Stigmatisierung
Zur Inklusion in die Maßnahmen bedarf es einer stigmatisierenden Exklusion aus dem Beschäftigungs- bzw. Arbeitsmarktsystem. Der Arbeitslose wird aus dem Kreis der „Normalen“ ausgeschlossen, da er „in unerwünschter Weise anders (ist), als wir es antizipiert hatten“ (GOFFMAN. 1975: 13). Indem er die soziale Norm der aktiven Teilnahme am Erwerbssystem nicht mehr einhält, wird er entsprechend stigmatisiert26, wobei sein Versagen gegenüber dieser Norm nicht nur direkten Einfluss auf seine soziale und personale Identität, sondern auch auf seine psychologische Integrität, also seine „Ich-Identität“, hat (vgl. GOFFMAN. 1975: 158).
Im Projekttyp A stellt die Diagnose einer „um 50 Prozent verminderten Erwerbsfähigkeit durch eingeschränkte Gesundheit“ die ausschlaggebende Voraussetzung einer Förderung. Die entsprechende „erfolgreiche“ medizinische Diagnose lässt sich in der Regel mit einigem „guten Willen“ für viele, zumal situativ durchaus sozial auffällige, Jugendliche unschwer konstruieren und wird auch entsprechend oft erreicht. Alleine die Tatsache der (herkunftsmilieubedingten) Absolvierung der „Sonderschule“ reicht mitunter aus. Diese durchaus wohlgemeinte Verschaffung des Zuganges impliziert jedoch eine - zumindest seitens der Integrationsarbeiter - nicht intendierte de facto jedoch realisierte Redefinition eines strukturellen Ressourcenproblems (Mangel an adäquateren Maßnahmen) in individuelle Defizite. Auch im Falle der Abweisung hoch motivierter potentieller Teilnehmer, die nicht in das Schema der verminderten gesundheitsbedingten Erwerbsminderung einzupassen sind, kommt es letztlich zur Transformation struktureller Begrenzungen. Die unzureichende Kapazität geeigneter Maßnahmen wird seitens der Adressaten als individuelle Unzulänglichkeit (um)gedeutet und als weitere Defiziterfahrung, im Sinne einer Selbstattribuierung als „zu gesund für den Zweiten und trotzdem nicht fähig zur Teilnahme am Ersten Arbeitsmarkt“, verbucht.
Auch im Projekttyp B werden entsprechende Ausstattungs- und Ressourcenprobleme zwangsläufig umdefiniert in individuelle Defizite. Indem eben nur sieben pauschale Module für eine extrem heterogene Gruppierung zur Verfügung stehen, bleibt gerade auch für „Überqualifizierte“ nur eine weitere paradoxe Erfahrung der „unzureichenden Normalität“ (zu alt, zu qualifiziert etc.) im Sinne einer als „zwischen allen Stühlen“ zu beschreibenden Befindlichkeit.
Das Konzept der Benachteiligung
Die in Form von Selektion und Zuschreibung von Defiziten im Bildungs- u. Wohlfahrtssystem institutionalisierten selektiven Mechanismen der Differenzierung und Normalisierung werden vor allem durch das Konzept der „Benachteiligung“ als das grundlegende Legitimationsmuster für Selektionsprozesse schlechthin legitimiert (vgl. STAUBER/WALTHER. 2001: 21).
Fördervoraussetzung für den Projekttyp B ist demnach eine, in der Regel seitens der Berater des AMS verhängte Diagnose arbeitsmarktbezogenener „Benachteiligung“ auf Grund unzulänglicher persönlicher Voraussetzungen (vgl. oben). Dies ist eine unmittelbare Folge der dem Normalarbeitsverhältnis zu Grunde liegenden Vollbeschäftigungsannahme, der zufolge jeder, der ausreichend qualifiziert und motiviert sei, Beschäftigung finden könne. Dieses Konzept dient vor allem der Senkung gesellschaftlich erzeugter, normativer Ansprüche, wie z.B. die Teilnahme am Arbeitsmarkt.
Die konstatierte Benachteiligung bezieht konsequenterweise nicht auf die jeweiligen Folgen von strukturell bedingter Arbeitslosigkeit, sondern vielmehr auf individuelle, ursächliche Defizite. Ausgangspunkt des Handelns ist also jeweils die „Auffälligkeit“ als Abweichung vom „Normalen“ bzw. eine Pathologisierung der Adressaten, die einen Bedarf an Hilfe in Form von Nachsozialisation in Maßnahmen bräuchten, als Ausdruck eines Versagens gegenüber den Anforderungen der Arbeitswelt. Individuen werden so zu „Objekten der Intervention“ gemacht (vgl. BRUMLIK 1973).
Ausgehend von der Frage, welche Zuschreibungen „die Gesellschaft“ in Bezug auf ihre arbeitslosen Mitglieder vornimmt und welche sozialen und finanziellen Einschränkungen sie ihnen zumutet, unterscheidet KIESELBACH (1998: 117) mit seinem Konzept der „Viktimisierung“ drei Ebenen der mit Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen nachteiligen Folgen und Einschränkungen. Die primäre Viktimisierung besteht im Verlust der ökonomischen Sicherheit, sozialer Einbindung, Selbstwertgefühl, Zeitstruktur und externer Anforderungen (vgl. Erlebniskategorien von JAHODA). Als sekundäre Viktimisierung folgen zunehmende finanzielle Probleme, verbunden mit Verlust von Zukunftsperspektiven und sozialer Stigmatisierung, um schließlich auf der nächsten Ebene dieser Entwicklungsdynamik im Sinne von „self-fulfilling prophecies“ in der Zuschreibung sozial unangemessener Bewältigungsformen und Verarbeitungsstile zu münden (vgl. dazu v. a. GOFFMAN, 1975). Diese bestätigen sich sodann in der mit der Zuweisung zur Integrationsmaßnahme zum Ausdruck gebrachten Hilfsbedürftigkeit, welche zu revidieren die dort agierenden Helfer bzw. Inklusionsarbeiter schließlich antreten.
