IM WELTKRIEG
Wir verließen Spanien arm wie Kirchenmäuse. Unsere Koffer mit den Kleidern und meine Reiseschreibmaschine blieben in den Händen der stalinistischen Geheimpolizei zurück. Die alten Jacken der anarchistischen Miliz tragend, mit ausgetretenen Stiefeln, so betraten wir Frankreichs Straßen. In Barcelona hatten wir uns noch — auf Kosten der Regierung — mit Brot, Wurst und Käse eingedeckt, die wir im Milizbeutel mittrugen. Mit Autostopp kamen wir rasch vorwärts, ein freundlicher Automobilist nahm uns bis nach Paris mit, wohin er zur Weltausstellung fuhr, in der Hauptstadt angekommen, gab er uns überraschend 5 Francs, um einen Kaffee zu trinken. Das taten wir denn auch und überlegten, was weiter zu unternehmen sei. Wir kannten keine Menschenseele in Paris. Die einzige Adresse, die wir im Gedächtnis hatten, war diejenige der P.O.I. (Parti Ouvrier Internationaliste), so nannten sich die französischen Trotzkisten. Ihr Büro befand sich in der Passage Dubreuil. Obwohl wir mit der trotzkistischen Theorie radikal gebrochen hatten, war es doch gegeben, diese Adresse aufzusuchen, brachten wir doch eine Menge Nachrichten über die spanische Entwicklung, über im Gefängnis gebliebene spanische und französische Trotzkisten mit. Nach langem Suchen fanden wir die Passage wieder und meldeten uns dort. Der Empfang war kühl, ja frostig. Der im Büro herumsitzende Funktionär, schwarze Binde auf dem rechten Auge, stellte sich vor: David Rousset. Er interessierte sich kaum für uns und unsere Nachrichten und wies uns an, zu warten bis andere Kameraden kämen. Unter den Ankömmlingen trafen wir denn auch auf ein junges Paar, das praktisches Verständnis hatte. Die zwei begriffen sofort: fürs erste muß Quartier beschafft werden. Da hatten wir Glück, das Paar ging für 2 Wochen in die Ferien und stellte uns ihr Hotelzimmer zur Verfügung.
Bei einem zweiten Besuch auf dem Büro der P.O.I. begegneten wir Rudolf Klement, einem technischen Sekretär Trotzki's, der für unsere Informationen das nötige Interesse und Verständnis aufbrachte. Dank seiner materiellen Hilfe konnten wir die ersten Tage durchhalten. Zufällig stießen wir in der Metro auf einen Schweizer Bekannten, der uns zu unserem Erstaunen mitteilte, wir seien beide in der Schweiz von einem Militärgericht verurteilt. Nach seinen präzisen Angaben war Clara zu zehn, ich zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt. Meine Verurteilung wunderte mich nicht; jeder militärpflichtige Schweizer Bürger, der in fremde Heeresdienste eintritt, hat mit einer Strafe zu rechnen. Die Verurteilung einer Frau blieb uns ein Rätsel. Konnte auch eine Frau wegen Eintritts in eine fremde Armee verurteilt werden? Erst viel später sollten wir eine Erklärung finden. Schon nach wenigen Tagen erfuhren wir von der Existenz eines Hilfskomitees für Spanienkämpfer. Sozialistische Linksgruppen, Anarchisten, Trotzkisten, Mitglieder der P.O.U.M., die aus Spanien geflüchtet waren, hatten diese Hilfsorganisation aufgezogen. Auf diesem Komitee kamen wir mit dem französischen Anarchisten Charles Wolf in Verbindung. Wolf kam eben aus Barcelona zurück, wo er sich energisch für die von den Stalinisten eingekerkerten Kameraden eingesetzt hatte. Wolf besorgte uns in Bagneux, der näheren Bannmeile von Paris, eine alte Holzbaracke in einem kleinen Garten. Das Schrebergartenhäuschen bestand aus zwei Räumen, durch die dünnen, rissigen Holzwände pfiff der Wind, durch das Dach regnete es in den kleineren Raum, den wir pompös „Küche” nannten. Anarchistische Kameraden schleppten uns zwei alte Betten, Stühle, einen Tisch und eine uralte, wurmstichige Kommode herbei und verschafften uns auch einen Kanonenofen. Wir hatten ein Heim. Später konnten wir uns einen Primuskocher kaufen und kochen.
