Lea Ritter-Santini: L’italiano Heinrich Mann, Bologna 1965 Übersetzt von Sabine Russ Einleitung



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152 Es handelt sich um die von Ranelli, Florenz, 1848 besorgte Ausgabe. Einige Anmerkungen in italienisch, „dov’è“ [Wo ist das?], enthüllen die Neugierde Manns für die Objekte, die sich später in überarbeiteter Form in einigen Bildern der Göttinnen wiederfinden: Bei Vasari - die Bände sind vollständig kritische Ausgaben - sucht er Hinweise zu Tizian in Venedig, zu Jacopo Palma, Giorgione, Tommaso Marini, Domenico und Andrea del Castagno.

153 In der Zeitschrift „Das XX. Jahrhundert“ (6.2.1896, S. 201-205) hatte Heinrich Mann das kunstgeschichtliche Werk des Wieners Emerich Ranzoni rezensiert: „Unsere Künstler werden durch ganz bestimmte künstlerische Offenbarungen des Mittelalters befruchtet“, schreibt er und knüpft die exklusive Hingabe an Maler wie Giotto, Perugino und Botticelli, sowie an eine Phase „der Ermüdung und des Leidens“. Das florentinische 15. Jahrhundert und die Primitiven sind die Großen, Abwesenden, denen die Bewunderung der Generation des Fin de siècle gebührt, wenn es sich nicht überhaupt um „verwandtes Selbstmitleid“ handelt.

154 3 Badende Frauen: „Aber alles was die Renaissancezeit von der Kunst des Malers verlangte: Bildnis, Religiöses und schönes Fleisch“ notiert innerhalb einer Beschreibung von Karl V (es handelt sich um das Gemälde Tizians al Prado) und „Francesco Maria delle Rovere, Herzog von Urbino (Uffizien) hat eine gebräunte fettlose Haut.“ Die Fahne der Cronaro mit drei Leoparden (sicher nützlich bei der Niederschrift der Novelle Die Königin von Zypern) geht, in diesen Notizen fast unleserlich, dem Tempelgang der Mariae voran: „In dieser großräumigen venetianischen Architekturphantasie, die einer Darstellung religiösen Inhaltes als lichter, herrlicher Rahmen dient, sehen wir den Weg gewiesen, auf dem später Paolo (H.Mann gebrauchte immer den Namen Paolo, um Paolo Veronese zu benennen) weiterschritt.“ Il Re di Cipro war im übrigen das hypothetische Werk Andrea Spirellis im d’annunzianischen Piacere. Der Diskurs der Chimera war wieder einmal dem dekorativen Flaubert entliehen. (Vgl. E. De Michelis, Tutto D’Annunzio, Mailand 1960, S. 90).

155 Vgl. D’Annunzio e le arti in E. De Michelis D’Annunzio a contraggenio, Rom, 1963, S. 215.

156 „Ich habe ein eigenes Genre entdeckt, ich nenne es heimlich: die hysterische Renaissance! Moderne Ärmlichkeiten und Perversitäten verkleide ich und schminke ich mit so überlegener Geschicklichkeit, daß sie an dem vollen Menschentume des Goldenen Zeitalters teilzuhaben scheinen. Ihr Elend erregt kein Widerwillen, sondern Kitzel. Das ist meine Kunst.“ Das ist die Explosion des unbefriedigten Jacobus Halm, des Erfolges seiner Mode (Göttinnen, S. 359).

