Ludberga bis 23 95


Lutberga hat heut Namenstag



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Lutberga hat heut Namenstag.

Wer wohl noch derart heissen mag?

Indes des Wetterfroschs Gedanken

sich mehr um Petri Wirken ranken.


In der Tat ist's hier eine Lutberga mit "t", was zu Luit- und Liut- meiner ersten Version recht gut passen möchte. Aber das "d" ist ihm überlegen, da's nur einen Lutwin gibt und sonst nur Luit- garde, -gers, -berts, -truden, -wine, -hards, -polds und -prands. Im Rheinland gibt’s ein kleines Ludenberg, mit dem man Ludbreg notfalls verschwistern könnte, wenn wer nicht Luditz, Ludlow, Ludmitz, Ludsen oder Ludolshausen vorzöge; ein Ludendorff war schliesslich General. Ludern heisst mit Ködern Wild anlocken; ein Luderer ist ein Wilderer, ein Luderjan führt ein homozygotisch liederliches lotterhaftes Luderleben; ein Luder ist mitunter Aas, ein Lude in der Gaunersprache ein Zuhälter. Der Ludgers, Ludolfe, Ludmillas, Ludwige und Ludwigas gibst ja wie Sandberge am Meer... Die -berger will ich Dir hingegen gar nicht erst aufzählen; einen Lügenberger gibt’s so gut wie den Schlau- und den Drückeberger; ein -berger scheint mit den -meiers verwandt zu sein und die meisten sind wohl mit den Hinzen und Kunzen allesamt Bürger von Schilda.

19.00. Sobald ich mir die Reisemüdigkeit aus den Gliedern geschlafen habe, werde ich Dir den ersten April gebührend in Erinnerung rufen, ist er doch Ludbergas Höhe- und Schlusspunkt in ihrer literarischen Karriere. Was folgt, ist nur noch der Kommerz, den man aus ihr ziehen wird. Cindori will leider neuerdings seine Bierbeiz voll, kurz und bündig auf Ludberga taufen und die intellektuelle Allusion auf die Nachbarschaft des Dichters streichen. Er hat die Feinheiten wohl gar nicht erst begriffen...

Die Ludbürger haben heute ein Fünftel unseres östlichen jahrhundertealten Schlossparks abgeholzt, um den präexistenten widerlichen Fussballterrains einen Tennisplatz hinzuzufügen. Es dreht sich mir der Magen, ob so viel Dummheit und Naturfeindlichkeit. Die Schlossrückseite wird damit kahler und unwirtlicher denn je. Was nützt es wenn man uns zur Beruhigung einige der Stämme versprach, unseren barocken Kram damit zu ergänzen und Regale zurechtzuzimmern, darauf die lädierten Mumien bis ins nächste Jahrtausend zu bahren!
19.45. TV-Nachrichten sind im Gange. Bald kommt unsere Fernsehsequenz; eine Kassette liegt im Anschlag, ich bin gespannt, was man aus Ludbergas Sache gemacht hat.

Von Ivan höre ich, dass Noftas Schwester, polyglotte Professorin in Amerika, in Ludbreg den Kulturressort in der Gemeinde erhalten solle; fein; aber ihr aussichtsreicher Gegenkandidat ist beileibe Hobbyfilmer Stupic, der nicht einmal Kroatisch in genügender Eleganz von sich geben kann...! Sein zum Teil aus früheren Streifen geklitterter Kurzbericht zum M.d.W. in den nationalen Nachrichten vom 1.April, grenzte zwar an Genialität, aber ein blindes Huhn legt zuweilen auch mal ein (fern)seherisches Windei!

Sah Blagaj vorbeischlingern und dankte für unser Ruhekissen in Rovinj... Kaum hatte er eben wieder angefangen, das Dach zu reparieren, schneite es wieder! Morgen bringe ich übrigens die Dachziegelbeule zu Kain; mal sehen, was dann am Wagen wieder in Brüche geht...
20.10. Ludberga in ’Živa Istina’. 20.25. Xenia ruft an, ob wir aufgenommen hätten, ihr Gerät habe gestreikt. Meinte, Martinovic habe alles bestens gebracht, wenn auch dank des 1.4. nun etwas veraltet; er hätte aber angekündigt, dass sich inzwischen ja Anderes getan hätte. Die scherzhafte Seite sei gewahrt worden, trotz aller Kartenzirkelei; gute Kameraführung...; Ivan fummelt an unserem Gerät; die Aufnahme habe nicht geklappt. Aber seine Schwester hätte mitgeschnitten... Ich glaub's erst, wenn ich’s gesehen habe. Bleibt, eine Originalkopie zu ergattern...

20.45. Ivan ist ob seiner technischen Fiaskerei so verärgert, dass er ein Bier trinken muss, mit mir und wohl bei Cernobyl... Ich schliesse hier, Nymph und schicke Dir dies zum Wegwerfanfang, aber mit entsprechender Liebhaber-Sammel-Frankatur ....

Faun, Deinster.

