Wenn BeraterInnen nicht mehr weiter wissen
- Integrative Supervision in Lebensberatungsstellen -
Vorwort
Der Artikel stellt eine praxeologische Gesamtreflexion über vier supervidierte Beratungsteams im Bereich Lebensberatung vor.
Neben den behandelten Ebenen und Themen in den Supervisionsprozessen werden des Weiteren die protektiven Faktoren für ein günstiges Supervisionssetting herausgehoben.
Das erste Kapitel beschreibt vorab, fast kontrastierend, aktuelle und häufig vorzufindenden Supervisionsanfragen von Einrichtungen und deren Selbstaussagen zu ihren veränderten Arbeits- und Zielsetzungen..
Als ein wesentlicher Anlass zur Auswertung eines sozialtherapeutischen Feldes der Supervision, hier die Lebensberatungsstellen, lässt sich nennen, dass eher selbstverständliche Settingbedingungen für Supervision heute einem mehr oder weniger radikalen Wandel unterliegen.
Die sehr unterschiedlichen Erfahrungen im supervisorischen Arbeitsalltag galt es zu verorten. Dabei spiegelt der Artikel auch die subjektiven Bemühungen des Autors wider, die insgesamt positive Auswertung festzuhalten um ein Maß für Differentes und für Grenzverschiebungen in der Supervision zu erhalten.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen „Psychohygiene“ mag da eine weitere Rolle spielen.
Positive Resonanzphänomene, die von supervidierten Einrichtungen ausgehen, haben in der Regel auch stimulierende Wirkungen auf die Anbieter von Supervision. Manch grenzwertiger Supervisionsprozess lässt sich so besser verarbeiten und auch relativieren.
Im folgenden Kapitel werden also die zu beobachtenden Veränderungen in der sozialen Landschaft vorangestellt und welche Wirkungen die veränderten Strukturen auf das Supervisionssetting ausüben, um dann in ihrer Gegenüberstellung Struktur- und Settingqualitäten zu beschreiben, die der Autor als grundsätzlich förderlich erlebte und sicherlich auch für manch andere Einrichtung stehen.
Es folgt eine Auswertung der Supervisionsthemen und eine Beschreibung der Zusammenhänge zwischen den Ebenen.
Wie gesellschaftlicher Wandel die Supervisionstätigkeit verändert.
Dramatische Veränderungen im Wirtschafts- und sozialem Dienstleistungsbereich schlagen sich im Dienstleistungsbereich Supervision nieder.
Um nur einige Stichworte zu nennen:
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Es werden höhere Qualitätsanforderungen an professioneller Arbeit erwartet. Die „Dienstleistungserbringer“ im „lebenslangen Fortbildungsprozess“ wenden, insbesondere im sozialen und im Gesundheitsbereich, hohe persönliche Aufwendungen an Zeit und Geld auf, oft einhergehend mit einer tariflichen Unterbezahlung ihrer Arbeit
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Neben der Professionalisierung sozialer Arbeit findet eine massive Entprofessionalisierung sozialer Arbeit statt, d.h. ehrenamtliche oder angelernte MitarbeiterInnen auf Honorarbasis übernehmen Dienstleistungen, die vorher nur von ausgebildeten Fachkräften ausgeführt wurden.
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Die Dienstleistung hat sich zunehmend mehr zu legitimieren ohne dass der zeitliche und strukturelle Aufwand der Dokumentationspflichten angemessen berücksichtigt würde
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Wegen der „Unbezahlbarkeit“ sozialer und gesundheitlicher Arbeit verstehen Einrichtungen unter „Effizientes Arbeiten“ oft nur noch die Formel; Effizienz gleich höhere „Fallzahlen“ durch kürzeren „Aufenthaltszeiten“ mal höhere Kundenzufriedenheit mal Hochglanzvermarktung. Fachliche Bedenken gehen im „mainstream“ des Kostendruckes unter.
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Ein fachlicher und kritischer Diskurs innerhalb der Einrichtung findet kaum noch statt. Hohe Anpassungsleistungen der Einrichtungen verlangen nach flexibler Konformität der Mitarbeiter.
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In einer geschlossenen Gesellschaft ist der Arbeitsplatz zu einem raren und damit kostbaren Gut für „ArbeitskraftanbieterInnen“ geworden. Unerwünscht exponierte Positionierungen einzelner MitarbeiterInnen könnten rasch zu deren Ausschluss führen.
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Es werden unbefristete Arbeitsstellen abgebaut zugunsten von Zeitverträgen. Der Planungshorizont für Mitarbeiter und manchmal ganze Teams zeichnet sich durch Offenheit und Unsicherheit ab.