157 „Man macht sich nur allzugern Illusionen über die Liebe eines Künstlers zu einer Frau“, schreibt Heinrich Mann aus einem Text Kassners (Die Mystik, die Künstler und das Leben, Leipzig 1900) ab und fügt sie zu den Notizen über Vasari. „schlimmer, man glaubt es mit Leidenschaft. Entweder ist die Frau stärker als der Künstler und in ihren Armen wird der Künstler zum Mann, wird erhoben oder verfällt, der Fall ist menschlich geworden und der Künstler ist nicht länger interessant. Oder die Frau wird zur Muse und zum Spielzeug des Künstlers. Man denke an Hélène Fourment von Rubens. H. Fourment wurde leicht unter den starken Händen Rubens; er läßt sie hinknien wie ein Engel vor eine Madonna auf dem Thron, er entkleidet sie und, die schlafende Nymphe, zieht den Faun an. Für die Psychologie des Künstlers ist auch das ein Fall von sekundärem Interesse.“ Der dritte ist der, den Heinrich Mann in Jean Guignol und Pippo Spano darstellt.

158 W. Rehm: Das Werden des Renaissancebildes in der deutschen Dichtung, München 1924 und Der Renaissancekult um 1900 und seine Überwindung, in „Zeitschrift für deutsche Philologie“, 25, S. 298.

159 „Sie kommen zu uns aus unzählbaren und verschiedenen Teilen, realer und lebendiger als Menschen, die uns mit den Ellenbogen in die schmale Gasse drängen. Wir können uns verbeugen, um die Tiefen ihrer uns folgenden Pupillen zu suchen, und um die Worte, die sie uns sagen wollen, von den Krümmungen ihrer eloquenten Lippen, zu erraten. Manche sind tyrannisch wie herrische Geliebte und sie halten uns lange unter dem Joch ihrer Macht. Andere präsentieren sich ganz in einen Schleier gehüllt wie die Jungfrauen, oder wie fest umwickelte Kinder. Und nur derjenige, der die Bänder lösen kann, kann sie zum perfekten Leben emporheben.“ (D’Annunzio: Il fuoco, Edizioni dell’Oleandro, 1933, S. 13).

160 Es ist leicht, an Parallelen der visiblen Technik W. Heinses und an die Gemäldebriefen zu denken: „Tizian hat den wesentlichen Theil der Mahlerey, ohne welchen alles andere nicht bestehen kann …“ oder sich „nach den toskanischen Gerippen am venezianischen Fleisch“ zu ernähren. L’Ardinghello befindet sich in der Bibliothek Manns: die Vorstellung seines „Kraftmenschen“ ist von der Minervas ersetzt.

161 Göttinnen, S. 340-343 [Minerva, S. 96-97] Der in Purpur gekleidete Affe neben dem Strauß, von Carpaccio gemalt, sowie die Einzelheiten der Kleidung der Pagen, korrespondieren mit den Zitaten der Goncourt, L’Italie d’hier, die auch die Seidenkordeln skizzieren, die die Samtberrette halten und darüber hinaus die „geistreichen Bemerkungen“. „Voyez les peintures du carnaval par Tiepolo, les mémoires de Gozzi, Goldoni, Casanova, le voyage du Président de Brosses, et surtout les quattre volumes de meier, 1795 - au dix-septième siècle, Amelot de la Houssaye, Saint-Didier, etc.“ Wortwörtlich von Mann übernommen haben sie seine Neugierde bezüglich der Sitten und Gebräuche der venezianischen Gesellschaft erregt, deren Kunstwerke er studieren wollte. Im Archiv von Berlin befindet sich noch ein Bündel Notizen, die aus Les Femmes blondes selon les Peintures de l’Ecole de Venise par deux venitiens (M. Armand Baschet und Feuillet de Conches), Paris, Aubry (Archivnr. 488, TNI) exzerpiert sind, Auszüge über die Geheimnisse der „blondschimmernden Kunst“ und der Verbindungen der berühmten Farbe, die als Vorrecht der Kurtisanen erkannt wurde. „Enfin, l’arte biondeggiante retomba dans le domaine de Venus meretrix, ce fu l’affiche de la Courtisane. L’arte biondeggiante a forza di tinture - dit le Guasco - era eziandio un indizio d’anima lasiva.“ Mathieu Rader: „Matronae honestiores, comam nigram alebant; flavam, lupae“, unterstreicht Heinrich Mann fleißig und verweilt auch auf den gleichen Qualitäten der Reine Margot (dieselbe, die sich 35 Jahre später in seinem Henri IV wiederfinden wird). Er amüsiert sich, sicherlich mit dem Ziel sie zu benutzen, und nimmt die Verse über Louise de Bérenger de La Tour auf, um sie als humoristische Apposition einer Figur zu benutzen: Le poil dorè, clair et luisant, / Lui fait un front beau et plaisant / A Louise, est sien, comme on dit! / Ce qu’est vray, car j’estois présent / Quand le marchand le lui vendit.

