Bürgerlicher Antiimperialismus und bürgerlicher Kommunismus als Revolutionsblockade. Zur Rojava-Debatte



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Bürgerlicher Antiimperialismus und bürgerlicher Kommunismus als Revolutionsblockade. Zur Rojava-Debatte

12. Oktober 2016 lowerclassmag Schreibe einen Kommentar

Die kurdischen Kräfte in Rojava/Demokratische Föderation Nordsyriens und die mit ihnen im Rahmen der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) verbündeten Kräfte sind mittlerweile weltweit als Helden anerkannt. Sie versuchen rätedemokratisch organisierte Selbstverwaltungsstrukturen aufzubauen und bringen damit als heute einzige wirkmächtige revolutionäre Kraft im Nahostraum die Prinzipien popularer Revolutionen zurück. Im Zuge der Diskussionen über die Invasion der Türkei in Syrien entflammte innerhalb einige Teile der deutschen Linken erneut die Debatte über den Status und die Funktion der kurdischen Kräften und SDF sowie der Revolution in Rojava. Einige „Kommunist*innen“ entblödeten sich tatsächlich, diese gewissermaßen als imperialistische Trojaner darzustellen. Eine solche Herangehensweise ist im besten Fall Verrat am Internationalismus, im schlimmsten Fall als aktive Hemmung eines widersprüchlichen Revolutionierungsprozesses zu begreifen.



Alter Wein in neuen Schläuchen

Ein ganzer Wust an den schwersten Vorwürfen wird der PKK und YPG/J seitens einiger deutscher Antiimps und Kommunist*innen an den Kopf geworfen: da ist die Rede von „proimperialistische[m] Vorgehen der PKK-Führung“ (Stoodt1), davon, dass die PKK „Abschied vom Antiimperialismus“ (Bina2) genommen habe, ja dass sie gar antikommunistisch [sic!] sei (ebenfalls Bina), dass sie der US-imperialistisch unterstützten Invasion seitens der Türkei aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit dem Imperialismus „Tür und Tor geöffnet“ (Leukefeld3) habe; das Revolutionsprojekt in Rojava hingegen wurde angeblich zum „Anhängsel der imperialistischen In[ter]vention in Syrien und Irak“ (Ulrich4) degradiert.5

Die Argumente und Behauptungen für diese schweren Vorwürfe sind ein alter Schuh für Menschen aus der Türkei oder aus dem Nahen Osten und gehören in der Türkei zum Standardrepertoire von sich selbst zwar als links/progressiv verstehenden Kräften, die aber eher als rechtsaußen geortete Nationalist*innen bezeichnet werden müssten. In der Türkei gehört es zu den Gründungsmythen der kemalistischen Republik, beinahe jeden Aufstand als Machenschaft des Imperialismus zu präsentieren und im Namen des antiimperialistischen Fortschritts auch noch das blutigste Massaker als Einsicht in die Notwendigkeit zu verkaufen: Armenische Aufstände? Machenschaft des französischen und russischen Imperialismus! Kurdische Aufstände? Machenschaft des britischen und US-amerikanischen Imperialismus! In der Türkei exzelliert gerade der Faschist in ML-Kleidern, Doğu Perinçek, darin, diese Position mit Pseudo-ML Allüren getarnt rauf- und runterzubeten. Es ist dieser Faschist, der an dem Tag, als in Cizre Dutzende, vielleicht Hunderte von unbewaffneten Menschen bewusst und barbarisch in den sogenannten „Kellern des Grauens“ vom türkischen Militär massakriert wurden, gesagt hatte: „Dies war einer der schönsten Tage meines Lebens.“ Es ist dieser Faschist, der sich in seinen Blättern als Volksheld feiern lässt, weil er vor dem EuGH dafür streitet, dass es keinen armenischen Genozid gegeben habe. Dieser Faschist optiert für einen Militärputsch, um eine „vollständige Unabhängigkeit“ der Türkei herzustellen. Nicht umsonst unterhält er beste Beziehungen zum ganzen Dreck an Militärgeheimdienstlern, Massaker-Generälen und Offizieren des türkischen Militärs. Nicht umsonst unterstützt er mit wehenden Fahnen die „antiimperialistische“ aber in Wirklichkeit militärfaschistische Diktatur von Sisi in Ägypten. Zusätzlich feiert er die derzeitig stattfindende türkische Invasion Nordsyriens ab – als antiimperialistische Aktion! Und all das gibt dieser Faschist als Antiimperialismus und Marxismus-Leninismus aus. Dazu gleich mehr.

