Ludberga bis 23 95



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CRN und BEL...
... Ranusio und Ludberga waren noch nicht eine Viertel Meile unterwegs, als ihnen der uns inzwischen vertraute Kartäusermönch entgegenkam. Sein Gang war alles andere als würdig, da er sich nicht an den Rhythmus der Bahnschwellen gewöhnen konnte: so waren deren Abstand entweder zu kurzschrittig, oder aber zween derer zu langmassig; in gesetzterem Alter auf der Schiene zu balancieren war nicht minder genierlich; also wechselte der weissbärtige Kuttenträger beständig in etwa einem Dreivierteltakt den Schritt, den Blick auf die öligen teerduftenden Eichenschwellen geheftet, bis ihn zwei Schatten jäh aus dem Fledermaus-Reigen und prompt ins Straucheln brachten. "Pardon, die Herrschaften!" – "Ganz Euerseits, Ihro Gnaden!" – "Pardon?" – "Pas-de-deux, Monsieur, ou pas de quoi." – "Pas du tout, wenn Sie schon wieder der sind, den ich hinter Glas und Riegel wähnte." – "Erraten, heiligster Vater, aber darf ich vorstellen, Ludberga, Heilige der letzten Tage." – "Wie auch immer Ihr Prädikat gemeint sein will, beste Frau, sind Sie dessen eingedenk, zwar auf geregelter Bahn zu wandeln, nicht aber auf bestem Wege und in bester Gesellschaft?" – "Hochwürden, mein zufälliger Begleiter würde sich hüten, mich vom gradesten Weg zum Bahnhof abzubringen – " – "recht hat sie, ein Stationsweg sonder gleichen: monoton, monopod, monoman, monogam, monoklid, monophil, monolatrisch, monophyletisch, monophysitisch –" – "Hören Sie auf mit diesen lästigen Monoden! Wessen Unmoral Parallelen zu Parallaxen biegt, krümmt eine Schiene so spielend als ein Haar." – "Weder habe ich vor, Ludbergen mit Dauerwellen auszustatten, noch Entgleisungen zu provozieren; wenn wir indessen noch weiter moralisieren, statt auszuschreiten, verpassen wir den Zehnuhrzug oder es ereilt uns einer mit höheren Gütern..." – "Nun, dann Gott mit Euch, meine Kinder und, edelste Mona Ludberga, auf ein Wiedersehen in günstigeren Umständen." sprachs und stakste nachdenklich weiter gen Holyland in Richtung Koprivnica.
Ranusio reichte Ludberga den Arm und beschleunigte den Schritt im Takt des Schwellentritts. "Ganz schön frech, der Alte, was? Ihm sei immerhin Dank, dass er meine Aussenhaut für einmal in Ruhe liess" – "War er der Hexer, der Sie so froschköniglich verunstaltete?" – "Genau. Aber in Wahrheit ist unser Verhältnis schon seit grauer Vorzeit getrübt. Entweder hat er oder ich einen Vaterkomplex." – "Sie mystifizieren ihre Schwächen. Wie alle Männer." – "Tja, sehen Sie; steht man zu ihnen, fällt man im Auge der Frauen; fällt man ihnen anheim, steht deren Auge auf Andere. Übersteht man sie endlich, fallen denen die Augen zu. Also mephisst-, missophy-, mysstifizsiere man ssein Lozs beizseiten und sschmiede aus Nöten Tugenden." – "Sie stammeln? sind Sie nervös?" – "Nnein, nicht gerade, aber zuweilen überkommen mich die Ableger meines Erbkomplexes." – "Sie meinen der Erbsünde?" – "Erbs-, ja, vielleicht, man ist einfach zu