(209) Ludbreg, Dienstag 16.4.1996; 7.05

Nymph,

die Glocken läuten neuerdings um eine halbe Stunde verschoben: also komme ich zu spät ins Schloss, d.h. inmitten des Pulks, der auch Blagajs Arbeiter einschliesst; der Schnee ist weggeschmolzen und man wird endlich das Dach wieder weiterdecken. Mit Ivan becherte ich gestern noch lang und erfuhr, was so hinter den politischen Kulissen geht und wer alles Ludberga befeindet, weil man sie in der falschen Partei wähnt. Leute aus Schule und Radio Ludbreg glauben sich über meinen Ulk erhaben, andere pflegen aus Eifersucht puren Ostrazismus, damit ja nichts in der Öffentlichkeit passiere, das die tödliche Ruhe störe. Schliesslich gibt es die wie Akneds, die das alles grundsätzlich doof finden, aber trotzdem nie was Besseres erdächten: die üblichen Plumburger.
10.00; mit Ivan bei Kain, um den Wagen reparieren zu lassen; der karstige Felsbrocken vor Rijeka hat recht garstige Schäden angerichtet, die unbedingt beseitigt werden müssen. Das schnelle Fahren liess mich merken, was da verbogen war und das Hydrauliköl tränte Kain auf die Schuhspitzen. Ivan macht Kain soeben eine Gipskopie der M.d.W.-Bronze (denn auch er will seinen Renault Squattro bei ihm aufrüsten). Es ist die zwölfte bereits; bald dürfte er sich mit Ludberga selbständig machen und eine Boutique eröffnen...!
16.35. Eben an Echterding vom Fest berichtet, um mit meiner Monats-Rechnung ein wenig durch die Blume zu winken und um meinen Fortgang hier samtpfotig vorzubereiten.

soll ich Dirs mitfaxen? also:
Lieber Echterding,

Seit gestern bin ich wieder in Ludbreg, nachdem ich es kurz nach dem besagten ersten April verliess; das Fest war ein voller Erfolg, bei schönstem Wetter und grossem und kleinem Publikum. Kirchentüre, die Marmor-Arena, Inschrift-Scheibe, Bronzeplatte und Mosaik, die Weinetiketten und neuen Strassenbezeichnungen (in schwarzem Marmor!) waren rechtzeitig fertiggeworden; selbst die neuseeländische Nationalhymne konnten wir in letzter Minute noch aus dem Internet fischen, um sie aus dem Weltmittelpunktgully ertönen zu lassen, als eine gelbe Rauchbombe zündete und der Bürgermeister Ludbergas Wein aus mittelalterlichem Becher zur Löschung des antipodischen Vulkans über die Bronze goss. Das Gaudi schloss mit der Enthüllung der Weltmittelpunkt-Gedenkscheibe – nach gebührend vaterländischer Rede und der feierlichen Taufe des Strassenstückes auf "Ulica centar svijeta/CENTRVM MVNDI". Das Fernsehen zeigte uns am Abend in den nationalen Hauptnachrichten und die Speisung und Tränkung der Ludbürger liess sie noch lang die Marktstände umschwärmen wos Käse und Aufschnitt mit Centrum Mundi-Label gab, Brote mit der Heiligen Ludberga drauf, Souvenirs und Legendendrucke. Die Dorfmusik donnerte ihre Posaunenstücke und ein Heer von Majoretten tänzelte im Gemenge. Gestern gab’s noch eine zehnminütige Abendsendung über das Weltmittelpunkt-Projekt auf der ersten Welle und ein Autoren-Portrait soll nachkommen. Ludbreg ist in aller Munde von Maribor bis Dubrovnik und hier reissen sich die Firmen um den Logo mit Ludberga. X Projekte sind im Tun: von der Küchenuhr über Autoaufkleber zu Zierknöpfen und Weinkrügen. Ivan patiniert bereits die 12.te Gipskopie der M.d.W.-Bronze; man kann eine in Beton für den Garten haben. Ich schlug ein Schuhsohlennegativ in Gummi vor, damit man das Positiv im Lehm der Weinbergwege erkenne und immer, auch im grössten Suffe wüsste, wo der Weltmittelpunkt sei. Der neue Dorfplatz soll einen Feuer/Wasser-Brunnen von unserem Schweizer Künstler Paul Wiedmer aus Civitella d'Agliano erhalten und die Teufelsquelle wird touristibel geschönt. Die Schenke am Platz erhält vielleicht demnächst eine Taufe in Ludbergas Omen und das Putnik wird zum "Caput(nik) Mundi" aufgewertet. Die Weinhändler streiten sich schon um die Etikette, doch soll jedes Jahr nur der beste, künftig am ersten April gekürte Wein das Prädikat erhalten. Inzwischen prostet man sich hier mit "Ludberga!" zu und künftig darf der ihr geweihte Wein nur aus edlem Duecento-Boccalino getrunken werden. Ivan ringt um die Autorenrechte seiner Platte und die Touristikinstanzen wollen weitere Promotionen erwirken. Ich lache mich inzwischen krank ob des tilleuligen Schelmenstreiches und vergesse meine trostlosen Umstände, die mich noch, oder wieder hierhalten.



Zu allem erschien am dritten April in einer Luzerner Zeitung eine Wetterfrosch-Glosse, laut derer es tatsächlich eine Tagesheilige "Lutberga" gäbe, was Ihrer Meldung entspräche, ein Kollege habe etwas über sie gewusst. Dann war sie also "ben trovata!"; ihr Erfolg wird im Nachhinein durch Heiligkeit gekrönt. Ich kann mich am 5. Mai getrost mit Ihnen nach München zum Holztafelsymposium absetzen und eine Weile von Ludbreg pausieren. Die Festung hält inzwischen Winfried Berchen mit Geschick und Mut für die nächsten drei Monate. Ich hoffe nun, Ihnen demnächst den Mittelpunkt der Welt in aller Pracht vorführen zu dürfen! Bis dahin liebe Grüsse, Ihr E.R.
18.15. Es fällt mir ein, dass ich Dir den Sonntag, den 31.3. noch nicht zuendegeschildert und Dir zugeschliddert hatte; holen wir's nach, ich gewinne mir ein gutes Seitchen bei Dir..., bzw. zeige mich von meinem besten Brettchen, bzw. lass kein böses Steinchen...-

ich glaube, der Composter spunkt...