Nach dieser „antiimperialistischen“ Lesart jedenfalls ist der Imperialismus der Gott und die Völker seine Knete. Natürlich ausgeschlossen das eigene Volk, das ist natürlich ganz besonders revolutionär und antiimperialistisch. Oder irgendwelche antirevolutionären Drecksregime wie zum Beispiel das syrische, das bisher eher darin exzellierte bei der Zerschlagung der palästinensischen sozialistischen Revolution in Jordanien 1970-71 zu helfen, ein paar Jahre später im Libanon blutig einzumarschieren und alles Fortschrittliche dort zu zerschlagen und wiederum ein paar Jahren später Wirtschaftsberater des englischen und französischen Imperialismus ins eigene Land einzuladen, um das Land neoliberal zu erschließen, was letztlich überhaupt erst zum Aufstand in Syrien geführt hat. Aber hey, im Angesicht von USA und IS und so ist das syrische Regime irgendwie mega antiimperialistisch und deshalb, zumindest objektiv und im Vergleich zum IS oder so, fortschrittlich. Die PKK aber, die ist nur Knete, die hat trotz jahrzehntelanger blutigster und heftigster Auseinandersetzungen und Kriegsführung mit in etwa allen Staaten der Region und allen Imperialisten der Welt … kein politisches Bewusstsein und kommt nicht selbst auf die Idee, dass die USA vielleicht andere Interessen haben als sie selbst! Nur ganz schlaue ML-Theoretikerlein aus Deutschland, die überhaupt keine Geschichte im permanenten Krieg gegen Imperialismus und nationale Unterdrückung aufweisen, sind intelligent und ML-geschult genug, um das einzusehen.



Die Invasion in Nordsyrien: eine fragile internationale Vereinbarung

Nun ist der Witz an diesen deutschen „Kommunist*innen“, dass sie die Debatte um Rojava im Zuge der Syrieninvasion der Türkei starten so à la „die Kurden sind schon selbst daran schuld, weil sie mit dem Imperialismus zusammengearbeitet haben“, aber augenscheinlich nicht den Ansatz einer Ahnung davon haben, warum und wie die Invasion gerade stattfindet. Die totale Begriffslosigkeit gehüllt in Worthülsen kommt am offensichtlichsten bei Leukefeld zum Ausdruck: „Ob gewollt oder nicht, haben die syrischen Kurden der ausländischen Intervention Tür und Tor geöffnet.“

Moment mal: Warum genau sind die Kurd*innen eigentlich Schuld daran, dass die Türkei derzeit mit Unterstützung des US-Imperialismus in Rojava/Nordsyrien einmarschiert? Weil die USA einige IS-Positionen bombardieren – das hat möglich gemacht, dass die Türkei in Nordsyrien einmarschiert?? Und das wäre ausgeschlossen gewesen, wenn die USA diese Ziele nicht bombardiert hätten?? Oder sind die Kurd*innen gar etwa deshalb Schuld an Einmarsch der Türkei, weil sie überhaupt gegen die Interessen des türkischen wie auch des syrischen Staates gehandelt haben wie das jede/r ordentliche Revolutionär*in machen sollte? Und dass sie das deshalb lieber nicht hätten machen sollen, sprich dass sie aus Angst vor der Reaktion der syrischen und türkischen Bourgeoisie auf ihre revolutionäre Identität hätten verzichten sollen? Die Absurdität und der Verzicht auf jedes revolutionäre Prinzip wird offensichtlich, wenn man diese Logik nur fünf Sekunden weiterdenkt. Wahrscheinlich weil alle möglichen Argumente für die „kurdische Schuld an der Invasion“ politisch betrachtet völlig absurd und selbstvernichtend sind, findet sich weit und breit weder bei Leukefeld, noch bei Stoodt noch bei sonst irgendeinem/r jener deutschen „Kommunist*innen“ und Antiimperialist*innen auch nur ein einziges Argument dazu, warum genau jetzt eigentlich die Kurd*innen selbst daran Schuld sind, dass die Türkei in Syrien einmarschiert und mit Unterstützung des US-Imperialismus ihr Projekt bekämpft (das ja angeblich auch dem Schoß des Imperialismus entspringt). Aber egal, Hauptsache mal irgendwas Ressentimentgeladenes dahin klatschen. Haben die Kurd*innen je die USA oder die Türkei „eingeladen“ nach Nordsyrien? Nein. Wollte die Türkei nicht eh schon die ganze Zeit einmarschieren und hat nur auf den geeigneten nationalen und internationalen Rahmen gewartet? Ja! Kommt das nicht auch dem syrischen Regime und dem US- sowie russischen Imperialismus zurecht? Ja!!