empfindsam als Mann; noch unter neun Matratzen sticht uns der Hafer." – "die Erbse." – "Ja; aber bitte rühren Sie nicht weiter an meinen zarteren Saiten; ...wir sind angekommen." – "Schade, Sie fingen an, für mich interessant zu werden; noch zwei Glas Gewürztraminer drauf und ich hätte Sie dort, wo Männer das Flunkern lassen." – "Aber Ludberga! Sie wollen doch nicht-" – "Nichts will ich, einen ehrlichen Unterhalter will ich und eine Fahrkarte für die Geisterbahn." – "Pardon, Madame; ich verstand Sie miss." – "Wie alle Männer." – "Oh Heilige Kümmernis! und das mir!"
Im klasselosen Wartesaal angekommen, erfuhr man, dass die Varaždiner Linie von einem Flugobjekt unidentifizierbaren Nutzens auf mindestens zwei Stunden unterbrochen worden sei. Ein sichtlich von fremdländischen Passagieren überladener Koffer, sprudelte der inzwischen 'Kentaurennarr' gehänselte Matija im winzigen Ausschank von Bahnhofsschnäpsen und anderen Rachenputzern (die unsere müden Schienenwanderer in Ermangelung trinkbaren Weines nicht zu bestellen wagten), habe einen Telegraphenmast unter seinen gesammelten Augen vier Kilometer vor Vrbanovec, er schwörs beim Barte von Sveti Trinitet, quer über den Schienenstrang geknickt. Den Koffer habe man unter Zurücklassung massenweiser Ludbreger Souvenirs, Lakritzestäben und bunter Bonbons, Papstportraits und Dartscheiben, Devotionalien vom Heiligen Sonntag und namentlich Unmengen von Kunststoff-Schusswaffen taiwanscher Herkunft, wieder flottgemacht und sei nach dreimaligem Anlauf gen Bosnien weitergeflogen. Letzteres erregte besonders schallendes Gelächter, was der verwirrte Alte seiner Glaubwürdigkeit halber vergeblich zu dämpfen suchte und das ihn am Ende im weinerlichem Protest, der die Runde erneut zum Aufwiehern reizte, in Richtung Sveti Djurd davonstürzen liess, die Beweisstücke der übernatürlichen Hinterlassenschaft vom Bahndamm umgehend herbeizubringen.
Ranusio hatte mit Anteilnahme zugehört, zog Ludbergen am Ärmel und komplimentierte sie, bevor die Aufmerksamkeit der Zecher auf die Neulinge überging, auf den einzigen und menschenleeren Perron. "Wenn die im Suff anfangen, die Geschichte zu glauben, werden sie uns als Mittäter verdächtigen und lynchen!" – "Aber Ranusio, die sind doch nicht mehr im Mittelalter." – "Der Sozialismus hat ihren Intelligenzquotienten unterdurchschnittlich geschädigt und das Glaubenspotential bis zum Irrsinn expandieren lassen." – "Schöne Zeiten; da passe ich ja direkt wieder hinein." – "Ja, selbst Sie, Ludberga, würden hic et nunc erst mal unbesehen eingebürgert, später betuschelt, dann verschrien, als Türkin, Muslimin oder Zigeunerin verbrannt, aber alsobald zur Märtyrerin pulverisiert und schliesslich mit parabolischer Zuwachsrate vermarktet; Ihre Figur würde buchstabengetreu zur Legende!" – "Soweit würde meine Neugierde nicht reichen." – "Wie Sie wollen, Sie müssen sich für Ihre Legende, oder die Ihres Autors entscheiden; Geisterbeschwörung oder Geisterbahn." – "Nun gut, die letztere. Da kommt ihre Vorhut."

