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Evolution des Menschen als glückliches Zusammenspiel von Merkmalen



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Evolution des Menschen als glückliches Zusammenspiel von Merkmalen

Die wichtigste Schlussfolgerung ist, dass die Menschwerdung durch ein Zusammenspiel verschiedener, zunächst eher unabhängiger Entwicklungsstränge erklärt werden muss. Der aufrechte Gang scheint relativ unabhängig von der Gehirnentwicklung eingetreten zu sein. Die Hand, die sich ja schon bei den gemeinsamen Vorfahren von Affe und Mensch herausbildete, konnte nun neue Aufgaben übernehmen, die aber zunächst noch nichts mit der Werkzeugherstellung zu tun hatten. Das Gehirn konnte sich nur weiter entwickeln, wenn genügend protein- und energiereiche Nahrung zur Verfügung stand. Zugleich aber traten die neuen Merkmale zueinander in Wechselwirkung, sie beeinflussten sich gegenseitig. Die durch den aufrechten Gang freigewordene Hand konnte Steine als Hämmer nutzen und, wenn die Steine spitz genug waren, sie als Schlitz- oder Schneidwerkzeuge einsetzen, wie wir das bei anderen Tieren, vor allem bei den Menschenaffen auch schon vorfinden. Die Vergrößerung des Gehirns ermöglichte den sekundären Werkzeuggebrauch. Von da



Tab. 3.4 Handlungsschritte bei Herstellung und Gebrauch eines Speers des Homo heidelbergensis

(Haidle 2010; verkürzt und umgearbeitet)

Anfangszustand: Hunger (im Allgemeinen semi-akut)

Planungs- und Denkphase (Probehandeln)

Unterproblem 1 (im Allg. semi-akut): Jagdwild

Unterproblem 2 (semi-akut): Bedarf nach einem Speer (Werkzeug 1)

Unterproblem 3A (semi-akut): Bedarf nach einer Handaxt zum Holzabschlagen (Werkzeug 2) Qualität A

Unterproblem 3B (semi-akut): Handaxt zum Holzabschlagen (Werkzeug 2) Qualität B

Unterproblem 4 (semi-akut): Bedarf nach einem Schnitzwerkzeug zur Holzbearbeitung (Werkzeug 3)

Unterproblem 5 (akut): Bedarf nach einem harter Hammer (Werkzeug 4), um Werkzeug 2 und 3 herzustellen

Unterproblem 6 (semi-akut): Bedarf nach einem feinen Hammer (Werkzeug 5)



Ausführungsphase1 (Werkzeugherstellung)

Suche nach Werkzeug 5 (feiner Hammer)

Transport von Werkzeug 5/Suche nach Werkzeug 4 ((harter Hammer)

Transport der Werkzeuge 4 und 5/Suche nach Rohmaterial für die Werkzeuge 2 und 3

Herstellung von Werkzeug 2 durch Werkzeug 4 (Rohbearbeitung der Handaxt)

Weitere Arbeit an Werkzeug 2 durch Werkzeug 5 (Verdünnung zur Beilklinge)

Weitere Arbeit an Werkzeug 2 durch Werkzeug 5 (Feinabschläge)

Subproblem 7 (akut): Werkzeuge am Arbeitsplatz sicherstellen

Transport der Werkzeuge 2, 4 und 5 und des Rohmaterials zum Arbeitsplatz

Andere Aktivitäten des Lebensalltags, die nicht auf die Herstellung des Werkzeugs bezogen sind



Ausführungsphase 2 (Speerherstellung)

Suche nach Material für Werkzeug 1 (Speer)/Transport von Werkzeug 2

Herstellung von Werkzeug 1 mit Werkzeug 2: Stamm abschlagen

Herstellung von Werkzeug 1 mit Werkzeug 3 (Axt): Entfernung der Zweige

Transport des Rohschaftes und des Werkzeugs 2 zum Lagerplatz

Herstellung des Werkzeugs 3 (Schnitzmesser) durch Werkzeug 4 (harter Hammer)

Feinbearbeitung des Speerschaftes durch Werkzeug 3 (Schnitzmesser)