Wie ist die türkische Invasion zu erklären und welche Zwecke werden damit verfolgt? Mit dem Syrienkrieg sah der türkische Subimperialismus die Chance gekommen, die kulturellen, ideologischen und politischen Ressourcen, die sie sich im Nahen Osten bis dahin aufgebaut hatte, zu nutzen und weitaus direkter und auch militärisch vermittelt zur Regionalmacht aufzusteigen. Außerdem war klar, dass die Revolution in Rojava eine unglaubliche Steigerung der Moral und Handlungsfähigkeit der Kurd*innen auch in der Türkei bedingen würde. Einerseits ging es dem türkischen Subimperialismus also darum den eigenen Subimperialismus auf eine höhere Stufe zu heben, andererseits der sich im Anmarsch befindenden Herausforderung der eigenen oligarchischen Ordnung entgegenzutreten. Schnell stellte sich heraus, dass sich die Türkei verkalkulierte und ohne die NATO nicht einen Zentimeter bewegen konnte. Die wurde jedoch vom russischen Imperialismus – flankiert vom iranischen Subimperialismus, sowie auch dem chinesischen – in Schach gehalten, weil der russische Imperialismus sich nach dem Libyenkrieg dazu entschied, die krassen Aggressionen des westlichen Imperialismus weltweit nicht mehr unkommentiert hinzunehmen. Der westliche Imperialismus unter der Führung des US-Imperialismus schwenkte daraufhin um auf eine geschmeidigere Taktik: Das Ziel eines unmittelbaren Sturzes von Assad wurde aufgegeben, gleichzeitig aber dafür gesorgt, dass Syrien auf absehbare Zeit ein Rumpfstaat im permanenten Kriegszustand bleiben würde. Damit würde ein regionaler Konkurrent des US-Imperialismus handlungsunfähig gemacht und im besten Fall dafür gesorgt werden, dass entweder der Rumpfstaat Syrien oder die unzähligen kleinbürgerlich-terroristischen Fürstentümerchen im ehemaligen Staatsgebiet Syriens und des Iraks weiterhin abhängig bleiben würden vom westlichen Imperialismus.