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Den Einrichtungen ergeht es kaum anders. Sie stehen in Konkurrenz zu anderen und müssen sich flexibel am Markt orientieren. Konzepte wie Finanzierungsmöglichkeiten können sich von heute auf morgen verändern.
Die Anbieter von Supervision bleiben nicht unberührt vom Veränderungs- und Selektionsdruck der Gesellschaft. Immer mehr SuperivisorInnen drängen auf den Markt bei tendenziell knapper werdendem Gesamtkuchen. Um etwas vom Kuchen abzubekommen werden Anstrengungen unternommen in Richtung
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Erschließung neuer Märkte
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Professionalisierung durch Erhöhung der Ausbildungsstandards und diejenigen, die die Ausbildung schon hinter sich haben, durch Einführung diverser lebenslanger „Qualitätsbemühungen“ und „Qualitätsnachweise“
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Eigenvermarktung durch Positionierung und Spezialisierung,
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Bildung flexibler Netzwerke, Projekte und Arbeitsgemeinschaften
Auf der Ebene der Kontraktierung von Supervision spiegeln sich konsequenterweise ebenfalls die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse wider.
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So kommt es immer häufiger vor, dass per E-Mail zu einem festen Vorstellungstermin eine Reihe SupervisorInnen eingeladen werden. Selbstverständlich ist das Vorstellungsgespräch oder auch die Probesupervision kostenlos.
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Über das zukünftige Supervisionshonorar kann nicht verhandelt werden, da die Einrichtung feste Sätze zahlt.
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Auch die Zusammensetzung des Teams, sowie der Supervisionszyklus und der Supervisionstag stehen fest.
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Diejenigen, die sich als SupervisorInnen vorstellen, haben dies zu akzeptieren oder es zu lassen. Es gibt sie ja genügend.
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Supervision als fest eingebauter Bestandteil der Institution wird systemimmanent instrumentalisiert mit klaren Rollenerwartungen an alle Beteiligten
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Andererseits gibt es Institutionen, die sich gerade dadurch kennzeichnen, dass häufig diffuse und unrealistische Erwartungen an Supervision formuliert werden.
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Wenn früher 12 Termine a´ 2,5 Zeitstunden kontraktiert wurden, so wird nicht selten erwartet, dass der gleiche „supervisorische Output“ bei 4-6 Terminen á 1,5 Stunden erreicht werden soll, möglichst mit Zusammenlegungen von Abteilungen. Dann kann es vorkommen, dass bei solch einem Sitzungstermin eine Mitgliederzahl von bis zu 24 Personen anzutreffen ist, voller Erwartung, was nun in den 1,5 Std. geschehen soll.
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Supervision kann sich bei solchen Institutionen von der „superivisorischen Prozessbegleitung“ verabschieden, denn sie läuft Gefahr, zu einem ramponierten Aushängeschild der Einrichtung zu verkommen.
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Kontraktierte Themen und Ebenen wie Fallarbeit scheitern dann weniger am Unwillen der möglichen Protagonisten, sondern am Fehlen einer gemeinsamen professionellen Sprache, an nicht geklärten Teamdynamiken und Teamgrenzen, diskontinuierlicher Teilnahme z.B. durch Schichtdiensttätigkeiten, sowie an akuten institutionellen und finanziellen Krisen der Träger; um nur einige Faktoren zu nennen.
Wenn Supervision u.a. auch „verstören“ soll um neue Perspektiven, Entwicklungs- und Bewusstseinsprozesse zu ermöglichen, so bedarf es einer eigenen kritischen Würdigung, auf welchen Boden der Supervisor als „Souverän“ steht.
Als Selbständiger könnte nämlich genau das geschehen, was es in den Institutionen und Organisationen zu befragen gilt, nämlich inwieweit hat das betriebswirtschaftliche Denken den fachlichen Diskurs ablöst.
Auch der Supervisor steht in einem hart umkämpften Supervisionsmarkt, generell ist die eigene Auftragslage des Öfteren eher zu dünn als zu üppig und eigene Co-abhängigkeit ebenfalls kein unbekannter Begriff mehr.
Dies schmeichelt das Ego nicht, spiegelt aber bei vielen von mir befragten BerufskollegInnen den beruflichen Arbeitsalltag wider.
Wer in solchen psychosozialen Arbeitsfeldern arbeitet, weiß häufig über die Mühen zu berichten, eine stabile Supervisionskultur aufzubauen.
