Theologie, Neuere
Die nachfolgende Darstellung gibt einen Überblick über die theologiegeschichtliche Entwicklung seit Schleiermacher. Die Arbeit der letzten zehn Jahre (etwa nach 1965) kann nur noch angedeutet werden, da die Langzeitwirkung der einzelnen Beiträge noch nicht abzusehen ist.
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Von Schleiermacher bis etwa 1-870
1. schleiermacher. Als »Kirchenvater« des 19. Jh.s und Vater der m.Th. gilt weithin D.
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E. Schleiermacher. Fast alle theologischen Richtungen des 19. und 20. Jh.s sind entweder von ihm beeinflußt oder stehen in Auseinandersetzung mit ihm. Sein Anliegen war die Versöhnung von Theologie und Wissenschaft, Glaube und Bildung. Dabei setzt er Glaube mit Religion gleich, der frommen Erhebung des Gemüts, dem »Sinn und Geschmack fürs Unendliche«, dem »schlecht- hinnigen Abhängigkeitsgefühl«. Die Glaubenslehre als Beschreibung des christlichen frommen Gemütszustandes tritt an die Stelle der Dogmatik. Dem Glauben und der Theologie wird somit ein sturmfreier Bereich zugewiesen, denn Metaphysik, Moral und Historie haben nunmehr mit dem Glauben und der Theologie nichts mehr zu tun. Wo man bisher von Gott redete, spricht man jetzt vom Menschen; anstößige Heilstatsachen wie —> Jungfrauengeburt, Versöhnung, Auferstehung und Himmelfahrt, —> Wiederkunft werden entbehrlich. Die —> Bibel kann der radikalen historischen und sachlichen Kritik preisgegeben werden, ohne daß der Glaube darunter leidet. Der Absolutheitsanspruch der Bibel als Offenbarungsquelle wird aufgegeben, denn die Bibel »verbietet keinem anderen Buche auch Bibel zu sein oder zu werden«. In der Fortentwicklung und Auseinandersetzung mit Schleiermacher finden sich die spekulative, konfessionelle und Erweckungstheologie.
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die erweckungstheologie. Sie erwächst der —» Erweckungsbewegung. Ihre Hauptvertreter sind A. -» Neander (Kirchenhistoriker, Berlin) und A. —» Tholuck (Exeget, Halle). Ihre Theologie wird von ihrer Frömmigkeit getragen; ihr wissenschaftlicher Eifer konzentriert sich auf die historische Theologie. Tholuck prägt darüber hinaus als Prediger und Seelsorger viele Studenten und Pfarrer. Zu einer systematischen Besinnung über das Wesen der erwecklichen Frömmigkeit kommt es zunächst leider nicht. Das wird im hailenser Bereich eine Generation später von M. -» Kähler nachgeholt, der freilich nicht von der eigenen Frömmigkeit, sondern vom evangelischen Grundartikel der —» Rechtfertigung aus seine Dogmatik gestaltet. Auch in der -» Erlanger Theologie, in der sich bekenntnisgebundenes Luthertum und persönliche Wiedergeburtsfrömmigkeit treffen (»Allein vom Erleben der Wiedergeburt her kann der ganze Komplex der lutherischen Lehre angeeignet werden«), kommt es zur systematischen Reflektion. Während im Bereich der Schriftauslegung die —» Heilsgeschichte den hermeneutischen Schlüssel reicht, ist in der Systematik das persönliche Erlebnis der —> Wiedergeburt der Ausgangspunkt (»Ich der Christ bin mir dem Theologen eigenster Stoff meiner Wissenschaft««). —> Biblizismus
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DIE KONFESSIONELLE THEOLOGIE. Im Gefolge der Restauration bildet sich eine neue lutherische Hochorthodoxie heraus, die freilich weniger auf Luther als auf die altprotestantische Dogmatik zurückgreift und sich mehr kirchenpolitisch als theologisch-wissenschaftlich profiliert. Die hervorragendsten Vertreter der konfessionellen Theologie waren E. W. —» Hengstenberg (Preußen), Th. -> Kliefoth (Mecklenburg) und A. -> Vilmar (Hessen).
