Die leibliche Himmelfahrt dieser Muttergottheit wird von allen gefeiert: Kroaten, Serben, und christlichen Bosniaken, auch wenn der katholische Kalender nicht mit dem orthodoxen übereinstimmt; im Namen dieser purifizierten Frau segnen und fluchen sie; gebären und töten sie, bauen Kirchen und sprengen Kapellen. Maria ist die grösste, effizienteste, unbestrittenste und hypothetischste Fiktion aller Kirchen. Wenn man verallgemeinert, dass alle grossen Gestalten unscheinbaren Eltern entstammen, dann hat man hier tüchtig gemogelt; selbst die arme apokryphe Anna hat herhalten müssen, das virginale Monument mitaufzubauen, die restliche Durststrecke bis zur Urmutter Eva hatten andere schon vorgegeben und leibliche Himmelfahrten, Entrückungen, Levitationen, Entmaterialisierungen und Verschwundibusse gabs früher schon à profusion: Elias benutzte sogar einen Feuerwagen, weil ihm das Wolkensteigen offenbarfuss zu mühsam war. Dass man, bzw. frau in der göttlichen Rushdie-Hour nicht einmal die Kleider ablegte, ist mir immer schon verwunderlich gewesen: gibt es etwa eine paradiesische Garderobe mit Schliessfach und Himmels- oder Petrusschlüsselchen, hinterlegt man Pfand gegen Aluminiummarke, gibt’s ein Trinkgeldschüsselchen und wird man bei Staatsbesuchen gefilzt? Manche warfen in Ermanglung der Depots noch schnell den Mantel, den Schleier, den Gürtel oder das Handtuch, aber wo sind all die Sandalen, Wanderstäbe, Hüte, Kopftücher und Dessous, die dem luftig-reinen Seelenleben eigentlich abträglich oder eher hinderlich? muffeln sie nun Jahrtausende dahin oder gibt's eine allsäkulare chemische Erzreinigung? Gut, dass man die Heiligen heute zusehends spiritualisiert, die Attribuz-Wunderkammer platzte ja aus den Nähten! Was gäbe es da zu sehen, ein Tollhaus an animalischen, vegetabilen, instrumentalen, modischen, ethnographischen, forensischen, waffenkundlichen, chirurgischen und pathologischen Sammelsurien; da würde es ohrenbetäubend lärmig zugehen, schwindelerregend riechen, werkeln, wuseln und wabern, man benötigte Tiefkühltruhen, explosionsgesicherte Schränke, Grosstiergehege, Aquarien, Terrarien, Feuerschutz, Maulkörbe, Lebensversicherungen, Fluchtrampen und Erstehilfestationen, Wegweiser, Kataloge und Inventare und eine Restaurierwerkstatt, aber auch Würstchenstände, Zeitungs- und Erdnüsschenkioske für die auf Einlass Wartenden, einen Tierarzt, Mechaniker, Verkehrspolizei, Sekuritas und einen Museumsdirektor. Gott wär das schön! Man brauchte als zerstreuungssüchtiger Irdischer gar nicht erst auf die Erde...
Geniale Erfindung, die Himmelfahrt; in einer Zeit, als es weder Flugzeug, Interkontinentalrakete, Fallschirm, Schwebematratze, Achterbahn oder Heissluftballon gab, nur den Traum vom Fliegen; oder im geschüttelten Masse gesagt: des Menschen alter Fimmel harrt der antriebslosen Himmelfahrt. Maria war die erste phallfreie Pilotin der Menschheitsgeschichte, eine Pionierin der Luftfahrt, aber niemand gedenkt ihrer im Deutschen Museum oder im Luzerner Verkehrshaus. Wieder typisch, die neidischen Männer! Wenigstens hat man der Verkehrsärmsten auf Millionen von Altären würdige Denkmäler gesetzt. Tintoretto first.
Des Äthers Bläue ärgster Strumpf ward aller Weiber stärkster Trumpf
(Vertreter der Orthodoxie werden mich meucheln, fromme Feministinnen mich zerfetzen).
Aber je populärer das Fliegen geworden ist, um so vulgärer sein Ansehen. Der Verband fliegender Heiliger hat unlängst Bummelstreikparolen ausgerufen (merke den jüngsten Fly-Slowgan: die Fliegekunst der Heiligkeit ward jäh verhunzt durch Eiligkeit) und bleibt trotzig am grimmig bewölkten Windhosenboden kleben: Stossgebete werden nur noch auf schriftlichem Wege beantwortet, die Flugmeetings auf dem Brocken abgesagt, die Flugwarte Simeon Stylites ist verwaist, die Looping-Vorführungen des Simon Magus eingestellt. Kein Wunder, die Himmel sind verkehrsüberlastet, von fundamentalistischer Raserei verunsichert, von hochfliegenden Laien und ultraleichten Sekten profanisiert, von Weltallgeräuschen durchlärmt, wenn nicht von Oranten, so von Laboranten umweltverschmutzt, zuletzt ozonverlöchert, kurz ein müder Abglanz besserer Zeiten, als Flugheilige noch ebenso Schlagzeilen (aber auch zuweilen Schlaglöcher) machten, wie Flughunde, bzw. -beutler, -drachen, -frösche, -hörnchen usw., als das Obenbleiben noch wichtiger war als die Schnelligkeit, mit der man von A nach OO gelangte. Tja und zu allem nun der leidige Amateur- bzw. Spanish Fly-Tourismus, von dem lediglich die Heilige Magdalena (Ehebruchpilotin und aktives Gründungsmitglied mit beschränkter Haftung) noch zu profitieren weiss:
Ein jeder fliegt ohne die Reise zu kosten
Dieweil der Heiligen Sternkreise rosten
Wir pflegen so flugs über Länder zu hetzen
Selbst Päpste beim Erdkuss die Hände verletzen
Es fliegen die Holländer, die Fische, die Klassen
Die Händler, die Pilze, und Untertassen
Es fliegt durchs Examen, um den Hals, an die Brust
Und niemand gedenkt des Flugheiligen Frust
Geschweige des Jungfernflugs Sanctae Marien
Dem nurmehr ein Frei-Tag im Jahre verliehen
Es neidt nur der Heid, der Jud, Protestant
Hat er den Urgrund zum F(r)eiern erkannt
Rollt anbetungsvoll sich in bräunender Lust:
Ferragosto ist’s, Madonnamia, und Mitte August!