Herstellung des Speerschaftes: Entfernung der Rinde mit Werkzeug 3

Andere Aktivitäten des Lebensalltags, die nicht auf die Herstellung des Werkzeugs bezogen sind

Arbeit am Speer (Werkzeug 1), Fertigstellung des Schaftes, Zuschneiden der Spitze



Nutzung der Werkzeuge

Suche nach Wild, Transport der Werkzeuge 1 (Speer), 2 (Handaxt) und 5 (feiner Hammer)

Jagd, Nutzung der Werkzeuge 1 (Speer), Transport der Werkzeuge 2 und 3

Beute zerlegen: Entfernen des Fells (Werkzeug 3)

Beute zerlegen: Heraustrennen von Fleisch und Knochen (Werkzeug 2 und 3)

Dabei Schärfen des Werkzeugs 2 (Beil) mit Werkzeug 5 (feiner Hammer)

Transport und Sicherstellung der Beute und der Werkzeuge

Bedürfnisbefriedigung: Essen, Hunger stillen

an setzte auch eine Selektion bezüglich leistungsfähigerer Gehirne ein, denn sie brachten einen Überlebens- und damit Reproduktionsvorteil. Damit lässt sich die Evolution durch eine systemische Wirkung des Zusammenspiels von Auge, Hand, aufrechter Gang und Gehirnfunktionen erklären. Nur durch den glücklichen Umstand des zeitlich nahen Auftretens der Merkmale des aufrechten Ganges, der Handentwicklung und der Gehirnveränderung kam es zum Homo sapiens. Diese Merkmale formten und förderten sich dabei wechselseitig. Die Bezeichnung systemische Wirkung solle verdeutlichen, dass es keine monokausale Ereigniskette gibt, sondern dass – wie bei anderen Systemen auch – zirkuläre Kausalität vorliegt. In dem Merkmalssystem beeinflussen sich die einzelnen Größen wechselseitig.

Was bei der Erklärung der Menschwerdung oft zu kurz kommt, ist die kulturhistorische Perspektive, die Wygotski eingeführt hat. Menschen können nur in Vergesellschaftung leben, sie sind ein animal sociale, wie es seit der Antike schon heißt. Sie helfen sich gegenseitig, bieten in der Gruppe Schutz vor Feinden und anderen Gefahren und lernen voneinander. Das erfordert allerdings effektive Kommunikation. Sie wird durch die Entwicklung der Sprache gewaltig verbessert. Wir können davon ausgehen, dass schon der Homo erectus sich durch Laute verständigt hat. Vermutlich handelte es sich dabei noch nicht um Sprache im modernen Sinn, sondern um ein gesangsähnliches Lautsystem. Werkzeugherstellung und -gebrauch funktionieren in einem effektiven Kommunikationsnetz viel besser. Erste Arbeitsteilung wird möglich. Der Werkzeugmacher wird wenigstens teilweise von anderen Aufgaben freigestellt. Dies scheint schon beim Homo erectus der Fall gewesen zu sein, denn bei einer Fundstätte in Niedersachsen lag die „Werkstatt“ weit von dem Wohn- und Kochplatz entfernt. Zumindest vorsprachliche Kommunikation war nötig, um das Werkzeug als überdauerndes Objekt zu verstehen, das von vielen genutzt werden kann und sogar nach dem Tod des Urhebers seinen Zweck nicht verliert.



