Lea Ritter-Santini: L’italiano Heinrich Mann, Bologna 1965 Übersetzt von Sabine Russ Einleitung



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120 Siehe G.A. Borgese, Abba e Garibaldi. In: Studi di letterature moderne. Milano Treves 1920, S. 57: Vom „aus jedem Mann macht sie eine Tugend“ aus D’Annunzios Canzone di Garibaldi (1901) findet sich eine fast wörtliche Übernahme im Fall Murri: „[…] noch ihre Laster wurden durch ihn lobenswerth“.

121 S. 29-31 des Notizbuchs (1907-10), Nr. 469, TNII: nicht verwendete Notizen, aber vielleicht auf die Novelle Auferstehung zu beziehen, in der Garibaldi in einem Nimbus des Befreiers und erlösendem Engel, nicht nur der politischen Leiden, sondern auch der menschlichen erscheint. Das Interesse Manns am politischen Italien des Risorgimento bezeugt ebenfalls ein weiteres Buch in der Bibliothek Manns: Franz Xaver Kraus: Cavour, die Erhebung Italiens im 19. Jahrhundert.

122 Weisstein, a.o.O., S. 39

123 Über die Genesis der Göttinnen informiert A. Kantorowicz im Nachwort zur Ausgabe von 1957 des Aufbau-Verlages. Dort wird auf diesen Zeitungsausschnitt hingewiesen, der „Il romanzo della Principessa“ titelt und den Selbstmord der abenteuerlichen (falschen) Prinzessin Trubetzkoi kommentiert, der sicherlich als „Vorlage“ einer anderen weiblichen Figur gedient hat, aber sicherlich nicht für die Herzogin Violante von Assy.

124 Für die Besonderheiten des Lebens der Contessa Lara und ihre letzten Geliebten, auch zu einem direkten Vergleich der bekanntesten biographischen Details vergleiche M. Borgese: La contessa Lara, Milano Treves 1936 und das bereits zitierte Werk A. Bantis zu Matilde Serao.

125 In der Via Gregoriana wohnte auch H. Hertz und in der Via Sistina hielt auch Angelica Kaufmann ihren berühmten Salon ab. An diese weiblichen Persönlichkeiten hat sich H. Mann sicherlich erinnert und darauf die verschiedenen Details der Beschreibungen des Salons der Contessa Blà in der Via Sistina aufgebaut. Das gilt außerdem für die Komposition der eleganten und erlesenen Atmosphäre bei den Treffen internationaler Persönlichkeiten in diesem Winkel der Welt (vgl. F. Noack: Das Deutschtum in Rom, Stuttgart 1927).

126 „Madame Rattazzi“ ist der Titel eines Zeitungsausschnittes unbekannten Datums, der im Archiv von Berlin (Nr. 50 TNI, Quellen zum Roman) konserviert ist. Er wurde aus seiner Wiener Wochenzeitschrift entnommen, die leider nicht mehr rekonstruiert werden kann. A. Kantorowicz unterstrich darin zu recht die Gemeinsamkeiten der Umrisse in der Darstellung Violantes. H. Mann schien allerdings über die Launen der Letizia Bonaparte Rattazzi wesentlich besser informiert gewesen zu sein, als er am Anfang der Göttinnen schrieb: „Sie begann Moden zu machen. Ein Bacchantinnenkostüm, im Januar 1870 auf dem Opernball getragen, krönte ihre Berühmtheit.“ Es ist das Bacchantinnenkostüm, nur aus einer Krone Weinblätter mit einem fleischfarbenen Hemdchen bestehend, mit dem sich Madame Rattazzi auf einem Empfang im Haus des Bürgermeisters von Florenz, Peruzzi (M. Borgese: La contessa Lara, S. 90) präsentiert. Das groteske Alter der Ehefrau des italienischen Ministers wird vom alles verwendenden H. Mann benutzt, um das Bild der erschlafften und taumelnden, aber nicht besiegten Prinzessin Cucuru zu gestalten. An „Madame Rattazzi“ wird in ihrer Realität als berühmte Dame in der Novelle Die Ehrgeizige erinnert, eine Fortsetzung eines Handlungsstranges der Kleinen Stadt. Diese Novelle, erst 1920 veröffentlicht, listet die Trophäen und die Erinnerungen des alten Sängers, Cavaliere Giordono auf: „[…] und in seinem Schlafzimmer hingen die alten goldenen Kränze „Von Maestro Rossini“, „Von Madame Rattazzi“, über allen Wänden und bis auf das Bett des alten Sängers […]“ (Novellen I, S. 169).

