Maßnahmen zur Re-Integration arbeitsloser



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Selektion


Mit jeder Förderung wird zwangsläufig zugleich Auslese betrieben. Für Integrationsmaßnahmen verschärft sich diese Paradoxie insofern, als diese sowohl dem - ihre Tätigkeit legitimierenden Erfolgsfaktor - „Vermittlungsquote“ als auch dem - ihre Existenz erst begründenden - Faktor der Berücksichtigung „schwer Vermittelbarer“ gerecht werden müssen. Dies führt in der Folge zur Einteilung der so Attribuierten in jene mit relativ niedrigem und jene mit relativ hohem Vermittlungsrisiko und schafft somit eine weitere Segmentierungslinie zwischen zwei Klassen von Langzeitarbeitslosen, wobei letztere konsequenterweise kaum mehr Berücksichtigung in den integrativen Maßnahmen finden bzw. als nicht mehr integrationsrelevant gelten. Des Weiteren bestehen für potentielle Teilnehmer verschärfte Zugangsbedingungen seitens des AMS. Dies betrifft sowohl jene, die zur Teilnahme verpflichtet werden, andernfalls ihre Arbeitslosenbezüge gestrichen würden (Projekttyp B), als auch jene, denen eine angestrebte Teilnahme mangels nicht weiter deklarierter „Förderwürdigkeit“ verwehrt wird. Auf der Strecke bleiben vor allem diese mit hohem Risiko behaftete Personen und das gerade auf diesbezüglich indizierte, speziellere, qualitativ ausgerichtete Projekte (wie das dafür repräsentative Projekt A). So entsteht der Eindruck, es werde gerade dort eingespart, wo es um die vordringlich Unterstützung benötigenden „Opfer der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungssituation“ gehe (vgl. EPPING et al. 2001: 41).

Hinsichtlich Auswahl der Teilnehmer ist der Projekttyp A folgerichtig geprägt durch zwangsläufige Selektion in Form der Einengung der Zugangsbedingungen im Sinne einer Auswahl der „Besten“ hinsichtlich Vermittlungsprognosen – eine gerade für die ambitionierte Sozialarbeit mitunter schmerzhafter Prozess. Zumal die Auswahl zugleich mit der Zuschreibung eines Defizits („Behinderung“) verbunden ist, spiegelt diese „positive“ Auswahl jedoch nicht notwendigerweise die Anforderungen des Arbeitsmarkts, auf dem der damit zugewiesene Status im Gegenteil hochgradig „negativ“ konnotiert wird, wider. Projektträger und –leitung haben in dieser Form der Maßnahmen zwar einen (noch) relativ hohen Spielraum bei der Auswahl ihrer Teilnehmer, sind jedoch gezwungen, diesen entsprechend der zu erfüllenden Vorgaben durch eine sowohl auf Zielerreichung als auch positive Gruppendynamik ausgelegte Vorselektion massiv einzuengen.

Im Projekttyp B hingegen ist dem Maßnahmenträger eigenständige Selektion (abgesehen von disziplinär bedingten Kursausschlüssen) nicht mehr möglich. Diese erfolgt allein durch das zuweisende AMS – nach für die Trainer nicht nachvollziehbaren Kriterien - und kommt, zumal angesichts der gegenwärtigen Arbeitsmarktbedingungen - auf Grund kaum änderbarer persönlicher Attribute wie Lebensalter, Betreuungspflichten, gesundheitlicher Einschränkungen eher einer Negativauslesegleich.

Auch wenn das deklarierte Ziel verfehlt wird, zeitigt ein Verbleib von 13 Wochen in einer derartigen Maßnahme den hinsichtlich Arbeitslosenstatistik „positiven“ Effekt einer formal-rechtlichen Unterbrechung der Arbeitslosigkeit: die Teilnehmer „verschwinden“ einerseits für den Zeitraum der Maßnahmendauer gänzlich aus der offiziellen Arbeitslosenquote25 und werden andererseits im Fall der Nichtvermittlung bei de facto fortlaufender Arbeitslosigkeit im Anschluss statistisch nicht mehr als „Langzeitarbeitslose“ gewertet (vgl. auch BRANDT et al. 2003: 46).

Ein grundlegendes Dilemma der arbeitsmarktintegrativen sozialen Integrationsarbeit liegt also darin, dass ihr Tätigwerden nur im Anschluss an institutionalisierte Zuschreibung von individueller Inkompetenz bzw. Mängel möglich ist: im Projekt A liegen diese in personenbezogener „Behinderung“, im Projekt B in „mangelnden Fähigkeiten und Kenntnissen“. Diese Vorgangsweise forciert somit die Tendenz, den strukturell ohnehin Marginalisierten die ihnen zugedachte (negative) Selektion als selbst verantwortet bzw. als jeweils individuelles Versagen zuzurechnen (vgl. STEHR: 2000: 23f.).