Mit Winselpfiff und Dieselpfaff kam unser Orientbummler einhergehustet, die um diese Zeit einzigen Gäste aufzunehmen und unverzüglich nach Varaždin weiterzubefördern, nachdem die Strecke offenbar von Sabotagehindernissen geräumt und von der dortigen Flugwacht, bzw. dem Flabschützen, Portier und Barman der Flughafenkombüse gemeldet worden war, kein weiterer serbischer Feind sei in Sicht...



Durch die fettblinde Scheibe sah Ludberga an der ersten Bahnschranke den armen Matija mit sich selbst gestikulierend neben seinem Fahrrad stehen, in einem rostigen Körbchen allerlei Sveti Nedjelija-Plunder, den ihm der Himmel so undankbar beschert hatte. Man würde dem Lügner lachend und schenkelklopfend nachweisen, dass er alles selbst am Vortage gekauft habe und dass er wohl nur heiliggesprochen werden wolle in diesen dem Metaphysischen so günstigen Zeiten...

(121) Ludbreg, Freitag 13.10.1995; 6.20

Nymph,

sieh das Datum und bleib im Bett! aber falle nicht heraus!

Ludberga hatte mich bis elf zurückgehalten; siehst Du, wie die Musenküsse prompt funktionieren.

Blagajs wackere Mannen sind schon da, um ihren Morgenschwatz zu verrichten: je früher sie da sind, desto länger müssen sie über ihr Dasein mit den immer neu Ankommenden meditieren und je länger sie morgens da sind, desto früher wird ihnen am Abend die Zeit lang; und auch das muss gebührlich bekakelt und beklagt sein, den lieben langen Tag lang, damit man nicht etwa vergässe, wie unlieb lang er sei und dass nur ein möglichst kaum unterbrochner Schwatz ihn gebührlich verkürze und somit erträglich mache. Damit wird der Ertrag für ihr Oeuvre proportional zu dem für Blagaj und dieser muss immer mehr neue und billigere Mannen einsetzen, einen tragbaren Ausgleich zum Schwatzen herzustellen, das aber wiederum proportional zur Menge nicht arbeitender Arbeiter ins Uferlose anschwillt. Hin und wieder fährt Slavko mit verzweifeltem Gebrüll dazwischen, um sich Gehör im allgemeinen Schwatz zu verschaffen, doch wächst die Menge neueingestellter Schwätzer so über Kopf und Kragen des ohnehin nie grossgewordenen mehr Mala- denn Bonaparte, dass er sie ebenso hin und wieder allesamt entlassen muss, womit unsere Baustelle wieder für Wochen verwaist und ebensowenig vorankommt, wie wenn sie mit einem Heer von wackeren Parlamentariern bestückt wäre...

Darvin will mich zu einer Beratung ins Museum von Koprivnica kutschieren; vielleicht sollte ich mein Testament machen; an seiner Seite bräuchte man nicht nur an einem 13. abergläubisch zu sein...

Gestern rief C. an, sie könne erst auf den 3. November und auch dann nur kurz kommen, was mir E. bereits am Morgen eröffnet hatte. Ohne seriöse Mitarbeiter werden wir bis Ende Jahr kaum etwas Vorzeigbares zustandebringen.

Meine Ludberger Elegien werden das einzige Habhafte sein, das an Spänen von diesem zerhobelten 1995-er Möbel übrig sein wird; tant pis.
14.30. Bis auf die obigen Arbeiter ist alles ausgeflogen; Darvins Dienstreisen verleiten jedesmal die Belegschaft aus irgendwelchen triftigen Gründen Reissaus zunehmen. Der Museumsbesuch in Koprivnica war für mich ein unvergessliches Spektakel: was sich da in Kellern, Estrichen, Hinterhöfen, Verschlägen und Treppenhäusern ansammelt, von der Prähistorie bis in die jüngste Vergangenheit, wie Mammutzähne, Steinkeile, römische Münzen und Keramik, mittelalterliche Schwerter und Weinkrüge, dann zahllose Barockfiguren und heiliger Kram, neuzeitliche Uhren, Möbelstücke und Handwerksgerät, Partisanenfolklore, abgeschossene Flugzeugteile und komplette Munitionssammlungen bis zu den letzten Fotos von "Oluja", dem Sturm auf die Krajina, alles so chaotisch, ungeordnet und uninventarisiert, vermischt mit Tito-Literatur, unverkauften Katalogen und Jahrbüchern, dass man Jahre brauchen wird, um sich da durchzupflügen. In den Kellern modern die Ausgrabungskartons, fressen sich die Würmer durch jedes noch unberührte Holz, rosten die ländlichen Geräte bis zum krümelnden Verfall, begrünen sich die unlängst verputzten Wände mit Schimmel. In einem nahen Herrenhaus ist ein Wohnmuseumstrakt zwischen Biedermeier und Jugendstil als Stiftung eines Gönners eingerichtet: reizvoll aber unbesuchbar, weil sich niemand in Stil und Inventur auskennt, geschweige das herrenlose Gut bewachen will. In einem stadtperipherischen erst als Partisanendenkstätte dann als agrarkulturelles Museum eingerichteten Konzentrationslager hat man seit der feierlichen Eröffnung 1983 die Exponate der jüngeren Vergangenheit vergammeln lassen und bittet uns nun um neue Vorschläge, was man mit dem nicht uninteressanten Sammelsurium tun soll, bevor es die Industrie schluckt oder die Politik beseitigt. Ich staune über die menschliche Raff- und Hortgier, wie gleichzeitig über die Ohnmacht, diese zu organisieren! Jeder neue Direktor äussert erst einmal sternenhohe Bekenntnisse, Projekte und Optimismen, um nach einem Lustrum in die Apathie des Vorgängers zurückzuverfallen.

In einem Brauereirestaurant am Hauptplatz assen wir einen köstlichen Trippa-Eintopf und tranken auf der besonnten Piazza Cappuccino. Fast hatte ich vergessen, dass ich mich in Hinterwalden befand und an einem dreizehnten Freitag im Oktober. Auch Dir hätte ein so sommerhafter Ausflug gewiss die Glieder durchwohlt... Faun.
17.30. Noch scheinst Du nicht von Deinem Arbeitsausflug zurück zu sein, gingen doch meine fünf Seitchen ins "Leere"; also werde ich noch ein wenig weiterfaseln.
...