127 Römische Chronik titelt eine Reihe von Novellen, die 1917 im Genre der Reportage veröffentlicht wurde. Es handelt sich um eine literarische Modernität, die die römischen Beobachtungen eines Moravia oder Gadda antizipiert, wobei sich der gleiche Geschmack in der Auswahl der Protagonisten des „gaddianischen“ Handwerkers (Seiler, Koch, Köhler, Gärtner) präsentiert, das aus einem ganzes Netz humoristischer Ausrufe besteht, die derart „italienisch“ sind, um alle Reserviertheiten gegenüber den deutschen Überresten im Stil Heinrich Manns wegzufegen.

128 „Ein von ihrem Liebhaber ermordetes Mädchen“ ist ein weiterer Ausschnitt aus der „Tribuna“, der, aus dem Namen des römischen Bürgermeisters Ruspoli der folgenden Pressenotiz und aus einem Hinweis auf ein Attentat auf den König zu schließen, auf das Jahr 1897 datiert und im vorbereitenden Material zum Roman erhalten ist. Der Stil des Artikels ist fast wörtlich in der letzten Novelle von Römische Chronik eingegangen: Die Verjagten. Das Besondere dieses brutalen Mißbrauchs ist statt dessen als Ende der Contessa Blà-Episode gestaltet.

129 Le Grandi amorose ist der Titel eines pseudo-populären Buches von A. Fiorentino, das Heinrich Mann während seines Italien-Aufenthaltes gekauft haben müßte und das er zur Bestätigung einiger Situationen seiner Figuren herangezogen haben muß. Es handelt sich um eine Sammlung von Geschichten herausragender Frauen, die auch Carolina D’Austria, Ehefrau Ferdinando I von Neapel, einschließt (anhand einiger Linien dieser Fürstin ließ sich Heinrich Mann auch für Lola aus Zwischen den Rassen inspirieren), desweiteren Olimpia Mancini Carignano, Maria Mancini, Prinzessin Colonna, Marchesa von Cavour und Geliebte Carlo Emanueles, die Marchesa von Verona, Favoritin Vittorio Amadeos, Carlotta von Gramont, Prinzessin von Monaco, Emma Lionna, Lady Hamilton, Sofia, die Geliebte Mirabeaus, die Favoritinnen Ludwigs XIV (Bianca Capello etc.) Dames de la Renaissance (Paris 1886) von Blaze de Bury ist eine andere Quellen für die Facettierungen der weiblichen Figuren der Göttinnen: die Abenteuer der Bianca Capella, aber vor allem die Umstände Vittoria Colonnas, Giulia Gonzagas und Isabella de Medicis haben sicherlich als „Belege“ gedient, um die Modell-Gesellschaft des Romans zu konstruieren, so auch die Storia di Toscana und Lorenzo il Magnifico von A. Reumont.

130 Auf dieser Thematik besteht M. Hahn, der die Antinomie im ganzen Frühwerk Heinrich Manns verfolgt.

131 „Er war elegant, weltgewandt, herausfordernd […] aber sein Faunsgesicht lugte hilflos hervor hinter den Stämmen eines Waldes […]“ (Göttinnen, S. 582). D’Annunzio-Guignol ist als eine Art Schlüssel für die Bedeutung der Figur akzeptiert worden (siehe G. Schneider, Die Schlüsselliteratur, Band 2, Stuttgart 1952). Neben der Figur Paolo della Pergola, der Jouranlist, der bereitwillig seine Feder der Sache der Assy zur Verfügung stellt, um Violante dafür als Belohnung zu verdienen, den man als Maximilian Harden, den Redakteur der Zeitschrift „Die Zukunft“ wiedererkannt hat, und alle anderen Figuren-Modelle, die als Akteure der „Kaiserreich-Trilogie“ fungieren.