Eindeutiges Setting, klare Aufträge und realistische Anliegen an Supervision sind daher keinesfalls als selbstverständlich zu betrachten, aber Voraussetzung für die „Regelhaftigkeit supervisorischer Abläufe“.
Selbstverständlich spricht nichts dagegen, wenn Supervision als Krisenintervention oder bei Bedarf sporadisch als Überprüfung der geleisteten Arbeit angefragt wird.
SupervisorInnen sind aber in diesem Fall angefragt „das Kind beim richtigen Namen zu nennen“, ansonsten verlieren sie an Glaubwürdigkeit mit fatalen Folgen für zukünftige Supervisionsanfragen.
Eine Supervisionskultur, bei der MitarbeiterInnen, Skepsis, Misstrauen, Enttäuschung und Entwertung äußern, erweist sich bekanntlich als Schleudersitz für den neuen Supervisor, der „es nun bringen soll“, aber es dann nach einiger Zeit „doch nicht bringt“.
Dass es daneben auch andersgeartete Supervisionsanfragen gibt, deren Einrichtungen über eine gute „Strukturqualität“ verfügen, damit befassen sich die folgenden Kapitel.
Aus praxiologischer Perspektive wird in einer Art Zusammenschau Settingbedingungen, Themen und Ebenen der Supervision im sozialtherapeutischen Feld „Erziehungs,- Familien – Lebenberatung ,kurz EFL, beschrieben.
Rahmenbedingungen und Aufgabenstellungen der Supervision in den EFLs
Die hier vorgestellten Teamsupervisionen fanden in der Regel monatlich statt mit 2 bis 2,5 Zeitstunden verliefen mehrjährig und wurden regulär im Konsens aller Beteiligten beendet.
Neben allen Unterschiedlichkeiten der EFL Stellen wie, regionale Begebenheiten, Trägerschaft, Stellengröße und Teamkultur, zeigte sich für das Supervisionsgeschehen förderlich:
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Teamsupervision gehört zur Regelversorgung von Teams und wird daher selbstverständlich als fester Bestandteil beruflicher Reflektion verstanden
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Es gibt es ein hohes Maß an spezifischer Kongruenz, als Faktoren lassen sich u.a. nennen:
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Leitbild des Trägers und markantes und in der Öffentlichkeit akzeptiertes Beratungsstellenprofil; dazu lässt sich auch das aktuelle Positionspapier der Leiterinnen und Leiter aus Jan. 2003 zählen
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relative Autonomie in der Abhängigkeit, die Teams genießen Gestaltungsfreiheit innerhalb eines festgelegten Rahmens, Planstellensicherheit und Pauschalfinanzierung reduzieren absorbierende Existenzängste und öffnen so den Blick für einen überschaubaren Arbeitshorizont. Demzufolge ist die Motivation und Mitarbeiterzufriedenheit recht hoch
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Ähnlich ausgerichtetes humanwissenschaftliches Grundstudien der MitarbeiterInnen und vom Träger gewünschte und geforderte Eheberaterausbildung, die eine homogene Fachsprache ermöglichen, trotz unterschiedlicher therapeutischer Schulen
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Leitung wird als Teamleitung verstanden, die Teilnahme der Leitung an Supervision wird daher als selbstverständlich und notwendig betrachtet.
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Die Teams haben in der Regel die Größe einer Kleingruppe und ermöglichen so ein Maß an Intimität, wobei der Wunsch bei kleinen Teams nach mehr Mitarbeiter, insbesondere nach männlichen klar formuliert und auch als strukturelles Defizit formuliert wurde
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Der Supervisionskontrakt wurde mit Leitung und Team getroffen. Die Supervisionsanfrage erfolgte über kollegiale und institutionelle Weiterempfehlung.
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Auftrag und Positionierung der Supervision wurden von allen Beteiligten getragen und als verbindlich betrachtet
Als Ausgangsmaterial für die Gesamtbetrachtung der Supervisionsprozesse dienten Gedächtnisprotokolle von ca. 150 Supervisionssitzungen aus vier EFL –Beratungsstellen der letzten 5 Jahre in denen der Autor als Teamsupervisor tätig war.
Ein hypothetischer Anlass für eine Fallvorstellung
Welche Berater und Beraterinnen kennen das Gefühl nicht, wenn sie nach manchen Beratungssitzungen den Raum verlassen und der „Fall“ sie nicht loslässt.
Diffus oder auch konkret stellen sich eigene Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht ein, manchmal einhergehend mit Selbstzweifeln, ob man den Wünschen und Erwartungen der Ratsuchenden gerecht geworden oder auch den eigenen Forderungen an sich selbst.