Was, wird man sich fragen, hat ein Kartäuser auf einem Bahndamm verloren? Dass es bequemer war, vom Rummelplatz über die Bednja-Bahnbrücke nach Holyland zu gelangen, war sicherlich ein Grund. Der andere lag, bzw. sass im Zuge selbst, den wir haben gen Varaždin fauchen sehen. Noch wissen wir ja nicht, dass er, wie von Geisterhand befohlen, auf der Höhe der H.B.-Kapelle Holylands anhielt, wo er eigentlich nur hätte pfeifen sollen. Vielleicht hatte der ungewohnt langgezogene dreigestrichene b-fis-Ton, der da so selbsttätig erklungen war, den Maschinisten verschreckt. Ob Irritierung, Irrtum oder Göttliche Irreführung einerlei; er hielt und von einem der umständlich hohen Trittbretter hangelte sich ein Mann herab, der seit Zagreb still in einer Ecke hinter der Europaausgabe der Arabian News gesessen und sich zufrieden schmunzelnd den Bericht über die kürzliche Einweihung der neuen Zagreber Moschee zu Gemüte geführt hatte. Er reiste, von einem maroquinen Proviantbeutel abgesehen ohne sonderliches Gepäck, war weissbärtig, mit einem Knotenstock bewaffnet und – nach der Weiterfahrt des Zuges – dem ihm über die Schienen entgegentänzelnden Mönch obigen Angedenkens nicht unähnlich, wenn dessen Kutte nicht weiss, sondern schwarz gewesen wäre, wie sie Augustinereremiten beute.

Schon auf elf Meter brachen beide in ein unisonores "Shal-aam!!" aus und fragten sich nach einer Musterung von Kopf bis Fuss ebenso einstimmig: "Wie siehst denn Du aus?!" sie schwenkten neckisch ihre Kutten, zogen sich die Kapuzen ins Gesicht und lachten über ihre ähnliche und als recht praktisch empfundene Reiseverkleidung.



"Bruderherz", hob der Weisse an, "Du hast den Ludbreger Heiligen Sonntag geschwänzt!" – "Herzbruder, warst Du bei der Weihe der Zagreber Moschee?" Jeder suchte eine Ausflucht für sein Versäumnis, obwohl beide überzeugt waren, der andere habe nicht das Geringste verpasst. Jeder schob die geschäftlichen Verpflichtungen vor, ärgerliche Termine in Bosnien, Algerien, Sektentrouble in Genf und Tokyo, dazwischen kontrazeptive Rösselsprünge des Papstes, antikonstitutionelle islamischer Fundamentalisten und ähnliche der Christdemokraten aller Länder, dann Münchens Schulkreuzlverdikt, sündige Schweizer Kardinäle und unkeusche amerikanische Präsidenten, kurz Probleme, die sich trotz ihrer Verschiedenartigkeit glichen, deren Extremismen sich berührten. Und immer wieder Rushdy-hours bis zur Magenverstimmung, von der Morgenkaffeezeitung bis zum Abendleibblatt.
Man tauschte, an der Bahnböschung in der Mittagssonne sitzend die Höflichkeitsmitbringsel aus: Weiss zog aus dem kartausenen Schnappsack eine von Chagall illustrierte Miniaturbibel AT, A-7 Format mit Lupe und Futteral, ein ledergebundener Sonderdruck mit Widmung in Stecknadelkopfgrösse, Schwarz rückte mit einem handgeschriebenen von Hundertwasser munddekorierten Miniaturkoran auf Endlosrolle, heraus und meinte, er sei wasserfest und zur Not um den Hals zu hängen. Sie gönnten sich gegenseitig einen Schluck Ambrosia und einen H-4-Keks, und nahmen sich vor, ungestört das verwaiste Holyland zu besichtigen. Weiss führte, Schwarz liess sich geduldig über den Inhalt der für islamische Augen lästerlichen Mosaiken belehren und sparte nicht an kunstsinniger Kritik. Als sie schliesslich ermattet den Läufer zum Allerheiligsten betraten, stiessen sie unvermittels auf ein Bäuerlein, das unter der Heliographie der Himmelskönigin einen Erntedank murmelte und verlegen fragte, ob ihm nicht einer der beiden Mönche die Beichte abnehmen könne; er sei aus Bosnien zum Heiligen Sonntag gepilgert, aber nicht rechzeitig über die hochgehende Una gelangt. Die beiden sahen sich ebenso bedeutungsvoll wie ratlos an; das Bäuerchen tat ihnen Leid, und eine so ernste Bitte abzuschlagen, hätte ihr Gewissen belastet. Da aber beiden das Zeremonial des Priestertums abging, musste ein Ausweg gefunden werden. Weiss gab mit dem Zeigefinger auf der Lippe zu verstehen, dass ihn sein Orden das Schweigen gebot; Schwarz wies mit ebensolchem Finger auf seine sprachunkundige Zunge; aber sie hakten den verwirrten Pilger unter und schoben ihn freundlich über die Wiese zum nächstgelegenen Kolodvor-Kapellchen, liessen ihn auf einem der bastgeflochtenen Stühle, auf denen man sonntags die ohnmächtigen Weiblein, die Schwangeren und Kranken im Turnus hatte sitzen lassen, niederkauern, stellten sich hinter die seitlichen Betonschranken, die noch immer der Holzgitter und Kniebänke ermangelten und begannen einen nicht unmelodiösen Wechselgesang gregorianisch-muselmanischer Mixtur, unterwandert von gemurmelten Heilsworten, die ihre einschläfernde Wirkung nicht verfehlten.