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die spekulative Theologie. Noch zu Lebzeiten Schleiermachers kam es in der spekulativen Theologie zu einer neuen Verbindung von Dogma und Philosophie. P. Marhei- neke (1780-1846 Berlin) und K. Daub (1765-1836 Heidelberg) wollten mit Hilfe der Philosophie Schellings und später —» Hegels das Dogma und die Offenbarung wissenschaftlich entfalten und als objektive, universale Wahrheit beweisen. Trotz orthodoxem Anschein führte das zum Verlust der geschichtlichen Verwurzelung des Glaubens, ja, im Ausbau einer neuen Metaphysik verfiel man ähnlich wie im Rationalismus erneut dem Intellektualismus.
s. die -> liberale Theologie. Dabei war schon eine neue theologische Arbeitsweise im Werden: die »freie Theologie««, wie sie ihr dogmatischer Führer, A. E. Biedermann (1819-1885) nannte. Als liberale Theologie ist sie noch heute bekannt. »Frei«« erachtete sie sich von aller kirchlichen Überlieferung und dogmatischen Bindung, berufen zur kritischen Durchleuchtung derselben in ausschließlicher Bindung an die Gesetze der Logik unter Betonung des Rechts der freien Forschung. Aus der kritisch bearbeiteten Schrift erhob die wissenschaftliche Theologie die von Verstandeswidersprüchen gereinigte religiöse Erkenntnis. Die Methode der freien Theologie wurde die historisch-kritische Forschung in ihren verschiedenen Spielarten. Während sie für die Kenntnis der historischen Welt der Bibel Großes leistete, hat sie durch unzählige Irrungen, vorschnelle Verabsolutierung von Arbeitshypothesen und Vergötzung einer zeitgebundenen Wissenschaftlichkeit samt deren geschlossenem Weltbild, der Glaubwürdigkeit des Evangeliums stark geschadet.
Die wichtigsten Vertreter dieser Forschungsrichtung waren D. F. Strauß und F.
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Baur (-» Liberale Theologie).
6. DIE VERMITTLUNGSTHEOLOGIE.
Einen Brückenschlag zwischen den verschiedenen Richtungen versuchte die Vermittlungstheologie mit C. I. Nitzsch (1787-1868) und R. Rothe (1799-1867) als Hauptrepräsentanten. Die Vermittlung reicht schließlich weit über Form und Methode hinaus und greift die Substanz an. Das Problem Glaube-Kultur suchte Rothe so zu lösen, daß die Kirche an das unbewußte Christentum in der Welt anknüpft, den Staat durchdringt und sich in ihn hinein auflöst. Hier tauchen Gedanken auf, die sich heute in der ökumenischen Theologie nach Uppsala (1968) wiederfinden.
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Von 1870 bis zum Ersten Weltkrieg In der Zeit zwischen 1870 und 1914 verlagert sich in der liberalen und positiven Theologie das Gewicht auf die historische Forschung. Die philosophische Arbeit tritt zurück; die Dogmatik fühlt sich verpflichtet, den Glauben nicht mehr so stark vor der Philosophie, wohl aber vor der Historie zu rechtfertigen.
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ÜBERWINDUNG DER TÜBINGER SCHULE. Das geschah einmal durch überzogene Geschichtskonstruktionen von Schülern, die die Vorstellungen des Lehrers (Baur) ad absurdum führten (Zeller, Schwegeler, Bruno Bauer); zum anderen durch den erzwungenen Übertritt von Hauptvertretern dieser Richtung in andere Fakultäten und schließlich durch die grundlegende Lösung der synoptischen Quellenfrage (Weiße, Wilke, Holtzmann), die das Baur'sche Geschichtsbild als unhistorisch entlarvte.