Es schert ihn am Himmel nur schattende Wolken
Und Reisebüros die das Reisegeld molken
Zum Glück ist der Flug aus der häutenden Kur
Mit dem Segen Mariens pauschal und retour
Das hat man der christlichen Göttin voraus
Wars doch für diese trotz Göttlichkeit aus...!
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Das will nicht heissen, dass ich etwas gegens Fliegen habe, gegen Badeferien und schwarzgebräunte Madonnen, göttliche Nymphlimia, es kam mir nur so aus der gef(i)ederten Taste.
Ich flieg, wie Du weisst, nur auf flüglose Nymphen
Wenn sie gemächlich auf Wanderers Strümpfen
und irdischen Bahnen mir kreuzen die Spur
Nicht fliehn wie Libellen
Die auf Halmes Schwanken
Schon weitermüssen
Als scheuchte des blanken
Hauches Gedanken
Ans schüchternste Küssen
In ehene Schranken
Nur.
17.15. werde Stefan zum Bahnhof bringen; er verlässt uns bis September; dafür bleibt Jana noch eine Weile, die man gestern mit Erfolg operierte. Sie dankt Dir für Deine Adresse. Sie scheint mir hier die Gescheiteste von allen zu sein; auch den bisherigen, inzwischen wieder verflossenen. Ihr Mann ist Künstler und ist nach Varaždin gezogen, um Jana die unvermeidliche Ludbreger Langeweile zu nehmen, die Dalmatiner hier oben unweigerlich befällt.
Eben wird am Fernsehen die Meštrovič -Kapelle und das geschändete Grab des grossen jugoslawischen Bildhauers wieder geweiht. Die Serben hatten selbst den Bleisarg herausgerissen und profaniert! Wieder sah man Kirchen in denen man mit sorgfältigstem Aufwande, Methode und Eifer alles kurz und klein geschlagen hatte; ein unglaubliches geradezu pathologisches Verhalten, das in der Weltgeschichte kaum seines Gleichen hat, aber laut Mendel von den Serben in einem Jahrhundert bereits zum dritten Male praktiziert werde, und deren schriftlich niedergelegter ethnischer Messianismus, seine Programmatik und Rechtfertigung seit eh bestanden habe (so wie 'Mein Kampf' einst für jeden zu lesen war, worin ja alles spätere Vorgehen der Nazis gefordert und vorausgesagt): die totale Elimination der einst jahrhundertealten muselmanischen Kultur auf serbischem Mutterboden ist niemandem wirklich bewusst, aber nicht zu übersehen! Ethnische Säuberung als ein für uns schändlicher Begriff, beschämt sie keineswegs; sie folgen einer inneren Verheissung und einem Bewusstsein von Vorrangigkeit, das auch über Leichen geht. Wir glauben diese Ungeheuerlichkeit einfach nicht. Erst die Massengräber von Srebrenica werden uns die Augen auftun.
19.00. Ivan doziert düster über die Unabwendbarkeit des dritten Weltkrieges am Beispiel des Balkan und des russischen Hinterlandes mit seinen Problemen, die dereinst selbst die Chinesen implizieren würden. Ich werde ihn in der Pizzeria aufheitern müssen. Unsere Agroarchitektinnen wollen sich auch dort einfinden, nach einer fruchtbaren Entdeckungstour in urtümlichen Dörfern, unter deren kauzigen Bewohnern mit erschreckenden Trinkergesichtern sie endlich das Fürchten gelernt haben. Gestern griff sie ein fetter Einarmiger sogar tätlich und anzüglich an! Man ist derartig aufreizende weibliche Präsenz von nonchalanter kurzhosiger Selbstständigkeit nicht gewohnt. Sie sollten vorsichtiger sein; wenigstens können sie von heute an den Dienstwagen benutzen und ab morgen sind sie um die Serbokroatin Sibila zu dritt...
Ich bin wieder bei den Alltäglichkeiten, wie Du siehst; der Musenkuss war noch nicht nachdrücklich genug, bis in den Abend hinein nachzuwirken und nach der Pizza wird man kaum noch schöpferisch sein können, wie Du ja weisst. Also werde ich Dich mit dem Vorliegenden mal behelligen, sofern es diesmal durchkommt... Sei umarmt!
Faun.
(88) Ludbreg, Mittwoch 16.8.1995; 6.50
Nymph, meinster,
Blagajs Arbeitertrupp steht wieder pünktlich vor der Tür; er wird wieder mal am Haus herumfummeln, bis der tröpfchenweise Kredit aufgebraucht ist; man wird das Dach reparieren, die Fensterscheiben ersetzen, damit die Fassade am Fest nicht allzu verwahrlost aussieht. Blagaj watschelt aufgeregt wie immer im rumorigen Hof herum, während ein schwindelerregendes Gerüst an der Dachrinne emporwächst.
