Theorien und modelle der verkehrsmittelwahl


jugend 2.1Jugend und ihre Stellung in der Gesellschaft



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2.1Jugend und ihre Stellung in der Gesellschaft


Die Bevölkerungszusammensetzung nach Altersgruppen hat sich in allen Industrieländern in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten zu Ungunsten von Kindern und Jugendlichen verändert. Erste Anhaltspunkte über Entwicklungstrends und über die aktuelle Lage von Kindern und Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland liefert die amtliche Statistik des Statistischen Bundesamtes.5 Das Statistische Jahrbuch für die BRD wird im folgenden als Datengrundlage herangezogen. Noch um die Jahrhundertwende wies die Bevölkerungspyramide in Deutschland in den jungen Jahrgängen eine zahlenmäßig große und breite Basis auf, die sich mit zunehmen­den Alter verkleinerte. Der Bevölkerungsaufbau ähnelte einem Dreieck: Die Zusammensetzung der Bevölkerung gab der jungen Generation zahlenmäßig das größte Gewicht und der älteren Bevölkerung über 60 Jahre die Spitze des Bevölkerungsdreiecks. Die Bevölkerungszusammen­setzung hat sich bis heute weit von der Form eines Dreiecks entfernt und ähnelt eher einer „hochgewachsenen, ausgefransten Tanne“ mit einem unten schmaleren Stamm (vgl. Abbildung 2). Heute sind die Jahrgänge der Kinder und Jugendlichen nicht mehr die stärksten Jahrgänge, sondern sie gehören zu den schwächeren. „... die Anteile der Kinder und Jugendlichen sind, im Vergleich mit früheren Gegebenheiten und heutigen Entwicklungsländern, gering; die Anteile der alten Menschen sind hoch, höher, als sie je zuvor in der Geschichte gewesen sind.“ (SCHÄFERS 1982, S. 59)
Laut FAMILIENBERICHT NRW 1990 ist die Verschmälerung der Basis der Bevölkerungspy­ramide im wesentlichen auf die heute völlig veränderten Motive für den Kinderwunsch zurück­zuführen. Im Unterschied zum vorigen Jahrhundert sind Kinder heute weder finanziell noch bei der Gestaltung der praktischen Lebensvollzüge von Vorteil. Im Gegenteil: Kinder sind eine luxuriöse Investition. In einer Gesellschaft, die alle Güter nach ihrer kommerziellen Verwertbar­keit betrachtet, darf es nicht verwundern, wenn die Anzahl der Familien mit Kindern und die Kinderzahl pro Familie immer kleiner wird. Sofern sich der beschriebene Trend weiterent­wickelt, wird die sich schon heute abzeichnende Umschichtung der Bevölkerungsanteile hin zu der Bevölkerung über 60 Jahre weiter zunehmen. „Für das Jahr 2030 z.B. kann damit gerechnet werden, daß die Zahl der über 60jährigen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland fast genauso groß ist wie die Zahl der unter 60jährigen.“ (HURRELMANN 1995, S. 19) Im Unter­schied zur Gestalt der Bevölkerungspyramide am Ende des 19. Jahrhunderts läßt die Gestalt am Ende des 20. Jahrhunderts folgenden Schluß zu: Das Gewicht der jungen Generation hat sich deutlich geschmälert und das Gewicht der älteren Generation spürbar erhöht. Diese zahlen­mäßige Verteilung von Altersgruppen der Bevölkerung beim Eintritt in das 21. Jahrhundert wird (wahrscheinlich) sozial- und gesellschaftspolitische Themen beherrschen und die Verteilung der wichtigen finanziellen Ressourcen beeinflussen. Die junge Generation wird es zunehmend schwerer haben, sich (gesellschaftspolitisch) Einfluß zu verschaffen. Sie wird große Bemühungen unternehmen müssen, um die für ihre Belange wichtigen materiellen Ressourcen zu gewinnen. Dagegen wird es die ältere Generation durch ihr zahlenmäßiges Gewicht zuneh­mend leichter haben, sich die nötige Aufmerksamkeit und die nötigen Ressourcen zu verschaffen. Dies wird zudem durch die Wahlberechtigung unterstützt, so daß die ältere Generation im Unterschied zur jungen Generation effektiv Einfluß auf die Entscheidungen der Politik nehmen kann (vgl. HURRELMANN 1995, S. 19f.). Aus der Tatsache, daß Jugendliche zu jenen gesellschaftspolitischen Gruppen gehören, die Schwierigkeiten oder kaum die Möglichkeit haben, sich zu artikulieren, folgt, daß sie - sobald es um knappe Ressourcen geht - selten die Nutznießer sind. Sie stehen meistens auf der Seite der Verlierer. Von Erwachsenen, die Jugendinteressen vertreten, wird dementsprechend beklagt, daß Jugendliche keine Lobby haben (vgl. HESSISCHES MINISTERIUM FÜR LANDESENTWICKLUNG, WOHNEN, LAND­WIRTSCHAFT, FORSTEN UND NATURSCHUTZ 1995, S. 11).