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die liberale Theologie nach 1870. Die hervorstechendste Theologengestalt war zunächst Albrecht Ritschl, 1822-89, der von der Tübinger Schule F. C. Baurs herkommend, sich von der Geschichtskonstruktion des Meisters befreite und sich unter Rückgriff auf Kant gegen die Metaphysik in der Theologie und den zunehmenden Materialismus in der Gesellschaft wandte. In der Religion geht es um die Selbstbehauptung der sittlichen Persönlichkeit gegenüber der materialistischen Verflechtung. Nicht zu Welt
erkenntnis, sondern zur sittlichen Weltbeherrschung führt der Glaube. Nicht »Sein-«, sondern »Werturteile« sind gefragt. Das Christentum verwirklicht sich vor allem in der Berufstreue und Pflichterfüllung. Die dogmatische Tradition ist an den historisch-kritisch erfaßbaren Grundzügen des tätigen Lebens Jesu zu revidieren. Hier triumphiert der Optimismus des Bis- marck'schen Bürgertums und der Berufsethos des preußischen Beamtentums. Der glanzvollste seiner Schüler ist A. v. Harnack (1851-1930), begabter historischer Forscher, genialer Organisator wissenschaftlicher Institutionen (Preußische Staatsbibliothek, Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft), ausgezeichneter und geehrter Vertreter seines Zeitalters. Im Apostolikumsstreit achtet er das Apostolikum für revisionsbedürftig, wird aber nicht wie manch anderer, der ebenso denkt, aus dem Amt entfernt. Als Historiker wollte er Theologe sein und faßte sein Verständnis des Evangeliums in der Vorlesung »Das Wesen des Christentums« (später gedruckt) zusammen. Das Dogma ist Frucht der Hellenisierung des Christentums. Es gilt zurückzukehren zu dem dogmenlosen Christentum Jesu. Jesus selbst gehört nicht ins Evangelium, denn er verkündete lediglich die väterliche Liebe Gottes, die Bruderschaft aller Menschen und den unendlichen Wert der Menschenseele. Die Kirche machte irrtümlich daraus das Evangelium von Jesus und hielt dazu noch fälschlicherweise am Alten Testament fest. Diese Synthese von Humanismus und Christentum reflektiert den weltweiten Optimismus der wilhelminischen Zeit und endet in den Schützengräben des ersten Weltkrieges.
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DIE RELIGIONSGESCHICHTLICHE SCHULE. Parallel dazu brach sich auf dem Gebiet der alt- und neutestamentlichen Forschung die religionsgeschichtliche Schule Bahn, deren führende Männer, zunächst aus der Schule Ritschls und Baurs stammend, sich der Feststellung des Göttinger Orientalisten Paul de Lagarde, 1827-91, verschrieben, daß Theologie »eine ausschließlich historische Dis- ciplin sei« und der neutestamentliche Kanon »die Sammlung der Bücher, welche die altkatholische Kirche in ihrem Kampf mit den Ketzern und Sekten des zweiten Jahrhunderts geeignet betrachtete, als Beweismittel zu dienen«. Die Vorläufer der Bewegung waren A. Hausrath (1837-1909) (erste neutestamentliche Zeitgeschichte) und A. Hilgenfeld, 1833-1907 (erkannte Bedeutung der jüdischen Apokalyptik). E. Schürer, 1844 — 1910, sah das Christentum noch ausschließlich im Rahmen des Judentums. O. Pfleiderer, 1839-1908, der eigentliche Vater der Schule, hat die in der damals blühenden archäologischen und paläographischen Forschung gewonnenen religionsgeschichtlichen Erkenntnisse dazu verwandt, das Urchristentum konsequent als Produkt der religiösen Entwicklung im Zusammenhang seiner Zeit darzustellen. H. Gunkel, 1862-1932, brachte dazu den Begriff des Mythischen wieder ein. Der Entwicklungsgedanke wird konsequent auf die Bibel angewandt. Die Bibel ist lediglich ein qualitativ gleichwertiger Ausschnitt aus der vorderasiatischen Religionsgeschichte; das Christentum wird in die orientalischen Religionen der hellenistischen Zeit eingeebnet. Bedeutende Beiträge lieferten u.a. W. Bousset, 1865 — 1920, und W. Heitmüller, 1869-1926, (NT), H. Gunkel (AT), J. Wellhausen, 1844 — 1918 (AT und NT) und E. Troeltsch, 1865-1923 (Systematik). -» Bultmann, 1884-1976, führte das Erbe weiter. Positiv ist zu vermerken, daß die völlige Isolierung des Urchristentums von seiner Umwelt, wie es sich noch bei Harnack und Ritschl findet, durchbrochen wird. Die Leben-Jesu-Darstellungen des Rationalismus und Liberalismus werden als Spiegel- oder Wunschbilder der Verfasser