Das müdgereiste Bäuerlein sollte noch auf Jahre hinaus von seinem wundersamen Heilschlaf erzählen, in den ihn die heiligen Männer versetzt hatten, während welchem er zwei Paradiese geschaut, eines von Bog und eines von Allah verwaltet und zwischen welchen die Engel ohne Grenzkontrollen haben kampflos zirkulieren können und ökumenische Lieder gesungen hätten. Nach Bosnien zurückgekehrt, möchte ich antizipieren, trat unser Bauer zur nationalen Bos-Herz-Bauernpartei über, wurde Generalsekretär, Friedensvermittler, förderte die Einigkeit der Konfessionen und starb im Geruche der Heiligkeit, nachdem er Vater des Vaterlandes geheissen und eine Bronzefigur aus den Resten eines gesprengten Tito umgegossen, auf dem Marktplatz von Jablanica aufgestellt bekommen...

Crn und Bel türmten in behutsamer Rochade bis zum Busnikolodvor, wo Weiss und Schwarz sich nach dem nächsten Kurier gen Varaždin erkundigten. Es blieb noch Zeit für die Besichtigung der Heiligblut-Ampulle in der Stadtkirche (die Weiss nicht wenig Befremdung abgewann), einen Blick auf das den Restauratoren wieder überantwortete Schloss, deren Ausstellung aufgeschminkter Götzen nun Schwarz nicht ganz behagte, man liess sich an der standhaft von einem blonden Conferencier mit spitzem Strohhut noch immer besetzten Auslage der 'Hermes Touristik Agency' Prospekte von Traum-Kreuzfahrten im Mittelmeer, Pilgrimage zur Kaaba, Trecking zum Gipfel des Olymp und dem lohnenden Besuch der Orakel von Delphi und Dodona geben, besorgte an einem der Devotionalienstände ein paar Barbie-Ersatzkleider und einen neuen Überlebens-Ken für Gabriel, eine Space-Laserkanone für Mike und Weihnachtsflitter für den Chor. Schwarz war’s mit Räucherstäbchen der Hari Krishna-Sekte zufrieden und einem Ludbreg-Badge für den Knotenstock; auch das letzte Miniatur-Butterfässchen-Souvenir hätte es ihm angetan, wenn es ihm nicht von einem Wallmütterchen vor der Nase weggekauft worden wäre.
Was dann passierte, verrate ich Dir noch nicht, weil ich es ohnehin noch nicht weiss und ich den Platz brauche für den Entwurf meiner Gullyplakette. Kuss – am Erdmittelpunkte aufgewärmt – und mit Gottessegen serviert Faun!

(14.10.1995; 14.52)



"Samstagmorgen" 12.20. Vorhin klingelte das Telefon. Nach meinem gestrigen Fehltritt traute ich natürlich nicht dranzugehen und prompt kam auch keine Faxerei. Fragt sich, wer's wohl war? Natürlich könnte ich alle, die da in Frage kämen, zurückrufen. Was bestimmt lustig wäre, auch wenn ich den Anrufer kaum ausfindig machen dürfte. Am schönsten natürlich, wenn Du's gewesen wärst, was ich allerdings nicht nachprüfen kann, einerseits um die selbst auferlegte Disziplin des Abendtelefons einzuhalten und andererseits um Dir überhaupt noch was schreiben zu können. Ich frage mich, wo Du in einem so langweiligen Kaff wie Ludbreg den Stoff für Deine wahren und erfundenen Geschichten findest. Während ich tagelang schweige. Wenigstens kann ich entschuldigend anführen, dass man hier nur schwer auf Balkanismus, wie Du den so treffend bezeichnest, verfallen kann. Selbst meine "gemütlichen" Tage im schönen Greyerzerland waren so mit rattenhafter Geschäftigkeit gefüllt, dass ich keine Minute für mich, geschweige zum Schreiben fand. Überhaupt gaben mir die letzten Wochen keine Ruhe. In der Schule war man nur noch erpicht, "alles" abzuschliessen und sich gleichzeitig aufs kommende Semester und die Vordiplomprüfung vorzubereiten; und seit den letzten drei Wochen kommt's mir vor, als würde ich nur noch meine Tasche ein-, aus-, und umpacken. Das will nicht heissen, dass ich jene Reise bereute. Ich habe sie, ganz im Gegenteil, genossen. Nur überfällt mich, wenn ich wieder am von Papier und Büchern überhäuften Schreibtisch sitze, die üble Ahnung "nichts" getan zu haben. Was ja nicht stimmt, denn in meinen 'sandigen' Angelegenheiten haben wir doch wichtige Wühlarbeit geleistet. Trotzdem packt mich hin und wieder eine blinde Panik, die mich stracks in Lethargie verfallen lässt... Armer Faun, anstatt Dich mit einer langversprochenen lustigen Geschichte zu unterhalten, ärgere ich Dich mit Gestöhn.