Nun exzelliert der türkische Subimperialismus nicht gerade darin, auf unterschiedliche Szenarien unterschiedlich zu reagieren, auch mal geschmeidig zwei Schritte zurück, einen zur Seite und dann wieder einen bis zwei vorwärts zu tänzeln. Der türkische Subimperialismus ist, wie das in der Türkei immer so schön heißt, wie eine NATO Betonmauer: unbeweglich und stumpf. Entgegen der geänderten Kräfteverhältnisse und der objektiven Situation beharrte die Türkei wie ein sturer Junge darauf, dass in Syrien einmarschiert werden und Assad gestürzt werden muss. Das brachte eine Reihe an sehr, sehr gefährlichen internationalen Krisen (Abschuss des russischen Kampfjets, fast-Einmarsch in Afrîn im Februar 2016 usw.) und Probleme mit der NATO hervor. Diese verschärften zugleich die inneren Krisen in der Türkei, was u.a. zum Putschversuch vom 15. Juli führte, der vom US-Imperialismus im aller mindesten bewusst toleriert und hingenommen wurde bis absehbar wurde, dass er fehlschlägt. Nun hatte der türkische Subimperialismus dann doch irgendwann gecheckt, dass diese völlig selbstüberhebliche Gangart zu viele Krisen hervorbringt und schon kurz vor dem Putschversuch eine politische Achsenverschiebung vollzogen, die sich mit dem Putschversuch beschleunigte: Eine (erneute) Annäherung an Russland und Syrien wurde, in Kontinuität zur traditionellen Außenpolitik der Türkei, gesucht. Auch mit dem Iran ging man wieder ein anderes Verhältnis ein.

Im Inland dagegen, und jetzt kommt unser Faschist in ML-Kleidern, Doğu Perinçik, wieder ins Spiel, hat sich im Zuge der Gesamtentwicklung der letzten Jahre und besonders der letzten Entwicklungen eine neue Bündniskonstellation formiert. Seitdem die Bande zwischen der AKP und der Religionsgemeinschaft des Fetullah Gülen endgültig gerissen waren, musste sich die AKP nach neuen Bündnispartnern im Staat umschauen und fand sie in den ultranationalistischen Militärs, die sie davor selbst gemeinsam mit der Gülen-Gemeinschaft in den Jahren ab 2008 eingeknastet und ausgeschaltet hatte, weil sie Putschpläne gegen die AKP entworfen hatten. Peu à peu wurden ausnahmslos alle eingeknasteten Militärs wieder entlassen und die Schuld der Gülen-Gemeinschaft zugeschoben,6 während mit dem erneut ausufernden brutalen Vernichtungskrieg in Nordkurdistan/Südosttürkei das Militär praktisch rehabilitiert wurde. Nun, mit der Säuberung des Militärs von Gülen-Anhängern und Kemalisten, die mehr der sogenannten „Pazifikfraktion“ zuzuordnen sind, also eine sehr enge Anbindung an die NATO suchen, wurden wieder jene ultranationalistischen Militärs, die eher der „Kaukasusfraktion“ zuzuordnen sind, also eine gute Zusammenarbeit mit Russland, Syrien usw. als strategisch zentral für die Türkei erachten, ins Boot geholt.7 Eine nicht zu unterschätzende Zahl von ihnen sind Anhänger von Perinçek (wie der ehemalige Generalleutnant Ismail Hakkı Pekin, der einst Militärgeheimdienstchef und Mitglied des Generalstabs war) und sehen die Kurd*innen als imperialistische Marionette.

Nehmen wir als ein aktuelles und wichtiges Beispiel den ehemaligen Vizeadmiral Soner Polat, Mitglied bei Perinçeks Vatan Partisi, inhaftiert im Rahmen des Balyoz-Verfahrens, dann irgendwann entlassen und seitdem in Rente aber politisch aktiv. Im Dezember 2015 wird er nach Russland geschickt, unklar in wessen Auftrag und mit welcher Begleitung, um die Krise, die durch den abgeschossenen russischen Kampfjet ausgelöst wurde, zu lösen.8 Dort erzählt er den hochrangigen russischen Verantwortlichen, dass der Abschuss des russischen Kampfjets von der Gemeinschaft des Fetullah Gülen geplant war, und zwar im Namen der USA. Deren Plan sei es, ihre „Landstreitkraft“, d.h. die Kurd*innen in Syrien, zu nutzen, um einen gegen die Türkei und gleichzeitig gegen Syrien gerichteten kurdischen Korridor im Norden Syriens herzustellen. Er hält die russische Seite dazu an, dringend die Beziehungen mit der Türkei wieder zu normalisieren, teilt ihnen mit, dass die PKK/PYD ihre rote Linie darstellt und es auch nicht im Interesse Russlands sein kann, diese „Landstreitkräfte“ der USA zu unterstützen. Polat schätzt aufgrund der Reaktionen der russischen Seite ein, dass die russische Kooperation mit den kurdischen Kräften nur konjunkturell bedingt ist und sie – also er und welche sonstigen hochrangigen Militärs auch immer mit ihm in der Delegation waren – einer der ausschlaggebenden Gründe dafür waren, dass sich die Verhältnisse zwischen der Türkei und Russland wieder normalisiert haben. Ein anderer ehemaliger Vizeadmiral, Cem Gürdeniz9 (ebenfalls Perinçek-Anhänger, ebenfalls eingeknastet mit der Balyoz-Operation, ebenfalls wieder auf freiem Fuß) spricht davon, dass die USA ein „zweites Israel“ im Norden Syriens mit dem Namen Kurdistan planen, das die strategische Position der Türkei zerstören würde und auch gegen die Interessen Russlands und des Iran gerichtet sei.