Übrigens kam im Fernsehen unser Hufeisen doch noch zu memorablen Ehren; wer's klaute, hat’s vielleicht gestern im Quellenkies blinken gesehen und bringts reuig zurück? oder wird fortan vom Teufel gequält. Ich war entsetzt über meine quäkende Stimme; ich bin ja nicht gewohnt, mich selbst zu hören; abscheulich: weniger reden wäre auf alle Fälle mehr, wenn ich mir schon kein Gold durch Schweigen erwerben kann. Wie Du so was aushältst!
19.10. Eben klickert Dein sensationeller Auszug aus O.Wimmer und H.Merzer's "Lexikon der Namen und Heiligen" von 1982 herein mit der Meldung von Liutbirg, Ludbirg, Leutbirg und der ‘Lutberga’ in J.Tarsy's "Lexikon d. dt. Heiligen" von 1959. Ein O.Menzel soll Das Leben der hl. Liutbirg (Leipzig 1937) herausgegeben48 und auch sonst noch von ihr gehandelt haben! Sollte man vielleicht verfolgen. Konkordanz kaum, Konkurrenz nein, aber was für eine Koinzidenz!

Meine Ludberga wird (wie ich) am 1.April geboren, der Anderen Namens- und Todestag ist der 3.! (um 880, der Regierungszeit Ludwig des Jüngeren) Ihr Vater war offenbar ein Ostfalenfürst Hessi49 aus dem damals noch wilden Hessgau. (Ich aus westfälischer Familie, aufgewachsen im eigentlich hessischen Wildflecken). Der Wirklichen Vater wurde Mönch, (meiner träumte vergebens davon, einer zu werden; war ich nicht selbst lange ebensogut wie einer und welche Restauratoren-Klostergemeinschaften wollte ich nicht schon gründen!) Im heiligen Fulda mönchte der leibliche Vater der Einen, gleich um die Rhönecke, der Heimat des inspirativen Ziehvaters der Andern! Die echte stammte aus Solazburg (Salz- Sulzgau?) an der Altmühl, die falsche aus dem Bednja-Mühlengebiet bei Slanje wo auch eine Salzquelle entspringt. Das folgende Curriculum der Geheiligten ist in der Tat, wie Du sagst, mauerblümchenhaft: sie wurde laut Menzel als Inklusin im Kloster Wendhausen bei Quedlinburg eingemauert, unweit von Halberstadt, der Wende halber nun nicht mehr im untersten Winkel der DDR, sondern gar im Zentrum Neoteutoniens. Dort soll, nicht überaus weit vom Winckelmann-Beyle’schen Stendal, ja auch gleich ein ‘Mittelpunkt der Welt’50 liegen. Dass sie heilighaft und jungfräulich Gesangs- und Handarbeitsunterricht gab, ist löblich, aber meine lieblichere und liederlichere Ludberga war da um einiges blutvoller, unternehmungslustiger und handfester! Dass beider Name aus dem althochdeutschen Liuti- (=Volk, Leute) und -berga (= bergen, Schutz geben) gebildet ist und somit "Schützerin des Volkes" heisst, passt mir ja ungemein ins Ludbreger Patronat; die Herberge ist da auch nicht weit. Auberge oblige. Albergosolemio. Nur wird Cindori nie althochdeutsch verstehen...
So, Nymph genug gebrummelt und gebummelt: während Winword am Faxpult Deine graphischen Vulkanisierungen studiert und sich wohl bald trollen wird, werde ich mal drucken um für dies lange Gefaxe bereit zu stehen. Lass Dich umarmen! Faun.

(210) Ludbreg, Mittwoch 17.4.1996; 6.25

Nymph,

als ich Nofta anrief, war er innerhalb fünf Minuten vor der Tür; als ich ihm die Titelglosse des Wetterfrosches zeigte, blieb ihm die Luft weg und als ich ihm Deine Lexikonauszüge kommentierte, geriet er geradezu in einen mystischen Rausch, der sich bei Cernobyl fortsetzte, indem selbst der Tomatensaft mit Wodka, den ich ihm vorsetzen liess, zur bedeutungsvollen Bloody-Mary mutierte. Überdies schwärmte er unverhohlen von Dir als Muse, beseelter Denkerin, Buchverfasserin und schöner Frau, dass mir die Ohren schlackerten. Er wolle, müsse geläutert nach Ludbreg zurückkehren und Ludberga zuliebe sein Wirken intensivieren, fokalisieren, harmonisieren... Seit er ihr durch mich begegnet sei, hätten sich sein Leben, sein Gespräche, sein Umgang, ja sein Biorhythmus geändert und immer wenn er wie zwanghaft jemandem von Ludberga und ihrer Legende erzähle, hielte ihn dies bis zu einer Stunde in tranceähnlichem Atem. Der gute Mann ist sichtlich in sie verliebt! Wie wird das ausgehen! Jetzt hat er auch noch eine Rivalin am Halse, die ihn nicht mehr schlafen lässt.
6.50. Nofta ruft mich in den letzten Satz hinein an! er hätte kaum geschlafen; die neue Luitpirg dürfe man noch nicht ausplaudern, bevor wir nicht das Buch über sie gelesen hätten; ich meinte, es würde eher ein Artikel sein, weil Menzel als Herausgeber signiere... Nofta wolle mir überdies für Dich den gestern im Gefecht vergessenen Namen des Sandphotographen Ansel Adams nachreichen, der ebenso wie sein Kollege und Freund Edward Weston die schönsten und spiritualsten Wüsten- und Dünenphotos oder Akte im Sand produziert habe. Die Sparte der grossen Photographen dürfe man nicht ausser Acht lassen und es gäbe noch mehr Spezialisten auf dem Naturtrip; er brächte mir nachmittags ein paar Bücher.

