Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Neue Folge Stadt und Hof Jahrgang 1 (2012)



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Rankl, Helmut: Altbayerische Kleinstädte im Spiegel landesherrlicher Erhebungen des 17. und 18. Jahrhunderts: Erding, Rosenheim, Trostberg und Murnau, München 2011 (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte, 28) [Kommission für Bayerische Landesgeschichte, XXX+233 S., kart., 36 Euro].

Mit der Arbeit von Helmut Rankl liegt ein wichtiger, landesgeschichtlicher Beitrag zur Diskussion um die Erforschung von Kleinstädten vor. Er wendet sich in intensiver Grundlagenforschung vier altbayerischen Bürgergemeinden zu: namentlich Erding, Rosenheim, Trostberg sowie Murnau. Das verbindende dieser vier ist die Quellenlage des 17. und 18. Jahrhunderts, also die des Untersuchungszeitraum. Der Autor macht deutlich, dass es sich hierbei um repräsentative Ergebnisse für den bayerischen und österreichischen Bereich handelt, da sie als ehemalige Kleinstädte – also Orte zwischen 1.000 und 2.000 Einwohner – zusammen mit den Kleinstädten 90 % der altbayerischen Städtelandschaft ausmachen. Dies schließt selbstverständlich auch die grundsätzliche Problematik mit ein, dass dieser frühneuzeitliche Epochenbereich eine Zeit des Niedergangs bzw. Übergangs im Städtewesen darstellt. Dabei soll auf Basis einer komparativen Untersuchung eine systematische Erforschung dieser wichtigen Gruppe von „Städten“ auch im Sinn der allgemeinen Städteforschung der Frühen Neuzeit geleistet werden.

Zum Vorgehen der Arbeit: Eingangs findet eine Verortung der vier Kleinstädte statt, zeitlich nimmt der Autor dabei moderne also auch historische Entwicklungen auf – in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, aber teilweise werden auch ältere Traditionslinien, insbesondere im Handel und Warenverkehr. Eine breite Quellenbasis bilden die im zweiten Teil der Arbeit edierten Beschreibungen von 1679 bzw. 1774. die Gewerbestatistiken von von 1771/81 und 1792 sowie die Volks- und Viehzählung von 1794 für die vier exemplarischen Kleinstädte. Eine derartige breite an Einzeldaten in übersichtlicher und verständlicher Vergleichsperspektive ist besonders zu goutieren.

Wie kam es nun zu diesen Beschreibung bzw. weiten Volkszählungen? Sie sind als Antwort auf die Pest- und Seuchenepidemien sowie europaweite Hungerkrisen der Zeit zu sehen. Dabei zählen diese Vorgänge neben der guten Policey zu einem wichtigen Instrument von städtischen oder landesherrlichen Obrigkeiten in Notsituationen. So können über diese sehr ausführlichen und detaillierten Aufzeichnungen und Aufzählungen wichtige Aussagen über Vermögensklassen, die jeweilige soziale Gliederung des Ortes sowie den konkreten Konsumbedarf festgestellt werden. Aber auch Bevölkerungs- und Familienstrukturen, Bürgerrecht oder Haus- und Grundbesitz sind Aspekte die daraus abzuleiten sind, und die der Autor versiert und detailliert analysiert. Ein weiterer und verhältnismäßig der größte Unterpunkt wendet sich dem Wirtschaftlichen zu. Gewerbe- und Handelsstrukturen (für das 17., 18. und beginnende 19. Jahrhunderts) sowie der Stellenwert der „städtisch-märktischen“ Agrarwirtschaft der Zeit. Zur „Quantifizierung“ der vier Einzelergebnisse finden sich neben der Kategorie „Bevölkerungszahl“ auch „Gewerbedichte und -intensität“, „Verkehrslage“, „Umsatz auf den Märkten“ sowie „Stadt-Umland-Verhältnisse“.

Ein wirklicher Mehrwert entsteht durch die sehr feingliedrige Argumentation, wobei der Autor stets das „große Ganze“ im Auge hat. Dabei rangiert Rankl auf mehreren Ebenen. Den Zahlendaten des einzelnen Ortes, der Vergleich der vier untereinander sowie einer grundsäztlichen Reflexion der (Klein-)Städteproblematik in der Frühen Neuzeit. Besonders erfreulich ist, dass die Quellen nicht nur hervorragend ausgewertet sind, sondern dass mit einem Quellenanteil von fast 100 Seiten diese auch für eigene Fragestellungen ediert sind.
Tobias Riedl, Erlangen

Stadt und Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit, hg. von Gerd Schwerhoff, Köln/Weimar/Wien 2011 (Städteforschung. A, 83) [Böhlau, VI+219 S., geb., 32,90 Euro].

