Ludberga bis 23 95


Monolog eines Zartbesaiteten



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Monolog eines Zartbesaiteten



Ich sitze am Flügel und spiele, die Finger eiskalt – totgespielt. Im Krampf zucken sie, drücken die Tasten immerfort und können nicht einhalten. Sie dürfen auch gar nicht, denn das Publikum ist heilig. Sitzen da auf ihren fetten Hintern, faul, dumm, arrogant und verwöhnt. Ahnen nicht, welch ein Kampf sich hier abspielt, was für eine Qual die Hürden und kleinen Gemeinheiten des Komponisten bereiten. Nur in Trance zu überleben möglich, eingelullt in die himmlischen Klänge, berauscht vom Tempo der Rhythmen. Würde auch nur ein winziger Fehler unterlaufen, wenn beispielshalber der kleine Finger der linken Hand die richtige Taste nicht ganz träfe – eine Katastrophe! Die Melodie zerstört, der göttliche Lauf unterbrochen, die folgenden Töne aus dem Gedächtnis getilgt. Was helfen da Noten? Nichts, deshalb sind sie auch gar nicht verfügbar. Diese kleinen schwarzen Tyrannen, die unerbittlich und stur auf ihrer Wahrheit beharren. Ein falscher Ton – mit keiner Brücke der Welt zu überwinden. Von allen sofort gehört, auch wenn die sonst gar nichts hören, dieser EINE dröhnt in ihren Köpfen wie Donnergrollen. Und sie fordern immer mehr: schnelleres, perfekteres, glanzvolleres. Quetschen mich Willenlosen aus, wie eine Zitrone; des lebenspendenden Saftes beraubt, gierig geschlürft, von tausend Ohren vergewaltigt. Je mehr ich ihnen gebe, desto mehr werden sie ergieren und ergaunern und so fort. Ein Teufelskreis. Und doch erlebe nur ich, in diesem Augenblick, meine Musik als etwas Ganzes, Einmaliges, Universales. Sie erfassen nicht das Glück und die Erfüllung des Spielers. Sind es doch nur winzige Momente einer entfernten Ahnung des Grossen, das sie mit Händen zu greifen suchen. Doch es entgleitet ihnen im Nu; ist nurmehr Erinnerung, ein sich entfernendes Wonnegefühl, entschwundener Traum. Nur wenigen ist vergönnt, an die erfahrene Hand des Zauberers genommen und in Märchenwelten entführt zu werden. Über die hab ich unzwingbare Macht. Kann sie verführen, einschläfern mit süssen Klängen, aufschrecken durch laute und quälen mit schrillen. Mit jenen räch ich mich für deren Ignoranz...
ich hoffe, Du nimmst mir meine Spinnereien nicht übel – es war etwas spät gestern! Bester, das Druckpapier ist ausgegangen! Nur 4-5 Zeilen sind durchgekommen. Ich besorge mittags neues; bitte schick mir heut abend Deinen Brief nochmals – sonst platze ich vor Neugier...

Dein Heimwehnymph.
...

Bevor ich wieder ins Wildwestgeplauder abdrifte, endlich zu Deinem allerliebsten Monolog-Briefchen. Ich bin voll der Bewunderung, vor allem über die Vielfalt Deiner Ausdrucksweise und Themen, die Du jeweils stilsicher und stimmungssicher einander anzupassen verstehst. Dein letzter Text ist vorzüglich gemeistert, zumal er der schwierigste ist, weil eine solche Gefühlslage schriftstellerisch homogen durchzuhalten äusserste Konzentration verlangt, eigentlich genau die des so schön geschilderten Pianisten; Du hast das souverän durchgestanden, nur das Wort "wütend" im Titel (inzwischen korrigiert) hätte ich etwa mit dem Begriff Zorn oder zornig ersetzt, weil sublimer und einem "rasenden" nicht zu nah; das Sätzchen "Quetschen einen..." könnte vielleicht eleganter heissen "Quetschen mich Willenlosen aus, wie eine Zitrone", weil Zitronen für gewöhnlich keinen Willen haben (korr.). Schön ist Deine Lautmalerei, die mit dem Musikthema harmoniert "süss, laut, quälen, schrillen, räche...", um nur die letzten Vokalalitterationen zu nennen. Bestens auch das hektische Tempo, das den gejagten Musikus zeichnet; nur das "sekundär" (korr.)begriff ich nicht ganz, ist es auf die später folgenden Sekunden (korr.) gemünzt, oder meint es zweitrangig, peripher, nichtswürdig oder verwandtes?

