Gesammelte Aufsдtze zur Dramaturgie



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aristokraten» sind das neue Kunstwerk, das in der «Sprache des Lebens», nicht in der plumpen Theatersprache Shakespeares und Schillers «gedichtet» sein soll. Das Leben soll von der Bühne herab zu uns sprechen. Deshalb zeichnet Holz einen einundzwanzigjährigen Schwachkopf, den niemand in dem Milieu, in das ihn der Dichter versetzt, wirklich antreffen könnte, weil vorsorgliche Verwandte den geistig Zurückgebliebenen schon in zartem Alter in einer entsprechenden Anstalt untergebracht haben würden. Nein, die Zerrbilder, die da auf die Bühne gebracht werden, haben nichts mit dem wirklichen Leben zu tun. Holz will Zeitgenossen porträtähnlich schildern. Aber er entfernt alles aus ihrer Persönlichkeit, was ihren wahren Lebensinhalt ausmacht. Ohne sich einer Anhängerschaft gegenüber diesen Zeitgenossen verdächtig zu machen, kann man folgendes sagen:

Da ist ein ernst strebender Mann, der anregende Bücher schreibt, feinsinnige Vorträge hält und für die Volkserziehung in seiner Art wirkt. Der Mann hat eine pathetische Außenseite und gibt kindischer Spottsucht Veranlassung zum Lachen, weil er zu prophetenhaft auftritt. Holz stellt von dieser Persönlichkeit nur dasjenige dar, was der Philister an ihr sieht, der den tiefen Kern nicht wahrnehmen kann. Eine andere Persönlichkeit wird in dem Drama vorgeführt, von deren Hauptwerk ein geistreicher Kritiker vor einigen Jahren gesagt hat, es sei das gedankenreichste Buch, das in den letzten Jahrzehnten in Deutschland geschrieben worden ist. Dieser Mann kennt die sozialen Strömungen unserer Tage wie wenige; in ihm verkörpert sich ein Streben nach Befreiung des Menschen, das jedem seiner Werke einen Ton gibt, der wie aus einer aller gegenwärtigen Wirklichkeit entrückten Welt klingt. Sein Innenleben verbirgt er aber hinter steifen, oft recht konventionellen Umgangsformen. Der Pedant, der sich nur vorstellen kann, daß ein Mensch, der die Freiheit liebt, auch zügellos auftreten muß, findet einen Widerspruch zwischen dem äußeren «Betragen» dieses Mannes und seinen Anschauungen. Holz scheint auch in diesem Falle nichts zu sehen als die steife, für den kleinen Geist etwas lächerliche Außenseite. Man kann den Meinungen und Zielen eines solchen Mannes ablehnend gegenüberstehen;

man kann sie aufs schärfste bekämpfen; aber man braucht sie nur zu kennen, um die Witze des Herrn Holz öde und abgeschmackt zu finden. Wer die Persönlichkeiten kennt, die in dem Stück karikiert werden, errät leicht, wer gemeint ist. Wenn ich einen Bekannten habe, von dem ich weiß, daß er einen blauen Anzug trägt und gewohnheitsmäßig mit dem Stock in der Luft herumfuchtelt, so werde ich ihn an diesen Äußerlichkeiten auch erkennen, wenn er von fern an mich herankommt und ich seine Gesichtszüge nicht gewahr werde. Wenn man Menschen von ihrer komischen Seite im Drama schildern will, dann muß man es mit der Kunst eines Aristophanes tun, nicht mit den kleinen Mitteln eines ungeschickten Karikaturenzeichners.