Irgendwie kam es nicht zu einer befreienden Erkenntnis, zu einem gemeinsamen Herausfinden aus einer erlebten Sackgasse oder zu einem Innehalten in gemeinsamer Berührtheit, die vielleicht Frieden, Trost oder Hoffnung spendete.
Was war passiert? Die Beraterin geht die Stunde noch mal durch, schaut sich den gesamten Beratungsverlauf noch mal an, sammelt Hypothesen, Erklärungen, auch Rechtfertigungen und trotzdem bleibt da noch ein Rest, eher unangenehm, lästig, traurig und wütend machend, innerlich taucht vielleicht der Verdacht auf, von Klienten schon wieder auf die eigene Lebensbiografie gestoßen worden zu sein, aber diese kennt sie ja schon zu genüge. Diese müsste sie als gestandene Beraterin doch trennscharf, klar und wohlwollend im Blick haben. Allmählich taucht die Erkenntnis auf, dass die eigenen „Bordmittel“ nicht ausreichen, die Beraterin selber Beratung braucht.
An dem Punkt angekommen, wird sie sich wahrscheinlich weitere professionelle und persönliche Fragestellungen, das Team betreffend, formulieren.
Welche Teamposition nehme ich ein? Wie offen will und darf ich sein, ohne „im Regen stehen gelassen“ zu werden? Hat mein Fall im Team überhaupt Raum, wären nicht andere Themen viel wichtiger?
Erst wenn diese eigenen Fragenspektren mit einem „ja“ oder einer gewissen bangen Neugierde beantwortet werden, wird die Beraterin bereit sein, das Risiko einer Falleinbringung einzugehen.
So oder so ähnlich könnten Vorentscheidungsprozesse für eine Falleinbringung in einer Teamsupervision bei den MitarbeiterInnen ablaufen.
Fallvorstellung eine Gesamtleistung des Systems
An diesem hypothetischen Beispiel lässt sich rasch ableiten, dass eine fördernde Fallsupervision nicht nur als Einzelleistung der Protagonistin gesehen werden kann, sondern auch eine Gesamtleistung des Teams darstellt, eingebettet in einem institutionellen Kontext und Ausdruck einer Firmen und Teamkultur.
Die Qualität beraterischer Arbeit scheint eng verbunden zu sein, wie die unterschiedlichen Anliegen, Fragen und Nöte auf der Ebene der Klienten, der Berater, des Team und auf der institutionelle Ebene adäquat beantwortet werden, es also zu hinlänglich stimmigen „systemische Resonanzen“ in einem „therapeutischen Klima“ kommt.
Die Bedeutung des Teams für die Qualität der Fallarbeiten betont auch Norbert Kunze. (in: Zeitschrift Blickpunkt EFL-Beratung , Ausgabe Okt. 2002, S. 52 ff)
„.. nicht zuletzt hat das Team auch eine herausragende emotionale Bedeutung für die Mitarbeiter einer Beratungsstelle. Es ist die Gruppierung in der Zusammengehörigkeit, Wertschätzung und Schutz erfahren werden kann. Darin hat das Team eine psychohygienische Funktion ...
An einer anderen Stelle, bezogen auf die Teamebene, steht:
Die Bereitschaft und Fähigkeit des Teams und seiner Mitglieder, diese Konflikte in ihren Bedeutungen zu erkennen und auszutragen, bestimmt die Atmosphäre, die emotionale Lebendigkeit , die fachliche Leistungsfähigkeit und die innovativen Potenzen eines Teams
Beraterteams stehen also vor unterschiedlichen Aufgaben, die es ständig zu verbinden gilt.. Einerseits sollen sie als Arbeitsteams Leistungsanforderungen zielorientiert erfüllen und müssen sich daher mit Konkurrenz, Macht und mit vorfindbaren Strukturen auseinandersetzen, andererseits sollen sie aber auch in den Begegnungen innehalten können, den Blick hin und nicht abwenden auf das Beklemmende, Diffuse, sich Versteckende oder Erschreckende, ohne sich dabei zu verlieren. Dies braucht Zeit, Ermutigung und die Bereitschaft sich um ein Verstehen zu bemühen.
So wie der Berater im Beratungsprozess weiß, dass neben Rat und Trost er nicht umhin kann, Ratsuchende manchmal auch konfrontativ zu fordern, nicht gesehene Eigenanteile wahrzunehmen, so spiegelt sich diese Dynamik auch in der „Beratung der Berater“ wider.