132 „Die welsche Primadonna“ nannte Heinrich Mann D’Annunzio, fast kohärent mit dem Urteil Croces über die „Weiblichkeit“ der Literatur am Ende des 19. Jhd. So überliefert der Neffe Klaus. Der einzige Ort an dem Heinrich Mann offen D’Annunzio anekdotisch benennt, nicht als literarische Reminiszenz, ist ein Kapitel des Zeitalters, gewidmet der Musik von Puccini. Während er die zurückhaltende Traurigkeit des Maestro interpretiert, schreibt er: „Vielleicht, nach einer langen Arbeit, nimmt er un bagno di sciocchezza, wie d’Annunzio von sich aussagt; wäscht sich in alberner Gesellschaft seine geistigen Schwierigkeiten ab, badet seine angespannte Seele.“ („Bagno di sciocchezza“ im Text). Zitiert nach Zeitalter, S. 278 [S. 313, Fischer Vlg.]

133 „Pippo Spano“ - erinnert sich Heinrich Mann für seinen Freund und Biographen K. Lemke (aus Los Angeles, in einem Brief vom 20. April 1948) - „schrieb ich 1903 in einem lieblichen Frühling als ich am Lungarno delle Grazie wohnte, inmitten des besten Florenz. Abends, bei leeren Straßen, spazierte ich nach den Brücken, bis auf die Piazza della Signoria, immer produzierend. Die Figur, die ich in ihrem Kloster Santa Riparata vorher oft besucht hatte [Heinrich Mann unterläuft hier ein Erinnerungsfehler: das Fresco von Andrea del Castagno befindet sich in Wirklichkeit im Speisesaal von Sant’Apollonia, Anmerk. Ritter-Santini], drängte sich von selbst vor den kürzlich begonnenen Roman Die Jagd nach Liebe. Ich gehorchte, schrieb zuerst die Novelle, mir war wohl dabei. Von Lesern fand sie vorläufig die üblichen paar tausend.“ Und er fährt fort mit der Bitterkeit, die jede im amerikanischen Exil geschriebene Zeile überdeckt, und spürt dabei dem literarischen Erfolg der Novelle nach: „Das Material war klassisch, von Honoraren keine Rede, daher das wöchentliche Heft zehn Pfennig, und alle lasen. Ein Arbeiter, in der Straßenbahn, zum anderen. „Da ist etwas drin, das ist was.“ Es war die allererste Äußerung des „Volkes“, blieb daher unvergessen. Später, es gab nachgerade den Typ, der bald fascistisch heißen sollte, schrieb ein Unbekannter, der wohl Schulen besucht hatte: „Von Ihnen liebe ich eine Novelle.“ Ich riet sogleich auf Pippo Spano - und auf einen Fascisten, dem nur nicht aufgefallen war, daß der Möchtegern-Pippo elend zusammenbricht. Das Fatum der Novelle: Ein Erkennungszeichen zu sein für einen und den anderen.“ [Flöten und Dolche, Fischer, S. 122] Der „Möchtegern-Pippo“ wurde ein Symbol auch für seinen Autor. An Florenz Pippo Spanos hat Heinrich Mann unendlich viele Erinnerungen geknüpft. Und in einem anderen Brief an Lemke (27. Mai 1948): „Zum Pippo Spano fällt mir noch ein, daß dies ein Zeitpunkt gewesen sein muß, als ich einen Florentiner Sessel erwarb, geschnitzt nach altem Muster, der Anstrich blaugrün mit Gold. Darauf saß ich für die Novelle richtig, gemäß den ästhetisierenden Neigungen vom Anfang des Jahrhunderts. Der Verfertiger, in Via Ogni Santi, hat ihn jedesmal aufgehoben, wenn ich Florenz verließ, bis ich wiederkam. Nach dem ersten Krieg kehrte ich nicht zurück, sondern erbat den Sessel nach München. Das geschah nicht, ich begriff es. Der Krieg hatte Beziehungen aufgehoben. Vergolder können auch fallen, außerdem sind sie lungensüchtig.“ [Flöten und Dolche, Fischer, S. 123]