Mittlerweile sind diese angeblichen Kemalisten, in Wahrheit jedoch Militärfaschisten, soweit, dass sie – die AKP für antiimperialistisch und antiislamistisch erachten! So ist derselbe Cem Gürdeniz der Meinung, dass der Kampf gegen den Putsch eine islamistische Diktatur verhindert habe, dass Erdoğan mittlerweile einsehe, dass die „atlantische Entität“ (also die USA und ihre „Agenten in der Türkei“) versuche Chaos in der Türkei zu stiften und dass sie nun alle im selben Boot sitzen und den Staat retten müssen. Perinçek, der ein harter Kemalist und ergo islamfeindlich bis zum Anschlag ist und noch vor kurzem die AKP als Agent des US-Imperialismus bezeichnete, bricht sich halb den Hals in seinen Argumenten: Die AKP habe Fehler gemacht, aber nun eingesehen, welche Spielchen der US-Imperialismus in der Türkei spiele und sich in eine Front gegen den US-Imperialismus eingereiht.10 Erdoğan werde mittlerweile von den patriotischen Kräften der Türkei kontrolliert.11

Klara Bina und Stoodt mahnen in ihren jeweiligen Artikeln alle möglichen Linken, darauf zu achten, welche Flanken sie gegenüber rechten Strömungen öffnen könnten. Dabei sollten sie selbst mal darüber nachdenken, ob sie nicht vielleicht eine Flanke in Richtung der Perinçeks öffnen könnten. Den sogenannten „Antiimperialisten“ im Solidaritätskommittee für Syrien (SKFS) in Frankfurt am Main hingegen ist nichts mehr zu empfehlen: Sie arbeiten schon mit der TGB zusammen, die de facto eine Tarnorganisation von Perinçeks Vatan Partisi ist und auch mal gerne mit den Grauen Wölfen kollaboriert und das dann eine revolutionäre, antiimperialistische Volksfront nennt. In Wahrheit ist dies nichts anderes als eine Querfront.