Lebenswahrheit will Arno Holz auf die Bühne bringen. Aber gegenüber seinen Zerrbildern sind die Gestalten Lindaus, Schönthans und auch die des seligen Benedix wahre Muster naturalistischer Darstellungskunst. «Zwischen der Schaffung eines Kunstwerkes in einem Stil, der bereits gegeben ist, und der Schaffung eines solchen Stils selbst besteht kein Grad-, sondern ein Artunterschied», philosophiert Arno Holz in der Vorrede zu den «Sozialaristokraten». Aber kein Artunterschied, sondern wirklich nur ein Gradunterschied besteht zwischen der Dramatik Holz' und Schönthans. Sie verfahren beide nach dem gleichen Rezepte; nur hat es Holz noch nicht bis zur Schönthanschen Bühnengeschicklichkeit gebracht. Das traurige Bild eines Unvermögenden, der ein neues «heimlich Künstlerisches» entdecken will, aber das Wesen der echten Kunst nicht empfindet, stand vor meiner Seele, während ich das Drama des Herrn Holz ansah. Deswegen möchte ich aber durchaus nicht verkennen, daß Arno Holz zu denen gehört, die viel beigetragen haben zu dem Heraufkommen des wirklich neuen dramatischen Stils der Gegenwart. Werke in diesem Stile haben uns aber andere geschenkt. Er ist in seinem dramatischen Schaffen hinter denen zurückgeblieben, die nicht wie er von theoretischen Forderungen, sondern von der Eigenart ihres Genies sich leiten ließen. Die Gegenwart bildet die Organe des Künstlers anders aus als die Zeit Shakespeares oder Schillers. Deshalb haben wir eine «Moderne», über deren Berechtigung nur

die altersschwach gewordenen Ästhetiker oder die auf «ewige Regeln» schwörenden Kunstkritiker streiten können. Unter denen, die den Sinn der Gegenwart verstehen, kann über derlei Dinge kein Streit sein. Aber daß in den «Sozialaristokraten» etwas von diesem Sinne zu entdecken ist, muß ich bestreiten. Man ist nicht dadurch modern, daß man Schillers und Shakespeares Sprache eine «offenbar plumpe» nennt. Ich glaube nicht, daß jemand das Wesen unseres modernen Stiles richtig würdigen kann, der wie Holz über Shakespeare zu sprechen vermag.

«FAUST» Eine Tragödie von J.W.Goethe



Aufführung im Deutschen Theater, Berlin

Vor mehreren Jahren hat ein berühmter Gelehrter, der Physiologe Du Bois-Reymond, in einer Rede, die er bei Übernahme des Rektorats der Berliner Universität gehalten hat, über die Goethesche Faustdichtung Dinge gesagt, die verrieten, wie gut eine vollendete wissenschaftliche Bildung mit philisterhafter Gesinnung und ästhetischer Urteilslosigkeit in einer Person vereinbar ist. Der pedantische Redner verstieg sich zu der Behauptung: es wäre für Faust besser, wenn er, statt sich der Magie zu ergeben und mit dem Teufel all das tolle Zauberwesen zu treiben, ein braver Professor bliebe, die Elektrisiermaschine und die Luftpumpe erfände, Gretchen heiratete und sein Kind ehrlich machte.

Wer mit einer solchen Gesinnung am Geburtstage Goethes im Deutschen Theater saß, der muß an der Darstellung des Faust durch Josef Kainz eine ganz besondere Freude erlebt haben. Denn nichts war in dieser Darstellung zu entdecken von der tiefen Sehnsucht des Faust nach Erkenntnis der Weltgeheimnisse; nichts davon, daß dem verwegenen Forscher der Gedanke, wir können