Rolle der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik:
Im konzeptiv und praktisch explizit sozialpädagogisch angelegten Projekt A kommt einer subjektbezogenen, lebensweltorientierten und auf die Methode des „case-managements“ (vgl. WENDT. 1998) rekurrierenden Sozialen Arbeit hohe Bedeutung zu. Im Projekt B nimmt dieser Typus der Sozialarbeit eine relativ untergeordnete Position ein. Hier kommen in erster Linie „Berufsorientierungs- und Bewerbungstrainer“ zum Einsatz. Diese können zwar von ihrer Grundausbildung her auch „gelernte“ Sozialarbeiter sein, kommen aber meist aus anderen Bereichen, zumal die Grundbedingung prinzipiell in einer (stark auslegungsbedürftigen) „pädagogischen und fachlichen Kompetenz“ festgelegt ist. Darüber hinaus benötigen diese Trainier mittlerweile dezidiert das Zertifikat eines speziellen arbeitsmarktbezogenen Lehrgangs. Diese Ausbildungen werden in der Regel von jenen Organisationen ausgerichtet, die zugleich als Träger der arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen fungieren, somit die potentiellen Arbeitgeber darstellen und zudem die Praktikumsplätze für das im Rahmen der Trainerausbildung obligatorisch zu absolvierende Berufspraktikum bereitstellen. So entsteht ein in sich geschlossenes System, welches sich ihr Personal selbst rekrutiert das jeweils erwünschte berufliche Sozialsationsmilieu auf Dauer stellt und somit systemkonforme Weltbilder und Einstellungen reproduziert bzw. perpetuiert.
„Sozialarbeit“ als ursprüngliche Kernprofession der „Social Profit Organisationen“ (SPO) steht sowohl generell als auch speziell im Rahmen der Arbeitslosenhilfe stets vor dem paradoxen Anspruch der Verknüpfung partikularer und individueller mit allgemeinen und gesamtgesellschaftlichen Interessen. Die jeweilige Gewichtung im Spannungsfeld von, auf weitgehende individuelle Autonomie abzielender, Selbstbefähigung („empowerment“) und Befähigung zur Anpassung an die Anforderungen des jeweiligen Arbeitsmarktes („employability“) hängt wesentlich von den strukturell gesetzten bzw. innerorganisatorischen Rahmenbedingungen ab.
Die Vorbereitung auf eine ungewisse Zukunft durch (Langzeit-)Arbeitslosenmaßnahmen bedarf jedenfalls mehr denn je auch der Vermittlung eines Wissens um gesellschaftliche, historisch-strukturelle und subjektbezogen-anthropologische Zusammenhänge, eines Wissens um Interaktionszusammenhänge, Orientierungen und Identität, um die Teilnehmer in Richtung Selbstbefähigung zu sozialisieren. In diesem Zusammenhang kommt der schleichenden Verdrängung der „klassischen“ Sozialarbeit bzw. des entsprechenden Berufshabitus - pointiert ausgedrückt: „des Sozialen“ in Maßnahmen durch Methoden des „Trainings“, wiederum zugespitzt auf selbst-ökonomische Konditionierung im Zusammenhang mit dem Trend zur „Verbetriebswirtschaftlichung“ der institutionalisierten Sozialarbeit - sowie des Abbaus des Sozialstaates eine nicht unbeträchtliche Bedeutung zu. Der Einsatz von klassischer Sozialarbeit als „moralischer Profession“ (vgl. Kap. 12.2) bedingt nämlich weitgehende Anerkennung von Ungleichheit, Benachteiligung und sozialer Konflikte im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit als „soziale, gesellschaftlich verursachte und relevante Problemstellung, für deren Bearbeitung vorrangige Zuständigkeit in der Gesellschaft reklamiert werden kann“ (BOMMES/SCHERR. 2000: 30).
Die Behauptung dieser Form sozialer Arbeit bzw. die Durchsetzung deren „Gültigkeit, Legitimität und Alternativlosigkeit“ (ebd.) infolge der gesellschaftlichen Durchsetzung ihrer auf Erfordernis von „Hilfe“ ausgerichteter Beobachtungsperspektive und der damit verbundenen Mobilisierung von ökonomischen, rechtlichen und politischen Leistungen (vgl. ebd.: 45) ist vor allem auch auf dem Sektor der aktiven, wie zunehmend aktivierenden, Arbeitsmarktpolitik zunehmend in Frage gestellt. Immer mehr Sozialarbeiter sehen sich gezwungen, die angestammten Paradigmengrenzen innerhalb der bislang abgegrenzten „höhersymbolischen Sinnbezirke“ (SCHÜTZE) zu transzendieren. Dies erhöht, will sie weiterhin auf diesem Feld tätig bleiben, die in der Sozialarbeit ohnehin chronische Anomie ihrer Orientierungsparadigmen (SCHÜTZE 1984). Die berufliche Sozialisierung der „Trainer“ durch arbeitsmarktpolitisch initiierte Ausbildungskurse bedeutet in diesem Kontext also mehr als nur eine weitere Ausdifferenzierung sozialer Arbeit im Sinne von Spezialisierung. Sie führt diese weg vom ursprünglichen paradigmatischen Weg des, der neueren Sozialarbeit inhärenten, „ganzheitlichen“ bzw. „systemischen“ Ansatzes (vgl. LÜSSI. 1992).
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