Die Art und Weise, sich das Haar in der „cuisant“ Sonne zu färben, mit der Tollkirsche oder dem „schiavonetto“, die Ratschläge, die göttliche Schminke „die eine Frau derart schön erscheinen läßt, wie häßlich sie auch sei“, die Namen der kostbaren Stoffe und Anektdoten über Perlen und die venezianische Leidenschaft für die Perlen, notiert und verwendet Heinrich Mann in seinem Mosaik (Teile aus Les Femmes blondes sind in den Göttinnen, S. 342, eingebaut: „und die dachten an die vielen Stunden der Qual auf den hölzernen Terrassen hoch über ihren Palästen, wo sie von der brennenden Sonne die blonde Tinktur an ihren Haaren trocken ließen …“)

Zur gleichen Zeit der Materialsammlung für die Göttinnen entstand eine noch unveröffentlichte Novelle, Die Königin von Zypern, deren Manuskript sich im Archiv von Berlin befindet. Während er den zweiten Teil, Minerva, des Romans niederschrieb, bewegte sich Heinrich Mann in dieser inspirierenden, malerischen und pompösen Sphäre der späten venezianischen Renaissance: für die Novelle ist das Bildnis der Caterina Cornaro von Tizian als Modell sicherlich nicht unbekannt. Eine komplette und einzigartige Bibliographie könnte man sicherlich aus den vom Autor genutzten Quellen erstellen, die er für Diana, Minerva und Die Königin von Zypern herangezogen hat. Es genügt an dieser Stelle, die Werke zu notieren, die dokumentiert und verglichen auf eine gewisse Art nachprüfbare Elemente im Werk hinterlassen haben: Lucrezia Marinella: La nobiltà et excellenza delle donne co’ difetti e mancamente degli uomini, Discorso 1621; Dello specchio di scientia universale e dell’ecc. dottore et cavalier Leonardo Fioravanti, bolognese, III Bücher, Venedig 1564; Il tesoro della vita umana, 1574; Il compendio di secreti razionali intorno alla medicina, chirurgia e alchimia, 1675; De caprici medicinali, Ven. 1; Père de Coste Viés et eloges des dames illustres; Bérenger de la Tour: Le siècle d’or et autre vers divers, 1551; Coquillart: Le monologue, les perruques ou le gendarme; Feuillet de Conches: Causeries d’un curieux; Ludovico Dolce: Dialogo piacevole nel quale messer Pietro Aretino parla in difesa di male avventurati mariti, Venedig 1542; Fabri Alexandri Patavini: Divorsorum nationum ornatus cum suis iconibus, Padova 1593; Bernardo Giambullari Fiorentino: El sonaglio delle donne, in Versen; Gli ornamenti delle donne tratti dalle scriture d’una Reina greca, für M. Giovanni Marinella, Venedig, 1562; Cesare Vecellio: Habiti antichi e moderni, Venedig, 1589; Le songe de Poliphile (franz. Übers., Didot, 1804); P. Aretino: I ragionamenti; Agnolo Firenzuola: Discorsi della perfetta bellezza delle donne, Mailand 1802; Dialogo di Nicolò Franco dove si ragiona della bellezza, Alla Ecc.ma marchesa del Vasto, Casal Monferrato 1542; Sperone Speroni: Dialoghi; Vincenzo Marchese (Domenikanerpater): Memorie dei piú insigni pittori scultori e architetti domenicani, Florenz Lemonnier 1854; D. G. Rosetti: Il mistero dell’amor platonico del Medio Evo derivato da misteri antichi; Ortensio Lando: Forcinae Quaestiones, ital. übers. Paoletti, Venedig 1857; Antonfrancesco Doni: I marmi, Florenz 1863; Romanini: Storia di Venezia; A. Philippi: Geschichte des Freistaates Venedig; Flavius Philostratus: Imagines, in 2 Bänden, Statuae, Jacob u. Walcker, Leipzig 1839; Bertrand: Un critique d’art dans l’antiquité, Paris 1882.