Der Begriff der ‚Öffentlichkeit‘ wird in der Geschichtsschreibung häufig verwendet, ist jedoch bis heute nicht in all seinen Facetten erfasst. Insbesondere auf der Grundlage der Theorie über den ‚Strukturwandel der Öffentlichkeit‘ von Jürgen Habermas beschäftigt sich die Forschung seit vielen Jahren mit der Einordnung dieses Phänomens. Dass die Stadt für die vormoderne Öffentlichkeit eine evidente Rolle gespielt haben muss, erscheint dabei nur allzu schlüssig, hat bislang jedoch nicht zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der „spezielleren städtischen Öffentlichkeit“ (S. 9) geführt. Aus diesem Grund machte es sich das 39. Kolloquium des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster zur Aufgabe, für die frühe Neuzeit einige Bausteine zur Aufarbeitung dieses Forschungsdesiderates beizusteuern.

Gerd Schwerhoff eröffnet den Band mit einer konzisen Zusammenschau der Habermas’schen Theorie sowie deren Rezeption in der Forschung, wobei er sogleich die Probleme einer uneingeschränkten Übertragung der Thesen auf die Verhältnisse der frühen Neuzeit zu bedenken gibt. Er weist auf die Desiderata in der Erforschung von Öffentlichkeit in der Stadt beziehungsweise der öffentlichen Orte in der Stadt hin, für welche er die Charakteristika der Zugänglichkeit und der Funktion, der Medialität und der Ordnung näher spezifiziert. Auf dieser Grundlage stellt er Thesen zur städtischen Öffentlichkeit zur Debatte, die in den folgenden Aufsätzen auch in Teilen diskutiert werden.

Zunächst führt Rudolf Schlögl aus, welche Bedeutsamkeit das Schlagwort der „Vergesellschaftung unter Anwesenden“ (S. 29) für die Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit in der frühneuzeitlichen Stadt aus seiner Sicht besitzt. Er deutet die Printmedien jener Zeit weniger als Träger der Kommunikation, sondern vielmehr als deren Gedächtnis. Diese Hypothese erläutert Schlögl anhand allgemeiner Szenarien politischer Öffentlichkeit im Sinne performativer Politik, etwa im Gerichtswesen, bei Ratswahlen oder der tagespolitischen Entscheidungsfindung städtischer Obrigkeiten. Dabei sei auch durch das „reflexive Beobachten“ (S. 32) eine politische Öffentlichkeit entstanden, welche ebenfalls die Anwesenheit der Beobachter voraussetze.

Susanne Rau hebt in ihrem Beitrag noch einmal deutlich hervor, wie weit sich die Diskussion über die Habermas’schen Theorie aus ihrer Perspektive von einem ursprünglich philosophischen, idealtypischen Ansatz und dem Gebiet ihrer Anwendbarkeit entfernt habe. Auf der Suche nach einer geschichtswissenschaftlichen Alternative zu Habermas untersucht Rau die Fernhandelsstadt Lyon. Sie kommt zu dem Schluss, dass nicht allein die Öffentlichkeit einer Stadt betrachtet werden sollte, sondern vielmehr auch die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Netzwerke, welche durch den Austausch von Waren und Informationen zwischen verschiedenen Städten entstanden seien, Berücksichtigung finden müssten. Zu diesem Zweck führt sie Beispiele für heimliche Netzwerke, etwa auf Schwarzmärkten, Netzwerke der Kontrolle, Vernetzung von Orten durch Prozessionen sowie Gasthäuser als Vernetzungszentren an.

Untersuchungsort der Studie von Beat Kümin ist das Wirtshaus, als ein Ort der Stadt, den er sowohl als multifunktional wie auch als allgemein zugänglich charakterisiert. Diese Annahmen unterstützt er zusätzlich, indem er zunächst das Bild der Trinkstuben als Domäne der männlichen Unterschicht zu korrigieren sucht und die Anwesenheit von Frauen und Vertretern der städtischen Oberschichten hervorhebt. Insgesamt ergab sich für diese Lokalitäten unweigerlich eine politische Dimension, welche der Verfasser im Folgenden in verschiedene Formen zerlegt und für das 16. bis 18. Jahrhundert anschaulich für schweizerische, englische und deutsche Städte einzeln durchleuchtet – nämlich unter anderem anhand der Aspekte der Normendurchsetzung oder der Widerstandsbewegungen, aber auch der symbolischen Ebene der Repräsentation.

Das Beispiel eines solchen gesellschaftlichen, öffentlichen Raumes führt Gerhard Ammerer anhand der Analyse Salzburger Kaffeehäuser im 18. und an der Wende zum 19. Jahrhundert fort, da auch dort die „Verdichtung der Informations- und Kommunikationsprozesse“ (S. 82) in besonderer Weise konstatiert werden könne. Im Fokus der Untersuchung stehen zunächst die Versuche der Obrigkeit, in die Dynamik dieser Versammlungsorte ordnend einzugreifen, so etwa bei der Begrenzung des Glückspiels und der Vermeidung von Unruhen. Diesen Umständen wird die Eröffnung des ersten luxuriösen Kaffeehauses gegenübergestellt, das als „Ort der gehobenen Unterhaltung“ (S. 92) mit einer anderen Klientel jedoch gleichermaßen eine politische Funktion entwickelte.