Meine Geschichte dreht sich um zwei Personen: eine Frau, ein Mann – ganz einfach und banal. Sie haben sich zufällig getroffen, d.h. von treffen kann nicht die Rede sein, denn sie sitzen schlicht im selben Zugabteil von Triest nach Zagreb. E r, ist schon etwas älter und ein recht bekannter Schriftsteller, der kürzlich einen neuen Roman auf den Markt geworfen hat. SIE, die besten Jahre schon hinter sich, aber mit einiger Mühe noch recht ansehnlich, hatte mehrere seiner früheren Bücher mit Wohlwollen gelesen und für diese Reise zufällig dessen jüngstes Werk eingesteckt. Natürlich erkennt sie ihn, dank der Abbildung im Buchklappentext...

Was daraus wird, verrate ich Dir vielleicht heute abend, denn jetzt habe ich mir vorgenommen, mindestens zwei – drei Stunden den Sandberg vor mir abzutragen...

Küsschen, Dein Nymph.

(122) Ludbreg, Samstag 14.10.1995; 6.35

Nymph,

... 16.30.Seit meiner Anrede sind zehn abscheuliche Stunden verronnen, aufgehellt nur durch Dein Briefchen um zwei, das ich zufällig fand, als ich mich wieder einmal zum Lavabo schleppte. Heute morgen begann ich den Tag mit Schwindelanfällen, denen ich jedoch nicht im Bett erliegen wollte, weil ich versprochen hatte, die Heizungsinstallateure ins Schloss einzulassen. Dass sie später kamen, als erwartet, änderte nicht viel; ich hing längst in meinem Sessel, elend wie selten, agonierte auf der Tischplatte, wenn ich nicht gerade zum Bad pilgerte, Gift und Galle nach aussen zu kehren! Ich erinnere mich, dass man mich aus V. anrief, worauf ich im Stuhl neben dem Telefon für Stunden einschlief, bis mich Ivan besorgt weckte, Željko irgendwann meinte, ich müsse mehr spazierengehen, Pilzessuchen oder ähnliches. Die Arbeiter, die einen mörderischen Lärm veranstaltet hatten, sind, wie unser Personal, längst weg, und nur noch vom Fussballplatz hört man Pfiffe und Geschrei. Ich lese Deinen Brief wieder, um mich zu ermuntern und um mich auf ein Abendgespräch zu freuen. Der Tag ist vertan, mindestens drei Seiten ungeschrieben! Ich kann nicht begreifen, was ich in den vergangenen zehn Stunden gemacht habe, so unbequem, im überheizten Raum und dann der Gestank von der Trennscheibe, den Schweissapparaturen und meine eigne, mir so widerliche Konstitution!
17.40. Schwindel, Kopfweh und Übelkeit lassen mich immer wieder eindämmern; Visionen scheuchen durchs Hirn und ich verliere mein Zeitgefühl. Mir träumte von einer Bahnfahrt, wohl in Anlehnung an Deinen Brief und meinen unbequemen Sessel. Ein Gefühl einsamster Jämmerlichkeit treibt einem die Tränen in die Augen. Das fatale Wort "Wozu?" hämmert im Hinterkopf. Weg will ich, aber nicht in mein trostloses Zimmer, weder kann ich stehen, noch gehen, ja das Schreiben ist fast eine Qual, wäre es nicht ein Ausweg aus dem dumpfen Brüten. Wäre ich in Deiner Nähe, wär’s nur eine Magenepisode, die man mit ironischer Heiterkeit am Abend wieder vergisst. Hier ereilt Dich die Panik lähmender Hilflosigkeit. Die leeren Kniefälle zu Canossa am Ende des Ganges haben etwas lächerlich Trostloses.
Ärmster Nymph, ich bin’s, der jammert, nicht Du. Ich werde der Jeremiade ein Ende bereiten und doch nachhause gehen. Ich schäme mich, Dir ein solch sterbenselendes Elaborat überhaupt zu schicken und tus nur, damit Du heute nicht ganz leer ausgehst und weisst, warum kein amüsanteres Geschichtchen aus der Kiste fällt.
Lass Dich trotzdem umarmen, auch wenn nur von einer schwindelweichen Bartholomäus-Haut! Morgen wird’s schon besser sein, denk ich und ich melde mich, wenn ich wieder hinter Schloss und Riegel bin. Faun.