Ärmster Nymph! ich überrasche mich beim Schulmeistern, wie widerlich. Verzeih mir die angeborene Korrektormanie! Dabei empfinde ich ein so wonniges Vergnügen, Deine Texte zu lesen und immer wiederzulesen! Diese neue zarte Saite an Dir zu entdecken, nachdem man sich doch so lang zu kennen glaubt – bald mal vier geschlagene Wochen3! – ist das nicht toll?! (– würde ein Normal-Deutscher, chaibeguet! ein Luzerner, s'is a gnaad! ein Österreicher oder Cruzitürk a Wundaa! ein Bayer sagen, – oder hat hier jemand supergeil gerufen?!)

Schrecklich, ich kann einfach nicht ernst bleiben, wo's mir doch ganz ernst zumute war und ich endlich mal ein ernstes Wort mit Dir reden wollte, oder zumindest Wörtchen; nämlich jenes, das von der Frage handelt, warum Du mir solange Deine schriftstellerische Begabung und den Spass daran verheimlicht hast, vorenthalten hast, vom Munde abgespart hast, unterschlagen hast (Gott, jetzt brauch ich den Thesaurus!) ja, verschwiegen hast! Wie hätten sich unsere Beziehungen gestalten können!: in M. hätten wir uns Briefchen über die Werkbank zugeworfen, im Dachzelt hätten wir einen klappbaren Schreibtisch mitgeführt, an Meeresstränden hätten wir wie Demosthenes unsere Rhetorik durch die Brandung gebrüllt, mit kunstvoll beschrifteten Kieseln in Mund, fern von Dir hättest Du mich zu Nächtigen in Briefkästen verleitet, Du mir stündlich auf meine minütlichen Faxen geantwortet, ich hätte des Nachts in der Mauthäuslstrasse Sonette zum Balkon hinangesungen, Du mir zum Valentinstag, der übrigens morgen (bzw. heute, mein Schniegelschnagelschnuckelputzlibutzelchen, mmwphh!!!, anfällt) gesammelte Schriften in Saffianleder überreicht, ich Dir "Hundert Jahre Zweisamkeit" mit Goldschnitt zu Ostern, Du mir literarische Küsschen Küsschen zugeflüstert, stundenlange in gebundener Rede, ich Dir einen Aphorismus auf die linke Pobacke...kssss!

Siehst Du, Deinethalben alles verpasst, ganze graue drei Wochen (s.o.) lang, ohne jede Unterhaltung; wenn wir nicht das Fernsehen und jetzt das Fernweh gehabt hätten, welche Öde!

23.05; Faun.

(16) Ludbreg, Dienstag 14.2.1995; 17.00

Nymph,

ein gut Teil des Tages verging mit dem Um- und Einräumen der Zentrale und der Schaffung des neuen Atelierraumes. Ich konnte alle meine Wünsche und Ideen durchsetzen und bin’s zufrieden. Unsere Frauen wurden mit allerlei Leckereien verwöhnt, wegen Valentinstag, den ich wohl zum ersten Mal bewusst wahrnehme. Fax von Mario Ch. mit Venedigprogramm, dessen Teilnehmer ich fast alle kenne; vier Männlein, neun Weiblein, die ich da ab Freitag 7.00 zu verhatschen habe. Sie wohnen im "Giorgione" Nähe Rialto und fahren Sonntag, 14.00 wieder ab; legen ein Vermögen pro Person hin, d.h., ich muss mich anstrengen, damit sich ihnen der Spass lohnt, für so kurze Zeit.
Es regnet und Nebelschwaden ziehen triefend durch den Park und nehmen mir alle Lust, nach Haus zu gehen; meine neue Arbeitsecke ist so gemütlich wie das Netzwinkelchen einer Spinne, die unweit von mir auf widerliche Fliegen lauert, die irgend eine unzeitgemässe Brut auf uns losgelassen hat. Eigentlich wäre heute Vollmond, gestern war er noch schön zu sehen und schien mir lange und nachdrücklich mein Alleinsein vorhaltend ins Fenster.
Ich muss Dir ziemlich viel Unsinn geschrieben haben, gestern abend; zum Nachlesen fand ich heute früh keine Zeit, weil man mir mein Piepsklavier unter den Händen abmontierte, um eine neue Leitung zu ziehen. Trage mirs nicht nach, wenn ich auf so quasslige Art Dein Fernsein sublimiere, manchmal bin ich unter der Spasshaut melancholisch oder auch niedergeschlagen und beschwatzle mich selbst, um mich im Gespräch mit Dir aufzumuntern.