Supervision fordert, sich für das vorgestellte Problem oder Thema zu öffnen und einen Suchprozess auf einer breiten- und tiefenhermeneutischen Ebene einzuleiten
Methodenvielfalt und Mehrperspektivität erhöhen aber auch Komplexität, die es dann im nächsten Schritt zu reduzieren gilt. Dies geht häufig nicht ohne vorübergehende Verunsicherungen und Irritationen.
Sicherlich kann Supervision Rat und Tipps, Informationsaustausch und Moderation beinhalten, es darauf zu reduzieren entspräche aber nicht der Aufgabenstellung, vor denen Berater stehen.
„Passgenauigkeit“ der Interventionen sowie eine von Vertrauen getragene Atmosphäre des installierten „Supervisionssystems“ sind Grundvoraussetzung für die Bereitschaft eigene Kontrollbedürfnisse partiell aufzugeben und über die Labilisierungsphase in eine neue Phase der Restabilisierung weiter zu gehen. Dieser Prozess wird auch als Wachstums- und Reifungsprozess beschrieben.
Wie sieht nun die Balance zwischen den Ebenen: persönlicher Mitteilungen, Klärung von Teamkonflikten und -Themen, sowie nach professioneller Reflektion der Klientenarbeit in der Arbeit mit EFL-Beratungsstellen aus und welche Strukturen fördern Supervisionsprozesse?
Dieser Artikel geht diesen Fragestellungen nach und stellt im letzten Teil einige Fallbeispiele und Themen aus Teamsupervisonsprozessen vor, die die wechselseitige Verschränkung der Arbeitsebenen aufzeigen sollen.
Auswertung der Arbeitsebenen in der Supervision
Aufgegliedert und aufsummiert wurden folgende Ebenen:
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Fallarbeit, unabhängig von Dauer und Intensität der Bearbeitung,
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Teamthematiken: In dieser Rubrik wurden Beziehungs- und Positionsklärungen innerhalb des Teams aufgelistet, sowie Konzeptthemen.
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Als dritte Kategorie wurden persönlich gehaltene Informationen ans Team aufgeführt, die nicht zur Bearbeitung in der Supervision anstanden aber relevante Aussagen zur Teamkultur abgaben,
Insgesamt wurden ca. 300 Fälle eingebracht, 73 mal Teamthemen angesprochen und 49 mal persönlich gehaltenen Themen formuliert..
Die quantitativ aufgelisteten Zahlen geben zwar keine inhaltlichen Aussagen ab, zeigen aber doch Schwerpunkte der Supervision.
Durchschnittlich werden pro Sitzung zwei Fälle bearbeitet, ca. jede 2. Supervisionssitzung für Teamthemen genutzt und in jeder 3. Sitzung Supervision als einen Ort erlebt, indem auch persönlich gehaltene Thematiken einen Platz haben.
Der Supervision wird also explizit einen Platz zugewiesen, in deren Schutzraum und Begleitung diese drei Ebenen aufgegriffen, bearbeitet und integriert werden sollen.
Dabei soll die jeweiligen Ebene eine ihr angemessenen Raum erhalten, sowie der Grad der persönlichen Offenheit untereinander gefördert und differenziert werden.
Es scheint, als stehen alle drei Ebenen in enger Korrespondenz zueinander und würden entsprechend dem Bedürfnis- und Sättigungsgrad der Teammitglieder flexibel über den gesamten Supervisionsverlauf ausbalanciert.
Persönliche Themen
Auf der persönlichen Ebene scheint Supervision ein Ort zu sein, indem MitarbeiterInnen neben aktuellen Befindlichkeiten, eigene wichtige Lebenssituationen als Information mitteilen möchten, seien es krisenhafte Übergänge im familiären und persönlichen Bereich oder auch freudvolle Erfahrungen. Das eigene Aussprechen und das Wissen über die KollegInnen wird dabei überwiegend als hilfreich und vertrauensstiftend erlebt.
Teamthemen
Einen Übergang zur Teamebene bilden die in der Supervision praktizierten Aufnahme- und Abschiedrituale, sowie andere besondere Anlässe, die als identitätsstiftend für die Teamkultur betrachtet werden
Als wesentlich problematischer werden auf der Teamebene Konkurrenzthemen, kritische Feedbacks zu einzelnen MitarbeiterInnen und zur Leitung erlebt. Teamposition und Akzeptanz sowie erlebte Verletzungen und Missverständnisse wären als weitere Themen zu nennen. Es scheint, als fördern helfende Berufe eine spezifische Sensibilität und „Beißhemmung“ Dies kann dann schnell dazu führen, dass sehr feinfühlig Diskrepanzen und eigene Verletzungen gespürt, diese aber weniger direkt geäußert werden, um die „konstruktiv harmonische Atmosphäre“ im Team nicht zu stören.