nichts wissen, schier das Herz verbrennen will. Dieser Faust des Deutschen Theaters hat nicht «Philosophie, Juristerei, Medizin» und «leider auch Theologie studiert mit heißem Bemühn», er hat nur die elegante Rede Du Bois-Reymonds «Über die Grenzen des Naturerkennens» und Fr. A. Langes «Geschichte des Materialismus» nebst andern in ähnlichem Geiste geschriebenen modernen Büchern gelesen und daraus gesehen, daß es gewisse «Welträtsel» gibt, die der Mensch nicht lösen kann. Solche Lektüre regt zwar etwas auf; sie macht «nervös», aber sie ist nicht imstande, die unsäglichen Qualen in der Menschenseele hervorzurufen, an denen Faust leidet. Nur wenn man die ganze Gewalt der Stürme empfindet, die auf Faust eindringen, kann man die tiefe psychologische Wahrheit der Goetheschen Dichtung verstehen. Wer einer solchen Empfindung fähig ist, der weiß, daß eine Seele wie die Faustens nur noch Erlebnisse erträgt, die hoch nicht nur über denen des Philisterlebens liegen, sondern auch über der Befriedigung, die der Mensch etwa aus der Erfindung der Luftpumpe schöpfen kann. Diese Erlebnisse werden sich in Wirklichkeit innerhalb der Menschenseele abspielen; der Dramatiker, der die Innenvorgänge, die psychologische Entwickelung als solche nicht darstellen kann, greift zu unwirklichen Lebensregionen. Die Phantasie begibt sich gerne in die unwirklichen Gegenden, wenn das Gefühl sagt, daß keine wirklichen Vorgänge mit den in der Tiefe der Seele aufgewühlten Empfindungen in Harmonie ständen. Die Empfindungen, die wir auf dem Seelengrunde desjenigen Faust wahrnehmen, der hier dargestellt wurde, sind nicht solche, daß sie der hohen Regionen bedürfen, in die Goethe uns führt. Dieser Faust könnte ganz gut Gretchen heiraten. Und wenn er noch gar die Elektrisiermaschine erfände, dann könnte er mit dem Leben völlig versöhnt sein. Die Kunst, mit der Josef Kainz die großen Monologe spricht, ist bewundernswert. Die Technik der Sprache zeigt sich hier in einer seltenen Vollendung. Wer Sinn hat für solche technische Äußerlichkeiten, der mußte jeden Satz in der Kainzschen Wiedergabe interessant finden. Geradezu als sprachtechnisches Seiltänzerkunststück war die Art, wie der Darsteller die Worte sprach:

«Nun komm herab, kristallne reine Schale!

Hervor aus deinem alten Futterale,

An die ich viele Jahre nicht gedacht!

Du glänztest bei der Vater Freudenfeste,

Erheitertest die ernsten Gäste,

Wenn einer dich dem andern zugebracht.»

Ganz und gar vernichtet wurde durch Kainz die Empfindung, daß man es mit einem Manne zu tun hat, der durch Nichtbefrie-digung eines ungestümen Erkenntnis- und Lebensdranges dazu getrieben wird, «die Pforten aufzureißen, vor denen jeder gern vorüber schleicht». Die Töne, mit denen Josef Kainz unseren Sinn erfreut, erwecken nicht den Schein, als ob sie aus einem faustischen Innern kämen. Allein der Vortrag machte an diesem Abend des Künstlers Glück.

Und als ob er uns zeigen wollte, wie wenig ihn die heißen Stürme und Leidenschaften des Erkenntnismenschen Faust interessieren, verwandelt sich Kainz sogleich, nachdem er den Hexentrank zu sich genommen, in einen liebenswürdigen, schäkernden Schwerenöter, zu dem Mephistopheles niemals sagen kann: «Dir steckt der Doktor noch im Leib». Die Folge davon, daß Kainz in der Gretchentragödie einen geradezu tändelnden Liebhaber spielt, ist, daß die Szenen, in denen der Ernst des Faustgemütes wieder zum Durchbruch kommt, vollständig unwahr wirkend, ja von dem Künstler mit einer unverzeihlichen Gleichgültigkeit dargestellt werden.

Der Tragik des Faust ist die Kunst, die uns an Goethes Geburtstag im Deutschen Theater entgegentrat, nicht gewachsen. Die Darstellung der Hauptgestalt war doch wenigstens in den Einzelheiten interessant. Von den übrigen Leistungen kann auch das nicht gesagt werden. Ein Mephistopheles, der sich mehr wie der lustige Rat eines Fürsten als wie der teuflische Verführer Faustens ausnahm (Müller), langweilte durch entsetzliches Grimassieren und durch das völlige Unvermögen, in den Spaßmacher etwas von dem dämonischen Höllengeist zu mischen, der stets das Böse will. Dem Gretchen nahm die Künstlerin (Elise Steinert) alle

Naivität und gab ihr dafür ein wenig verführerische Koketterie. Die Kunst des Nuancierens, die sie in so reichem Maße entfaltete, wirkte aufdringlich.

Daß die Schauspielkunst im Deutschen Theater goethereif ist, kann man nach der Vorstellung vom 28. August nicht behaupten, auch wenn man noch so viel Nachsicht übte.

