IM Niedersachsen: Zur Übernahme von Kosten der Passbeschaffung.
Schreiben vom 18.04.07 - 41.22-12235-8.4.2.2/8.4.6 www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C2199.pdf
LSG NRW L 20 AY 16/07, U.v. 10.03.08, InfAuslR 2008, 320 www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C2218.pdf (Revision zugelassen). Anspruch auf Passbeschaffungskosten nach § 6 AsylbLG.
Die geduldeten Kläger haben sich nach Ablehnung ihres Antrags beim Sozialamt mit Hilfe eines Darlehens Verwandter Pässe beschafft. Die sofortige Passbeschaffung sei erforderlich gewesen, weil sich abgezeichnet habe, dass ein Cousin des Klägers ein verbindliches Arbeitsangebot abzugeben bereit sei. Nach dem Bleiberechtsbeschluss der IMK vom 17.11.2006 werde bei unvollständiger Mitwirkung bei der Passbeschaffung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Insgesamt sind Kosten von 811 EUR entstanden: Passfotos 48 EUR, Staatsangehörigkeitsnachweise 40 EUR, Passgebühren für die 4 Kläger 670 EUR, zwei Bahnfahrten von Bonn nach Düsseldorf und zurück 53,20 EUR. Am 20.03.07 wurden die Aufenthaltserlaubnisse erteilt.
Die Beklagte meint, die Kläger seien ohne Weiteres in der Lage gewesen, ohne Pässe in Deutschland menschenwürdig zu leben, da ihnen eine Abschiebung nicht gedroht habe und sie über Duldungen verfügt hätten.
Gründe: § 6 AsylbLG stellt mit Blick auf die pauschalierten und abgesenkten Leistungen der §§ 3, 4 AsylbLG eine Auffang- und Öffnungsklausel dar (Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. A. 2008, § 6 AsylbLG Rn. 1; Schellhorn, SGB XII, 17. A., § 6 AsylbLG Rn. 1). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll sie dem Umstand Rechnung tragen, dass den zuständigen Behörden "sonst kaum Spielraum bleibt, besonderem Bedarf im Einzelfall gerecht zu werden" (BT-Drs. 13/2746).
Eine restriktive Handhabung erscheint zwar insofern geboten, als eine Annäherung an die nach oder entsprechend SGB XII (§ 2 AsylbLG) zu erbringenden Leistungen nicht in Betracht kommt. Andererseits kommt § 6 AsylbLG die wichtige Funktion zu, trotz der restriktiven Grundausrichtung des AsylbLG in jedem Einzelfall das Existenzminimum zu sichern (Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. A. 2005, § 6 AsylbLG Rn.1; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII, § 6 AsylbLG Rn. 1).
Die Passbeschaffungskosten sind in voller Höhe zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht im Sinne des § 6 AsylbLG erforderlich. Dass nicht lediglich Mitwirkungspflichten nach AsylbLG erfasst werden, legt bereits das Attribut "verwaltungsrechtlich" nahe. Insbesondere erfasst sind Mitwirkungspflichten, die sich aus dem AsylbLG, AsylVfG, AufenthG und aus den VwVfG der Länder ergeben.
Die in § 3 Abs. 1 AufenthG geregelte Passpflicht begründet eine verwaltungsrechtliche Mitwirkungspflicht im Sinne des § 6 AsylbLG. Für den Aufenthalt im Bundesgebiet erfüllen Ausländer die Passpflicht nach Satz 2 der Vorschrift bereits durch den Besitz eines Ausweisersatzes im Sinne von § 48 Abs. 2 AufenthG. Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bestraft, wer sich entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 im Bundesgebiet aufhält. Nach § 48 AufenthG ist der Ausländer verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken, wenn er nicht im Besitz eines Passes oder Passersatzes ist. Weitere Mitwirkungspflichten ergeben sich aus § 15 AsylVfG. Danach ist der Ausländer insbesondere verpflichtet, im Falle des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken.
Die Zusammenschau dieser Regelungen macht deutlich, dass zwar ggf. die Passpflicht aus § 3 Abs. 1 AufenthG, aber nicht die Ausweispflicht aus § 48 Abs. 1 AufenthG und die weiteren Mitwirkungspflichten aus § 48 Abs. 3 durch Vorlage eines Ausweisersatzes nach § 48 Abs. 2 AufenthG erfüllt werden könnten. Denn nach dieser Vorschrift ist lediglich zu verfahren, wenn der Ausländer den Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen kann. Der Mangel an finanziellen Ressourcen lässt die Zumutbarkeit nicht entfallen. Da die Kläger sich nicht mehr im Asylverfahren befinden, steht der Zumutbarkeit auch nicht entgegen, dass die Asylanerkennung gefährdet sein könnte.
Auch unter dem Gesichtspunkt einer grundsätzlich restriktiven Handhabung des § 6 AsylbLG lässt es sich nicht rechtfertigen, dem Leistungsberechtigten, dem verwaltungsrechtliche Mitwirkungspflichten auferlegt sind, die Erfüllung dieser Pflichten unmöglich zu machen, mit der Folge, dass er sich andernorts dem Vorwurf, sich nicht rechtsgetreu zu verhalten, ausgesetzt sähe. Dem Anspruch kann auch nicht entgegengehalten werden, die Passpflichten träfen alle Leistungsberechtigte, so dass ein Einzelfall im Sinne des § 6 AsylbLG nicht vorliege.
Soweit die Beklagte entgegenhält, die Kläger hätten den Bedarf bereits gedeckt, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Leistungen nach § 3 AsylbLG reichen ersichtlich nicht aus, die Passkosten unmittelbar zu befriedigen oder anzusparen. Daher mussten sich die Kläger eines Darlehens Dritter bedienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.92 - 5 C 12/87, BVerwGE 90, 154). In Anbetracht des drohenden (erneuten) Ungültigwerdens von Staatsangehörigkeitsnachweisen und weiteren Umständen war den Klägern ein weiteres Abwarten nicht zumutbar.
Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass Vieles dafür spricht, den Anspruch auf Passersatzkosten bereits deshalb zu bejahen, weil die Kläger Passpapiere auch benötigten, um von der Bleiberechtsregelung der IMK vom 17.11.06 (siehe auch Altfallregelung § 104a AufenthG) zu profitieren. Es erschiene schlichtweg nicht hinnehmbar, wenn die Rechtsordnung den Klägern auf der einen Seite etwas zu geben bereit ist, was sie auf der anderen Seite (leistungsrechtlich) durch mangelhafte finanzielle Ausstattung der grundsätzlich Anspruchsberechtigten unmöglich machen würde. Auch insoweit liegt es nahe, eine Ermessensreduktion auf Null anzunehmen.
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