Diese „atmosphärischen Störungen“ aufzugreifen, zu benennen und zu verorten, war einer der Aufgaben in der Supervision.
Aus der Teamperspektive stieß die amtliche Kirchen- und Stellenpolitik öfters auf Unverständnis. Allzu diskrepant erwiesen sich Teamkultur, ausgerichtet auf Transparenz, Offenheit, Empathie und Wertschätzung zur praktizierten Kirchenpolitik.
Die Verfolgung von kirchlichen Machtinteressen erfordern ein strategisches Denken und eine fundamental andere Logik. Kommunikation auch als Waffe zur gezielte Schwächung der Gegnerschaft zu sehen, indem Absichten verdeckt bleiben und das Gesagte nicht unbedingt das Gemeinte widerspiegelt schien einzuleuchten aber schwer akzeptiert zu werden.
Supervision fiel bei diesen Thematiken die Aufgabe zu, weder verschleiernd „Schönzureden“ noch vorschnelle Antworten zu erfinden, sondern zu einem kritischen Geselschaftsdiskurs anzuregen und die eigenen abgewehrten Anteile, den „eigene Schatten“ mit in den Blick zu nehmen und zu integrieren.
Aus den Phänomenen der Fallarbeiten entwickelten die Teams häufiger strukturelle Fragestellungen, die dann in konzeptionelle Themen mündeten. Als Beispiele lassen sich aufführen, Beratung in Abgrenzung zur Therapie, Langzeitbetreuung und Focalberatung, Umgang mit Wartelisten, Kriterien für Settingveränderungen bei Paarberatung, Beratungsmethoden aus der Sicht unterschiedlicher therapeutischer Schulen.
Supervision fiel bei diesen Thematiken eher eine Moderatorenaufgabe zu.
Fallthemen
Neben einigen gelungenen Beratungsverläufen und den Feedbacks aus vorausgegangenen Fallsupervisionen standen in den Fallsupervisionen folgende Themen im Vordergrund wie::
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Überforderungsproblematiken,
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zu stark empfundene Nähe zu Klienten,
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Ähnlichkeiten mit der eigenen Biografie und Reflexion der eigenen Abwehrmechanismen,
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Suche nach weiterführenden Interventionen bei als stockend erlebtem Beratungprozeß,
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Unsicherheiten in der prozessualen Diagnostik und Zielvereinbarung, sowie Abgrenzungsprobleme zwischen Beratung und Therapie
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eigene, häufig heftig empfundenen aversiven Gegenübertragungsgefühle,
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Unsicherheiten, wann und wie Beratung zu beenden sei
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Umgang mit der eigenen und institutionellen Begrenztheit,
Themen und Anliegen der Klienten waren ebenfalls Gegenstand der Falleinbringung, werden aber hier nicht nochmals aufgeführt, da diese über die entsprechenden Jahresberichte nachzulesen sind.
Beispiele aus Supervisionssitzungen
Anhand einiger beispielhaften Supervisionssitzungen stellt der Autor vor, wie Fall, Team, sowie persönliche Themen in Korrespondenz zueinander stehen.
Wenn Klienten in ähnlich krisenhaften Übergängen wie die Berater stehen
In der 10. Supervisionssitzung mit Team A drückten mehrere Beraterinnen in der Eingangsrunde ihre persönlichen Sorgen und Nöte aus, wie Erkrankungen, Auszüge ihrer Kinder, eigene Partnerschaftsprobleme und ihre Gefühle von Einsamkeit. Nach der Runde zeigte sich das Team erstaunt und berührt über die persönliche Offenheit
Im Team wurde dann die Frage laut, welche Auswirkungen die eigene aktuelle Lebenssituation auf ihre Klientenarbeit hätte.
Offensichtlich erleichternd, merkte eine Beraterin an, dass Berater auch Probleme haben und vor „Unlösbarem“ stehen, was es auch auszuhalten gilt. Eine weitere Beraterin wies auf eine Statistik hin, dass die Suizidrate der Berater gestiegen sei, und es daher wichtig sei, auf die eigene Psychohygiene zu achten.
Nach diesem ersten Teil meldete eine Teilnehmerin einen Fall an. Sie drückte ihr Anliegen aus, dass sie bei dieser Klientin sich unter starkem Lösungsdruck fühle.