entlarvt (A. Schweitzer, 1875-1965, »Geschichte der Leben Jesu Forschung«). Man erkennt: das Fremdartige der Schrift ist nicht zu eliminieren; als Lokalkolorit ist es Zeichen der Echtheit. Negativ ist zu notieren, daß das Problem Geschichte und Offenbarung neu akut wird und die Fragen nach der Autorität der Bibel und der Absolutheit des Christentums wieder entbrennen. Der Systematiker der Schule, E. Troeltsch, resigniert darüber und wechselt in die philosophische Fakultät über. Die Ungelöstheit dieser Frage lastet heute als schwere Hypothek auf der ökumenischen und Missionstheologie. Unmöglich wird es weiterhin, ein Bild Jesu zu zeichnen, nachdem —» Bultmann im Rahmen der formgeschichtlichen Methode, die lediglich ein weiterer methodischer Zweig am Baum der religionsgeschichtlichen Schule ist, fast die ganze Jesusüberlieferung als Gemeindeprodukt verstehen wollte. Es bleibt lediglich das »Daß« des Lebens Jesu. Den Mythos will Bultmann freilich nicht eliminieren, sondern unter Hinzuziehung der Heideg- ger'schen Existentialphilosophie für sein Zeit- und Existenzverständnis gültig interpretieren. Es sind ausgesprochene Fehler dieser Schule, die bis heute fortwirkt (s. IV), daß sie den Blick für die Eigenart der Bibel verlor, religionsgeschichtliche Parallelen auf Kosten bestehender Unterschiede überbetonte, die zeitliche Einordnung der Quellen oft eklatant mißachtete und z.T. einem ausgesprochenen Skeptizismus gegenüber Bibel und Tradition verfiel, der ungerechtfertigt ist (vgl. C. Colpe, »Die religionsgeschichtliche Schule«, 1961). In allem blieb man dabei dem geschlossenen physikalischen Weltbild des 18. und 19. Jh.s total verhaftet.
4. die POsmvE Theologie. In der positiven Gegenbewegung treten nur wenige ausgeprägte Gestalten auf. A. -» Schiatter, gebürtiger Schweizer erwecklicher Herkunft und ausgesprochen schöpfungsbejahend, geht trotz der erkannten Vielfalt von der Überzeugung der wesentlichen Einheitlichkeit des neute- stamentlichen Zeugnisses aus, sieht im eigenen^ lauben eine notwendige Voraussetzung zur sachgemäßen Darstellung des neu- testamentlichen Glaubens, betont in der exegetischen Arbeit vor allem den Sehakt und erkennt im palästinensischen Judentum den eigentlichen Verstehenshintergrund des NT. Sein Freund, H. —» Cremer, arbeitet auf dem Gebiet der biblischen Lexikographie und bereitet den Weg für Kittels »Theologisches Wörterbuch zum NT« vor. M. —> Käh- ler, Neutestamentler und Systematiker in Halle, betont, daß das biblische Christusbild der eigentliche Grund des Glaubens ist, denn sonst lebt der Christ von der Gnade des Historikers. Auf dem Gebiet der Systematik suchen K. —> Heim und W. —> Lütgert neue Wege aufzuzeigen. Schiatters Arbeit im antiken Judentum wird bis heute weitergeführt durch u.a. H. Rengstorf (*1903), J. Jeremias (*1900), O. Michel (*1903) und M. Hengel (‘1926). Kählers Anliegen wurde vor allem von —> Schniewind und im systematischen Bereich von Iwand (1899-1960) aufgegriffen. Biblizismus I
schon einige Linien bis in die Gegenwart gezogen, so ist noch auf die Neuentwicklung nach den Schrecken des ersten Weltkrieges hinzuweisen, der den liberalen Kulturprotestantismus bis in die Wurzeln erschütterten. Der Fortschrittsoptimismus war gebrochen, die Sündhaftigkeit des Menschen neu erkannt. Die Frage nach dem Inhalt der Predigt stellte sich verschärft. In dieser Krise gelang K. Barth mit seinem Römerbriefkommentar (1.919) ein Schritt nach vorn. Er wurde der Vater der Dialektischen Theologie, die vor allem eine Zuwendung zu Gott und seinem Wort, das von außen auf uns zukommt, sein wollte. Ein scharfes Nein zu natürlicher Offenbarung (gegen Emil —► Brunner), aller Bewußtseins- und Erfahrungstheologie (in liberaler Theologie, in Pietismus und Erwek- kungsbewegung - vgl. »Geschichte der prot. Theologie«) und zur Ableitung des Christentums aus den Religionen (religionsgeschichtliche Schule).erschallte. Gott ist der unverfügbare »Ganz-andere«. Freilich taten sich in der Einschätzung der Schrift als Offenbarungsquelle und in der Frage des Umfangs und der Aneignung der Versöhnung neue Probleme auf. Dazu blieb der ethische Bereich unterbelichtet. Nach dem Kirchenkampf und im Zuge der Entmythologisie- rungsdebatte verlor die dialektische Theologie an Bedeutung.