Stagnation und Progression

Wir sind gewohnt, die Entwicklungsgeschichte des Menschen und Vormenschen als eine Erfolgsgeschichte des permanenten Fortschritts zu sehen. Dies ist aber eine einseitige Betrachtungsweise, die mit unserem Fortschrittsglauben zusammenhängt. Einerseits wurde die Menschwerdung durch eine Reihe von Nachteilen erkauft, von denen später noch die Rede sein wird, andererseits stagnierte die menschliche Entwicklung über lange Zeitstrecken. Das Hackmesser als primitives Werkzeug regierte über eineinhalb Millionen Jahre. Es gab offensichtlich lange Zeit keinen Bedarf, diese Situation zu ändern. Auch danach kann man nicht gerade von einer stürmischen kulturellen Entwicklung sprechen. Die Kultur des Homo erectus, der seit mindestens 1,2 Mio. Jahre bis vor 250.000 Jahre lebte, dauerte länger, als es den Homo sapiens gibt. Wesentliche Züge der Werkzeugkultur blieben über diesen langen Zeitraum konstant. Wir wissen nicht, ob wir mit samt unserem Fortschritt das Alter der Spezies Homo erectus erreichen werden. Die Evolution zwingt eine Art nur dann zur Veränderung, wenn es die Lebensbedingungen erfordern oder wenn durch Veränderungen Vorteile erzielt werden können. Wenn also mehrere Arten von Vormenschen in gleichen oder getrennten Habitaten koexistieren können und wenn keine klimatischen Veränderungen auftreten, wird weder ein biologischer noch ein kultureller Wandel zu erwarten sein. Wenn verschiedene Hominidenarten aber miteinander konkurrieren müssen und die verfügbaren Ressourcen begrenzt sind, wird diejenige Art größere Chancen haben, die sich besser anpassen kann. Bei den Homininen bedeutet bessere Anpassung die Herstellung und Nutzung von Werkzeugen, den Gebrauch des Feuers und die Verbesserung von Handlungsplanung und Kommunikation in der Gruppe. Bis in die Moderne hinein gibt es Kulturen, die sich seit der Steinzeit nicht verändert haben. Das für mich eindrucksvollste Beispiel sind die bereits in Kap. 2 erwähnten Yamana auf Feuerland, die erst in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ihre Kultur verloren. Das Museum in Ushuaya zeigt ein Boot und Werkzeuge, die 5.000 Jahre alt sind und sich bis zum Untergang der Kultur unverändert gehalten haben. Die Kultur der Yamana war ökologisch sehr sinnvoll eingerichtet. Die einzelnen Familien lebten weit voneinander getrennt. Die Fischgründe des Nachbarn begannen erst in 30km Abstand, sodass es keinen Ressourcenkonflikt geben konnte. Das zerbrechliche Boot aus Bast und Weiden fasste nur drei bis vier Personen, sodass die Familiengröße zwangsläufig begrenzt blieb. Die Yamanas hatten über Jahrtausende unverändert die gleiche Lebensführung, Werkzeugnutzung und Jagdgepflogenheiten. Aber sie besaßen eine differenzierte Religion sowie einen komplexe Sprache mit einem großen Wortschatz. Es war von der ökologischen Nische her, in der sie lebten, nicht nötig, ihre Kultur weiterzuentwickeln. Als dann die Weißen kamen, waren sie der neuen Technologie und Lebensweise natürlich hoffnungslos unterlegen. Dies gilt auch für die frühen Homininen. Klimatische Veränderungen oder Konkurrenz mit stärkeren Gruppen führten zum Aussterben. Da der Homo sapiens als einzige Homininenart überlebt hat, muss er über Merkmale und Strategien verfügen, die frühere Menschenarten einschließlich des Neandertalers nicht besaßen. Wir werden im nächsten Kapitel diese Merkmale und Überlebensvorteile näher kennenlernen.

Menschliche Gesellschaften pendeln immer zwischen dem Konflikt, das Bisherige bewahren zu wollen, und Neues einzuführen, das die Kultur verändert. Wir werden uns in diesem Buch immer wieder die Frage stellen, unter welchen Bedingungen das Bisherige erhalten werden sollte oder werden muss und inwieweit Innovation und Weiterentwicklung nötig sind.



Gespräch der Himmlischen

Aphrodite: Also, mich kränkt es, dass die Frauen dümmer sein sollen, weil sie ein geringeres Gehirnvolumen und -gewicht haben.

Athene: Davon kann gar nicht die Rede sein. Dafür hat man ja den EQ eingesetzt, der das Gehirnvolumen zum Körpervolumen in Beziehung setzt. Frauen haben zwar ein etwas geringeres Gehirnvolumen als Männer aber dafür auch ein geringeres Körpervolumen. Der Flores-Mensch, dessen Gehirnvolumen kleiner als das der heutigen Menschaffen war, stellte Werkzeuge her und besaß sicherlich bereits Kultur, ähnlich wie der Homo erectus.