Darvin hat eine neue Hausordnung gegen das herrschende Chaos verfasst und sie mittags pompös verkündet; viel wird sich wohl kaum ändern, da er selbst seine Satzungen als erster missachten wird! Er bereitet seine Ferienabwesenheit vor, die prompt in die Zeit fällt, wo er die Fest-Ausstellung im Schloss hätte organisieren sollen; ich muss das mit Velimir ausbaden, dieweil unser Chef mit seiner Familie in Dalmatien (un-)lustwandelt. Somit bin ich auch vor dem Fest nicht mehr abkömmlich. Marcin K. hat sich heute für den 3. angemeldet; er schien mir am Telefon recht sympathisch; vielleicht ist er wirklich der Mann...Was man mir über die beiden letzten Monate mit S. berichtete, schliesst ihre Wiederkunft über Stippvisiten hinaus, so gut wie aus; ihre Unbeliebtheit, die ich noch immer zu dämpfen suche, um die doch auch vorzüglichen Seiten an ihr zu retten, stünde jedem Arrangement im Wege.
Sibila, ein handfestes Wesen, das jeden Wüstling mit einem Wink in die Flucht schlagen würde, wurde an der ungarischen Grenze abgeholt und begleitet unsere Explorandinnen von nun an im Dienstwagen und dolmetscht, wenn's nötig wird; sie hat Stefans Zimmer bezogen und ich fühle mich langsam von der Weiberei in die Minderheit abgedrängt, zumal die Schneiderinnen, Marija, deren Enkelinnen und drei Katzen ja auch noch dazugehören. Und dann die Spinnen, die Fliegen, die Mücken, eine verirrte Biene, des Nachbars Hühner, Aretins und Ovidens Heroinen... Nur das einzige wirkliche verehrungswürdige Weib, das begehrte, umhimmelte, geträumte, ersehnte, fehlt!
19.10. Eben fällt mir ein, dass ich bis Ende Monat Hansjürg Brunner ein Vorwort zu seinem Katalog versprochen habe! Ich vergass, irgend etwas von ihm nach Kroatien mitzunehmen. Ein Sprung ins leere Schwimmbad wird das sein! Was schreib ich bloss? Nicht einmal das Geringste seines Curriculums ist mir präsent. Vielleicht musst Du mir etwas durchfaxen, was da so von ihm an Neuerem rumliegt; meine nächste Quelle ist in V. Oder ich bitte ihn persönlich um ein Bündel Kataloge?...Eben hab ich ihn in Frankreich erwischt; es habe noch ein bisschen Zeit, bis ich im September in B. vorbeikomme... Er hatte mit dem Termin gemogelt, um ganz sicher zu sein, dass ich rechtzeitig reagiere, er kenne mich ja als alten Chaoten!
19.30. Die Nachrichten beginnen und der Saal füllt sich; meine Gedanken müssen gegen den Lärm, die Kriegsgesänge und die hehren Reden der Politiker anbranden. Während erste desillusionierte aus der Krajina ausgezogene Serben wieder umkehren und offenbar unbehindert wieder von den Kroaten eingelassen werden, erlebt man die herzzerreissendsten Szenen der in Massen ohne Alles vertriebenen Woiwodina-Kroaten, die man aufs niederträchtigste zwingt, zum Gegenwert von 350 Dinar, kaum eines halben Kilos Brot, Hof und Tiere, Maschinen und häusliche Habe pauschal und amtschriftlich an die Serben zu "verkaufen"!
In Kossowo will niemand die Zwangsintegrierten Kraijna-Leute aufnehmen und Serbien hat die Grenzen geschlossen, weil man sie auch dort nicht will. Ihre Versorgung ist bald nicht besser als die der soeben Vertriebenen aus Banja Luka. In Kroatien rechnet man mit einer Rückkehrerwelle all derer, die sich in der Krajina nichts haben zuschulden kommen lassen.
T. rief aus Berlin an, wo er seine Magisterarbeit demnächst abgibt, Stipendien einheimst, nach Florenz kann und um Seminarvorträge in Rom und Cambridge gebeten wurde. Ein ausgebuchter Kalender bis November. Pas mal, fiston! Der Apfel rollt langsam aus der Wurzelzone ins Nachbarfeld...
Nymph, liebster, ich komme für heute zum Ende; viel Gscheites war’s ja nicht, geschweige Gestaltetes. Lass Dich küssen und in den Schlaf streicheln! Faun.
(89) Ludbreg Donnerstag, 17.8.1995; 7.15
Nymph,
gottsjämmerlich verschlafen heute, obwohl nach einer gestrigen Seite Aretin ich das frühzeitlichste segnete. Ivan dürfte vorwurfsvoll lachen, weil er für gewöhnlich schon um sechs herumwerkelt; aber ich sehe, dass auch er noch nicht im Haus ist.
Der Himmel ist grau, selbst die Kirchenglocken haben einen müden Klang. Fast glaubt man den Herbst in der schweren Luft zu riechen. Nur Blagajs Leute rumpeln, als wollten sie das Schloss abbrechen.
Ich korrigiere unser PR-Blatt in den vier Sprachen zu 150. Mal, weil die Druckerei auf Mac-System geeicht und unfähig, unsere MS-Dos-Texte einzulesen, alles getreulich wieder abtippt und prompt immer wieder neue Fehler gebiert; statt ein billiges Konvertierungsprogramm zu kaufen, kosten uns die Abschreibereien und Korrekturen das hundertfache... Inzwischen ist mein in M. durchgesehener, aber stilistisch etwas vermiester deutscher Text in der Süddeutschen Zeitung vom 10.8. in einen Artikel über Ludbreg eingebaut worden. Wenigstens dient mir die Vorgabe als Grundlage für den Kölner Vortrag. Mirela R. versprach mir heute am Telefon Dias der zerstörten Kirchen in der Krajina und Ostslawonien, die sicher in Köln Eindruck machen werden. Vielleicht muss ich so nicht über M. fahren, um das dortige Material einzusehen.