Winword ist wieder punkt sieben zur Arbeit angetreten; ich staune; nicht mal Sieglinde hat das geschafft.

Meine Kiste war nicht angeschlossen, aber Obiges brav von selbst gesichert. Ich atme auf; manchmal ist die Technik doch intelligenter als wir selbst.
8.20. Wollte von meiner Mutter die Adresse der Luzerner Zeitung erfahren; aber sie hat bereits selbst an den Wetterfrosch um Auskünfte geschrieben. In der Jesuitenhochburg L. wird sie sicher die Bollandisten auftreiben und jedwelche zusätzliche Heiligenliteratur, wenn nötig...

Draussen stolzieren die Störche in der heitersten Sonne durch den Schlosspark: der Frühling scheint nun doch endlich gewonnen zu haben und die Knospen schwellen, zum Bersten bereit; so manches zarte Grün klopft bereits an die Scheiben. Aber noch immer holzt man erbarmungslos die Parkbäume ab.
20.15. Den Nachmittag an Ludbergas Apotheose gearbeitet, werde aber nicht fertig; willst Du das Fragment trotzdem...? Nofta zeigt mir soeben die Photobände mit wirklich schönen Aufnahmen; Ihr werdet wohl ebensolche besitzen. Adams wuchs in den Sanddünen der Baker's Beach bei San Francisco auf, was ihn für immer prägte; im Death Valley National Monument 1948 machte er mit Weston seine besten Wüstenaufnahmen. Ich schicke Dir eine Kostprobe.
21.20. Nymph; eben hast Du genascht; so will ich gleich antworten und auch eine "Unvollendete" beilegen, die noch nicht einmal das richtige Schriftbild hat... Lass Dich küssen und auf Morgen weitervertrösten... Faun.

(211) Ludbreg, Donnerstag 18.4.1996; 6.20

Nymph,

bereits steht die Sonne um diese Zeit so hoch, dass ihre erblassende Röte gerade noch meine Bücherrücken orangen färbt; bald wird man sie gar nicht sehen können, weil die Bäume sich belauben; den Wettlauf um den Sonnenaufgang werde ich täglich mehr verlieren und in B. werde ich kaum noch wissen, dass es ihn gibt...
12.15. Ivan berichtet, der Bürgermeister habe im Radio Ludbreg über den Mittelpunkt der Welt gesprochen und den Erfolg des Projektes mit den Glücksmünzen gerechtfertigt, die Passanten bereits in den Antipoden-Gully würfen.

Von Kain höre ich, ich sei zum Glück noch am Leben, die Schäden an Hydraulik und Bremskreis hätten mir jeden Moment selbiges kosten können. Nun Garagisten übertreiben immer, damit die Rechnungen frohmütiger bezahlt werden. Da es in Kroatien kaum Citroen-Ersatzteile gibt und man die halbe Provinz für mich danach absucht, schwant mir Unheil. Am besten setze ich mich ab heute neben den M.d.W.-Gully und harre des Manna, von dem Bü. so sicher ist, dass es regne.
19.00.Bü. kam mit Blagaj ins Schloss und war so hocherfreut mich wiederzusehen, dass er mich und Ivan ins Cernobyl lud zu einer monumentalen Zander und Ludbergawein; pro memoria meines Geburtstags, der im Trubel des 1.4. untergegangen sei. Bei Tisch wurde viel geplant und viel gelacht. Bü. hat morgen den Postminister zu Gast nachdem die Varaždiner Oberpostleitung beschlossen hat, eine Briefmarke zum M.d.W. mit Mosaik und Bronze so bald als möglich zu verwirklichen. Dann wird Ludbreg für den Moment des Sonderstempels auch zum philatelischen Weltmittelpunkt, hihi. Den Gummiabsatz für Ludbergstiefel fand Bü. nicht unrealistisch. Die Photos bewunderte er sehr und bittet Dich, die Negative zu schicken, damit man hier Kopien anfertigen kann; die Gemeinde will gleich eine ganze Serie, er selbst und Blagaj auch.
Die Kunde von Lutbergas wirklicher Existenz geht ab heute wie ein Lauffeuer um. Bü. will die Umbenennung der Pivnica erst erlauben, wenn Cindori diese an die Gemeinde verkauft, der gegenüber er 30 000 DM Schulden habe. Da wittert wer Geschäfte!

Stupic stiess hinzu und versprach eine Kassette mit allen Filmsequenzen für Gemeinde und mich. Fürs nächste Jahr will man eine rundbauchige Boxbeutelflasche kreieren, um den M.d.W.-Label noch besser sichtbar zu machen.
Anschliessend fuhr ich mit Ivan zu Kain, um dorten meinen Wagen kaum wiederzuerkennen: möglicherweise hatten sie auch die Pneus von innen gewaschen! Von den 3000 Kuna sollen 2000 der Versicherung zufallen; das wäre für mich höchst glimpflich, da Bremsen und Hydraulik erneuert, der Motor gereinigt und wieder flott gemacht, Filter und Öl erneuert wurde; man malte selbst die Stosskästen schwarz; ich vermisste lediglich Schleifchen an den Scheibenwischern und das Wechseln der stets im Fond herumliegenden Liramünzen in Kuna.
21.55. Nymph, es ist spät geworden und Winfried hat sich getrollt; ich kann also getrost in die Muschel raunen und obiges in die Mühle schieben. Lass Dich küssen!