Aphrodite: Das beruhigt mich. Im Übrigen haben die Menschen nie so recht an die intellektuelle Unterlegenheit der Frau geglaubt, sonst hätten sie nicht ein weibliches Wesen zur Göttin der Weisheit gemacht.

Athene (lächelt geschmeichelt)

Apoll: Mir gefällt das Zusammenspiel von Gehirn und Hand. Das passt alles so gut zusammen. Durch den aufrechten Gang wird die Hand frei, und zwar frei zu jeder Zeit. Sie steht nun dem Gehirn für dessen Knobelei zur Verfügung. Sie ist das ausführende Organ des Gehirns. Sie stellt nicht nur Werkzeuge her, sondern malt und zeichnet, meißelt Statuen, schreibt Gedichte, segnet, deutet und jongliert Bälle – und schlägt die Zither.

Aphrodite: SiespieltKlavierundGeige, wasinderEvolutionnichtunbedingtvorgesehen war. Menschen haben für das Musizieren unglaubliche Fertigkeiten entwickelt. Die menschliche Hand ist zu einem Wunderwerk geworden.

Apoll: Ja, die musikalische Technik wird immer perfekter, je schneller desto besser. Aber Schnelligkeit ist nicht gleich Schönheit. Ich hoffe, die Musiker kommen von ihrem Tempo-Wahn wieder weg.

Athene: Leider ist der Mensch nicht nur Künstler, sondern auch Werkzeugmacher. Mit seinen Werkzeugen hat er die ganze Erde umgekrempelt, den Himmel erobert und uns auch noch Satelliten vor die Nase gesetzt. Alles fing harmlos an. Der Mensch stellte mit seiner Hand ein Werkzeug her und fertigte mit ihm erst das Werkzeug, das er brauchte. Dann wurde die Kette immer länger. Er entwarf ein Werkzeug, mit der das nächste baute, und dieses konstruierte wieder ein neues Werkzeug und so fort, bis er schließlich Geräte hatte, mit denen er das Kleinste und Größte beobachten kann, und Geräte, mit denen er Luft, Land und Wasser durchpflügt.

Dionysos: Wäre der Mensch nur bei der Kunst geblieben, könnte er auch heute noch in Einklang mit der Natur leben.

Apoll: Alles letztlich nur wegen des guten Zusammenspiels von Hand und Gehirn. Aber wenn Hand und Gehirn so gut zusammenarbeiten, wo ist denn dann eigentlich die Seele? Ist sie nur im Kopf oder nicht auch in der Hand? Man spricht ja vom beseelten Spiel des Pianisten. Ist da vielleicht die Hand beseelt?

Dionysos: Dasklingtlächerlich, aberesistgarnichtsolächerlich. Lächerlichistvielmehr, wenn man sich die Seele als etwas Geistiges, Unkörperliches vorstellt, das im Gehirn haust. Die Seele ist eine Metapher für Leben. Die Menschen haben lange Zeit die Seele für sich allein in Anspruch genommen, das hat mich schon immer geärgert. Die ganze Natur ist beseelt. Die Metapher von der Seele macht nur Sinn, wenn wir sie auf alles Leben anwenden. Die Menschen haben die Seele mit Bewusstsein gleichgesetzt, aber BewusstseinistnureinwinzigerTeilderGehirnaktivitätunderstrechteinwinzigkleiner Teil des Lebens auf diesem Planeten. Der Mensch ist, wie alle anderen Lebewesen, ob Pflanze oder Tier, eine untrennbare Ganzheit, ein System, wie man heute sagt. In dieser Ganzheit sind alle Einzelteile aufeinander abgestimmt und wirken zusammen, damit das System am Leben bleibt.

Athene: Das hat schon unser Liebling Aristoteles herausgearbeitet mit seiner Unterscheidung von Form und Materie. Der Körper mit all seinen Zellen bildet die Materie. Das Leben in dieser Materie einschließlich der geistigen Tätigkeit des Gehirns wäre die Form.