Der „sanfte Zwang“ zur Maßnahme wird zwar mitunter als notwendige Gegensteuerung - bezogen auf eine mit Dauer der Arbeitslosigkeit zunehmende Resignation und Demoralisation - begründet. Auf Grund diesbezüglich jedoch undifferenziert vorgenommener Pauschalzuschreibungen erscheint dies aber eher als Ausdruck des repressiven gesellschaftlichen Klimas.

Ein möglicher Maßstab für derartige - unterdrückende Tendenzen abfedernde - Projekte läge in deren Fähigkeit, Selektionsprozessen entgegenzuwirken anstatt nur eine weitere Station der Auslese darzustellen. Dies würde zumindest eine auf informierter und freiwilliger Basis erfolgende Teilnahme (den Projekttyp B betreffend) voraussetzen und stünde im Gegensatz zur tendenziellen Instrumentalisierung von integrativen Maßnahmen als eine weitere Form des strukturellen, selektiven Druckes (vgl. STEHR: 2000: 23). Nahezu sämtliche im Laufe der Praxis des Verfassers befragten Teilnehmer äußerten, seitens ihrer Berater auch auf nachdrückliche Rückfragen überhaupt nicht bis bestenfalls sehr rudimentär über die mit der Zuweisung verbundenen Intentionen und Absichten sowie über Form, Inhalt und Ablauf der Maßnahmen informiert worden zu sein, wobei in nicht wenigen Fällen ersichtlich wurde, dass die Berater selbst kaum über adäquate Informationen verfügten. Derartige Fragen wurden im Gegenzug mitunter als Infragestellung der „Arbeits- und Schulungswilligkeit“ interpretiert und nicht selten mit Androhungen einer Sperre der Bezüge quittiert. So berichten einzelne Teilnehmer des Projekts B, die jeweils ein relativ gutes Verhältnis zu ihren Beratern aufbauen konnten, wiederholt sehr übereinstimmend, dass jene ihnen gegenüber mehr oder weniger direkt ihre eigene Dilemma-Situation offenbarten, die darin bestünde, dass sie die Maßnahme im konkreten Fall selbst als nicht wirklich effizient im Sinne der Perspektivenerweiterung betrachteten, sie aber auch „nicht anders könnten“ als die Zuweisung zu tätigen bzw. zu bestätigen. Im besten Fall ersuchten sie ihre Klienten um entsprechende „compliance“ bei dieser quasi „schicksalhaften“ Verstrickung.

Grundsätzlich zeigt sich die überwiegende Mehrheit der sich „unfreiwillig“ in der Maßnahme Befindlichen äußerst interessiert, motiviert und aufgeschlossen hinsichtlich einer für sie nachvollziehbaren bzw. ihnen gegenüber adäquat begründeten Qualifizierungsmaßnahme. Auch gäbe es sehr wohl alternative und arbeitsmarktpolitisch sinnvolle Maßnahmen wie oben angeführte „Sozialökonomische Betriebe“ bzw. fachliche Qualifikationen und Weiterbildung, die von den Schulungswilligen aktiv angestrebt würden. Diese werden aber in der Regel ohne weitere Begründung bzw. „bestenfalls“ mit dem Argument, diese wären „zu teuer“, abgelehnt.

Fast alle Teilnehmer äußern - vor diesen Hintergründen durchaus verständlich - Gefühle der Ohnmacht und Unmuts ob ihrer (wiederholt) erzwungenen, für sie jeweils keine nachvollziehbaren Perspektiven eröffnenden Maßnahmenteilnahme. Die entsprechend „frustrierte“ Stimmungslage bildet sodann regelmäßig die Ausgangssituation für die „Inklusionsarbeiter“, die sich im Dilemma zwischen Thematisierung, Kanalisierung und Unterdrückung der Frustrationen bzw. der Wahrung des Scheins wieder finden. Dabei steigt die Gefahr der Reproduktion selektiver Differenzierungsmechanismen (arbeitsmarktbezogen: „problemlose“ versus „problembehaftete“ Maßnahmenteilnehmer) sowie der Normalisierung („Gleichschaltung“ aller normierend „jobready“ zu machenden Teilnehmer) - nicht zuletzt aus Gründen der Ermöglichung weitgehend störungsfreier Projektarbeit (vgl. STAUBER/WALTHER. 2001: 21). Selektion findet hier also in erster Linie auch im Sinne des Erhalts der jeweiligen Struktur(-vorgaben) der Projekte statt. Dabei konstruieren Projektmitarbeiter Realität durch entsprechend selektive Wahrnehmung, indem sie die Teilnehmer in diese vorgegebenen Strukturen „einpassen“ (vgl. GALUSKE 1993: 201 ff.).


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