Weit aufmunternder ist allerdings, Dich selbst am Ohr zu haben, wie soeben, auch wenn ich fürchte, von Zagreb demnächst einen Verweis zu bekommen. Nach unserem Gespräch riefen meine Eltern an und ich fragte sie, die schwesterchenhalber einen Zähler benutzen, was denn nun die paar Minuten Tagestarif kosteten. 9.80 war die Antwort und es war gerade der Bruchteil unserer Plauderei! Also nur Morgenfax und Abendplausch – wie halt ich das aus!? Man gewöhnt sich so schnell an das telematische Naschen, dass man unversehens davon süchtig wird, man bekommt eine geschwellte Schilddüse, eine vergorene Blähbrust, ein verlorenes Hopsherz, ein gefülltes Kleinhirn, eine geschnetzelte Post-Data-drüse, gedämpfte Zwirbeln, gegrillte Engelszungen ins Mittelohr und einen so heissen Liebeshunger auf den leeren Magen, dass keine kalte Dusche und keine Vitaminpille der Welt damit fertig wird... ach, Lymph, mir ist so elendenlahm! die nächsten fünf Monate drohen eine Tortur zu werden...

Du hast wenigstens Deinen train train académique, Deinen Pflichtenstress, Deinen harten (Kollegen-) Kern, der Dich hin und wieder zu Bistro, Kino, Disco, Vino, Canto, Concerto und Teatro verführt, Leute, die eine leidlich verständliche Sprache reden, Du hast da eine Alpenkette vor der Tür, während dem Morgengespute, ja selbst eine lästige Autobahn, von der man immerhin annehmen könnte, sie verbände Kontinente, Du hast ein Bett von der dreifachen Breite meiner Couch und Du bist drin, Du hast Bücher zum Lesen und nicht nur zum Betrachten derer zungenbrechender Umschläge, Du hast eine Bettina und nicht eine Marija und selbst Pierres schlechtgelaunteste Lamentos nähme ich in Kauf gegen die Paranoia des Nachbarhundes, der siebzehn Stunden lang bellt. Deinen Wein kann man trinken, Deine Kleider bewundern, von Deiner Figur sich bezaubern lassen, Du brauchst nicht nur von Politik und Krieg zu reden, hörst gute Musik und kannst Dich mit Geschmack umgeben, kannst ungebüsst die Schule schwänzen, kannst Du – Du allein sein. Aber eben allein. Erst aus der Ferne merkt man, was man verpasst. Das Gute läge ja so nah, nur 1111 km entfernt. Minus ca.32 cm, Dich zu umarmen. Von Deinem Faun, versteht sich.

Faun, selbstverschuldeter...

(17) Ludbreg, Mittwoch 15.2.1995; 17.50

Nymphly mys,

Seit ich schon um sieben am Arbeitsplatz bin und mit Sicherheit jeder um diese Zeit Anwesende in der Küche Kaffee trinkt, erübrigen sich meine Chiffrierungen. S. kommt kaum vor acht; also kann ich meine Facsimilia unbesehen in den Äther schicken. Wie jetzt bin ich am Abend oft noch länger an meinem Schreibtisch und über die F-Nummer erreichst Du mich am ehesten, wenn Du unbedingt sündigen willst, was ich verstohlen hoffe. Ein eigenes Telefon habe ich noch nicht und es würde ohnehin am Hauptnetz hängen, also von irgendwem abgenommen, der mich dann sucht. Wenn ich um neun klingle, ist's immer von Vladka aus. Wenn mir die Sparpost schreibt, schau mal hinein, ob noch Reserven auf dem Konto sind; die zieht mir nämlich regelmässig die Telefongebühren ab, aber es kommt auch wieder was drauf...

So, das waren Wegwerfinformationen.