16.00. Bis auf Ivan sind alle ausgeflogen, als sei’s schon Freitag. Vielleicht hat sie die bleierne Schwere dieses Tages vertrieben; oder die neue Schliessordnung am Eingang, durch den man neuerdings hinaus, aber nicht mehr herein kann, ohne zu klingeln; der Türnächste, also zumeist ich, bin dadurch, Darvin sei's geklagt, zum Portier geworden.
18.00. Im Keller haben Blagajs Mannen bereits die Gefängnismauern abgebrochen und die ältere Anlage zu rekonstruieren begonnen, die vielleicht einmal eine Räucherkammer war; nur die massive Kerkertür mit dem Wärterguckloch will man wieder – über den blankgeschliffenen Kalksteinfliesen! – einbauen, was ja nun völlig unhistorisch ist. Die Räume werden von der Gemeinde und von der Kapelle genutzt und unterstehen deshalb nicht unseren architektonischen Authentizitäts-Wünschen; hélas. Und Blagaj ist ein Mann des rechten Winkels am falschen Fleck. Eben versprach er mir einen Weinbergausflug am nächsten Sonntag; aber diesmal wirklich ohne ihn zu vergessen. Als Ivan auf mein Anstiften 500 DM pro Ölbild von Rovinj von ihm zu verlangen wagte, winkte er behende ab. Auf zehn Gemälde erwarte er einen gehörigen Rabatt und so schön wären sie ja nun auch nicht. Ivan seufzte mir ein kummervolles 350 hin und meinte, das wäre wohl das höchste für das sich ein Unternehmer mit diskretem Kunstgefühl entleiben würde...
Die Zeiten stehen schlecht für kroatische Künstler. Und sie können nicht alle Restauratoren werden.
Eben kommen die drei Grazien aus den Bergen zurück. Sie haben den einzigen in der Gegend noch lebenden Stroh-Dachdecker ausgemacht und er hat unter ihrem fotografischem Auge "mustergedeckt". Um ein ländliches Mittagessen brauchen sie sich fast nie zu sorgen, manchmal füllt sich die Schlossküche mit allerlei Früchten. In Zagreb wird man sie um ihre Erfolge beneiden.
Wir bekamen eine Video-Aufzeichnung über das Besitztum des Grafen Draskowic zu sehen, auch die Batthyány, die mit jenem verschwägert sind, traten auf. Schloss Bukovec, das wir damals neben seinem Teiche besuchten, gehört wieder dem Grafen, der es flott machen will und schon zwei Zimmer bezogen hat; die imposante Familie floriert, hat noch grosse Besitzungen im Burgenland, rekonstruiert Kirchen und Schlösser in Ungarn und Kroatien. Faun.
(90) Ludbreg, Freitag 18.8.1995; 6.25
Nymph,
wie ein roter giftiger Kugelfisch glotzt die Sonne über den Horizont heute und wacht über Gottes 14 Wärterhäuschen, deren Mosaiken sich gestern vervollständigt haben müssen, denn es fehlten nur noch zwei und die Pastelltoneinrahmungen der Nordseite. Laut gestrigem TV-Film über Ludbregs Wunder, die Monstranz und seine Kirchen, ist der Plan eines Pilgerheiligtums vom Zeuge Lourdes schon hundert Jahre alt; nur verwirklichte man erst heuer die jämmerliche Anlage. Man sah das Wachsen der Klohäuschen und hatte Lust, ihr Wuchern zu unterbrechen, aber Bürgermeister Franjo stellte sich leibhaftig in den Weg und rechtfertigte sich vor der Nachwelt: auf dem Reissbrett formiere das Ganze eine zur Strasse hin sich öffnende Parabel, mit dem Freialtar als Auge des Zyklopen bzw. Zyklons; Zyklot(h)rons oder gar der gesamten Zyclownerie? Es wacht zumindest nächtens noch immer, ja intensiver denn je, weil man eine stärkere Birne, bzw. mirakolossale Ampulle, eingesetzt hat: die Haupthalle wird einer 24 Std-Tankstelle (unter dem PX-Symbol!) immer ähnlicher; warum nicht? vielleicht wird man das HB-Wunder kommerzialisieren mit Pumpe, Preiszähler, Parataxameter und Pipette (muss nicht gleich Pistole sein...) Das parabolisch-parataktisch-parallele Abfertigen von 50 000 Pilgern (2 Promille Parallelogramm pro Person pro Laufparameter) durch 15 paradoxe Priester im Paradeparament aus prallen Poumonen, Parallelujas und Parodien singend, eine paralysierende Parabase, -phrase! Und vom Parapet penedeit persönlich Papa Pio XIII milden Plickes das plaudierende Publikum. Pipapo.
13.25. Versuche das Retouchieren des Heiligen Vitus mit Aquarell an Zlatko weiterzuvermitteln; ich stöhne fast ebenso wie er, weil ich ganz aus der Übung gekommen bin; inzwischen brauche ich zwei Brillen übereinander. Die von Darvin freigelegte Altararchitektur ist ein Schlachtfeld, das ich im Verband mit den übrigen Teilen kaum zeigen kann; die beste Retuche nützt da nichts. Dass ihn S. Kirchenmaler schimpfte, ist für jene eine Beleidigung; wenn er wenigstens einer wäre! Und ein Clown ist ein ebenso höchst diszipliniertes Wesen wie ein Schauspieler. Mir würden dieselben Bezeichnungen schmeicheln. Ich glaube kaum, dass er aus München tief greifend gewandelt zurückkommen würde; soll sich Marcin mit ihm balgen...