Mit diesen neuen faschistischen Militärs im Boot wurde das Diplomatiegewitter fortgesetzt. Mehrmals reisten hochrangige AKP-Kader nach Moskau, Damaskus und Teheran. Und just darauf findet der Einmarsch in Syrien statt mit der Begründung, die „territoriale Integrität Syriens zu wahren“ und den „Terror zu stoppen“. Wir erinnern uns, dass es noch bis vor ein paar Monaten aus allen türkischen Staatskanälen scholl: „Nieder mit dem blutrünstigen Diktator Assad! Einmarsch jetzt!“ Umgekehrt hatten die USA bisher stets abgelehnt, jedwede türkische Invasion in Nordsyrien auch nur ansatzweise zu unterstützen, Russland hatte seit dem Abschuss des Bomberjets damit gedroht, jede erneute feindliche Handlung mehrfach zu kontern, Iran, die (libanesische) Hisbollah und Syrien drohten der Türkei mit Krieg bei einer eventuellen offensiven Aktion seitens der Türkei. Was jetzt passiert, ist, dass die Türkei von der ersten Minute an mit Unterstützung der USA im Norden Syriens einmarschiert, was offensichtlich auch mit Russland, dem Iran, der Hisbollah und Syrien abgestimmt ist, denn sonst hätten alle die Sanktionen und Konterattacken stattgefunden, die noch bis vor Kurzem angekündigt worden waren. Es ist offensichtlich, dass diese Invasion auf Grundlage einer (obzwar fragilen) Vereinbarung zwischen allen beteiligten Parteien gegen die kurdischen Kräfte stattfindet. Gegen den IS geht es so gut wie gar nicht. Übrigens: Doğu Perinçek feiert die Invasion ab12 – wisst ihr das eigentlich, oh ihr mega radikalen Antiimperialisten, die ihr im SKFS mit diesen Leuten zusammenarbeitet? Perinçek erklärt sich das so: Die Türkei sei da in einen „amerikanisch-israelischen [sic!] Korridor“, also Rojava, einmarschiert und habe die Pläne des US-Imperialismus im Bündnis mit dem Iran, Russland und Syrien zerstört. Dass das türkische Militär das gemeinsam mit US-aufgerüsteten jihadistischen Mörderbanden macht, erklärt sich Perinçek wie folgt: Es sei auch für Syrien besser, wenn diese Gruppen gemeinsam mit der Türkei gegen den „amerikanisch-israelischen Korridor“ kämpften, denn dann wären sie nicht mehr Instrumente des US-Imperialismus sondern auf der richtigen Seite, für die Einheit Syriens.

Woraus erklärt sich diese Achsenverschiebung der internationalen Konstellation? Einerseits machte die AKP (vorerst) einen Schritt zurück: Sie konnte ihre Maximalforderungen bezüglich Syrien nicht durchsetzen, wurde selbst zersetzt von Krisen, brauchte eine Erfolgsmeldung und die Fortschritte der kurdischen Kräfte in Nordsyrien wurden zu einer großen Gefahr für sie. Das Projekt Rojava zu zerschlagen oder zu beschränken rückte somit in den Vordergrund und drängte die Forderung nach einem Sturz von Assad in den Hintergrund. Diese Konzession an Assad, Russland und Iran ersieht man daraus, dass plötzlich von der „Wahrung der territorialen Integrität Syriens“ die Rede ist. Auch hochrangige iranische Quellen bestätigen, dass es zwar immer noch größte Differenzen zwischen Ankara, Teheran, Moskau und Damaskus gäbe, man sich aber zumindest mal auf die Einheit und Souveränität Syriens geeinigt habe.13 Die USA sind gewillt, das Spielchen der Türkei mitzuspielen, um sie, gerade auch wegen dem fehlgeschlagenen Putsch, wieder etwas zahmer und NATO-tauglicher zu machen.14 Russland stimmt dem zu, weil bzw. solange es nicht gegen Assad geht, sondern gegen ein Projekt, das die bestehende bürgerliche Ordnung Syriens in Frage stellt, also gegen Rojava/die Föderation Nordsyrien. Iran aus demselben Grund, und hinzu kommt, dass eine Erstarkung der kurdischen Kräfte automatisch auch eine Erstarkung derselben im Iran bedeuten würde. Alle diese Kräfte sind sich zusätzlich einig darüber, dass die revolutionären rätedemokratischen Ansätze in Rojava nicht weiter gedeihen sollen und dieses Projekt auf Schritt und Tritt behindert und beschränkt werden muss, damit im Nahen Osten nicht eine Alternative entsteht, die sich gegen die einen wie die anderen Imperialisten stellt und auch mit den lokalen Regimen und Kollaborateuren abrechnet. Konflikte zwischen den „Vertrags-“parteien stellen sich genau dann ein, wenn es nicht mehr um das einheitliche Interesse (= Beschneidung eines revolutionären Projekts), sondern um die Differenzen geht (z.B. wenn die Türkei versucht, wieder mehr Initiative und Bestimmungsmacht zu erlangen und wieder zu eigenwillig gegenüber der NATO zu werden resp. gegen das syrische Regime zu wettern).