Nymph, ich schulde Dir eine Geschichte, ich gebe es zu. Aber diese Zwölfstundentage, an denen man gar nicht so weiss, was man eigentlich macht, sind ermüdender als Holzhacken; den lieben Gott verliert man so ziemlich aus den Augen. Trostreich zu wissen, dass auch Du mir die Fortsetzung Deiner Estrichabenteuer versprochen hast.
Soll ich Dir Alltägliches berichten? Etwa dass S. beleidigt schien, "nur" 'Restaurator consultant' oder Assistentin zu sein; also taufte ich sie mit einem lachenden Auge: "dipl.rest.conservator cosultant RCL"; der Ehrgeiz treibt so seine Blüten. Auch die anderen wollten plötzlich würdiger benamt sein, was mich verleitete, mir nur ein eher enigmatisches "con/sul." zuzulegen und basta. Aber eigentlich wäre ich hier ja ein C(onservation) I(ntelligence) A(gent) der bayerischen Denkmalpflege [schon den dritten Geheimbrief an E. abgeschickt].

Morgen beginnt mit Varaždin der Besuchsreigen, die im Lande verstreuten Depots zu inspizieren; nächste Woche geht's in Frontnähe; spasseshalber will Darvin mir einen Stahlhelm besorgen.

Freitag wird er mich zum ersten Mal vor einem Kulturmeeting aller Museen der Provinz vorführen: vielleicht muss ich tanzen und um rote Rübchen betteln; ich freue mich auf Stoff für ein Essay für Dich. Ludbreg soll dann ins Herz aller gesenkt werden; beim Ministerium brauchen wir einen Vorbettler der Nation, damit wir doch in absehbarer Zeit die drei Stockwerke ausbauen können. Dann würde unser Schloss wirklich eine imposante Institution...
Langsam bringe ich auch Ordnung in die Bude; die Putzfrau ist ein Engel; S. ist zwar kein Engel, aber Unordnung nervt sie beträchtlich. Sie hat schon manchen Kabelsalat entwirrt und Dutzende von Flaschen beschriftet, verschraubt und eingeräumt. Nur Schreiner Željko ist so geschickt und ein so guter Koch, der aus Begeisterung selber die Menüs bereitet, statt sie einzukaufen, dass man noch nicht wagt, ihm nahezubringen, er dürfte, er könnte vielleicht, sofern ihn das nicht allzu belastete, unter günstigeren Umständen mal seine Werkzeugkisten aufräumen...
Die dürre Venija, Goldengel auch sie, frisst unentwegt und wehrt sich nicht mehr, wenn man ihren Zustand als schwanger wähnt. Auch Darvin ist dürr und schwanger um die Mitte, isst aber aus Nervosität kaum mehr als die Hälfte seiner Kollegen. Ich bin nicht mehr so schwanger, aber auch noch nicht dürr, obwohl allen meinen Gürteln inzwischen ein Loch fehlt. Die Putzfrau scheint von Natur schwanger und ist alles andere als dürr und ihre Gürtel taillen sie jeweils in zwei quellende Hummelteile, die ihrer Behendigkeit jedoch kaum hinderlich zu sein scheinen; nur wenn sie sich bückt fürchtet man, sie müsse in zwei davonrollende Cervelats zerfallen...
Näbelin mis, (köstliche Variante) Du kommst offensichtlich rechtzeitig, wo ich mich doch gerade mit diesbezüglichen Zonen beschäftigte. Wegen der Feuerbach- und Böcklin-Semesterstudien habe nicht die geringste Sorge; wenn alle Stricke reissen, ist ja noch das gute alte Lexikon da...Lass Dir mit 9999999999999999999 Küssen die Arbeit versüssen und einen nichtendenwollenden als Betthupferl! mmmhphf.

(16.2.1995; 8.01/)