Heinrich Mann kannte sicherlich I ragionamenti und die Briefe Aretinos, teilweise übersetzt in einem Buch, das in der Bibliothek von Berlin noch erhalten ist: Italienischer Hurenspiegel. Dabei handelt es sich um eine Sammlung der Schriften Aretinos. Ob Heinrich Mann die Werke Ferrante Pallavicinos nur gelesen oder aber auch besessen habe, ist heute leider nicht mehr festzustellen. Sie werden allerdings in den Notizbüchern zitiert. Zwischen den für die Kapitel der Minerva genutzten Quellen befinden sich im Nachlaß noch seitenlange Abschriften Heinrich Manns aus dem Werk Cicognas Le iscrizioni veneziane, das Geschichten und Biographien enthält, sogar einige Notizen über Anekdoten der venezianischen Familie Grimani. Ungefähr vierzig Seiten des Notizblockes befassen sich mit den Ereignisse der Grimani vom 15. bis Mitte des 18. Jahrhunderts. Domenico Grimani, 1479 zusammen mit Cesare Borgia zum Kardinal ernannt, wurde von Vittore Carpaccio porträtiert. Nach dem Hinweis Molmentis (Die Venetianer) hatte sich Heinrich Mann dieses Buch vermerkt für seine Informationen über den Zyklus von Sant’Orsola (VI., Die Ankunft in Rom). Es folgen Notizen- vielleicht von der Hand Christl von Hartungens - aus Prinz Eugen von Arneth, über Ereignisse und Figuren der Familie Grimani. Später finden sie sich als Ahnen der Herzogin von Assy wieder und als Erinnerungen der venezianischen Familie Dolan.



Andere herangezogene Quellen, deren Spuren geblieben sind: F. G. Krause: Die Byzantiner des Mittelalters in ihrem Staats-Hof und Privatleben, insbesondere vom Ende des 10. bis gegen Ende des 14. Jahrhunderts, Halle 1809; Augustin Marrast: La vie byzantine au VIe siècle, Paris 1881; F. W. Unger: Quellen der byzantinischen Kunstgeschichte, Wien 1878; C. Bayet: L’art byzantine, Paris 1883; E. Gebhart: L’Italie mystique. Histoire de la renaissance religieuse au moyen age, Paris 1892; L.C. Pascal: Histoire de la maison royal de Lusignan, Paris 1896; C. Sathas: Vie des Saints allemandes de l’Eglise de Chypre, Genf 1884.

162 Das ist die ganz laizistische Madonna John Ruskins.

163 Giovanni Bellini ist „der größte Psychologe unter den Venezianern“, Katalysator der Empfindungen. „Ich kenne nur eine Aristokratie; die der Empfindungen. Gemein nenn ich jeden, der häßlich empfindet. [Das ist übrigens die gleiche Definition des Bürgers!] Stellen Sie einen Unbekannten vor eine Madonna des Bellini: es wird sich entscheiden, von welchem Stande er ist.“ (Göttinnen, S. 550).

164 Das Grab Canovas und die Kälte dieses Bildes ist von Taine beschrieben worden, zusammen mit anderen berühmten venezianischen Gräbern, während seines Besuches in S. Maria dei Frari: „un genie nu […] qui soupire, la tête tendrement penchée, comme le jeune Joseph de Bitaubé“ (Voyages en Italie, II, Venise, S. 286). Der Genius mit der gelöschten Fackel Canovas wurde von Giuseppe Fabbri von Bassano um circa 1872 geschaffen. Der Neoklassizismus stört die „koloristische“ Einheit der symbolistischen Entscheidung und läßt sich nur durch den Jugendstil-Geschmack erklären.