Auf dem Hilfskomitee, auf dem beinahe täglich Nachrichten über den Verbleib von Kameraden eintrafen, stießen wir auf unseren „Dorfnarr”. Willi war in Paris hängen geblieben, schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, als Träger in den Hallen, fand Unterstützung bei besser gestellten deutschen Emigranten. Wie immer gehörte er zu keiner politischen Richtung, war aber bei allen zu sehen und zu hören. Er wurde von all den Gruppen als gern gesehener Zaungast geduldet, er verulkte sie alle erbarmungslos, genießerisch zerpflückte er die meilenlangen Thesen der Emigrantengruppen, dichtete seine bissigen Spottverse über die Cliquenkämpfe. Durch ihn kamen wir mit zahlreichen deutschen Emigrantengruppen in Verbindung. Es gab alles in Paris: Brandlerianer, Trotzkisten in allen Ausgaben, die Gruppe Maslow-Ruth Fischer, die offizielle K.P.D., die S.A.P., die Abspaltung von der S.A.P. „Neu Beginnen”, die S.P.D.; sie alle führten ihr politisches Eigenleben, ohne wirkliche Verbindung zur französischen Arbeiterbewegung. Da wir zu keiner der Gruppen gehörten, wurden wir von allen eingeladen, über Spanien zu berichten. Dabei kam es oft zu erregten Debatten, da die Meinungen natürlich weit auseinander klafften.
Im Vordergrund stand aber doch für uns der Kampf ums tägliche Leben. Clara hatte bei deutschen jüdischen Emigranten als Putzfrau Arbeit gefunden, ich konnte manchmal irgendwo Böden spänen und wichsen oder Zimmer streichen. Der ,,Dorfnarr”, der keine feste Behausung hatte,zog zu uns und richtete sich in der Küche auf einem Feldbett ein. Nach einiger Zeit entschlossen wir uns, eine Wäscherei einzurichten. Wir sammelten im ganzen Bekanntenkreis der Emigration die Wäsche ein und schleppten sie in unsere Hütte. Fließendes Wasser gab es bei uns nicht, wir schleppten das Wasser von einer 50 Meter entfernten Fontäne herbei, zum Spülen wurde sie dann wieder zur Fontänegeschleppt. Die Arbeit war schwer und brachte wenig ein. Willi ließ mich nach einigen Wochen im Stich, ich setzte allein fort, doch mußte ich bald aufgeben. Als mir eines Tages ein farbiges Wäschestück in den Trog geriet und eine Anzahl weißer Hemden wie gesprenkelte Ostereier herauskamen, kapitulierte ich.
Ende Oktober tauchte auf dem Hilfskomitee auch unser Fritzchen Arndt auf. Er hatte Spanien verlassen, seine Fabrik war geschlossen worden. Fritzchen besaß nichts und zog zu uns; wir organisierten noch eine Matratze und er teilte den Küchenraum mit dem „Dorfnarr”. Doch Clara konnte allein drei hungrige Männer nicht ernähren. Während Monaten sahen wir keine Butter, keine Milch auf unserem Tisch, es gab Brot und Kartoffeln, Wasser und Tee. Fritzchen, ein passionierter Kaffeetrinker, marschierte jeden Tag mit einigen Centimes in der Tasche die 10 km lange Strecke bis ins Zentrum von Paris, um eine einzige Tasse Kaffee im „Maison du Cafe” zu genießen. Für die Metro hatten wir kein Geld. Im Dezember wurde es elend kalt, an den Wänden der Holzhütte formten sich Eiszapfen, die dünnen Bettdecken starrten vor Frost. Willi hielt es nicht mehr bei uns aus und verzog sich wieder nach Paris. Er fand eine Unterkunft in einem Zimmer das der Pariser S.A.P.-Gruppe tagsüber als Lokal diente. Fritzchen hielt treu bei uns aus.
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