niem remra retedluhcsrevtsbles Nuaf

11[=23].30 Gerade habe ich die Bücher endgültig hinter mich geworfen und aufgegeben. Ich kann nicht mal was Gescheites abschreiben, geschweige denn eigene Sätzchen aus mir herausquälen. Immerhin es bleibt noch ein Abend... Vielleicht werde ich doch noch von einem Muserich geküsst, lieber wären mir allerdings deingeprüfte, "echte" meine ich, nicht nur so trocken papierene. Aber ich will Dich nicht mit meinem ewiggleichen Lamento behelligen. Habe ich Dich ja offensichtlich geschlagene 'drei Wochen' [gemeint "drei Jahre" s.o.] mit meiner Schweigsamkeit, bzw. Schreibfaulheit angeödet. Aber wie Du weisst, braucht es zum Schweigen wie zum Schreiben stets zwei. Wobei nach alter Vätersitte immer der Wegfahrende zuerst schreibt. Du bist es also, der das mit dem Schreibanfang so weit hinausgezögert hat, ausserdem habe ich befürchtet, von Dir ausgelacht zu werden. Vielleicht tust Du es auch – heimlich. Oh, nun sollte ich wohl schleunigst verstummen... Ich ahne eine schreckliche Strafpredigt Deinerseits! Dabei wollte ich Dir eigentlich was Anständiges schreiben. Was Herzhaftes zum Reinbeissen und Sattwerden. Aber damit wird's wohl heute nichts. Eine Geschichte will mir partout nicht einfallen. Du musst Dich leider mit einem (wie Du es nennst) Wegwerfbriefchen begnügen.

Sag mal, mein Lieber, gefällt es Dir eigentlich nicht in Ludbreg? Bereust Du etwa Deinen mutigen Schritt? Deine letzten Briefe schlagen einen etwas melancholischen Ton an, der mich besorgt. Auch glaube ich, zwischen den Zeilen eine gewisse Divergenz zwischen Dir und S. herauszulesen. Oder ist das alles nur eine Folge von akutem Heimweh?

Du zählst auf, was ich so an Vorteilen besässe und was Dir statt derer abgehe, vergisst aber, dass alles ohne Dich nur halb soviel Spass macht. Abends sitze ich im stillen Kämmerlein, schiebe mir ein trockenes Brot zwischen klamme Zähne und denk an Dich. Da hilft als Brotaufstrich nur die Vorfreude auf unser Wochenende... Ach, ich troll mich jetzt ins Bett... von solcherlei Geschwafel hast Du ohnehin nichts. Küsschen, Nymph.

(18) Ludbreg, Donnerstag 16.2.1995; 19.50

Nymph,

Deinen Brief mit der kroatischen Anrede legte mir Venija mit freundlichem Lächeln auf den Tisch, kaum hatte ich den Rücken punkt acht gedreht, im Glauben, es sei für heute ausgetickert. Nun bin ich im Zweifel, ob ich die (von Dir!) angedrohte Strafpredigt halten soll, oder nicht. Vielleicht mach ich’s auf die fiese Schulmeisterart: da sind also höchst unpoetische Worte eingeflossen, wie Lamento, angeödet, ausgelacht, heimlich, Anständiges, und geradezu ungeheuerlich: Geschwafel. Wie unterstehst Du Dich, Dir so vulgäre Stilschnitzer zu leisten, Du, die Du das der deutschen Sprac ökstes Ziel, nemlic scheen, ädel, ilfreic und gutt zu sein, wie saggt Dichtäär, tust muttwillich värlätzen. Du verdinnen Poklatsch linkke saitt (weill rächts is beschriftät, schreibbgeschitzt)...
Aber ich verzichte darauf, die Standpauke bis zum bittren Ende zu halten, Du würdest doch nur lachen und mich armes Mensch in noch tiefere Zerwürfnisse stürzen. Die gehen zwar nicht zu Lasten Ludbregs, zu dem ich mich noch immer bekenne, obwohl Mirela aus Zagreb, Du weisst, unsere Führerin ins ödeste Lokal der Hauptstadt, heute fest der Meinung war, man müsse uns unterhalten, nach Zagreb einladen und von der tödlichen Langeweile heilen, die uns sicher schon an den Rand des Selbstmordes getrieben habe. Wenn meine zeitweilige Melancholie durchschimmert, wie der vollrunde honiggelbe Mond heute hinter zarten Wolkengespinsten – Nymph, er ist ein arger Quälgeist! – dann nur ob der unabänderlichen Ferne von Dir. Die stach mich wie der Spelt im Haferbrei heut abend, als mich im Schloss ein Freund Željkos, Ivan, Tunnelbauer von Beruf, auf gut Bernisch ansprach und versicherte, er fahre regelmässig von Ludbreg nach Thun und wenn ich mitwolle...

Und ob ich das nicht will, Nymph; irgendwann brennt mir mal die Sicherung durch und ich steh vor der Haustür, hoffend, dann nicht nur mit der Katze ins Gespräch zu kommen... Wir würden gemeinsam das trockene Brot zwischen die Zähne schieben im stillen Kämmerlein, selbst ohne den ollen Mond, der immer zur Unzeit völlert, miammm!