Aphrodite: Eure Rede über die Seele erinnert mich an Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte. Das Feuer war bei unseren griechischen Philosophen ja ein Urelement. Ist das Feuer auch eine Metapher für die Seele? Und wann hat Prometheus eigentlich den Menschen das Feuer gebracht?

Athene: Der Homo erectus hat bereits das Feuer benutzt, Prometheus brachte es also einer früheren Menschenart, als der, die jetzt auf unserem Planeten lebt. Aber das Feuer brachte den Hominiden in der Tat einen entscheidenden Fortschritt in ihrer Entwicklung.

Aphrodite: Er konnte sich wärmen und vor wilden Tieren schützen. Gut. Aber das bedeutet doch keinen entscheidenden Fortschritt.

Athene: Er konnte die Nahrung kochen. Dadurch war sie besser verdaulich, so konnten mehr Proteine in den Körper aufgenommen werden, und so gab es auch mehr Ressourcen für den Aufbau des Gehirns. Die Geschichte der Gehirnentwicklung des Menschen ist auch eine Geschichte seiner Ernährung.

Dionysos: Das gefällt mir. Vielleicht ist sie auch eine Geschichte des Trinkens. Aphrodite: Oder des Drogenkonsums. Das würde dir so passen! Verbesserung der Gehirntätigkeit durch Drogen führte den Menschen zu ungeahnten Höhen!

Athene: Ich glaube, es ist Zeit, Schluss zu machen, sonst verfallen wir ins Blödeln. Auf zum Olymp!

Alle: Was gibt’s denn Gutes da? – Nektar und Ambrosia!

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Der Homo sapiens erobert die Welt 4

4.1 Wachset und mehret euch: Wiege und Wege der Menschheit

Der legendäre Fossilien-Jäger Leaky fand 1967 zwei Fossilien am Omofluss in Äthiopien in der Nähe von Kibish. Er schätzte ihr Alter zunächst auf 130.000 Jahre. Neuere Messungen des umlagernden Materials mit Hilfe der Methode der Zerfallsrate radioaktiven Argons ergaben ein Alter von ca. 196.000 Jahren. Die Fossilien mit der Bezeichnung Omo I und II werden eindeutig dem Homo sapiens zugeordnet und gelten als die ältesten Exemplare des modernen Menschen (McDougall et al. 2005). Auch genetische Schätzungen, in denen man von der jetzigen Verbreitung auf die Zeitdauer schließt, die nötig war, um zur jetzigen genetischen Verteilung zu gelangen, weisen auf ein Alter des Homo sapiens von ca. 200.000 Jahren hin (Fleagle et al. 2008).

Dass Afrika die Wiege der Menschheit ist, wird heute kaum mehr bestritten. Alle Nachfahren des Menschen, so die These, stammen aus Afrika. Die Out-of-Africa-Theorie wird unter anderem auch durch die Analyse genetischer Vielfalt und der Schädelformen in 53 Populationen rund um die Welt gestützt. Ein Forscherteam aus Cambridge (s. Stix 2009) fand einen Zusammenhang zwischen der Entfernung der Population von Afrika und der Diversität der Gene innerhalb der Population. Je weiter die erfasste Population vom Ursprungskontinent entfernt war, desto weniger variierte ihre genetische Ausstattung. Der Grund für die schwindende genetische Variabilität ist einerseits die geringere Wahrscheinlichkeit von Genvariation mit fortschreitender Abzweigung, denn jede Abzweigung verfügt nicht mehr über den Pool der restlichen Populationen. Andererseits hängt die schwindende Variabilität mit der Populationsgröße zusammen. Je weiter sich der Mensch vom Ursprungsgebiet entfernte, desto kleiner wurde seine Population und desto einheitlicher blieb das genetische Outfit (s. hierzu Sykes 2002; Rohde et al. 2004).

Ob Omo I und II wirklich die ältesten Menschen sind, müssen spätere Funde zeigen. Es ist durchaus möglich, dass sich weiter südlich noch ältere Fossilien unserer Spezies finden werden.