Faun.

(212) Ludbreg, Freitag 19.4.1996; 6.25

Nymph,

zum ersten Mal seit dem Fest machte ich den kleinen Umweg über den M.d.W., der dort unverändert ruht. Der Trinitäts-Trg daneben hingegen nimmt Gestalt an: die riesige Platzfläche ist von konzentrischen blau/rot/braun/weissen Ringen bekopfsteint, wie eine kosmische Dartscheibe. Eigentlich ein viel wirkungsvollerer Weltmittelpunkt, als unser schüchterner Mini-Vulkan wenige Schritte weiter. Ein Helikopter-Landeplatz wäre nur viertels so gross, eine Abschussrampe ins All wäre den Dimensionen gerecht! Da die Kopfsteine jederzeit herausnehmbar bleiben, plane ich heimlich fürs nächste Jahr eine geringfügige Modifizierung, um der Anlage mehr Symbolgehalt zu verleihen: eine präzise Windrose oder ein quer darüberlaufender Meridian wäre das wenigste; ein flammendes eisernes Rundtempelchen von Paul gäbe ein ideales Mittelmotiv. Der Blick aus einem der oberen Putnik-Fenster auf den neuen Platz dürfte hinreissend sein. Die Ludbürger waren wirklich für ihren Weltmittelpunkt reif! Der kleine Mittelplumps war nur der Anfang, ist gleichsam nur noch historischer Gründungsnabel. Der Trg ist zum grossen Bruder geworden, wie Ludberga eine Satellitenkollegin erhalten hat, deren echte Heiligkeit zwar noch nicht ganz abzusehen ist, doch mit Deinen Recherchen und meinen Mogeleien Form bekommen dürfte.
Mit Ivan trank ich gestern noch ein Multivitamin. Er ist seit seinen Erfolgen quengelig, vom Verfolgungswahn geplagt und schimpft unentwegt auf die Haie, die ohne ihn zu fragen seine Ludberga vermarkten. Das Urheberrecht für uns beide ist ihm so in die Seele gefahren, dass sein Sinnen voll davon ausgefüllt ist: Prozente, Promille, Prokuren und Provisionen, Profite, Profitraten und Propergeschäftchen, ja Proteste und Prozesse wirbeln ungeordnet in seinem Kopf herum und wollen ihm nicht zu verstehen geben, dass mich das alles nicht interessiert. Er sägt an Ludbergas Ast, mit dem er emporgewachsen ist und auf dem er auf schwankem Provisorium sitzt, bis er plumpst....
Ludbreg ist seit dem 1.4.96 Weltmittelpunkt...punkt...punkt. Und die Woche danach? der Tennisplatz frisst sich in den Park, dass es ein Hohn auf jede Ästhetik, Moral, Vernunft ist; nochmals fällen sie zwanzig Bäume und der hässliche Latz legt sich schief zum Schlossgeviert in dessen unmittelbare Nähe, diesseits aller Fluchtdistanz; hingekackt wie von grosskotzerten Kleinscheissern. Auf Fluchdistanz. Oh, Arsch zu Ärschen, Dussel zu Dusseln, bones zu clay und Bonnies zu Clydes! Als ich gestern vor Bürgermeister und Blagaj, dessen schlaue Brüder die Anlage bauen und dafür den Grund von der Gemeinde zum Fledderpreis gekauft hatten, protestierte, meinte man, unsere Gäste könnten so und gratis mal schnell Tennis spielen, die KZ-Gitter würden schön naturgrün bemalt und die Servicegebäude wären von einem anerkannten Architekten geplant. Ich habe Lust, meine Koffer schon jetzt zu packen und den M.d.W. gleich mit abzuräumen.
Martinovic hatte beängstigend recht, er kann ja überall auf dem Tennisglobus sein; am besten fahrbar und in meine Zitrone passend. Ich kündige hiermit meine Ludbürgerschaft. Ausgeludbürgert. Ludausgebürgert. Ludus a non ludendo. Das Spiel ist aus. Der Spass vorbei. Zu bittrem Ernst mutiert. Der Hügel auf dem unser Schloss steht, wird nun buchstäblich zum Narren gehalten. Ludbreg wird wieder zum Narrenkogel, zum Idiotenhügel, der es immer war und immer bleiben wird. Ludbruch. Luddreck. Luderei. Garten Ekel. Paradschiessplatz und Schlimmeres! Sogar Stinko hatte recht: nullius locus.

Ich werde Ludberga demontieren, sequestrieren, requirieren, reexportieren, in die urdeutsche sächsische Heimat; in Lodbergen, Ludendorf, Ludersheim, Ludwag, Lutterbek oder Lutterberg als Occasion an noch durchtriebenere Spekulanten vertrödeln, verhökern, gegen das billigste Angebot versteigern; Heilige Dienstage, Mittwoche, Donnerstage einrichten ja ganze Heerscharen unheiliger Wöchnerinnen erheben, um Ludbregs Ludberga auszulöschen. Florianseibeimir.
Soll diese Wasser-, Kinds- und Froschköpfe der letzte Storch holen, der Kuckuck oder der Totenvogel, die hier gerade noch auf Zusehen nisten! die Totenuhr tickt nicht nur in unserem schimmelnden Dachstuhl, sondern totentrompetets von den hintersten Dachstöcken der Ludberger Schrumpfhirne (deren Inhalt laut Mauvaismot des Zagreber HDZ-Siegelverwahrers und ehemaligem Grossmetzgers Milas wohl auch zum Kilopreis von zwei DM verhandelt werden könnte), wenn sie mit dem Hintern zuvorderst ihre grossmäuligen Zukunfts-Gespinste zustuhle bringen.