«UNJAMWEWE» Komödie in vier Aufzügen von Ernst von Wolzogen



Aufführung im Lessmg-Theater, Berlin

Jedesmal, wenn Ernst von Wolzogen mit einer neuen dramatischen Leistung m die Öffentlichkeit tritt, habe ich das Gefühl: dieser Künstler ist wieder um ein gutes Stück reifer, vollendeter geworden. Es wird öfter gesagt, daß das echte deutsche Lustspiel, das wir alle ersehnen, uns Wolzogen liefern wird. Denn seine vornehme Begabung, seine feine Empfindung und Kenntnis des gesellschaftlichen Lebens und der Menschen, die innerhalb dieses Lebens stehen, befähigen ihn dazu. Dazu kommt, daß er die Bedürfnisse der Bühne wie wenige kennt und durchaus nicht geneigt zu sein scheint, um irgendwelcher ästhetischer Tendenzen der Zeit willen die Anforderungen des Theaters zu vergessen. Wol-zogens Komödien sind Abbilder des Lebens im besten Sinne des Wortes, aber sein Naturalismus geht nicht weiter, als es die Verhältnisse der Bühne, die nun doch einmal nicht die wirkliche Welt ist, gestatten.

Die Komödie, die eben im Lessing-Theater zum ersten Male aufgeführt worden ist, erscheint mir als das Werk eines geistreichen Künstlers, dem es gelingt, zu gleicher Zeit zu amüsieren und tiefere seelische Konflikte zu zeigen. Die Charakteristik der Per-

sonen zeigt den gründlichen Menschenkenner, den Psychologen im guten Sinne des Wortes. Nirgends ist auch nur eine Spur von dem Fehler zu entdecken, in den der Lustspieldichter so leicht verfällt: in das Zeichnen von Zerrbildern. Wir haben es mit durchaus möglichen Charakteren zu tun. Wer die deutsche und auch die ausländische Lustspielliteratur vor seinem Geiste vorüberziehen läßt, wird zugeben, daß gerade dies Zeichnen echter Lustspielcharaktere das höchste Lob verdient.

In der Mitte der Handlung steht der Afrikareisende Dr. Franz Ewert. Er hat Unjamwewe erobert und ist nach Europa zurückgekehrt, um die Leute für die Ausnützung des gewonnenen Gebietes zu interessieren. Die gesellschaftlichen Kreise, an die er sich wendet, werden ihrem Wesen nach von dem Dichter in der besten Weise geschildert. Die Wirkung des Schlagwortes, der Einfluß des Geldbeutels, der Hochmut gewisser Stände sind in einer Weise dargestellt, die man nur als meisterhaft bezeichnen kann. Vor allen Dingen aber ist die Persönlichkeit des Dr. Ewert selbst in einer Weise herausgearbeitet, die verrät, daß sich Wolzogen auch auf Menschen versteht, die durchaus als Ausnahmenaturen zu gelten haben. Der leichte Sinn, der in gerader Linie seine Aufgabe verfolgt und dabei Dinge und Verhältnisse, die anderen Menschen heilig als Selbstzweck sind, nur als Mittel für seine Ziele betrachtet, kommt ebenso zur Geltung wie die tiefere Natur, die solchen Ausnahmemenschen eignen muß, wenn sie - wenigstens in der Komödie — nicht verletzen sollen. Dr. Ewert ist ein Abenteurer, aber es ist ihm ernst um seine Sache. Seine Abenteurernatur ist gerade groß genug, um ihn Gefahren und Rücksichten vergessen zu lassen, aber sie ist nicht groß genug, um ihn dazu zu verleiten, Unternehmungen als bloßen Sport zu betreiben. Keine schwere, aber eine zähe, keine sehr tiefe, aber eine zielbewußte Natur, welche die Bedeutung ihres Tuns hoch anschlägt, ist dieser Abenteurer. Er ist leichtlebig genug, um die Frau seines reichen Wohltäters, die sich ihm an den Hals wirft, weil sie den Kraftmenschen liebt, kühl zurückzuweisen; aber er ist nicht frivol genug, um der armen Schauspielerin, die ihn innig liebt und die Mutter seines Kindes geworden ist, ihren Herzens-