In Sachen S. zwickt mich wohl meine misogyne Seite; vielleicht liegts am Übermass an Tugenden und die Art damit zu kokettieren; auch eine unpsychologisch manierierte Alleswisserei und belehrende Geschwätzigkeit, die den galantesten Kavalier erstarren lässt... Aber nett ist sie, edel, hilfreich und gut, was will der Mensch mehr (den Topos habe ich irgendwo schon mal verwendet, verzeih den Stilbruch). Sie wird Dich in M. ganz aufrichtig beschnüffeln.
Die heutige Fahrt nach Klanjec am Rande der slowenischen Berge war von einem unaufhörlichen Nieselregen begleitet und führte in unendlichen löchrigen Strassenschlaufen durch ein bräunliches Hügelland über das immer wieder Weingärtchen, Maispflanzungen und Kohlfelder gewürfelt waren. Überall die halbfertigen unverputzten Gastarbeiter-Allerweltshäusel, hie und da ein halbverfallenes, weidenumstandenes Bauernhaus, winzige schadhafte Schlösser von schütteren Jahrhundertparks umgeben und mehrfach gezwiebelte Kirchtürme über unlängst neugekalkten Schiffsleibern, denen man ansah, dass sie allmählich am Tode des Kommunismus gesunden. In vielfach gewundenen Bachbetten lag noch unglaublicher Müll, fast wie im Italien der Sechzigerjahre (und südlicher noch heute!), nur befremdlicher, weil jünger, kunststoffreudiger, konsumgeprägter und noch kaum angerostet, wenn es sich um die Karkassen ganzer Autos handelte.
Unsere Mission, der sich vier Zagreber bzw. zwei Zagrebinerinnen anschlossen (Mirela und die gescheite ältere Historikerin Doris Baricevic, die uns damals im Museum führte) begutachtete ein Fluchtdepot im Varaždiner Schloss (letzteres ist von innen und aussen wahrlich sehenswert!) und ein weiteres in einem Klosterkeller im etwa 100 km fernen Klanjec. Immer wieder verwurmter, vergammelter, überfasster und bröckelnder Spätbarock in krümelgrossen über handliche bis halbdutzendfussigen Fragmenten mit erblindeten Auszugsbildern und kecksteissigen Putten–Krüppelchen. Wir bestellten zwei hübsche dringliche Altärchen, die man im Sommer (auch mit Hilfe von Praktikanten aus B.!) wird bearbeiten können...

Vor der Verzweigung nach Zagreb lud man uns in ein mastodontisches gläsernes Kurbadehotel zum Kaffee, wo man in die quellwarmen Schwimmbäder voller fettleibiger Gummikappenträger blickte, was einem den mühsam erstrittnen Sandwich verschlug (gab es doch nur dreierlei Kuchen und noch ganz sozialistisch anmutende Galanterien). Mirela fühlte sich meiner ansichtig erneut schuldig und schwor, sie führe mich nächstmalig in die übelbeleumdetste, schummrigste und verräuchertste Kaschemme Zagrebs...

Ich fuhr, Darvin in Varaždin abgesetzt, das brave deutsche Dienstauto vors Schloss, holte den dort vergessenen Hausschlüssel und mein Beichtkistchen (sic!) und harrte bei Vladka des Neunuhrschlags, Dir am Dreiminutenhahn ein Gutenachtschmatzerl abzuzapfen.