13.45. Die Architektin des RZH prüft den katastrophalen Zustand der Dachsparren um Blagajs Arbeiten zu beschleunigen, auszudehnen und minimal zu finanzieren. Wir erfahren die abstrusesten Dinge über die Machenschaften hinter und in den Kulissen des RZH. Offenbar weiss jeder, wie kriminell die Schiebereien sind, bis hinauf zum Ministerium; nur tut niemand etwas dagegen. Ich glaube nicht, dass die Bayern da noch länger die Augen schliessen können.

Blagaj nahm mir Kains Rechnungen ab, um mal rechtens oder linkens zu sehn was die Versicherung leistet...
14.45. Der Postminister und seine Trabant(inn)en beim Händchengeben mit Bü. Die Briefmarke war keine Aufschneiderei; mal sehen ob sie sich realisieren lässt; Don Schurke will ja auch ein Staatszeichen auf seinen Postallerwertesten Kolodvor...

Korrigiere die erste winfriedsche Fassungsuntersuchung. Er ist wie alle seine Alters- und Bildungskollegen noch sehr umständlich, manchmal geschwollen, meist überberedt. Intransitivitis und Substantivitis als Hauptdiagnose, aber fleissig und genau. Ich gebe ihm Sieglindes Dokubände zum Abgewöhnen. Montag hat ihn (mit Velimir) Stinko nach Zagreb zur Antrittsbeschnüffelung beordert, mich unwohlwollend natürlich ausgeschlossen (schlechten Gewissens halber...?).

Das Wetter ist eine Pracht; eigentlich sollte ich mal endlich aus dieser Bude hinaus an Luft und Sonne, an die Drava, in die Weinberge; wenigstens bis Holyland. Aber jedesmal verlässt mich schon auf dem Treppenabsatz der Mut: in der Vorstellung ist alles so viel schöner, als die harsche Wirklichkeit voller wüster Bauten, Müll und Ärmlichkeit und die Menschen mit Gier, Gram, Groll und Geschäftigkeit im Blick. Mein Klosterleben ist Ersatz für jede Art von Zerstreuung, das Schreiben ist Speis, Trank, Lust , Beichte und Meditation zugleich...
17.30. Eine Runde um die diversen Zentren gemacht, das künftige Sportzentrum auch. Man schüttet methodisch den verträumten Weltmittelsumpf mit Abraum zu. Der gepriesene "grüne" Drahtzaun wird 150cm hoch und Blagajs dritter Bruder, dem ich meinen Unwillen kundtat, will damit die Zigeuner und Kinder fernhalten, am Ende auch noch einen Hund hineinschliessen, damit Ordnung herrsche; die Frage nach den Miradors und den Maschinengewehren wollte er nicht verstanden haben, aber einen Fussweg gäbe es ums ganze Geviert herum für die bewundernden Zaungäste, Spaziergänger und notorischen Tennisabstinenzler...

Tennis, was für ein Sport! Sublimation für das direkte Niederschlagen eines Gegners; Aggressionskompensation und gleichzeitig extrovertiertes Balzgehabe; repetitiver Bewegungszwang als einzelgängerisches Kampfspiel kostümiert. Wenig Gruppeninstinkte, aber mehr Ehrgeiz für Club- bzw. Gesellschaftshierarchien. Der Primat empfindet Lust beim Hantieren und Dominieren des Schlagwerkzeugs; Übung und Automatismus liefern autogenerative Triumphgefühle: Suchteffekt bis zur Selbstverstümmelung: die sog.Tennishand.

Du wolltest doch nicht etwa Tennis spielen?
21.15. Eben verlässt mich Nofta nach langen Gesprächen und einer gelungenen Fanatisierung für Tintoretto. Morgen nachmittag wollen wir einen gemeinsamen Spaziergang machen. Winword ist dann in Varaždin auf erster Erkundungstour.

Ich schliess hier Nymph, denn Du wartest sicher auf ein Zeichen (oder bist im "Ausgang"?). Lass Dich küssen, ich warte auf alle Fälle bis Du da bist...Faun, Deinster.

(213) Ludbreg, Samstag 20.4.1996; 7.00

Nymph, noch sicherlich schlafender,

wenn Du wüsstest, wie hoch die Sonne schon steht und wie laut die Vögel singen und wie mild die Luft duftet und wie weit der Horizont liegt, würdest Du mich hinausschicken auf eine Weinberg-und Taltour -

...und Dich wieder wohlig zur Wand drehen...
Soll ich Dir trotzdem den Unheiligen Montag beschreiben, an dem es zwar kälter, aber ebenso schön war, als ich zu sieben zum TV-Filmen auf die Weltmittelpunktstrasse musste, weil nur dann der Sonneneinfall stimmte und die ‘Guten Morgen Kroatien’-Sendung um neun von Varaždin auf Welle gehen musste. Das obwohl ich doch erst um fünf mit einem tödlich erschöpften Nymph vom dortigen Busni Kolodvor zurückkam?