wunsch zurückzuweisen, sie zu seinem Weibe zu machen. Er verachtet die elenden Gesellen, die eine Genossenschaft zur Ausnützung seiner afrikanischen Eroberungen begründen, aber er gebraucht sie, um seine Pläne auszuführen. Er gründet sich ein trauliches Heim mit seiner geliebten Kathi, der Mutter seines Kindes, aber er jauchzt doch auf, als die Nachricht kommt, daß das Reich sich seiner Unternehmung angenommen und er wieder zu den Kaffern gehen kann. Das Eigentümliche einer solchen Kraftnatur, die uns in jedem Momente aufs neue Respekt einflößt sowohl durch die gesunde Zielbewußtheit wie durch die Rücksichtslosigkeit ihres Wirkens, ist vielleicht niemals so vollendet geschildert worden wie in dieser Komödie. Wolzogen hat sich der Aufgabe gewachsen gezeigt, die Psychologie des ernsten Abenteurers, des höheren Zigeuners zu gestalten. Dieser höhere Zigeuner ist der Zigeuner der Tat. Ihm verdankt man die Errungenschaften der Kultur, zu denen man Kraft und Klugheit, aber keine moralischen Bedenken brauchen kann. Viele haben sich bemüht, ihn auf die Bühne zu bringen. Keinem ist es in so hohem Grade gelungen wie Ernst von Wolzogen. Ich glaube, der Grund liegt darinnen, daß Wolzogen ein Künstler ist, bei dem sich eine selten feine Beobachtungsgabe in einer spielenden Weise in Gestalten umsetzt. Wolzogen sieht viel und kann viel. Das ist einfach gesagt, aber es sind wenige, von denen man es sagen kann. Nicht durch Situationskomik, nicht durch possenhafte Scherze, sondern durch geistreiche Entwickelung wahrer Konflikte und durch Darstellung wirklicher Menschen fesselt «Unjamwewe». Ich habe mich keinen Augenblick gelangweilt, und ich habe die Überzeugung, daß die Kurzweil nirgends mit einem Preisgeben der Kunst erkauft ist. Deshalb nenne ich Ernst von Wolzogen einen vornehmen Künstler. Ich glaube nicht, daß wir jetzt das ersehnte «deutsche Lustspiel» haben; aber das ist mir sicher: wir sind ihm durch Wolzogens neueste Schöpfung um ein gutes Stück näher gekommen. Wir werden bald so weit sein, daß wir auch im deutschen Lustspiele nicht ewig auf die «Journalisten» werden kommen müssen, wenn wir etwas einigermaßen Wertvolles nennen wollen.

«DIE EINBERUFUNG» (LE SURSIS) Schwank in drei Akten von A. Sylvane und J. Gascogne

Aufführung im Residenz-Theater, Berlin

Eine drollige Begebenheit mit unmöglichen, aber heiteren Situationen zu versetzen und daraus ein Gemisch zu erzeugen, das ein Publikum zum Lachen bringt, welches sich nach langweiliger, prosaischer Tagesarbeit, nach ausgiebigem Diner und wohligem Mittagsschlafe amüsieren will, ohne irgendwie den Verstand in Tätigkeit zu versetzen oder sich anders als durch leichten Sinneskitzel aufzuregen: das alles verstehen die Franzosen. Und diese Methode, beim Publikum zu reüssieren, versteht, ins Berlinische übertragen, die Leitung des Residenz-Theaters. Davon hat sie mit der «Einberufung» eine Probe abgelegt. Man lacht im ersten Akte über einige gute Witze; man lacht in den folgenden zwei Akten über die Unverfrorenheit der Autoren, derlei Trivialitäten aufzutischen. Aber man lacht. Die «Einberufung» wird wohl hundert und mehr Aufführungen erleben.

«DIE ABRECHNUNG»

Ein Sittenbild in vier Akten von Maurice Donnay. Deutsch von Anne St. Cere



Aufführung im Neuen Theater, Berlin

Ein recht wenig harmonisches Zusammenklingen des schwindelhaften Treibens ekelerregender Geldmacherei mit den zartesten Regungen des liebenden Herzens brachte das neue Drama von Maurice Donnay «La Douloureuse», mit dem Direktor Lautenburg die Saison des Neuen Theaters eröffnet hat. Ein geistreicher Dramatiker mit feinem künstlerischem Takte ist Donnay. Ihm fehlt leider nur die Fähigkeit, eine spannende Handlung zu ersinnen. Die Leute, die nur zufrieden sind, wenn auf der Bühne möglichst