In Anlehnung an das gleichnamige Theaterstück übertitelt Dagmar Freist ihren Beitrag The staple of Newes. Die Verfasserin interessiert sich für die Öffentlichkeit Londons als Ort einer besonders hohen Frequenz des Austausches von Informationen und gleichermaßen als Wissensspeicher. Sie durchleuchtet anhand von einzelnen Episoden aus der Zeit vor dem Ausbruch des englischen Bürgerkrieges das Spektrum verschiedener Quellentypen, um die Wege von Nachrichten an die Öffentlichkeit durch schriftliche Medien in einer frühneuzeitlichen Großstadt wie London zu rekonstruieren. Schließlich wird die willkürliche und unwillkürliche Nachrichtenübermittlung in der städtischen Topographie verortet.

André Krischer beschäftigt sich in seinen Ausführungen mit der unbestreitbaren Relevanz von Ritualen für die städtische Öffentlichkeit. Er stellt die „Großrituale“ den „Kleinritualen“ gegenüber. Erstere schufen aus der Sicht des Verfassers, beispielsweise in Form von Prozessionen oder Bürgermeisterbegräbnissen, eine nicht alltägliche Öffentlichkeit, die mithin durch aktive und passive Teilnahme aller Stadtbewohner stets einen „tendenziell totalen Öffentlichkeitsbezug“ (S. 133) besaß. Besonders interessant werden Überlegungen zu den Funktionen der rituellen Darstellung sowie – mit aller Vorsicht – der Motivationen integrierter Personen und der sich wandelnden symbolischen Deutung angestellt. Die „Kleinrituale“, etwa in Form von Festen und Gastmählern, lassen sich hingegen als weniger formell, dafür aber auf bestimme Gesellschaften begrenzt und damit nur zum Teil öffentlich charakterisieren. Letztlich kann Krischer beide Formen als stabilisierend für die politische und soziale Ordnung herausheben.

„Konstellationen des öffentlichen Raumes und der städtische Raum“ sind das Thema des Aufsatzes von Holger Zaunstöck. Als ein erstes Beispiel dient ihm ein Waisenhaus in Glocha, das um 1700 durch die Reformer der hallischen Pietisten errichtet wurde und durch seine architektonische Gestaltung wie durch „systematisch angelegte[ ] Medienpolitik“ (S. 165) um eine verstärkte Wahrnehmung im Öffentlichen bemüht war. Auch in seinem zweiten Beispiel tritt eine soziale Gruppe neu in einen öffentlichen, städtischen Raum hinein: Die Anwesenheit der Studenten der 1694 eröffneten Friedrichsuniversität in Halle führte zur Störung und schließlich zur Verteidigung öffentlicher Orte. Die Ergebnisse der auf einer Mesoebene parallel zu deutenden Phänomene veranlassen den Verfasser letztlich den Begriff der ‚Öffentlichkeit‘ durch „das Öffentliche“ zu ersetzen.

Patrick Schmidt betont die ungerechtfertigte Vernachlässigung der Zünfte – als Teil der städtischen Regierung und Wirtschaft – in der Öffentlichkeits-Forschung, bevor er sich des Verhältnisses der Handwerker zur städtischen Gesellschaft in der Aufklärung annimmt. Um das vorherrschende Forschungsbild präziser zu konturieren und in Teilen auch zu revidieren, werden die damaligen Anschauungen von Zeitgenossen nachgezeichnet, worauf die Verortung der Zünfte in der aufklärerischen Öffentlichkeit folgt. Schließlich befasst sich Schmidt auch mit der Frage, inwieweit die Mitglieder der Zünfte Druckmedien produzierten und rezipierten sowie Wissen tradierten.

Den Band beschließt Fréderic Barbier, der noch einmal den Bogen vom 16. bis in das 19. Jahrhundert schlägt. Als Phänomen, das den Untersuchungszeitraum des gesamten Bandes prägte, hebt er noch einmal den Buchdruck hervor, der trotz seines Funktionswandels im Verlauf der Jahrhunderte stets eine herausragende Rolle für die Öffentlichkeit besessen habe. In diesem Zusammenhang hebt er die Stadt in ihrer Bedeutung für die Öffentlichkeit als jenen Ort hervor, an dem die Drucke bis in das 18. Jahrhundert ausschließlich entstanden seien. Barbier beendet seinen abschließenden Kommentar, indem er ein Potpourri durchaus verbliebener Überlegungen zum Thema aufführt.

Insgesamt erweitern die Beiträge des vorliegenden Bandes die bisherige Diskussion zum Thema Öffentlichkeit und Stadt um zahlreiche weitere Aspekte. Die einzelnen Schlaglichter durchleuchten die mannigfachen Quellen und Quellentypen, mit denen der Historiker sowohl der städtischen Akteure und Institutionen sowie deren Verortung innerhalb der Stadt als auch der Medien und deren Regulierung in der Öffentlichkeit habhaft werden kann. Durch diese vielfältigen Ansätze der Autoren kann der Begriff ‚Öffentlichkeit‘ in den Beiträgen dieses Bandes für die künftige Forschung präziser konturiert werden.
Anja Meesenburg, Kiel


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