Nun gibt es wieder keine Geschichte, Ärmste; frühestens Montag wirst Du Dich gegen Deine Tür stemmen müssen, die inzwischen aufgestauten Papierberge zurückzudämmen, die aus Deinem Elektronikwinkel ausgespuckt, die Schwelle sperren... Vielleicht ist dann eine Geschichte darunter. Vorerst aber sei versichert, wie neidisch ich auf Deine Florenz-Fahrt bin, aber auch wie sehr ich sie Dir gönne und hoffe, sie werde Dir vergnüglich. Vielleicht ist's ein wohltuender Dämpfer für meine Eitelkeit, dass nur ich Dich mit Kulturreisen verwöhnen dürfe. Mein nun in allen Belangen flügger Nymph ist schliesslich mein höchster Stolz, ist er doch nicht nur der liebste, beste und schönste, sondern auch der munterste, gescheiteste, ernsthafteste, witzigste, geistreichste, wachste, schelmischste, süsseste, zarteste, zierlichste, geschickteste, gewandteste, offenste, unterhaltsamste, treuste, ausdauerndste, freundlichste, herzlichste, mutigste, tüchtigste, begabteste, fleissigste, gefälligste, gesittetste, erzogenste, gepflegteste, reizvollste, ehrbarste, verehrteste, bewundertste, eleganteste, geschmackvollste, überlegteste, überlegenste, sinnlichste, besinnlichste, musischste, musikalischste, ideenreichste, interessierteste, interessanteste, romantischste, lustigste, lebendigste, anschmiegsamste, anhänglichste, zärtlichste, duftigste, hübscheste, knusprigste, kuscheligste, streichelsüchtigste, knutschbarste, kussechteste Nymph auf Erden. (Bring das bitte selber in alphabetische Reihenfolge...) Nur den morgenstundhatgoldimmundigsten, den schulpünktlichsten und engelsgeduldigsten lasse ich vor so viel Vorzügen als von verschwindendem Gewicht vorläufig weg.

Und da soll ein Single wie ich ungerührt in den engen Schlafsack! 23.45. Flaun.

(19) Ludbreg, Freitag 17.2.1995; 18.25

Nymph, bald verreister,

Nach Deinem Abschieds-Anruf habe ich das Schloss fluchtartig verlassen; seit drei war's so gut wie leer, wie immer an Freitagen, die ihren Namen offenbar halbwegs zu Recht tragen. Ich kam von Varaždin, wo mich Darvin an einer Sitzung aller Kulturinstitutionen der Provinz mit dem neuen Minister teilnehmen liess. Ich musste 10 kroatische Vorträge zu Theater, Musik und Museen über mich ergehen lassen, von denen ich stets nur das häufigste Wort "problema" verstand und gigantische Zahlen an Kuna, die jeder zu wenig zu haben glaubte. Darvin stellte, leicht nervös an seiner ungewohnten Krawatte rüttelnd, unser Restauratoren-Schloss vor, seine hochfliegenden Auspizien und natürlichen Geldnöte und gab unerwartet das Wort an mich. Der hiesige Urbanistikreferent übersetzte meine extempore erlogenen Grüsse der bayrischen Denkmalpflege und die Floskeln von internationaler Zusammenarbeit, grossen Plänen und Spenden, sofern der Minister seinerseits in die Tasche greife. Man würdigte mich freundlich mit Dank und der verlegenen Erklärung, Konservierung und Restaurierung unterstünden neuerdings nicht mehr dem Kulturministerium und man wüsste überhaupt nicht, wem; nun, man wolle sich umsehen und inzwischen unser Zentrum besuchen kommen... Wir waren's zufrieden, alle hatten unser Schloss-Postkärtchen eingesteckt und uns in Varaždin ignoriertes Dasein zur Kenntnis genommen; man behändedrückte den etwas raunzigen Minister, der eigentlich ein Varaždiner Schauspieler ist und nun harren wir des Segens, der irgendwann von oben kommen soll.