viel geschieht, kommen bei ihm nicht auf ihre Rechnung. Zäh ist die Entwickelung der Vorgänge, träge fließt die Handlung vorwärts. Der Bildhauer Philippe Hebt Helene, die Frau des Schwindlers Ardan. Dieser Ardan erschießt sich am Ende des ersten Aktes, und Helenens Hand wird für ihren Geliebten frei. In schönster Weise könnten die beiden ihr feuriges Liebesglück genießen, wenn sich nicht Helenens Freundin hindernd in den Weg stellte. Diese liebt den Bildhauer nicht minder glühend wie Helene. Er ist ein Schwächling und kann den Werbungen des brünstigen Weibes nicht widerstehen. Dieses übt Verrat an der Freundin. Es verrät dem Heißverlangten, daß Helenens Kind unehelich ist. Philippe rast und ist zerschmettert über diese Mitteilung; Helene rast und ist zerschmettert darüber, daß Philippe die Freundin liebt. Eine aufregende Szene zwischen beiden zeigt die Bitternisse, die sich zwei leidenschaftliche und liebende Seelen bereiten können. Eine «Abrechnung» zwischen beiden findet statt, wie früher eine Abrechnung zwischen dem Schwindler Ardan und der «irdischen Gerechtigkeit» stattgefunden hat. Zuletzt finden sich Philippes und Helenens Herzen doch wieder. Er hat in der Einsamkeit, sie in rauschendem Gesellschaftsleben vergessen und verziehen. Im Grunde sind es nicht Menschen, sondern Puppen, welche in diese Handlung verwickelt sind. Aber Charakteristik und Handlung werden ersetzt durch den Geist, der in den Reden dieser Menschen herrscht. Man hört den intimen Dingen, die da gesprochen werden, gespannt zu und vergißt, daß vor lauter Reden nicht gehandelt wird. Eine weiche, reife, süße Schönheit strömt aus diesen Reden. Man ärgerte sich immer wieder, daß ein wenig verständiges Publikum dieses feine, unsäglich schöne Reden mit Gähnen, Lachen, Zischen aufnahm. Allerdings war die Darstellung wenig geeignet, die wunderbaren Feinheiten des Dramas zur Anschauung zu bringen. Herr Jarno spielte statt des nervösen, dekadenten Schwächlings Philippe einen angefaulten Süßling; die Leidenschaft der Frau Reisenhofer war bei aller Lebendigkeit zu derb, um die sensitive Liebe der Helene wiederzugeben, die von so intimer Wahrheit ist, daß einem ein warmer Hauch über den ganzen Leib gehen muß, wenn sie gut dargestellt wird.

«FAUST»


Eine Tragödie von J.W. Goethe

Aufführung im Goethe-Theater, Berlin

Über die Aufführung, mit der das auf den Namen Goethe neugetaufte ehemalige Theater des Westens eröffnet wurde, möchte ich nur deshalb ein paar Worte sprechen, weil sie mir eines der schönsten Theatererlebnisse brachte, die ich in jüngster Zeit hatte: das Gretchen von Teresina Geßner, Ich hatte wieder einmal den Eindruck reifer Schauspielkunst. Man hatte einen schönen Abend verbracht, als man aus dem Theater ging. Man verzieh alles übrige. Man konnte es ja. Denn es war alles so mittelmäßig, daß man sich nicht freuen konnte, daß man sich aber auch nicht ärgerte, denn es gibt einen Grad von gleichgültiger Mittelmäßigkeit, wo alles Eifern aufhört.

«MUTTER ERDE» Drama in fünf Aufzügen von Max Halbe

Aufführung im Deutschen Theater, Berlin

Wie Liebende sprechen, das hat Max Halbe bis auf den Grund erforscht. Er kennt sie alle, die ewig jungen Gefühle: das Jauchzen des seligen, trunkenen und die herbe Pein des unglücklichen Herzens. Und er hat zarte, weiche Töne, um von süßen Seelengeheimnissen und lieblichen Schwärmereien zu singen. Ebensowenig fehlt ihm die Kraft zu dem Aufschrei des gequälten Innern, das umsonst nach Labung für seinen Liebesdurst lechzt, oder dem der zeitweilig gewährte Genuß von dem herzlosen Schicksal entzogen wird.