(123) Ludbreg, Sonntag 15.10.1995; 9.00

Nymph, fernster,

zwölf Stunden Schlaf haben meine Konstitution etwas gebessert, aber meine Stimmung, den Schwindel und das dumpfe Kopfweh nicht; eine Scheibe trocknes Brot und ein Rest Milchkaffee gingen gerade noch ohne Rebellion in den seit Freitag Mittag stillgelegten Magen; wenn ich wüsste, was los ist mit der Maschine, wäre ich weniger deprimiert. So merkt man wieder mal, wie provisorisch man gebaut und wie fragil das System ist: ein Schräubchen fehlt und das ganze Räderwerk bricht zusammen. Einer Weltraumrakete gibt man x-Reservemechanismen mit auf den Weg, damit sie sich selbst hilft, wenn was ausfällt; und was gibt man uns? Placebos und Aspirin. Gute Worte und den lieben Gott. Da ist man weder Raucher noch Trinker noch Fresser noch Drögler noch Hurer noch Sportler noch Spieler noch Manager noch Betbruder und trotzdem klappt man um wie ein Stellmesser. Für die kurze Zeit in der man auf Erden wandeln darf, ist keine Zeit für Unzeiten wie solche im Krankenbett. Oder wäre es gar das Alter, das einen beschleicht? Wie Ivan gestern monierte, er könne nicht mehr sieben Stunden lang Fischen, ohne Zipperlein im Fuss, im Kreuz, und in der Armbeuge? Aber der trinkt und raucht und frisst und flucht und müsste zwanzig Jahre älter sein.

Hin und wieder frage ich mich, was man tun soll, wenn man seine Autonomie verliert, hinfällig wird, abhängig und kränklich. Die menschliche Gesellschaft hat immer wieder Regelungen erdacht, dem Wegwerfen, Beseitigen, Entsorgen der unwert gewordenen Biosubstanz vorzubeugen, es hinauszuschieben, es zumindest zu organisieren und klinisch, sozial, ästhetisch tragbar zu gestalten. Für einen zynischen und gottlosen Freigeist, Spötter, Sozialschuldner und Gesellschftsparasiten wie mich, ist dann aber kein Warteeckchen mehr im System, ohne mich ungebetenen und unverdienten Nutzniesser zu beschämen. Wenn der Kopf dann noch funktioniert, müsste das Gewissen so bedrohlich einschreiten, dass man seinen Platz auf dieser Welt eigentlich freiwillig räumen sollte. Denn die uns eingebleuten Moralsentimentalismen von Eltern-, Kinder-, Gatten-, Verwandten- und sonstigen -lieben verdampfen im Nu, wenn man anfängt, sein Holzlöffelchen zu zerbrechen, man beim Nachbarn versehentlich im Schlüsselloch rumort oder die wohligschäbigen Gewänder bekleckert. Einst hatten die Alten noch etwas zu berichten, zu lehren, zu tradieren, weil sie noch teilhatten am Täglichen, Politischen, Metaphysischen; aber das ist zumeist vorbei: ein Kind weiss mit der Elektronik besser umzugehen als der Vater, die Medien erzählen wahrhaftigere, zumindest überzeugendere oder übertölpelndere Geschichten, in Büchern ist alles begraben, was das Herz nie auszuschöpfen vermöchte, die Unterhaltung, der Zeitvertreib, Sport und Spiel sind so hektisch und dominant, dass das munterste Alterchen sich in den Schmollwinkel verziehen muss. Und dann werden sie auch noch so schrecklich alt, wie nie zuvor und entsprechend trottelig, dass man sie nicht mal mehr auf eine Busfahrt von Hinzburg nach Kunzlau schicken mag! Und wehe, wenn einer in einem luziden Augenblick selbsttätig zum Hintertürchen hinauswill, dann schreit man auf und hängt ihn an den Tropf, die Herzpumpe, die Nierenwaschanlage, transfusioniert Blut, Mark und Bein, kathetert und etcetert. Noch ist der natürliche Abgang ebenso verboten, verlängert, quälerisch kompromittierend und unschön wie ein künstlicher. In der Antike gab man ihm wenigstens eine künstlerische Note, die auch philosophisch hintermauert war und die Arete, Kalokagathie, Hedonismus, Kynik und Stoik der Alten sorgten dafür, dass man für sein sauberes, aufrechtes und beherztes Hinausgehen gebührend belohnt wurde, mit dem Lob der Nachwelt. Aber heute, bei sechs Milliarden von Ungeziefern, ist der Tod einer überfälligen Wanze nicht einmal mehr eine erwähnenswerte Erlösung für die umstehenden Flöhe. Selbst wenn die Wanz tanz könnte wird man sie schleunigst mit Vergessen strafen.
Armer Nymph, was brummle ich Dir da eigentlich vor, am heiligen Sonntag, zum Frühstück! Ist ja zum Wegwerfen überreifer als ein fauliger Alltagsbrief! Vergiss ihn schnell und sag mir was Aufmunterndes ins süchtige Ohr, oder berichte mir, was da zwischen Triest und Zagreb Spannendes geschah! Morgenküsschen! Faun.