134 Um seinen Pippo Spano zu komponieren, hatte Heinrich Mann sicherlich ein ganzes Repertoire an nützlichen Notizen zur Verfügung, von Anekdoten und Lektüren, die im direkten Bezug zu Florenz stehen, wo er damals wohnte (1903), während sich D’Annunzio in Capponcina aufhielt. „Du Autor, du wirst es bei den Späteren sehen, wie du es hättest besser machen können; aber du, Mensch, würdest keine andere Triumphkrone gewollt haben, als die aus schönen, nackten Armen“ hatte D’Annunzio 1887 in seinem fast Verlain’schen Crimina amoris geschrieben, einer Variation dieses quälenden Widerspruchs „die Frau und das Buch“, in den der Protagonist von Pippo Spano verstrickt wird. Aber die Krone aus nackten Armen um den Hals des Poeten dem Lorbeer vorzuziehen ist ein entlehntes Bild, wieder einmal von Henri de Régnier.

135 „Die einsame Komödianterei der Seele, der Mißbrauch der Gefühle am Schreibtisch, die Ekstasen der Lüge haben zuletzt eben die Wirkungen wie laute Orgien, Zügellosigkeiten des Körpers und an alle Weiber weggeworfene Wollust. Künstler und Don Juan behalten diesselbe Bitterkeit auf der Zunge. „Jede Frau, die du umarmst, nimmt einen Funken deiner Kraft, ohne dir einen der ihren dafür zu geben. Du erschöpfst Dich an Phantomen.“ So steht es in Mussets „Beichte“. Und was, außer diesem Gedanken, hat Flaubert krank gemacht?“ (Flaubert und George Sand, in Essays I, S. 100 [Suhrkamp, S. 104]) Die ersten Teile des Essays, später in Geist und Tat wiederveröffentlicht, erschienen in der Zeitschrift „Die Zukunft“, 1. und 15. Juli 1905 (zitiert nach A. Kantorowicz „Nachwort“, Essays I, S. 477). Pippo Spano wurde 1903 geschrieben (zumindest in einer vorläufigen, definitiven Fassung), aber 1905 veröffentlicht. Die Ideen: „Oh, eine Sitzung am Schreibtisch ist verschwendetes Werben um die Frau […] Die Frau und das Buch, das sind Feinde.“; „Denn ich möchte wissen, wozu der Ruhm dient, wenn er nicht Liebe einträgt […] Ach, er ist ein Phantom wie sie“ und „Ich muß an meiner Seele sparen […]“ in Pippo Spano-D’Annunzio ironisch kritisiert, entstanden sie aus der „Beichte“ De Mussets und den mütterlichen Ratschlägen George Sands.

136 Die Grundlagen der Dramaturgie von A. Perger unterscheidet zwischen „Traum“ und „Vision“ je nach struktureller Bedeutung. Wollte man mit Perger oder Voigt das Renaissance-Motiv untersuchen und interpretieren, so gelangt man zu dem Schluß, daß das Motiv zur Realisierung der „Tat“ benutzt wird. In diesem Fall zur Ermordung der Geliebten, um zu verhindern, daß sie ihrerseits mordete. Da dieses Ereignis in der gegenwärtigen und alltäglichen Realität nicht zu finden ist, so ist es im Geist der „ruchlosen Schönheit“, mit der ästhetische Eleganz der italienischen Renaissance realisierbar geworden.

137 In der Beschreibung des letzten ausgeführten Werkes der Bildhauerin, ein Relief der Verdammten, bedient sich Heinrich Mann klassischer Elemente seiner italienischen Kultur und paraphrasiert in der Aufzählung der Figuren, die Properzia in ihrer Wut der Betrogenen geschaffen hat, Dantes 5. Gesang der Hölle: „Das sind die Liebenden in der Hölle! Das sind in einem irren Flug, wie Stare im Winter, jene Verdammten, die Liebe vertrieb aus unserem Leben, und die nun umherwirbeln in der purpurnen Nacht, unter dem entsetzlichen Auge des Minos. Da vorn tritt er selbst prall aus dem Block, mit gefletschten Zähnen, und wirft sich den Schweif zweimal um den Leib.“ Er berücksichtigt auch die Folge der Figuren: „Der Sturm der verrenkten, brünstigen und hoffnungslosen Leiber wirbelte immer schneller, schauerlich und ohne Atem. Semiramis strotzte, Dido klagte berauschend, Kleopatra, von Lüsten zerfleischt […] Helena wehte dahin, weiß, kalt, unschuldig. Achill, nur der Liebe unterlegen, bäumte sich, und ihm nach sausten Paris und Tristan und mehrere noch und immer mehrere - und endlich auch sie, die zuviel von Lanzelot gelesen hatten, und die beide weinten“ (Göttinnen, S. 322-23). Der Name Dantes taucht nicht auf, auch nicht gegenüber der optischen Übersetzung des Reliefs. Er ist allerdings im Mitleid präsent, das die Herzogin von Assy in Properzia zu bewegen sucht und das das gleiche Mitleid Dantes für die Verdammten sein sollte. Damit läßt sich die Bildhauerin allerdings nicht verführen, ist sie doch bereits zur Identifikation mit ihren Figuren der Geliebten-Selbstmörder verurteilt.