17.30. Der Tag ist leer gelaufen wie ein zerlöcherter Topf. Die Arbeiter zermartern mit ihrer Motorsäge, ihrer Betonmühle, ihrem Gebrüll das Hirn; Staub quillt aus allen Ritzen. Müdigkeit, Ohnmacht gesellen sich zu den Gefühlen von Nutz- und Ratlosigkeit. Aus Zagreb nur Klagen und Nörgeleien über uns, aus M. unerfüllbare unausgesprochene Erfolgsforderungen; wir leisten nur Mittelmass, wenn’s gut geht. Niemand ist von seiner Psyche unbehelligt und wer es durchschaut, ist deprimiert. Ich spiele unentwegt den heiteren und optimistischen Narren um anzuspornen, zu gewinnen, zu beruhigen; ich möchte endlich einmal grimmig ins Leere blicken und mich ausschweigen, Scheisse schimpfen und mit der Faust ein Loch in meinen Tisch hämmern. Avez-Vous fait une belle promenade? Danke für den Kaffee. Do You have good news from Munich? Do viđenja! Fra mezzora Vi telefono a Zagabria. Ihre Retusche ist noch eine Spur zu kalt. Ivane!!!
18.45. Ivan beendet soeben einen langen klarsichtigen Diskurs über den in der Tat etwas seelenlosen Zlatko, den er von Kindsbeinen an kennt. Er wird ihn wohl zu allerletzt oder gar nie portraitieren. Fünfzehn Bildnisse sollens werden und der Bürgermeister möge sie fürs Haus anschaffen und ich ein gutes Wort dafür einlegen, nachdem ihm Blagaj letztlich knauserige 300 DM pro Vedute hingeblättert hat. Auch bei dem werde ich vorsprechen und ihn bei der Ehre nehmen. Ivan fährt zur Zeit Moped, weil er seine Autonummer nicht mehr bezahlen kann und ihm mangelt das Geld für die Leinwand, an den Portraits weiterzupinseln!
Da kommen die Damen leichtbeschwipst vom Lande und wollen mundraublich meine letzte Tafel Schokolade essen, seit sie heute Mittag mundgreiflich erfuhren, dass noch eine in meinem Spind versteckt sei. Ich weiss nicht, wie lange ich den Seufzern widerstehen kann. Es war so meine eiserne Besuchsration. Und sie pflegen wohl lange in den Abend hineinzuseufzen, weil sie im Schloss ihre zeichnerische Ausbeute ins Reine übertragen, diskutieren und mir ihre Triumphe unterbreiten: 250 historische Häuschen haben sie bereits gefunden, kartiert, photographiert, typologisch erfasst, zum Teil sehr gekonnt gezeichnet und vermessen; beachtliche Leistung (an der ich ursprünglich ja nicht ganz unschuldig bin...). Die arbeitsame Präsenz stört meine Kreise weniger, als das Gegacker der Vorgängerinnen im Frühling, doch ist meine Introversion zu flach, um schöpferisch zu sein. Gestern verliess ich vor allen anderen das Haus schon kurz nach neun, was Ivan nicht wenig befremdete. Sie sollen dann mit ihm noch gegessen, musiziert und getanzt haben, hiess es...heureux lui. Aretin hielt mich kaum zehn Seiten wach. Auch heute werde ich hier nicht alt, trotz Vitaminbrause; vielleicht gelingt es mir morgen, munterer zu sein, um Dir endlich ein Geschichtchen zu spinnen, das zu lesen sich lohnt!
Nymph, es bleibt bei einer kümmerlichen überzähligen Drittelseite, die ich da nachwerfe; anschliessend werde ich mich wohl nachhause trollen; auch Ivan ist schon fort, weil seine Frau aus den Ferien zurückkommt. "Ich muss heim, meine Frau küssen" sagte er, als sei’s eine schwere Bürgerspflicht. Željko isst einsam Würstchen in der Küche: Zdenka ist mit den Kindern im Schwäbischen. Gerade hatte er aus dem Kopf ein beachtlich ähnliches Portrait seiner Frau gezeichnet, obwohl er schwor, seit zwanzig Jahren ausser gepausten Graphiken und Maschinenteilen nichts mehr gezeichnet zu haben. Wie sonderbar, diese Männer hier. Beim Mittagessen war das Gespräch auf die Erwartungen der Geschlechter von ihrem Gegenüber gekommen; was sei das wichtigste, um als attraktiv zu gelten: Humor müsse ein Mann haben, meinten die Französinnen; schön müssten die Frauen sein, von kroatischer Seite. Ich war mal wieder allein mit meiner ganzheitlichen Theorie von Grazie, von der wohl niemand wusste, was sie sei.
Lass Dich küssen, Du der Du diese Theorie vollendet verkörperst. Faun.