Warum erkläre ich so lang und ausführlich die derzeitig stattfindende türkische Invasion in einem Artikel, der diskutiert, welche Rolle die kurdischen Kräfte in Nordsyrien/Rojava haben? Gerade weil die Invasion und die Motivation der an ihnen beteiligten Kräfte aufzeigen, dass die Klassenfeinde und Imperialisten aller Herren Länder wie immer in der Lage sind, eine Gefahr für sie alle genau als solche einzuschätzen, alle Differenzen für einen Moment zur Seite zu stellen und dafür zu sorgen, dass diese Gefahr eingedämmt wird. Der Klassenfeind weiß also, worum’s geht, nämlich gegen ein revolutionäres Projekt. Nur unsere Damen und Herren Revolutionäre aus den imperialistischen Zentren kommen mit der unglaublich tiefen Belehrung, dass jenes revolutionäre Projekt eigentlich … eine pro-imperialistische Angelegenheit sei!!



Öcalan, quasi-Agent des US-Imperialismus?

Niemand ist so bekloppt und würde behaupten die OHL wäre revolutionär gewesen, weil sie Lenin in den Zug nach Russland setzte. Komischerweise sind aber eine Reihe an „Revolutionären“ bekloppt genug zu behaupten, die kurdischen Kräfte seien proimperialistisch, allein weil sie Waffenunterstützung von den Amis erhalten. Natürlich passt in diesen verkrusteten Schematismus nicht hinein, dass sich die YPG/J auch Waffen vom Iran, von Russland und vor allem auf dem Schwarzmarkt besorgen und es im Prinzip nur Luftunterstützung und zum Großteil leichte Waffen sind, die sie von den US-Amerikanern bekommen. Dazu gleich mehr. Schauen wir uns die „Argumente“ der Super-MLler an. Sie quellen über vor Unwissenheit und Ignoranz.

So wird als Hauptargument immer zuerst eine Passage von Öcalans Verteidigungsschrift Bir Halkı Savunmak (auf deutsch: Jenseits von Macht, Staat und Gewalt) aus den Jahren 2003 bis 2004 zitiert. Hier bezieht sich Öcalan anscheinend positiv auf das US-imperialistische Projekt eines Greater Middle East Projects und scheint dem ganzen zuzustimmen.

Stoodt zum Beispiel ist so dermaßen frei von Geschichtsbewusstsein, dass er die Passage auf 2010 datiert, wo niemand mehr sowas in der kurdischen Befreiungsbewegung verteidigte. Um die Zeit rum (2011) hieß es stattdessen bei Öcalan: „In the Middle East, democracy cannot be imposed by the capitalist system and its imperial powers which only damage democracy.“15 Stoodt scheint auch nicht den Ansatz eines Schimmers davon zu haben, was, erstens, in den damaligen Jahren, also Anfang der 2000er, mit der kurdischen Bewegung und vor allem was, zweitens, danach mit der kurdischen Befreiungsbewegung passierte.



Zu ersterem. Öcalan war gerade frisch inhaftiert, die PKK versuchte zu überleben und zog sich aus der Türkei zurück. Kurz vor seiner Inhaftierung schlug Öcalan schon eine neue Taktik ein: Es sollte, zuzüglich zur Guerilla, unter anderem um die Bildung einer breiten demokratisch-politischen Front für die kurdische Sache gehen, die auch verknüpft wurde mit einer diplomatischen Offensive im Ausland. Parallel wurde die Perspektive der Gründung eines eigenen kurdischen Staates aufgegeben, stattdessen auf eine demokratische Revolution in den jeweiligen Ländern, in denen die „kurdische Frage“ aktuell war, gesetzt, die bürgerliche wie auch sozialistische Elemente enthielt. Im Sinne der diplomatischen Offensive wurde, wo man sich an die demokratischen Gesellschaften und Elemente des Westens (in der Türkei wie auch global betrachtet) wandte, ein moderaterer, stärker Demokratie und Menschenrechte und dergleichen betonender Diskurs angewandt. Wenn nun Kommunist*innen in allen Herren Ländern zuzüglich zur kämpfenden ML-Kaderpartei eine breite Front an demokratischen Massenorganisationen bilden (oder das zumindest versuchen), die weitaus weniger offensichtlich marxistisch-leninistisch reden, sondern sich in Kämpfe um demokratische Rechte engagieren und teils auch daran orientiert sind, die demokratischen Teile der Kleinbourgeoisie auf die eigene Seite zu ziehen oder sie wenigstens zu neutralisieren, dann gilt das als revolutionärer, taktischer Meisterzug. Macht das die kurdische Befreiungsbewegung, ist das „pro-imperialistisch“!