165 „Blond, weiß, fett“, sind die Adjektive, die Gozzi zur Definition des venezianischen Schönheitstyps nutzt und den Gautier in seinen Voyages (S. 161-162) in Italienisch zitiert. Heinrich Mann, aufmerksamer Glossator und Nutznießer der Reisen Theophiles, kennzeichnete sich die drei Adjektive, die wir dann genau in der Beschreibung der von Veronese gemalten typisch-venezianischen Schönheit wiederfinden: „blonde, weiße, fette Märtyrerinnen“, in der identischen Nachfolge Gozzis und Gautiers. Man kann sich keine größere „kulturelle“ Treue wünschen.

166 „Frauen, die sich mit Sternen krönen“ ist das gleiche Motiv, das D’Annunzio in Il fuoco benutzt: Venus, die Ariane krönt.

167 „blaues Silber“ ist ein rekurrentes Adjektiv, das Mann notiert und mit dem Gautier die Beschreibungen der Bilder Veroneses schmückt.

168 Die Kreuzigung Tintorettos, die längste und genaueste Beschreibung „zum Raten“ dieses Teils des Romans, besetzt einen wichtigen Teil der Reise Taines. Heinrich Mann und Taine haben sie in der Scuola di S. Rocco gesehen: „die rote Kreuzigung“, den Unterton hatte Taine mit „rougeâtre, rosée, rousse“ übersetzt (La Peinture vénitienne, a.o.O., S. 373). Das optische Zitat ist allerdings aus zwei Bildern entstanden, wovon nur der erste Teil der Kreuzigung aus der berühmten Schule von S. Rocco entstammt, während die folgenden Einzelheiten die genauen Details der ersten Kreuzigung aus der Galleria dell’Accademia, wiedergeben, die chronologisch der berühmteren und beeindruckenderen Scuola di S. Rocco vorausgeht. Das diese akkurate und äußerst lange Beschreibung in Teilen mit der präzisen visiblen Erinnerung korrespondiert, ist für den Autor ausgesprochen wichtig und hält in hoher Intensität ein Leben lang. Man kann dies aus den Seiten seiner hervorragenden Autobiographie, Ein Zeitalter wird besichtigt, entnehmen: „Das beste war immer, bewundern, das heißt lieben zu können. Ein inspirierender Augenblick, Scuola di S. Rocco, die Kreuzigung des Tintoretto. Es war nicht die Frage, ob es das außerordentlicheste Bild war: ein Augenblick des Glücks war es jedenfalls und beglänzt ganze Jahre des Lebens.“ (S. 440)

Das Archiv in Berlin bewahrt noch einige Reproduktionen der Werke auf, die Heinrich Mann teuer waren. Es fehlt die Kreuzigung, aber es finden sich Das Abendmahl im Hause Levi von Veronese, die Fresken Giulio Romanos im Palazzo del Te in Mantua und eine Reihe von Details der „Stanze della segnatura“.