Auf der gleichen Linie befindet sich das Zitat des an der mit Lorbeer bekränzten Büste des Siegers befestigte Kärtchen - sie hat das Aussehen und die Züge des geliebten Dichters Mortoeuil: I’ son colei che ti die’ tanta guerra / E compie’ mia giornata innanzi sera. Treu seiner Methode, deutet Mann die Herkunft der Verse nicht einmal an, auch nicht in ihrer Funktionalität: Das CCII Sonett Petrarcas, zum Tode Lauras, „Levommi il mio penser in parte ov’era“, wird zu recht als eines der schönsten des Canzoniere gehalten, das er nutzt, um die Klassizität Properzias zu belegen. Dabei handelt es sich um ein weiteres Zeichen über die Art seiner Lektüre, die er immer mit außerordentlicher Ökonomie an die von ihm beabsichtigten Situationen zu binden versteht, die er in eine Aura versenken will, die auf keine Fall humanistisch sind, sondern nur andeutungsweise heldenhaft und noch bedingt durch die italienischen Bedürfnisse des Jugendstils.



138 Das Problem der Rezeption D’Annunzios in Deutschland ist erst kürzlich von H. Hinterhäuser analysiert worden (der Aufsatz D’Annunzio und die deutsche Literatur. In: Archiv für das Studium der neueren Sprache und Literatur, Band 201, 116. Jhrg., 4. Heft, November 1964). Er informiert auch über die wenigen biographischen Hinweise zu diesem Thema. Hinterhäuser beschäftigt sich auch mit den Figuren der Göttinnen und Pippo Spano, und bestreitet richtigerweise die Selbstkritik, die die deutschen Kritiker seit Soergel in Jean Guignol und Mario Malvolto sehen wollten. Zusammenfassend begrenzt der moderne Kritiker die „positiven Spuren“ der Rezeption D’Annunzios in den frühen Werken Manns, ohne jedoch zu spezifizieren, welche dies seien. Um jedoch die Art und Weise der gegenwärtigen Rezeption D’Annunzios zu verfolgen, die unter chronologischem Gesichtspunkt Heinrich Mann betrifft, so sind die Vergleiche einiger Nummern des „Kunstwart“ der Jahre 1900-1902 zu beachten. Besonders Letztmals in Sachen D’Annunzio, eine Polemik bezüglich Fuoco und der ersten Bühnenwerke zwischen Leopold Weber und der Redaktion der Zeitschrift. (In: Kunstwart, 2. Januarheft 1902, S. 376-384).

139 Für H. Hinterhäuser „wimmelt es geradezu“ von panischen Stunden D’Annunzios.

140 Die Verse Régniers, reproduziert in Ill. 5, sind nur ein Teil derjenigen, die Mann dann im ganzen Werk verwendet hat. Sie beziehen sich auf die poetischen Attribute, die Régnier den drei Formen der von Violante angenommenen Stadien Minerva, Juno und Venus zugeordnet hat. Es gibt aber noch andere Mutmaßungen über die Darstellung der Figur Violante.

141 Göttinnen, S. 621.

142 Ebd., S. 621-622.

143 Vergleiche weiter Le cenature und Dionysiaque der Sammlung Médailles d’argile. In La sandale ailée (erst später, 1906, veröffentlicht) finden sich alle Symbole und dem deutschen Schriftsteller und italienischen Poeten gemeinsame Bilder versammelt. Es ist nicht mehr möglich, einer Priorität der Inspiration auszumachen, sondern nur eine Abgrenzung des einen und die Treue des anderen.