(91) Ludbreg, Samstag 19.8.1995; 6.40
Nymph,
während ich an den verregneten Kapellen vorbeifahre und ihre halbgerundeten Dächer betrachte, fällt mir ein, dass sie eigentlich wie halbe, strohbedeckte Weinberghäuschen aussehen. Ich könnte mich letztlich mit ihnen versöhnen, wenn dies der Architekt im Sinn gehabt hätte. Da der Messwein für besagtes Wunder von 1411 in einem solchen zweizimmrigen Hüttchen gekeltert worden sein muss, wäre die Allusion berechtigt; selbst die bisher unverständlichen Betonbänderungen und -lisenen fänden sich morphologisch im primitiven Fachwerk der Hütten vorgezeichnet. Ich erinnere mich, dass Ivan mir einst erzählt hatte, er hätte als einstiger Tourismusbeamteter dem damals noch kommunistischen Bürgermeister ein Projekt unterbreitet, die vierzehn Stationen ernsthaft in die Weinberge als Parcours (oenologique?) zu verlegen, mit der kleinen Brückenkirche als Beginn und einem Schwenker in der Höhe von Crn-Bel, mit etwa 500m Abstand zwischen den Stationen und je einem beschatteten Plätzchen für die müden Pilger. Man hat ihn damals als reaktionär verlacht, da man die Sacri Monti am Lago Maggiore, am Orta-See und sonst in Ober- und Unteritalien ja wohl nicht kannte, bzw. nicht kennen wollte. Vielleicht ist dem heutigen Entwerfer die damalige Hüttenidee hängen geblieben, als er seine höllischen Billettschalter zum himmlischen Busbahnhof auszirkelte. Mit den Französinnen, die nun den Urtypus studieren, weil mich Blagaj im Frühjahr in die Weinberge entführt hatte und ich die Erhaltung dieser Bauten lauthals erhoffte und Sieglinde weiterpredigte, diese dem Pariser Professor Fillipetti anlässlich des Ludbreger Meetings des Conseil d'Europe hinterbrachte und der seine Schüler ausschwärmen liess, schliesst sich der Kreis.
Inzwischen plane ich mit Ivan das Parabelzentrum Holylands auszuheben und einen Badesee anzulegen, 'Lourdes' sommers als Disco- und Konzertbühne und die Häuschen als Badekabinen zu nutzen; im Winter würde man Schlittschuh fahren, rundum Zigaretten, Erdnüsse, Postkarten, heissen Tee, Heiligblut-Glühwein, geweihtes Magen-Honigbrot, Würstchen und Kastanien verkaufen, Skates, Muffe und Schutzhelme vermieten, und einmal im Jahr, als wär's eine wundersame Wandlung, würde man dann die Mosaiken wieder enthüllen, den See Regenezareth seerosenkränzlich umknien, Gastspieler aus Oberammergau einladen, Soules singen, nachts "Jesus Super Christ", "Ben Hur" und "die zehn Gebote" auf eine Grossleinwand hinter dem Altar werfen und die Filme von Mietbooten aus ansehen können; buchstäblich eine ganzjährliche, polyvalente Goldgrube, vor der die 50 000 Eintagsfliegen des hl. September verblassten. Ludbreg würde man auf "Ludus brigantium" zurückführen können, zu deutsch etwa "Räuberspiel", oder die schon im Mittelalter gründelnde Jägersprache bemühen, in der "ludern" "das Wild ködern" heisst. Das 24 Std-mal 365 Tage-Luderleben machte die Region reich, das Schloss zur Nobel- oder Nabelherberge mit Schau aufs jeweilige Geschehnis (unsere 600 Bruch-Altäre würde man am allsamstaglichen Antiquitätenmarkt hinterm Schloss langsam unrestauriert an reiche ausländische Besucher verkaufen, die sie dann testamentarisch an die jeweiligen Kirchen nach 50-jähriger Nutzung, Instandsetzung und Pflege zurückerstatten. Wir Restauratoren brauchten ihnen nur noch regelmässig hinterherzufahren, um ihren von selbst genesenden Zustand zu dokumentieren und auf rechte Bahnen zu bringen). Man würde Ludbreg mit allen Ludwigs-, Ludolf- oder Lüder-städten verschwistern, voran Ludwigslust, weil die fast alle florieren und deren katholische Bewohner unbedingt nach Ludbreg kommen wollen (und die anderskonfessionellen, um zu sehen, was die dort machen...). Unser Dorf würde flugs auf 15000 Einwohner anschwellen und die Weinberghäuschen gingen in die Millionen, man würde die Weinberge urbanisieren und den Wein aus Lüderitz in SW-Afrika einführen müssen. Inzwischen würde man laut Denkmalpflegegesetz – promoviert von einer gewissen Studie des Conseil d'Europe (die ledergebunden mit Goldschnitt und Željkos Blinddrucksignet an allen Kiosken aufläge) – alle Häuser wieder mit Stroh decken; voran Schloss und Mutterkirche, dann Post, Polizei, Biblio- und Ludothek, natürlich auch die Feuerwehr. Den Störchen baute man bleibende Betonnester, damit sie sich nicht immer mit dem teuren Stroh des Stadtbildes eindeckten. Kinderlose könnten sich von der Ludbreger Interstork & Co. Babys nach Übersee schicken lassen mit dem eintätowierten Stadtwappen (mit Stammbaum-Zertifikat, versteht sich und im Falle von frommen Sonderwünschen, mit gestaffelten Aufpreisen, die der ekklesiastischen Hierarchie entsprächen).
Die hiesige Gastronomie schüfe neben allerhand Ludgebäck und dem Wildgericht "Ludbret" zu Maismaische, Lob-und-Preiselbeeren, sowie die k.& k-Jause "Ludbrettl" und die revolutionäre superflache Maispizza "Lupiz palacinka" das berühmte Ludbreakfast und den Ludbreakfastfood in Form von ersterem als in Honig getauchten Maiskolben und zweiterem als denselben in Schweineschmalz gebacken zu heissem Mais-Coke; Katzen und Hunde frässen am liebsten Ludbreackies, natürlich aus hiesigem Biomais. Blutwürste, -suppe und -kuchen stünden allerdings wegen des Verdachts auf Ikonoklasmus, Häresie und Blasphemie auf keinem Menü und müssten im inzwischen auf zwei Meilen nähergerückten Varaždin verspiesen werden. (Aus Pietätsgründen verzichte ich auf weitere Spielereien mit besagtem Wort, bitte Dich aber, im Lexikon nachzuschlagen, um zu staunen, was es da alles an -rünstigem gibt! Mein Kalauerherz wollte zerspringen...!)