Zweitens: Dass die Art und Weise der Diskursanpassung und Veränderung der Ideologie in puncto Taktik (z.B. nicht weiter ausgeführter positiver Bezug auf das Greater Middle East Project) wie auch Strategie (z.B. Verzicht auf expliziten Klassenantagonismus) seitens der kurdischen Befreiungsbewegung teils zu weit ging und geht und dies mittel- bis langfristig gravierende Probleme hervorbringen kann, ist ein Punkt, an dem vermutlich Übereinstimmung unter Marxist*innen besteht (siehe hierzu weiter unten den Abschnitt: „Die Revolution in Rojava und ihre Probleme“). Dass allerdings der positive Bezug auf das Greater Middle East Project tatsächlich bloß auf der Diskursebene verblieb und ausschließlich taktisch gemeint war, das hätte man sofort gemerkt, wenn man sich denn wirklich für Geschichte und Politik der kurdischen Befreiungsbewegung interessiert hätte. Denn praktisch betrachtet gab es nur kurz, Anfang der 2000er, eine Gruppe an PKK-Kadern, inklusive einem Bruder von Abdullah Öcalan, Osman Öcalan, die die Verwirrung der damaligen Zeit ausnutzten und versuchten, die PKK auf eine offen proimperialistische Schiene zu ziehen.16 Osman Öcalan begab sich mit seinen Unterstützern in die Obhut der USA in Mosul und schlug der USA Kooperation vor. Er kritisierte die zu enge Anbindung der PKK an türkische Sozialist*innen und verlangte ein stärkeres Beharren auf der kurdischen nationalen Identität und glorifizierte im Zuge dessen die von ihm „demokratischer Kolonialismus“ genannte Irak-Invasion der USA. Abdullan Öcalan bezeichnete diese Wendung als „Verrat“ und als eine „gefährliche rechte nationalistische Linie“ und hob hervor: „Lösungen, die auf den USA oder irgendeiner ausländischen Macht beruhen, sind nicht von Dauer.“ Was mit der „Rechtsabspaltung“ aus der PKK im Folgenden passierte (unabhängig davon, ob man die Methoden des Umgangs mit dieser Rechtsabspaltung für gut oder verachtenswert erachtet), lässt eigentlich nur sehr eindeutige Schlüsse auf die politische Ausrichtung der PKK zu: Wichtige Führungspersönlichkeiten wurden physisch liquidiert, der Rest aus der Organisation ausgestoßen und ins Exil verbannt. Cemil Bayık, Murat Karayılan, Duran Kalkan und andere alte, sozialistisch ausgerichtete und seit jeher im engen Bündnis mit der revolutionären Linken in der Türkei stehende Kader übernahmen das Ruder und brachten die PKK wieder auf eine eigenständige, revolutionäre Linie. Abdullah Öcalan kritisierte hingegen noch 2013 die PKK dafür, dass sie damals nicht gesehen habe, dass da ein großes Spiel der USA, des Iran und Israels am Laufen war. Er kritisiert sie auch dafür, dass sie seinen eigenen Bruder nicht für den Verrat umgebracht haben, den er beging.17 Stoodt hatte 13 lange Jahre Zeit, diese Geschichte nachzuvollziehen. Wenn er dies nicht getan hat, dann offensichtlich aus Desinteresse an einer wirklichen Beschäftigung mit der kurdischen Befreiungsbewegung und dem stattdessen vorhandenen Interesse, dieselbe als (objektiven) Agent des US-Imperialismus zu diffamieren.

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