungstheoretische Blickwinkel bedarf aber der unbedingten Ergänzung um die Perspektive einer soziologische Ungleichheitsforschung, welche „die gesellschaftlich hervorgebrachten positiv oder negativ privilegierten Lebensbedingungen von Menschen“ (HILLEBRANDT. 2004: 119) untersucht, die die Gesamtheit der individuellen Lebens- und Handlungschancen bestimmen. Die „feinen Unterschiede“ in der Bevorzugung bzw. Benachteiligung von sozialen Akteuren lassen sich nur aus den gesellschaftlichen Machtverhältnissen heraus erklären (vgl. BOURDIEU. 1987), welche deren Verortung in „relative Positionen in einem Raum von Relationen“ generieren, die „obgleich unsichtbar und empirisch schwer nachweisbar, die realste Realität […] und das reale Prinzip des Verhaltens der Individuen und der Gruppen darstellen“ (BOURDIEU. 1998b: 48).
Die Analyse sozialer Ungleichheit seitens einer - für soziale Integrationsarbeit in Einrichtungen für Arbeitslose maßgeblichen - wissenschaftlichen Handlungstheorie benötigt somit einerseits Verständnis der Einflussmöglichkeiten der Inklusionsarbeit aufgrund ihrer spezifischen Position, sowie andererseits Verständnis darüber, „wie Formen der Unterordnung als symbolische Machtentfaltung durch Praxis legitimiert werden“ (HILLEBRANDT. 2004: 137). Unumgänglich scheint das Erkennen von Macht- und Herrschaftsstrukturen sozialer Ungleichheit als Strukturierungsprinzipien der Gesellschaft und die Thematisierung der Lebensbedingungen der Maßnahmenteilnehmer als Modernisierungsverlierer auf den unteren Positionen der Sozialstruktur.
Der systemtheoretische Versuch LUHMANNS einer Vereinigung der Idee der „Allinklusion“ moderner Gesellschaften durch Funktionssysteme mit dem Gedanken der Exklusion führt in diesem Kontext zu keinem befriedigenden Ergebnis (KRONAUER. 2002: 24). Desgleichen seien, so KRONAUER, die – vor allem in der französischen Exklusionsdiskussion unternommenen - Bemühungen der Vermeidung der Entweder-Oder-Fallstricke durch Relativierung des Bruches wenig überzeugend, zumal Ausgrenzung selbst als ein gesellschaftliches Verhältnis zu deuten sei (ebd.). Die Verbindung einer, die Verhältnisse „neutral“ beschreibenden, mit einer, diese Verhältnisse aufklärerisch kritisierenden Theorie scheint hierzu geeigneter.
Die „illusio“ der Inklusionsarbeiter
Der „Sozialen Arbeit“ geht es also darum, dass die an der Arbeitslosigkeit Leidenden ihre „erlernte Hilflosigkeit“ überwinden sowie ihre Bedürfnisse und Rechte in gesellschaftlich und alltäglich kommunizierbarer Art selbst auszudrücken in der Lage sind (vgl. BÖHNISCH/ SCHRÖER. 2002: 160).
Auf dem Feld der Inklusion und Integration findet jedoch ein ungleicher Kampf um die gültigen Werte, respektive Spielregeln, statt, der sich vor allem in der massiven Rückdrängung des „Sozialen“ zu Gunsten des „Ökonomischen“ niederschlägt. Dieser Kampf setzt sich bis ins jeweils individuelle „personale System“ der „Inklusionsarbeiter“ fort, die sich in ihrer Berufsethik völlig widersprechenden Handlungssituationen und -vorgaben wieder finden. Selbst bei hoher Arbeitszufriedenheit, wie sie z.B. im hier präsentierten Projekt A vorliegt, werden die gesellschaftlichen bzw. polit-ökonomischen Rahmenbedingungen als Bedrohung erlebt, gepaart mit der Erfahrung einer Front der Ignoranz gegen ihre Erfahrungswerte und ihr Expertenwissen.
BOURDIEU zufolge benötigen alle, sich in entwickelnden Gesellschaften ausbildenden, autonomen Felder eine, ein „geheimes Einverständnis“ zwischen den Handelnden im jeweiligen Feld stiftende, „illusio“ (BOURDIEU 1998c: 68).50 Die „illusio“ der Inklusionsarbeit wäre demnach deren Einsatz im „Spiel“ des „arbeitsmarktpolitischen Feldes“, verbunden mit dem Glauben, dass dieser sich lohne. Ohne bestimmtes „Interesse, das immer eine Verkennung der realen Verhältnisse produziert“ (BOURDIEU. 2001: 128), also ohne „jene besondere Glaubensform der illusio“ (ebd.) hätten sie ihre Versuche, auf dem arbeitsmarktpolitischen Feld Fuß zu fassen, nicht gewagt. Diese „illusio“ steckt in der Verbindung von Habitus und Feld, sodass der Habitus selber das mitbestimmt, was ihn bestimmt“ (BOURDIEU. 1985: 75), wobei die „sozialen Akteure […], vermittelt über sozial und historisch zu Stande gekommene Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien, aktiv die Situation, die sie bedingt [bedingen]“. (BOURDIEU/ WACQUANT 1996: 170).
Tatsächlich bestehen die Abhängigkeiten und Machtverhältnisse, denen Soziale Integrationsarbeit unterworfen ist, auf diesem arbeitsmarktpolitischen Feld weiter. Die „illusio“ im Sinne des Eintritts in das Feld bzw. Spiel, durchaus mit der Intention nach Veränderung desselben, impliziert paradoxerweise bereits die Anerkennung dieser herrschenden Verhältnisse. Gleich der „illusio“ der Studentenbewegung, deren pragmatische Exponenten sich Ende der 1960er-Jahre auf den „langen Marsch durch die Institutionen“51 begaben, gelangen nunmehr die auf dem arbeitsmarktintegrativen Feld mit Engagement angetretenen Inklusionsarbeiter zwangsläufig in einen Zustand der „Desillusionierung“ - sofern sie sich ihre institutionell bedingten und handlungsbezogenen Unfreiheit, ihres mangelnden Zugangs zu den erforderlichen Machtressourcen und ihrer eigenen Machtlosigkeit bewusst werden.
Würde eine diesbezügliche Reflexion in praxi Verstöße gegen die „herrschenden Spielregeln“, wie etwa „die Dinge explizit beim Namen zu nennen“, nach sich ziehen, wäre ihre Position aufgrund der tatsächlichen (Deutungs-)Machtverhältnisse auf diesem Feld massiv gefährdet bzw. würden ihren „Feldverweis“ heraufbeschwören. Viel mehr noch trifft diese Unfreiheit den noch wesentlich machtloseren, zum Mitspielen „verpflichteten“ Arbeitslosen, den der mangelnde Zugang zu „Wahrheiten über die soziale Welt“ und die noch größere institutionelle Abhängigkeit von feldeigenen „Sozialisationsagenturen“, deren „Hinterbühne“ ihm verborgen bleibt, wohl kaum zu individueller Freiheit gelangen lässt.
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