144 Ebd., S. 623.

145 Evident d’annunzianische Abgüsse sind die Motive der Spiegel: „In allen Spiegeln, hundertfältig, bis in die gläserne Tiefe, tanze ich, immer ich, ganz allein“ (Göttinnen, S. 584). „… Die Spiegel sandten sich hundertfältig ihr Bild zu […] immer sie selbst“ (S. 581) sind exakt die selben des Prologs von Vergini della Rocca, in denen Violante sich im Spiegel reflektiert sieht: „Ich habe hundert wundervolle Leben gelebt“. Jean Guignol-D’Annunzio irrt sich gerade darin, Violantes Spiegelungen ihr selbst zu erklären.

Töne D’Annunzios finden sich im letzten Teil der Göttinnen überhaupt nicht. Sie tauchen statt dessen nach der Parodie-Befreiung von Pippo Spano in einigen Winkeln von Zwischen den Rassen auf, wo man sie nicht mehr erwartet hätte - (Heinrich Mann hatte Unrat bereits geschrieben) - in einer symbolistisch-dekadenten Art, von der sich der Autor schon entfernt hatte: „Das feuchte Gras löschte ihr Fieber. In der Hand, die sich nach dem Geliebten schmachtend aufreckte, blieb eine Granatfrucht zurück. Ein unsichtbarer Zweig mischte sich in ihre Umarmung. Aus dem schwarzen Dickicht funktelten wilde grüne Augen und strömte strenger, erbittender Duft.“ Der Granatapfel, wie auch die großen Pokale - die Heinrich Mann mit dem gleichen d’annunzianischen Genuß evoziert („Sie lebte in Sinnenrausch, wie in einem Garten roter, abenteuerlicher Kelche“ - die großen Pokale, die enormen Blumenkronen, die großen und merkwürdigen Blumen in Bocca d’Arno), verweisen im Roman noch auf die Symboltreue der Zeit. Gerade für die Beziehungen und Dimensionen seiner Zeit ist es wichtig, den Aufsatz von Salvatore Battaglia: La testimonianza di G. D’Annunzio, in „Filologia e letteratura“, X, II N. 38, Neapel 1964, heranzuziehen.



146 Pippo Spano, Novellen I, S. 327.

147 Der Brief ist vom 25. Juli 1905 und wie das gesamte Epistolar im Berliner Archiv konserviert. Er fährt fort: „Es war mir keine Liebe begegnet und nichts, was mir geliebt zu werden wert schien. Aus Mangel an Zärtlichkeit behauptete ich, nur auf Sinnlichkeit komme es an; und behauptete es umso fester, je weniger ich es innerlich glaubte.“ In Pippo Spano hatte Heinrich Mann geschrieben: „Wir haben nur unsere Sinnlichkeit“ und läßt Mario Malvolto die berühmte Herausforderung an den Condottiere Andrea del Castgno sprechen: „Ich will fremde Schönheiten erleben, fremde Schmerzen. Recht fremde. Geopferte Frauen […]“, die Herausforderung, die mit der Verschmelzung eines Bildes endet, das die Erinnerung der Figur der Properzia Ponti aus den Göttinnen, der sinnlichen Künstlerin, die sich aus Leidenschaft ermordet, assoziert mit dem Inferno Dantes: „Meister, die einen vollen Schmerz an einem Stück Marmor austoben. Sie schlagen die Gestalten der Hölle aus dem Block heraus, und ihr Schmerz ist der Wirbelwind, der die Seelen durch purpurne Finsternis treibt […]“ (Novellen, I, S. 303). Die leidenschaftliche Künstlerin der Göttinnen hatte tatsächlich in einem Anfall verzweifelter kreativer Gewalt vor ihrem Selbstmord das von Mann beschriebene Relief geschaffen, die Parafrase der Terzinen des V. Gesangs der Hölle von Dante.