169 Wollte man sie an diesem Ort aufführen, wäre die Streichung vieler Teile dieser Arbeit erforderlich. Ein Beweis dafür ist der Monolog Minervas. U. Weisstein hatte es aufgrund der deformierten Namen zweier Figuren, Paliojaulai und Tintinovitsch, intuitiv geahnt: Es handelt sich um die visiblen Komponenten der Beschreibung eines symbolischen Gemäldes in Diana. Aber den Kritikern war das Gewimmel figurativer Zitate entgangen, die sich aber alle in einem -relativ - einheitlichen Kulturraum bewegen. Heinrich Mann ist dem geographischen Ambiente treu ergeben und verrät diese Tugend in keinem seiner Romane. Viel schwieriger ist es, das „anonyme Zitat“ eines Ortes aufzudecken, einer Villa, eines Palastes oder eines Gemäldes, das einem „anderen“ Milieu angehört. So stimmt die Villa von Castelfranco in Venus exakt mit der Villa Corner Revedin Bolasco von Castelfranco im Veneto mit ihrer Allee der „verspäteten Gäste aus Stein […]“ überein. „[…] in eine Toga gekleidete Männer, mit auf die Hand gestütztem Kinn, Damen […]“ und die Säle des venezianischen Palasts sind teilweise die eines anderen venezianischen Palastes, teilweise aber auch manipulierte Rekonstruktionen der Säle des Herzoglichen Palasts. Auch die römische Topographie ist von extremer Genauigkeit. Die Kontaminationen sind viel einfacher in den Beschreibungen der Gemälde oder Zusammenstellungen herauszufiltern, auch wenn auch in diesen Fälle, die originale Sphäre respektiert ist. Für die Beschreibungen der Villen und Orte in Minerva, sowie den figurativen Vergleich siehe: G. Marzotti: Ville Venete 2. Aufl., Bestetti, Rom 1962, (S. 448-449, Illustrationen S. 623-626); für die von Paolo Verones beeinflußten Inspirationen: Palladio, Veronese und Vittorio in Maser, Einführung von B. Berenson, Verleger Aldo Martello, 1960. Bezüglich Paolo Veronese hatte Heinrich Mann Charles Yriarte, Paul Véronese, Paris 1888, konsultiert und adaptiert. Das berühmte Buch Molmentis in der von M. Bernhardi übersetzten deutschen Ausgabe (Die Venetianer, Hamburg 1856) und erneut aus Yriarte, der vieles über Veronese publiziert hatte (Paul Véronese au Palais Ducal de Venise, in „Gazete des Beaux Arts“ 1891; La vie d’un patricien de Venise, 1874) hatte Heinrich Mann Informationen und ambientale Ankedoten gezogen.

Auch Paolo Veronese wird „öffentlich“ zitiert, aber nie in Verbindung mit seinen Werken, die statt dessen als originale Dekorationen des Ambientes präsentiert werden. Die erneuerte Verwendung bleibt allerdings der Charakterstika von Figuren und auf Vorbilder zurückgeführte Ausdrücke vorbehalten. Die Verwendung, die nach der „Entdeckung“ der Eltern Adrian Leverkühns im Doktor Faustus eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Es ist unstrittig, daß diese Technik auf die Jugendphase „álà Goncourt“ der Brüder zurückgeht. Für die Werke des italienischen Ambientes - ihr Zyklus schließt sich mit der Veröffentlichung des Untertan -, über die Göttinnen, die Novellen und Zwischen den Rassen hinaus, bediente sich Heinrich Mann des Materials der Kunstwerke aus den Museen, das heißt Vorlagen oder Vermerken im besonders italienischen Ton und Stil. Er vermerkt sich als eventuelles Modell das Gesicht der Kurtisane Barbara von Domenico Puglio und der Heiligen Barbara von Palma d.Ä. „Die h. Barbara ist Violante, seine Tochter.“ Zur Signora Gina de Grandis hat er ein Bild der Madonna von G. Bellini benutzt (in der Chiesa dei Frari), für Celia Dolan wiederum eine Madonna von Bellini (die Madonna der Bäumchen), für das „Portrait“ Violantes (das der Maler Jacobus Halm malen sollte) die Flora von Tizian. Für einige heidnische Bilder der Geschichte der Venus, dienten Feuerbach und Lenbach, aber nur in stilistische Anmerkungen, niemals in präzise Beschreibungen. Für die Komposition des „panischen“ Teils der Venus, besteht die Collage aus Figuren des Romans, die das Verhalten und die Ausdrücke der Referenz-Situationen des Baccanals von Tizian, in besonderem Maße des Baccanals für Alfonso d’Este (Nationalgalerie in London), übernehmen, wenn sie nicht direkt aus symbolistischen Bildern der Lyrik Régniers entnommen sind: Zentauren und Satryre zusammen mit den Nymphen, können in Worte übersetzt, die optischen Assoziationen mit den philologischen verwirren.