Auch die hiesige Industrie würde sich mausern: die Österreicher bekämen mit dem neuen "Luden" ein Konkurrenzgewebe; mit dem famosen "Ludbrett" (nicht mit obigen Varianten zu verwechseln) liesse sich zugleich Skaten, Schnee- und Wasserskilaufen und Surfen zu einem verschwindenden Preis, da zur Herstellung ausschliesslich Maisfasern verwendet würden. Die lokale Chemie erfindet sodann das Ludbreger "Ampullin" aus Maisstärke und hilft weltweit den Weinüberschuss, sprich Weinberg, abzubauen und ist, in Pillenform verwendet, ein Mittel gegen nächtliche Alkoholkontrollen: zwei gezielte Schüsse auf den Hals des Gendarmen und schwupps, ist die Achterbahn frei. Aber auch intern genommen ist Ampullin blutvermehrend, reinigend, heiltuend; Alkoholiker wissen es zu schätzen! Dann die maisstrohverarbeitende Pantoffelfabrik Kukuruz (was z.dt. ‘Mais’ macht), die "Ludbeer"-Brauerei, die Bednja-Wasser in Maisbier verwandelt und der Weinlobby ein Dorn im Auge ist, denn schon steht die Destillerie "Veritas" vor dem Kunkurz, Konkurs mein ich. Schliesslich ist da noch das Touristikunternehmen "Ludfly-and-Dive", das naturnahe Maisfeldflüge mit spannenden Motorsegel-Abstürzen in die verträumten Dravatümpel veranstaltet und die Lebensversicherung "Ludlive-and-Die" von gerade zufällig nebenan, die sich mit ersterer kameradschaftlich von der Hand in den Mund arbeitet. Auch die "Ludberg-und Tal"-Versicherung (Devise: Never trust), deren Aktien am internationalen Reinsurance-Markt hochquotiert sind, maischt fröhlich mit, seit sie begonnen hat, das Gepäck der Touristen und Pilger, das Wetter, die Obsternte und die neapolitanische Blutverflüssigung von San Gennaro rückzuversichern.
Verschweigen sollte man eigentlich den neue Travestiten-, Lesben- und Schwulentreff "Homo Ludens"; aber was bringt nicht alles die urbane Expansion und Modernisierung der Sitten mit sich; immerhin ist der dortig ausgeschenkte Lutschstengel "Ludy Allen" einen Umweg ums stadtnahe Maisfeld von Bauer Stanko Popovic wert.
Ich sehe, dass sich meine Zukunftsprojektionen vor lauter Begeisterung bereits in fast hautnahe Wirklichkeit verwandeln. Es wäre höchste Eisenbahn, zu Bürgermeister Franz hinüberzueilen, ihm meine Ideen zu unterbreiten; wenn Ivan schon kein Glück hatte, so vielleicht der "doktorr". Als Startsignal werde ich vorerst in der Heiligblutplatzmitte einen (Hämatit-) Stein der (Nase-)Weisen vergraben im Bewusstsein, dass kroatisch "lud"="verrückt", "irre" und "töricht" heisst, dass "ludnica"="Irrenhaus", "ludilo"= "Wahn" (Nach Ludbreger Dialekt singt man weihnachtens "In dulci ludilo", im süssen Wahne...), und "ludost"= "Unsinn" (nur für "ludwest" noch keine Übersetzung gefunden) heisst. "Breg" ist hingegen ein Hügel oder Berg. Also übersetzt sich Ludbreg eigentlich mit Narrenberg, Verrücktenkogel und schneewinters wohl Idiotenhügel. Um diese Aufschlüsselung ringeln sich verschiedene Legenden, den Namen zu rechtfertigen. Franjo versichert zwar in jeder Fernsehsendung, "Ludbreg" ginge auf den noblen Tempelritter Lobring aus Burgund zurück, der hier um 1100 einen Orientexpress-Halt gemacht habe. Vielleicht probierte er unvorsichtigerweise den lokalen Wein und starb oder machte sich baldigst wieder aus dem Staub, denn weitere Kunde, geschweige ein Lob der hiesigen Winzerei, hat man nimmer seither gehört. Sicher waren die Heilwässer gegen Kreuzschmerzen im nahen Toplice damals schon von harmloserer Natur als die derben Weine Iovias für einen noch so abgehärteten Kreuzrittergaumen. Das Heiligblutwunder zwei Jahrhunderte drauf, war wohl ein verzweifelter Fingerzeig Gottes, den Messwein fortan im Lambrusco zu besorgen, noch im Zustand der Gnade zu pasteurisieren, aus Mais zu destillieren oder gar hyophilisiert zu verabreichen. Aber niemand scheint die Botschaft gehört zu haben und an der Kirchweih im September fliesst die unheilige Bitternis zum Schaden von 150 000 kroatischer Mägen und zur Freude von 5000 zusätzlichen Strassenpolizisten ungehemmt weiter!