(124) zu idem, an idem; 12.45

Nymph,

Lass mich mit mehr Lebenslust noch mal von vorne anfangen. Ein Spaziergang über die Runde: Florianstor (denn über dem Erdmittelpunktpförtchen steht ein heiliger Feuerlöscher in mannshoher Nische, mit dem Bottich seltenerweise in der Linken), Stadtbrücke, Marienkapelle, Autobusni Kolodvor, Holyland, Bahndamm und -brücke, Marktstände und Schloss. Keine gewaltige, aber meinem Zustand angemessene Tour. Die künstlichen wie die natürlichen Blumen, die Kerzen am Kreuz der 17-jährigen Vesnja Horvat, sind dem Strassenstaub erlegen; bereits gesellen sich leere Flaschen und eine Bananenschale zu dem kümmerlichen Häufchen Gedenken an ihre kurze Existenz. Am Kapellenportal daneben schlägt man schon die neusten Toten an und unser doch immerhin 66-jähriger Radfahrer Josip Carevic blasst und krumpelt sich schon auf seinem blackgesmilten Aushang vom 6. Oktober; aber seine Kerzen werden an der Strasse noch liebevoll wiederausgewechselt und entzündet, wenn die Wucht der Vorbeiraser sie verlöscht. Auf dem Bahndamm hinter der HB.-Kapelle brauchte ich nicht lange zu suchen, obwohl die Linie frischgeschottert und die Plastikblumen halbverschüttet waren; nur die Kerzen waren leergebrannt: wer traut sich hier auf den mühsam zu erklimmenden Damm, wo so Trostloses geschehen...

Der leere Markt ist auch keine amöne Bleibe bis auf die Würstchenbude "Afrodite", die mir das Herz höher und den Magen hohler tönen lässt. Also schnell ins Schloss, die letzten Nudeln vom Freitag aufgewärmt, eine herrenlose Tomate und eine halbe Knoblauchknolle geachtelt, zu einem Glas Multivitamin. Der Knoblauch, in der Meinung, heute würde mich niemand mehr aufsuchen, tat eine mir bekannte, aber nie erprobte Wohltat: in Minutenkürze war das Kopfweh weg und eine fast berauschende Leichtigkeit überwältigte mich. Die Schwere meines Atems bekam indessen Željko zu spüren, der unmittelbar danach zum Hobbyferkeln kam und mich mit Kaffee nachzuspülen gezwungen sah.
Eben pinkelt mir doch eine Blattlaus in meine gesammelten Nymphpapiere! Wohl aus Ärger, dass ich sie weiter oben nicht gebührend dem Ungeziefer zugerechnet hatte. Aber mein Sessel ist umgeben von verhungerten Mücken, ausgehöhlten Wespen, verdorrten Spinnen, erschlagenen Fliegen und zertretenen Schaben; nur ein halbes Dutzend Marienkäfer und eine Biene tun mir leid, denen das Überwintern im Schloss offenbar nicht bekommt. Štefica sollte dies Leichenhaus einmal auskehren und mich dann geflissentlich mit auf die Kippe bringen... (mein Heiligenschein ruhte dort ja bereits).

So, Nymph, das waren die neusten und aufregendsten Neuigkeiten seit elf; gehen wir über zu den allerneusten:
...

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