Spricht Max Halbe diese Sprache der Liebesleidenschaft von der Bühne herab zu uns, dann schmeichelt er sich ein in unsere Herzen. Seine Beziehungen zum Publikum sind dann selbst ein

Liebesverhältnis. Leider wird dieses Liebesverhältnis dann gestört, wenn er uns die großen Menschheitsprobleme und die Psychologie der selteneren Menschen, die an der Lösung dieser Probleme mitarbeiten wollen, vorführt. Es gibt Menschen, deren Wesen sich dem feinen Beobachter leicht enthüllt, die dem forschenden Blick keine Rätsel aufgeben. Solche Gestalten gelingen Halbes Künstlerschaft bis zur Vollendung. Den andern Naturen gegenüber, bei denen schonungslose Zergliederung des Seelenanatomen der formenden Kraft des Künstlers die Richtung geben muß, ist Halbe weniger glücklich. Ich glaube an den Tiefblick Halbes. Ich meine, wenn er ihn entfaltete, diesen Tiefblick: er müßte auf die entlegensten Gründe der menschlichen Seele kommen. Das scheint ihn aber gar nicht zu reizen. Dieses Gefühl habe ich Halbes Schöpfungen gegenüber immer gehabt. Sein neues Drama «Mutter Erde» hat es neuerdings in mir befestigt. Das Kunstwerk hat einen starken Eindruck auf mich gemacht, aber mehr durch die Kräfte, die in den Motiven stecken und die der Dichter nicht herausgelöst hat, als durch das, was dieser wirklich vor unseren Augen sich abspielen läßt.

Ein begabter Jüngling wird aus dem Vaterhause verstoßen, weil die Ideale eines jungen Weibes, das für die Freiheit ihres Geschlechtes arbeiten will, ihn mehr reizen als die Aussicht, dereinst mit der ihm vom Vater zugedachten Frau gemeinsam dem Gutsbesitze seiner Ahnen vorzustehen und ein Leben zu führen, wie es Vater, Großvater und so weiter hinauf geführt haben. Er verläßt den Vater und das Mädchen, das er wirklich liebt, um in kalter Verstandesehe mit der nüchternen Frauenrechtlerin zu leben und mit ihr zusammen eine Zeitung zu gründen, welche gegen die Knechtung des Weibes kämpft. Zehn Jahre dauert diese als Ehe verkappte Freundschaft zwischen Paul Warkentin und Hella Bernhardy, da stirbt des ersteren Vater. Aus diesem Anlasse reisen das «Ehepaar» und ein Freund des Hauses, der Pole Dr. von Glyszinski, nach dem Gute. Dieser Pole spielt eine sonderbare Rolle. Er schwärmt für Hella wie der schmachtende Liebhaber; sie benützt ihn zu Sekretärdiensten und stößt ihn zurück wie einen Kautschukballon, wenn er ihr zu nahe kommen will.

Paul ist er gleichgültig. Er duldet den Nebenbuhler, weil er ihn bei der Geschlechtslosigkeit Hellas für ganz ungefährlich hält. Hella und Paul sind verschiedene Naturen. Sie lebt in lauteren Abstraktionen, ihr Kopf ist von körperlosen Idealen vollgestopft. Sie redet wie ein Buch. Sie hat Paul für ihre Ideen begeistert; aber diese Begeisterung geht nicht tief. Er fühlt sich unglücklich. Denn in ihm lebt das Blut vollsaftiger Landmenschen, sein Inneres bleibt hungrig bei den Abstraktionen, die ihm die «Gattin» auftischt. Während zehn Jahren lebt er das Leben so dahin. Als er aber nach des Vaters Tode wieder in die Heimat kommt, die Herrlichkeiten seines Gutes wieder sieht und aufs neue schätzen lernt, ja, nun gar das Weib wiederfindet, das er einst geliebt: da lebt in ihm wieder auf, was er, durch Hella verblendet, aus sich verbannen wollte. Paul ringt sich los von seiner Versucherin; Antoinette verläßt den platten, dummgutmütigen, ekeln Gatten, dem sie nur gefolgt ist, weil Paul sie verschmäht hat. Beide wollen von jetzt ab nur noch einander gehören. In lüsternen Zügen trinken sie die Liebe, die sie Jahre entbehrt haben.


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