In der Fallerzählung beschrieb sie eine Mutter, deren Tochter, leicht behindert, bald auszöge und während dieser Zeit es zu heftigsten Streits und Dramen zwischen Eltern und Tochter käme. Sie wäre nun zur Beraterin gekommen, damit dies ein Ende nähme und ob es nicht sinnvoll sei zum nächsten Termin, Ehemann und Tochter mitzubringen.
Abschließend merkte die Protagonistin an, dass es da wohl einige Parallelen zur ihrer privaten Lebenssituation gäbe.
Fallerzählung und Feedback ihrer Kolleginnen reichten in diesem Fall aus, eine bewusstere Trennschärfe zu erlangen.
Als hilfreiche Sätze nahm sie mit, dass Nähe auch „optimale Distanz“ beinhaltete und sie als Beraterin „nichtwissend“ fragen darf um Unterschiede und nicht Gemeinsamkeiten zu ihrer Lebensgeschichte zu eruieren.
Wenn Klienten Unsicherheit, Teamkonflikte und Konzeptfragen auslösen
In der 30. Supervisionssitzung in Team B stellte eine Mitarbeiterin eine an Leukämie erkrankte Klientin vor, mit der Fragestellung ans Team, inwieweit sie das Thema Tod ansprechen müsse, wenn Klientin verzweifelt agiere und Beziehungen funktionalisiere.
In der weiteren Fallerzählung stellte sich heraus, dass die Beraterin diese Klientin schon mehrere Jahre hatte und die Klientin aktuell in Behandlung bei einer Psychiaterin stand.
Fallbezogen entstanden im Team unterschiedliche Resonanzen, von, „die Klienten bestimmen die Themen“ bis, „auch das Unangenehme gehöre mit in den Beratungsprozess“ Auch die Vermutung, ob die Beraterin mit der Psychiaterin in Konkurrenz stände, wurde angesprochen.
Die Protagonistin erkannte, dass es für sie kein „muß“ gab. Sie nahm mehr Distanz und Gelassenheit zur Klientin bei sich wahr, auch weil sie das konkurrierende Angebot auch als ein ergänzendes betrachten konnte.
Ohne Überleitung entstand ein Konflikt zwischen zwei Kolleginnen die konkurrierende Haltungen zur Langzeitbetreuung hatten. Anfangs auf der persönlichen Ebene ausgetragen, zeigte sich bald, dass beide auch für eine unterschiedliche Tradition standen.
Während Langzeitbetreuungen in früheren Zeiten unhinterfragt häufiger vorkamen, stand nun jede zu übernehmende Beratung unter Legitimationsdruck. Kurzfristigere und effizientere Beratung, sowie Transparenz und Netzwerkarbeit waren die aktuellen Begriffe, mit denen im Team gehandelt wurde.
Aufgrund des Handlungsbedarfs, entschloß sich das Team, in der nächsten Konzeptsitzung Indikationen für Langzeitbetreuungen und das Thema Abschied zu bearbeiten.
Wenn Klienten zu Teamstreits und „Schluckbeschwerden“ bei den Beratern führen
In der Eingangsrunde äußerten alle BeraterInnen im Team C dass sie Fälle hätten. Nach einem kurzen Einigungsprozess wurde ein Paar vorgestellt, dass beim Beraterpaar Enttäuschung und Ärger auslöste. Trotz vieler Bemühungen beklagte sich das Paar, dass wieder die alten Konflikte aufbrachen und sie sich wie in der Anfangssituation fühlten.
Zwischen dem Beraterpaar brach ein Meinungsstreit aus, wie dieses Verhalten zu interpretieren sei. Darüber hinaus zeigte jeder sich unterschiedlich mit dem Paar identifiziert und übernahm teilweise dessen Blickwinkel.
In der Fallgeschichte wurde weiterhin beschrieben, dass die Ehefrau zuvor bei einer Beraterin wegen Paarprobleme Einzelberatung in Anspruch nahm und nach mehreren Sitzungen der Partner hinzugezogen wurde.
Im Beraterpaar spiegelten sich offenbar die Konflikte des Paares wieder, mit der Verführung, immer neue Argumente für die Erklärung und Abschaffung der Konflikte vortragen zu müssen.
Nach Würdigung dieser „Sackgassensituation“ und Unterschiedlichkeit der Betrachtungsweisen schlug der Supervisor vor, in mehreren Phasen mit dem leeren Stühlen in Form einer Stuhlaufstellung zu arbeiten.