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Neue Schritte nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die Gegenwart.
Unter den Bultmannschülern wurde der Versuch unternommen, erneut ein Bild vom historischen Jesus zu zeichnen, da man einsah, daß der Glaube vom Daß des Lebens Jesu allein nicht leben kann (E. Käsemann,
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Bornkamm, G. Ebeling). Man wagte sich wieder von der Detailforschung zu Gesamtentwürfen (alt- und neutestamentliche Theologie, Redaktionsgeschichte). Vor allem aber zeigte sich in den sozialen Auseinandersetzungen der ausgehenden sechziger Jahre, daß der extrem skeptizistische und existentialistisch-individualistische Ansatz Bultmanns nicht durchzuhalten ist. Bultmann wurde noch zu seinen Lebzeiten überlebt. In der konsequenten Weiterführung seiner Linie gelangte man zu der Eliminierung Gottes (Gott-ist-tot-Theologie: van Buren, Altizer, Soelle, Braun), zur Aufhebung aller ethischen Normen (Situationsethik). Der Versuch, auf dem ethischen Gebiet unter Beibehalt seines theologischen Grundan-
Satzes über Bultmann hinauszuführen, brachte die politische Theologie, die Theologie der —> Revolution (Moltmann) und die Theologie der Befreiung (Bonino) hervor. Durch die starke Missionstätigkeit der letzten 150 Jahre machen sich zunehmend außerwestliche theologische Stimmen hörbar, fordern die Entwestlichung der Theologie und gleichzeitig ihre Kontextualisierung in der Dritten Welt. Die alte Frage nach der Absolutheit der biblischen Offenbarung, die schon in der Aufklärung und wiederum in der religionsgeschichtlichen Schule an- stand, die in den missionstheologischen Konferenzen (Jerusalem 1928, Tambaram 1938 - H. Kraemer, Neu Dehli 1961, Bangkok 1972/3) nicht geklärt wurde, stellt sich in neuer Schärfe in der theologischen Kon- textualisierungsdebatte (Schwarze Theologie, Afrikanische Theologie) und im Dialogprogramm der Ökumene (—» Synkretismus, —» Mission, —» ökumenische Bewegung). Positiv ist zu vermerken, daß es bei jüngeren Theologen zu einem neuen Ernstnehmen des biblischen Textes kommt (Roloff, Stuhlmacher u.a.). Der heilsgeschichtliche Ansatz findet - unter neuhegelschen Vorzeichen - erneut Beachtung (Pannenberg). Wie wei_t der —> evangelikale Aufbruch sich in der Schultheologie niederschlagen wird, ist noch nicht abzusehen.
Im wesentlichen haben die gleichen Fragen die Theologie über die letzten 200 Jahre begleitet: Glaube und wissenschaftliches Weltbild, Offenbarung und Geschichte, Christentum und Religionen, die persönliche Aneignung und der Bereich des Glaubens; die Anwendbarkeit philosophischer Erkenntnistheorien auf die theologische Arbeit und die rechte theologische Methode allgemein. Es gibt in der Theologie keinen Stillstand. »Der Glaube, (der) ein für allemal den Heiligen übergeben ist« (Jud 3), ist immer neu zu formulieren, in den wechselnden Zeitläufen zum Leuchten zu bringen und vor den Angriffen der verschiedensten Lager zu rechtfertigen und zu verteidigen.
Lit.: K. Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jh., i960'1 - H. Stephan/M. Schmidt, Geschichte der evangelischen Theologie in Deutschland seit dem Idealismus, 197 3-1 - W. G. Kümmel, Das Neue Testament, Geschichte der Erforschung seiner Probleme, 19692 - H. J. Kraus, Die biblische Theologie - ihre Geschichte und Problematik, 1970 - A. Köberle, Der Weg der ev. Theologie in der Neuzeit, in: Christliches Denken, 1962
Egelkraut
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