Im Schloss fülle ich meine Pflichtzeit mit dem Zusammensetzen von Altarteilen aus Hunderten von gefassten Holzfragmenten, die im Schutt der dazugehörigen Kirche während der vierjährigen Regenzeit gelegen hatten; eine Puzzle-Spielerei, die nicht wenig Enthusiasmus entzündet, sofern man alle paar Stunden mal zwei passende Klötzchen zusammenbringt!
19.00. Ich fürchte, das Wochenende wird lang und öd ohne ein Zeichen von Dir. Es ist zwar wieder fast sommerlich warm unter einem kristallinen Himmel und die Felder begrünen sich unzeitgemäss, doch fehlt mir die Lust, unter die Leute, oder aufs Land zu gehen. Wenn es regnen würde wie gestern, fiele es mir leichter, mein Beichtkistchen zu bespielen. Vielleicht spinne ich mir eine Geschichte, oder nehme mir vor, was mich im Morgengrauen plötzlich weckte: wie wär's, wenn ich Dir einen Streichelbrief verfasste, den Du allerdings nur wohlig in Deine Kissen gepfühlt, lesen dürftest. Oder wie wär's mit einem Kussbrief unter genauester Beschreibung aller nur möglichen Schmusereien? Was sagtest Du zu einem Liebesbrief ‘plus plus’ oder einem Anhimmelbrief mit allen Details der Bewunderung? Oder magst Du einen Essbrief, einen Musikbrief, einen Spazierbrief, einen Einschlafbrief oder einen Aufwachbrief? Wir sind uns noch gar nicht bewusst geworden, über was man alles schreiben könnte angesichts der so unüberwindlichen Distanzen und der unverschämten Telefongebühren! Das Schreiben eröffnet ganz neue Dimensionen der Verständigung, finde ich und ist ohnehin vortrefflich: es schult den Geist, verfeinert die Sprache, schärft den Witz, ölt das Gedächtnis, weckt die Schlagfertigkeit, weitet den Horizont, spitzt die Ausdrucksweise, befeuert die Gefühle, ermuntert die Phantasie, hebt die Moral, kitzelt den Humor, verjagt etwelche Düsterkeit und fördert die Vernunft, das Seelenleben und die Liebe; letztere besonders (s'wär doch schade, alles für die Katz erbrütet zu haben!).
Ein schriftloses Dasein erscheint mir plötzlich wie ein Musikus ohne Instrument, ein Künstler ohne Konzept, ein Weiser ohne Sprache. Was man sich sagt, ist im Nu verflogen, vergessen, verloren; manchmal ist es auch billig, unbewusst, ein wenig liederlich, unscharf, zuweilen gemogelt, unverantwortet, was tut's, es verweht ja sofort und hinterlässt mit der Summe der gesagten Worte ein unbestimmtes Gefühl von Inhalten, derer man sich erinnern mag oder nicht, je nach dem, ob sie angenehm oder widerwärtig sind. Aber ein einmal Geschriebenes ist immer wieder in die Gegenwart rufbar, ja, ist grundsätzlich gegenwärtig. Der Schreibende ist sich dessen bewusst und gibt seinen Worten einen dauerhafteren Klang und Sinn, als es je das gesprochene Wort vermag. Der Sprecher altert, ein Schreibender bleibt ewig jung.

Vielleicht gibt es nichts, das man nicht beschreiben könnte, auch wenn es das Wort 'unbeschreiblich' gibt; manches ist vielleicht delikat, unbequem oder ungewohnt, zu banal, zu intim oder zu gewagt – warum es nicht trotzdem versuchen?
Mit Deinen ersten Briefen hast Du zwar einen Sprung ins Ungewisse gewagt, doch den Fuss mit erstaunenswerter Sicherheit auf festen Grund gesetzt: ein märchenhaftes Terrain voller Abenteuer, entdeckungsreicher Horizonte und dem berauschenden Gefühl, die Welt mit ihren Wundern 'begreifen' zu können: was Du mit Worten anrührst, weckst, aufnimmst, gehört von nun an Dir. Mit jedem niedergeschriebenen Gedanken wirst Du reicher, weil zum älteren sich ein neuer gesellt und mit beiden, nun fixierten, sich ein neuer vollendeterer Sinn bildet, von dem aus Du den nächsten ansteuerst und so weiter... Und das Erreichte kannst Du wiederlesen, wiedererleben, verbessern, gestalten, ausmerzen, überdenken; Du hast Macht über Deine Vergangenheit und damit Einfluss auf Deine Zukunft.

Die furchtbarste Waffe, sagt man, sei die Feder. Sie ist aber auch die süsseste Schalmei und der farbigste Pinsel, das erfolgreichste Kapital, das dauerhafteste Erbe, die unverbrüchlichste Bindung, der treueste Nothelfer und, sag ich, die gesündeste Sportart. Der Mensch schreibt, also ist er.
21.00. Jetzt wäre Zeit, das Lob der Schreibschrift abzubrechen, bevor Du mich als jeder Beschreibung trotzenden Philister... beschreibst. Zeit, sich Nützlicherem zuzuwenden: jetzt sitzt oder liegst Du im Zug und ich hätte Lust, Dir, Liebste, auch wenn Unerreichbare, einen Streichelbrief zuzustecken. Den müsste ich aber erst als Kategorie erfinden; lass sehen:
Streichelbrief Adams an Eva

von späteren Vertretern des Menschengeschlechts nur im Bett, mit geschlossenen Augen (? fragende Anm.d.Red.; eckige Klammersätze halten wir für allzu emphatische Anachronismen des Autors) und vorzugsweise entspannt zu lesen:4


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