Am Florianstor war dann grosser Rummel, weil die Marmorplatte eingelassen, die Strassenschilder in ebensolcher Materialpracht und Goldschrift zu Anfang und Ende der neuen "Ulica Centar Svijeta/CENTRVM MVNDI" angebracht werden mussten, die Bronzeplatte in ihrer Eisenfassung klemmte und diese einen letzten Zementhalt benötigte. Die Strassenkehrer wischten zu fünft mit ihren groben Besen jeden Bazillus aus dem hintersten Versteck, die Rampe für das Auftreten der Majoretten wurde hinter der Kirchenpforte auf die Lauer gelegt, mit roten Tüchern das möglichst noch nicht zu Sehende verhängt, kaum waren die Kameraleute nach Varaždin ins Sendestudio gestürmt. Ich konnte ein dünnes Schläfchen nachholen, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass alles startbereit sei und mit Fünfuhrschlag, Pauken und Trompeten der Senioren-Dorfmusik die Zeremonien anheben konnten.

15.00. Schurke läutete die Glocken nicht, weil er sich diplomatisch ins Nachbardorf zu Wichtigerem abgesetzt hatte. Es hätte mich auch gewundert, ihn das unheilige Teufelstreiben auch noch beweihläuten zu sehen. Aber die schrägen Harmonien des ersten Tusches der wackeren Veteranen hätte ohnehin selbst Big Ben oder San Marcos Marangona zum Verstummen gebracht!

15.05. Das Floriansportal öffnet sich. Ein ellenlanges Brett schiebt sich von unsichtbaren Händen bewegt über den rotverhüllten Mosaikboden auf die erste Arenastufe zur Schonung der Komposition. Die Menge teilt sich in Volk, Offizielle und Musik. Ein endloser Zug kleiner in Gelb und Blau livrierter Mädchen mit gelben Stiefeln, hohen Zöllnermützen und beknauften Stöckchen balancieren über die Planke und postieren sich nach ihren Farben rechts und links der Pforte: zwei mittelalterlich kostümierte Pagen tragen nun, als wöge sie gewichtiges Metall, die von Ivan täuschend gefälschte Gipsplatte durch die Tür und stellen sich zu ihrer Rechten auf.

15.10. Von irgendwoher sind durch Noftas Umsicht Lautsprecher und Mikrofon herbeigezaubert worden und zwischen jüngerem Blau- und älterem Gelb-Spalier hebt Chrisantemovic seine Rede an, über Ludbreg, Iovia und die übrige Welt, mit so manchem lateinischen Bonmot, das man beifällig missversteht. Musik. Der Autor liest sodann, nach jedem Satze von Nofta übersetzt, seine 1.August-Rede zum Mittelpunkt Ludbregs zwischen Santiago und Jerusalem, Island (das ja als erster Staat Kroatien anerkannte!) und Mekka (am Ostrand von Ludbreg liegt ein Sumpfland mit warmen Quellen, das sonderbarerweise Meka genannt wird. Dass in einem mickrigen Mecklenburger Tümpel eine weitere Weltmitte liegen soll verschweige ich). Musik.

15.45. Ich schreite nach einem Kehrum der Majoretten zur Marmorscheibe und enthülle ihren langen Text; Musik und Majorettenballett. Nofta verliest die Donatorenliste, Cernobyls Tochter präsentiert Ludbergas Wein und den neuen Boccalino-Prototyp, füllt ihn und reicht ihn Bü.

15.55. Die Planke hat das Mosaikimpluvium freigegeben, Bü zieht das rote Tuch von der Bronze, die eine hilfreiche starke Hand anhebt, die Rauchbombe zündet und gerade noch vor der flammenspeienden Explosion wieder in die Fassung senkt. Ein beissender gelber Rauch schwefelt die halbe Strasse ein, aus den Spunden schiessen Funken und Feuerschein und es erquäkt vom Raunen und Beifall der Menge fast überfordert, die Nationalhymne Neuseelands. Bü. "löscht" den Feuerbrand mit Ludbergas Wein und als Antwort erschallt seelenerweichend "en nature" die kroatische Hymne. Beifall, Majorettenwirbel. Mit Bedauern entdecke ich, dass Nofta in der Aufregung die aus dem Internet kopierten neuseeländischen Fähnchen zuhause vergessen hat, die in diesem Momente hätten gewedelt werden sollen. But nowbody 's more perfect than nothing. Die Mädchen begleiten nun choreographisch die Gemeindepräsidentin zu den Strassenschildern, die je ihrer roten Schürzen entledigt werden, die Pagen legen die überzählig gewordne Platte auf dem Informationsstand nieder, wo schon die ersten Ansteckknöpfe mit den Ludberga-Symbolen, die Etikettenmodelle, und Texte zum M.d.W. und Ludbergas Legende ausliegen, wo das Antipodravinaplakat hängt und sich unser Schloss den letzten noch ahnungslosen Ludbürgern in beredten Photos empfiehlt.

16.30. Nofta gibt die dekorativen Futterkrippen und Weintränken am oberen Strassenende frei und die inzwischen beträchtlich angewachsenen Menschenmassen, denen sich fast alle kleinen Schulklassen beigesellt haben, wimmeln von nun an hemmungslos durcheinander; sie verlaufen sich erst am späten Abend, als die Honoratioren, unsere Restauratorenkolleginnen aus Zagreb, Sponsoren und Pressevertreter längst an Cernobyls Tischchen bei Ludbergas Wein, Ludbergas Käse, Brot und Aufschnitt sitzen und der Abendsendung des ersten Fernsehens harren, das wie zur Krönung des Tages Stupicens wahrlich gelungenes einminütiges Kurzresumée des Ereignisses bringt.