170 Die Besorgnis des Bühnenbildners verrät sich in den Einzelheiten, die in Minerva eine zentrale Funktion übernehmen: der Saal der Juno (es handelt sich um den Saal von Luca Giordano im Palazzo Medici); das Boudoir der Isabella d’Este ist ebenfalls als mögliches Modell vermerkt worden. Realisiert wurden allerdings die Beschreibungen einiger Statuen, die G. Lorenzo Bernine und Cellini zugeordnet werden. Darüberhinaus werden die Möbel, die den Ambienten ihre typischen Züge verleihen, nicht vernachlässigt.

171 Eine weibliche Figur, Diana liebkost einen eleganten Windhund, wird Heinrich Mann Jahre später während eines Besuchs der Villa Maser faszinieren: die Notizen bestätigen die Information über Palladio und die Villen Vicenzas in den Jahren der Materialsammlung für die Göttinnen.

172 Th. Mann spart in den Betrachtungen nicht an Kritik dieses Schönheit-Kultes, den er schon in Tonio Kröger verachtend betrachtet hatte, und löst eine vernünftelnde Polemik vor allem im Kapitel „Ästhetizistische Politik“ aus, gegen die figurative Preziosität, „das schwärmte für dick vergoldete Renaissance-Plafonds und fette Weiber, das lag mir in den Ohren mit dem starken und schönen Leben …“ (Betrachtungen, Stockholmer Ausgabe, S. 531) Das Giudizio Universale Michelangelos, das einer höchst moralischen Konstitution, getragen von Leiden und christlichem Skrupel, ist die Gegenposition zu Thomas’ Haltung gegenüber den zu stark vergoldeten Decken der Renaissance und den opulenten Frauen: „vu à travers un temperament“. Es ist die gleiche Opposition auf der Thomas beharrt, sehr gefällig, gegenüber D’Annunzio: „Eine Weltanschauung und Kunstübung, die mir fremd, feindselig, gewissenlos, oder um das dekorative Wort dafür einzusetzen, ruchlos erscheint …“ (Betrachtungen, S. 529).

173 „Da prangte der untadelige Schauspieler, der den Perseus gab, und trug die finstere Schönheit des Medusahauptes in jeder Geste gen Himmel, die ihres wahren Mörder würdig gewesen wäre, und die er nicht gefunden hatte. Judith, gedrungen und dunkel sah gar nicht hin, wie der fürchterliche Kopf zu ihren Füßen sich verzerrte. Aber sie selbst war der Täter …“ (Jagd nach Liebe, S. 487). Der Roman Jagd nach Liebe („dieses Buch ist gänzlich mißverstanden worden. Man hat es auch für einen Erguß der Sinnlichkeit gehalten: es ist mehr“, schreibt Heinrich an Ines Schmied am 25. Juli 1905) wird verständlich, wenn man ihn in den Kontext der Göttinnen und der Novellen stellt. Wieder ist es die „belle dame sans merci“, grausam und unmenschlich wie ein „Kunstwerk“, die nichts mehr von der Minerva hat, sondern statt dessen im nietzscheanischen Widerspruch des „Komödianten“ lebt.

174 „Claude fühlte sich beschämt von diesen stärkeren, wärmeren Menschen, die nicht zersetzt waren durch Verstehen, die nur dachten, solange sie sprachen, die nicht mit schmerzlicher Kleinlichkeit das Werden ihres inneren Schicksals verfolgten, sondern bei denen alles von draußen kam […] Sie waren nicht mit ihrer durchsiebten Seele allein. Nicht in einsamem Verstehen gingen sie dem schweren Tod entgegen. Auch er war eine Laune von draußen.“ (Jagd nach Liebe, S. 496).

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