R. Oerter, Der Mensch, das wundersame Wesen, 61

DOI 10.1007/978-3-658-03322-4_4, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

ImZusammenhangmitderOut-ofAfrica-TheoriestehtdieEva-Theorie. AusderDNAAnalyse der Mitochondrien werden dabei Schlussfolgerungen gezogen. Mitochondrien sind Organellen in der Zellflüssigkeit, welche unter anderem auch DNA enthalten, die allerdings nur durch die mütterliche Eizelle vererbt wird. Die mitochondriale Eva ist eine Frau, von deren mitochondrialer DNA (mtDNA) die mitochondriale DNA aller Menschen stammt. Diese Annahme beruht auf der sogenannten Gendrift, die darin besteht, dass neben der Selektion auch zufällige Varianten eines DNA-Allels in der Population zu- oder abnehmen. Stellen wir uns eine Population von 100 Frauen vor, von denen 50 ein Allel A der mtDNA besitzen und 50 ein Allel B. Durch eine zufällig höhere Geburtenrate der Frauen mit Allel B gibt es eine Verschiebung: wir finden 51Mal Allel B und 49 Mal Allel A vor. In der darauffolgenden Generation gibt es 52 Mal Allel B und 48 Mal Allel A. Statistisch habe wir nach 100 Generationen nur noch Allel B, während Allel A infolge der Gendrift ausgestorben ist. Man sagt auch: Allel B wurde fixiert. Die mtDNA von Eva ist also die einzig übrig gebliebene DNA, alle übrigen sind ausgestorben. Die mtDNA von Eva ist also die einzig übrig gebliebene DNA alle übrigen sind ausgestorben.

Giles et al. (1980) extrahierten mtDNA aus der Plazenta von Frauen aus verschiedensten Teilen der Welt und ordneten sie entsprechend ihrer Ähnlichkeit auf einem Stammbaum an. Von der ermittelten Wurzel dieses Stammbaums zweigten zwei Hauptäste ab. Auf dem einen gab es nur Afrikaner, auf dem anderen Menschen aus anderen Erdteilen. Daraus folgerten die Forscher, dass die Stammmutter (mitochondriale Eva) in Afrika gelebt hat. Weiterhin versuchten sie, mit Hilfe einer molekularen Uhr das Alter von Eva zu bestimmen undschätztenihrAlteraufca. 200.000Jahre. EsgabvielmethodischeKritikunddaherauch Kritik an voreiligen Schlüssen. Spätere, verbesserte Studien bestätigten und untermauerten jedoch die wichtigsten Aussagen von Giles et al. (1980). Zum Beispiel führten Ingman et al. (2000) eine neue, verbesserte Studie an 53 Frauen durch. Die Ergebnisse bestätigen die Out-of-Africa-Theorie (s. auch Endicott et al. 2009):



  • Es ergab sich eine vollständige Trennung von Afrikanern und Nicht-Afrikanern.

  • Die Autoren fanden vier Äste des Stammbaums. Drei davon führten nur zu Afrikanern, der vierte zu Afrikanern und Nicht-Afrikanern.

  • Sie fanden lange Äste in Afrika, aber eine sternförmige Struktur außerhalb von Afrika, was auf eine jüngere Expansion hinweist.

  • Die mitochondriale Eva aller Menschen (die in der Studie erfasst wurden) konnte auf ein Alter von 175.000±50.000 Jahre geschätzt werden.

  • Vor 52.000±28.000 Jahren kam es zur Verzweigung zwischen der afrikanischen und nicht-afrikanischen Population, dem Zeitpunkt der mitochondrialen Eva aller nicht afrikanischen Menschen.

  • Hinweise für eine rasche Expansion des nicht-afrikanischen Astes ergeben sich vor etwa 1925 Generationen, also vor 38.500 Jahren, wenn man als Generation 20 Jahre ansetzt.

Diese Befunde sagen aber nicht aus, dass wir, die heutigen Menschen, von einer einzigen Frau abstammen. Dazu muss man sich in Erinnerung rufen, dass die Berechnungen nur
4.1 Wachset und mehret euch: Wiege und Wege der Menschheit



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