Merkwürdig, dass die Kirche nicht längst eingesprungen ist, den Mythenstreit zugunsten eines oder einer Heiligen zu schlichten, indem sie einen heiligen Liutberg, eine Ludberga26, einen Lutbrecht, oder eine Ludbrecka erfand. Die verehrungswürdigen Gebeine wären schleunigst wiederauf- und wohlaufgefunden, wannimmer man sie bräuchte. Auch das werde ich dem Bürgermeister – schliesslich ist er von der christlichen Regierungspartei HDZ, welcher vorzustehen unser lieber Blagaj bla- und plagiert und sich mitunter blamiert – stehenden Fusses vorschlagen! Vielleicht werde ich beim Vergraben meines besagten Steins just mit einer Ludberga fündig?!! Ladies natürlich first. Bei der Männerwirtschaft hier brauchts mindestens ein paar weibliche Heilige und wenn auch nur zum Schein.
So schwinge ich mein Schäufelchen
Zu Ludbregs Kirchenruhme
Und exhumier ein Teufelchen
Im Kleid der heilgen Muhme
Und heisse sie Ludberga!
Ludwiga nicht, Luitpolde
Notburga, nicht Latwerga
Ein Novum sei die Holde
Ihr Attribut ein Becher
Ein Kelter, blaue Träubchen
Ihr Tross die frommen Zecher
Die Dirnen untern Häubchen
Sie mildert jeden Kummer,
Zirrhosen, Apoplexen
Der Hahnrei fällt in Schlummer
Kommt sie in Not zu hexen
Tags ruhen die Gebeine
Bis punktum Mitternacht
Wenn aus dem Lüsterschreine
Die Jungfer auferwacht
Dann schmus in Mondes Lichte
Ich mit dem Nymph-Mätresschen
Ganz abseits der Geschichte
Von Ludbregs Patronesschen
Und sollte jemand argen
Das Trugbild mit der Traube
Ich machte mit Ludbergen
Mich schleunigst aus dem Staube
Siehst Du Nymph, wie fleissig ich heute bin? Allerdings muss ich jetzt eine Pause einlegen, da mir der Magen knurrt und ich Vorliegendes noch abschicken will, bevor Du Deine Würstchen brätst, die mir das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen, wenn ich nur an sie denke (so suche ich denn, mich auf Dich zu konzentrieren, was denselben Effekt, aber ohne Magenknurren, hat...) Hab einen lustigen Abend und ansonsten bis irgendwann morgen, wenn es Dir beliebt....Faun
18.00. [und (92) Ludbreg, Sonntag 20.8.1995.7.15]
Nymph,
Stell Dir vor, im Begriffe, mir die Langeweile zu vertreiben, stöberte ich ein Stündchen im Gerümpel des Schlossdaches herum: Stösse alter Zeitungen, ein paar durchweichte Bücher, die kümmerlichen Reste eines Turmuhrwerks, das sich in dem Turme befunden haben muss, der im 18.Jahrhundert gemäss Stichen noch die linke Dachhälfte über der Kapelle zierte; ein schwarzer schimmliger zusammengelegter Gehrock ohne Knöpfe, eine mannslange Kiste mit eingebrochenem Deckel, ein Stoss Dachziegelreserve, ein Häufchen biedermeierischer Türklinken. Die Kiste war so staubig und von Vögeln bekleckert, dass es mich anwiderte, sie zu untersuchen, doch auf dem Grunde, unter belanglosem Müll, einer wurmstichigen Fischreuse, Angelzeug und knochenharten Stiefeln der Grösse 36, neben Rechnungs- und Notizheften, zwei Gesangbüchern gleicher abgegriffener Ausgabe, vermoderten Strohhüten lag da schliesslich ein kleines schmieriges Quartbändchen von 28 Seiten, mit fehlendem Titelblatt, aber einem Varaždiner Impressum von 1776 auf der letzten Seite, das mich aufmerken liess, war es doch aus dem Jahr des grossen Brandes, der die Hauptstadt Kroatiens in Schutt und Asche legte und sie für immer ihres Vorrangs beraubte. Der Text ist in üblem Küchenlatein verfasst, eine Lage fehlt und aus dem Vorwort geht hervor, dass es sich um die Lebensbeschreibung einer kroatischen Heiligen handle – ich glaubte es kaum! "Vita sanctae virginis Ludbergae sive Liutbergae civitatis Ioviae castri Pannoniae regionis Hungariarum Germanorumque Imperii." Der Pauliner Abt Honorius von Lepoglava behauptet in der Folge, er habe die handschriftlichen Pergament-Unterlagen aus dem 12.Jahrhundert im Keller der Klostermühle in der Ausfütterung eines Sessels gefunden, vor dem Ruin bewahrt und hier zum ersten Male veröffentlicht. Von der Heiligen habe man bisher nur wenig Kunde gehabt, weil die Türkenunruhen in der Neuzeit ihre Spuren gründlich verwischt hätten, indem ihre Gebeine vor den Wirren in einem ländlichen Kirchlein nahe Toplice fluchthalber aufbewahrt, während einer Plünderung durch die Heiden mitsamt dem Gebäude in Flammen aufgegangen seien. Die Vermutung, dass das Städtchen Ludbreg seinen Namen in Wirklichkeit von dita Heiliger erhalten habe, sei hier erstmals ausgesprochen und dargetan und die Gründe dafür verosimiliter aufgeführt. Das Fehlen des heiligen Körpers habe die Nachwelt gehindert, der Trägerin des Matronyms gebührliche Reverenz zu erweisen und ihnen einen verdienten Altar zu weihen, doch sei es nach Auffindung ihrer glorreichen Vita nunmehr möglich, sie in geziemlicher Weise untertänigst zu ehren und ihrem Gedächtnis zu huldigen. Amen.
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