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In der ersten Phase sollte das Beraterpaar auf ihren Stühlen offen über Wirkung des Paares sprechen, und alles mitteilen, was sie an Endrücken „geschluckt“ hätten, im Sinne – das unmögliche Beraterpaar – . In dieser Phase ging es darum, den inneren Zensor zu reduzieren, Gedanken und Gegenübertragungsresonanzen offen aussprechen und diese sogar verstärken zu dürfen, gerade Helfer neigen dazu, in ihrem Bemühen empathisch und freundlich zu sein, Ärgerpunkte und Enttäuschungen zu kompensieren, indem sie sich mehr anstrengen und nach geschickteren Interventionen suchen. Hier in diesem Fall drückten beide ihren Ärger und Vorwürfe aus, bis dahin, ob denn das Paar überhaupt etwas für sich ändern wolle
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In der zweiten Phase wurde das Beraterpaar aufgefordert, sich auf die leeren Stühle des Paares zu setzen, um die Wirkung der Äußerungen zu spüren. In dieser Rolle zeigten sich beide verblüfft, überrascht, irritiert, wie klar und konfrontativ sie angesprochen wurden.
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In der dritten Phase sollte das Beraterpaar sich wieder auf die Beraterstühle setzen und die „Wirkung der Wirkung“ nachspüren. Beide nahmen bei sich wahr, dass das Ausmaß, das Paar zu verletzen, so nicht zutraf, was als Erleichterung wahrgenommen wurde.Beide äußerten sich, dass der Ärger verschwunden war, ebenso die Anstrengung
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In der vierten Phase gaben die Mitarbeiter in der Beobachterposition ihr Feedback, dass sich größtenteils mit den Äußerungen der Protagonisten ähnelte.
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In der abschließenden Phase wurde das Fazit und der Transfer gemeinsam erarbeitet. Die Protagonisten nahmen sich vor, sich innerlich zurückzulehnen und im Verlauf des Gesprächs zu erfragen, wie sie die Paargespräche bisher erlebten, wie es weiter gehen sollte und was für das Paar hilfreich sein könnte.
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In der anschließenden Teamrunde überlegte das Team gemeinsam, wie Settingveränderungen sich auf Paare auswirken, und als ein weiteres Thema, wie unterschiedliche Schulen unterschiedliche Brillen haben und darüber ein Bedarf nach kollegialem Austausch bestand.
Außerdem hätte die Offenheit nach mehr Lust auf Teamkontroversen geführt.
Schlussanmerkungen
Supervision als Qualitätssicherung und –Förderung ist in den EFL- Beratungsstellen nicht wegzudenken und genießt bei den MitarbeiterInnen eine hohe Akzeptanz.
Sie hat zwar nicht die Aufgabe und den Auftrag, die konfessionellen Träger zu reformieren, also „an den Strukturen zu arbeiten“. Sie kann aber wohl „innerhalb der Strukturen“ mit dazu beitragen, die hier vorgestellten sensiblen Arbeitsebenen und Themen in einem professionellen Freiraum zu bearbeiten.
Die an ihr gerichtete Aufgabenstellung erweist sich dabei als anspruchsvoll und komplex.
Die „Beratung der Berater“ braucht dafür selber einen klar definierten Rahmen und ein dem Auftrag entsprechend abgestimmtes Zeitkontingent. Wird letzteres ausgedünnt, wie es aus Sparmaßnahmen z.Zt. in vielen psychosozialen Einrichtungen passiert, so kann von einer Prozessbegleitung nicht gesprochen werden. Supervision erhielte dann eine fachliche Alibifunktion, was keiner wünschen kann.
Nur wenn die EFL- Beratungsstellen, über eine ihre Aufgaben angemessene „Strukturqualität“ verfügen, kann sie den vielfältigen beraterischen Aufgaben gerecht werden. Externe Supervision ist an diesem Punkt nicht außen vor. Im Gegenteil, sie hat die positiven wie negativen Wirkfaktoren aufzuzeigen und die eigene Wirksamkeit als Prozeß- und Ergebnisqualität im Dialog mit den Beteiligten überprüfbar zu machen.
Zusammenfassung
Neben den sich verändernden Rahmenbedingungen für Supervision werden Aufgaben- und Themenbereiche externer Supervision in den EFLs aufgezeigt.
Besondere Beachtung wird der Strukturqualität der Einrichtungen geschenkt, der sich als bestimmender Faktor für das Supervisionssetting herausstellt und den Erfolg oder Misserfolg von Supervision entscheidend mitbestimmt.
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