148 Das Kunstwerk am Anfang einer literarischen Komposition - ein Bild von Brueghel zum Beispiel, und eine Radierung Callots zu Flauberts Téntation de Saint Antoine, oder das Gemälde Veroneses in Fontanes L’Adultera, oder das Relief des Museums von Neapel für Orfeus, Euridike, Hermes von Rilke - übernimmt eine determinierende, thematische Funktion im Grade der Abhängigkeit zwischen figurativem Objekt und strukturellem Wollen des Autors. Aber bereits die Wahl der Inspiration kondizioniert die Art und Weise, in der sie benutzt werden wird.

149 E.T.A. Hoffmann in Doge e Dogaressa (eine Ausgabe der Novelle ist in der Bibliothek Heinrich Manns in Berlin erhalten) ist möglicherweise das Modell des häufigen, strukturellen Verfahrens in den Göttinnen gewesen sein: das bewunderte Kunstwerk in einer realen Situation (das eingebildete Gemälde des Malers Kolbe, das den Dogen Marin Faliero und die junge Braut in der Novelle Hoffmanns repräsentiert, der Knabe mit der Lampe, der von zwei Frauen begleitet wird des Altarbildes in der kleinen italienischen Kirche der Göttinnen) verweist auf unheimliche Art auf Ereignisse und Personen, die in die Geschichte des Romans verwickelt sind. Die Idee des Bildes bei Mann, war möglicherweise erneut von Henri de Régniers Psyché und La lampe inspiriert (in La sandale ailée, „cette lampe à la main pour conduir nos pas“). Die Beschreibung einer figurativen Fiktion (das Bild existiert nicht, sondern ist eine dem Autor gemäße Erfindung, um als Grundlage der Geschichte zu dienen) geht also den Ereignissen voraus, die später erst erzählt werden und erreichen somit einen erzählerischen Kreislauf, dessen Zentrum von den wieder unbeweglich gewordenen Bildern gebildet wird. Dieser künstlerische Determinismus, diese drohende Fatalität der Kunstwerke auf die Figuren, wurde von den Realisten am Beispiel der Romantiker wieder aufgenommen. Auf dieser Linie finden sich Hoffmann, Fontane, Schnitzler und Heinrich Mann.

150 Vgl. das Kapitel „Die Kuns“ in R. Häusler: Das Bild Italiens in der deutschen Romantik, Leipzig 1939,

151 Th. Mann, Briefe, a.a.O., S. 25. “Die historisch-ästhetischen Eindrücke, die die Stadt Rom zu bieten hat“ - hatte Thomas im Lebensabriß geschrieben - akzeptierte ich mit einer Verbeugung, aber nicht mit dem Sinn, als sei es eine Sache für mich und die mir unmittelbar helfen könnte. Die antiken Skulpturen im Vatikan hatten mir mehr zu sagen als die Malerei der Renaissance.“ Bei Thomas findet sich in der Erzählung von Erfahrungen und gemeinsamen Zeiten immer die gewollte oder unbewußte Gegensätzlichkeit des Geschmacks und der Sympathie, die in ihm absolut andere Richtungen einschlugen als bei seinem Bruder Heinrich. Aufgrund einiger Notizen zu Reproduktionen von Kunstwerken, die für die Arbeit der Romane benutzt wurden, ist der lange Aufsatz Hans Wyslings Die Technik der Montage zu Th. Mann’s Erwählten, in „Euphorion“, 57, 1063, S. 156 sehr wichtig. Er sammelt darin die weitläufige Bibliographie zum Thema der Transposition der „Vorlagen“ des Doktor Faustus’. Hilfreich ist außerdem der Aufsatz von Hilde Zaloscer, Le „Doktor Faustus“ de Thomas Mann et ses modèles, in „La revue du Caire“, Mai 1953, S. 384-404. Karl Schröter hat in seiner bereits zitierten Biographie über Thomas Das Ulmer Verlöbnis des Meisters des „Sterzinger Altars“ veröffentlicht, das als Modell der Eltern des Erwählten gedient hatten. Für die erste Entdeckung der figurativen Modelle, die Thomas Mann für den Faustus dienten, ist die Untersuchung von Fritz Kaufmann fundamental: Thomas Mann. The World as Will and Representation, Boston, 1957, und darin besonders das Kapitel Last Judgement.

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