A
bbildung 2: Die „Bevölkerungspyramide“ der BRD im Jahre 1994

Quelle: STATISTISCHES BUNDESAMT 1996, S. 61

Nach einer Studie von SCHRÖDER (1995, S. 36ff.), bei der Kommunen, Einrichtungen und Vereine in ganz Deutschland befragt wurden, die sich mit der Einbeziehung der Interessen von Kinder und Jugendlichen beschäftigen, richten sich die meisten Beteiligungen an Kinder im Alter von 10 bis 14 Jahren. Die Altersgruppe der älteren Jugendlichen, hier als 14- bis 18jährige definiert, werden in geringerem Umfang beteiligt. SCHRÖDER wirft als Schlußfolgerung zwei Fragen auf: „Liegt die geringe Beteiligung der Jugendlichen am mangelnden Interesse dieser Altersgruppe, die sich vielleicht stärker mit zwischenmenschlichen Problemen befaßt und umweltliche Themen zunächst in den Hintergrund treten läßt? Oder liegt es an mangelnden Ideen der Erwachsenen, mit welchen Methoden Jugendliche für Beteiligungen zu gewinnen sind? ... Auffällig ist jedoch, daß Beteiligungsformen sich eher an Altersgruppen richten, die leichter ‘handhabbar’ sind und somit auch leichter ‘steuerbar’ sind.“ (SCHRÖDER 1995, S. 48) Jugendliche sind aber die Erwachsenen von morgen, die heute schon das Recht haben sollten, ihre Meinung zu äußern und Entscheidungen zu beeinflussen, da sie diejenigen sind, die mit diesen Entscheidungen in Zukunft leben müssen.



Jugendliche sind die Zukunft.

Aus diesem Grunde sollten Entscheidungen für morgen nicht länger ohne sie getroffen werden. Mit der Argumentation, daß die Betroffenen am besten Bescheid wissen über ihre Belange, Wünsche und Probleme, sollten Interessen Jugendlicher von Jugendlichen selbst formuliert werden. „Es erscheint absurd, eine Gruppe der Nutzer von der Planung ihrer Lebensräume aus­zuschließen und über deren Köpfe nach Erwachsenennormen zu entscheiden bzw. zu gestalten. Es ist effektiver, die Zielgruppe zu fragen, als sich auszudenken, was sie will.“ (SCHRÖDER 1995, S. 51)


Der vorliegenden Arbeit liegt das Verständnis zugrunde, daß Handlungsbedarf im Bereich der Einbeziehung von Jugendinteressen in den verschiedenen die Jugendlichen betreffenden Le­bensbereiche besteht. Ein bisher sehr vernachlässigter Bereich ist der der Mobilität, an der die Jugendlichen aber in großem Umfang teilhaben. Es wird zum einen davon ausgegangen, daß das „Hineinwachsen in die Mobilitätsgesellschaft“ (TULLY/WAHLER 1996, S. 21) eines der großen Entwicklungsthemen des Jugendalters ist, welches bisher von der Wissenschaft weitgehend unbeachtet blieb. Zum anderen stellt - aus einer umweltpolitischen und generations­bezogenen Sichtweise betrachtet - die Jugend das Veränderungs- und Handlungspotential von morgen dar. Informierende Bewußtseinsbildung und Handlungsmöglichkeiten müssen hier angebahnt und erprobt werden. Mit dieser Untersuchung wird aufgrund dieser Überlegungen angestrebt, die Belange, Anforderungen und Verhaltensweisen von Jugendlichen insbesondere im Bereich der Verkehrsmittelwahl und des Öffentlichen Verkehrs zu analysieren. Hierdurch sollen sie in Zukunft stärker berücksichtigt werden können. Es ist offensichtlich, daß diese Untersuchung nur im geringen Umfang dazu beitragen kann, daß die Interessen von Jugend­lichen stärker berücksichtigt werden. Sie soll jedoch zumindest die Diskussion in diesem Themenfeld voranbringen.

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