In der Nacht legen sich schwere Wolken über die Weltmittelplumpsidylle und es beginnt wie für ein Jahrhundert lang zu regnen. Wie sich das nach Vulkanausbrüchen gehört.
9.15. Ich habe Dir ein Viertelstündchen geschenkt. Dass es 28 Grad bei Euch würde, kann ich kaum glauben; mit 25 hiesigen würde es mir schon fast zu heiss, die Nase aus dem Schloss zu stecken. Nofta holt mich wohl erst gegen Nachmittag ab, die Bednija-Insel zu erkunden. Winword hatte gestern noch die Teufelsquelle aufgesucht; ein Touristenbus mit Kindern oder Schülern tat sich dort gütlich und es fanden sich allerhand Neugierige ein. Ludbergas Ruhm offenbar auch dort, nachdem ich von der Pivnica aus beobachtete, wie sehr die Passanten ihr neues Nymphäum betrachten, kommentieren, oder wenigstens bekopfschütteln. Nofta berichtete übrigens, dass Ludbreg im Spätsommer bereits den vollen Status einer Stadt zuerkannt erhielte, ein Grund mehr für die Umgestaltung des Hauptplatzes. Der Staat beteilige sich an der Renovation der prominenteren Fassaden des Zentrums. Ludberga kam zur richtigen Zeit, meinte er, auch wenn die Ludbürger nicht für sie reif seien.

Bü. hätte bei einem politischen Intim-Bier – ist er doch noch im Nachthemd Politiker-! behauptet, ich hätte von der wirklichen Luitberga schon längst gewusst und nur geflunkert, um die falsche in die Zielgerade zu peitschen. Die Umstände der Entdeckung und des nahen Namenstages ihrer Doppelgängerin seien zu unwahrscheinlich, um nicht gemogelt zu sein. Aber der Priester sei nun vielleicht zufriedener.

11.20. Habe soeben den Trg umrundet und was zum Überleben eingekauft. Der Springbrunnen wächst als zwei Dm-Meter messende, aussen mit gegossenen Wellkannelüren strukturierte Betondose mit niedriger (Marmor-?)Brüstung. Aus vier Düsen soll Wasser in die Höhe steigen. Da das Element Wasser hier abgehandelt ist, brauchte Paul sich nur ums Feuer zu kümmern, auch gut. Ein Rundtempelchen aus feuerspeienden Röhrensäulen in der Platzmitte täte es bestens. Wenn der Trg seiner Vollendung zugeht, mach ich ein paar Aufnahmen als Unterlagen für ein Projekt.
13.30. Wollte Kains Bezahlung auf Montag vertrösten und zugleich mein kleines Taschenmesser vom Schlüsselbund einfordern, das mir die Garagenboys geklaut hatten. Im Rückspiegel sah ich sie lachen. P. hatte mir’s eben erst am Fest in Morges geschenkt und ans Bund geheftet. Nichts zu machen. Schlawonier, elende.
19.25. Mein erster wirklich verbummelter Tag in diesem Jahr! Nofta holte mich zu einem langen Spaziergang durch die Bednija-Auen ab, wo er mitunter ein paar gute Photographien geschossen haben dürfte. Wir kehrten unweit der Mühle im "Amadeus" ein und assen später in der Pivnica ein Zungen- und Käsegericht. Unsere Gespräche gingen über Gott und die Welt, Kroatien und sein prekäres Schicksal, die Frauen, Ludberga, und natürlich über die Ludbürger jeglichen Couleurs. Es war ein Frühsommertag geradezu und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, kein Fremder mehr zu sein. Die Leute blicken einen oft freundlich an, als sei man ihnen bekannt, einige grüssen sogar und man drehte sich ungläubig um, zu sehen, wer gemeint sei.

Eben ruft Xenia an, sie wolle sich morgen von mir verabschieden; sie habe gehört, ich verliesse Ludbreg wohl für längere Zeit. Da Nofta morgen ins Land fahren wollte mir ein paar kleine Sehenswürdigkeiten zu zeigen, werden wir das wohl zu dritt oder mit Winword machen.
Nofta brachte mir weitere Sandphotographentips für Dich:

erstens Yuan Li, ein in Amerika lebender, in den 40-er Jahren geborener Chinese, bzw. Taiwanese, der eigentlich Physiker ist und in seinen Photos philosophische Ideen ausdrückt. Ein Buch mit hinreissenden, fast abstrakten Wiedergaben von Dünen Kalifornischen Death Valley, des White Sands National Monument in New Mexiko, der beschneiten Sandufer New Jerseys und der Dünen von Yosemite Valley. Das asiatische, wohl vom Zenbuddhismus geprägte Naturerleben kommt hier in extremster Weise zum Tragen: Bilder, die in ihrer absoluten Tonalität Gläser zum Zerspringen bringen könnten...

ein weiterer ist Howard Bond, der eine Serie von Dünen-Kompositionen aus Süd-Zentral-Colorado als Sonderdruck herausgab in: "Great Sand Dunes 1990".

Leider fanden sich keine Geburtsdaten, doch werdet Ihr sicher eine Foto-Enzyklopädie besitzen.

Übrigens hiess unser Luzerner Geschichtslehrer, der die Bestattungsgebräuche der Welt bearbeitete, Adolf Hüppi. Wenn Du willst, lasse ich nach dem reichbebilderten Wälzer suchen.
Nofta will unvermittels seine Sekretärin heiraten, die das schon zweimal unglücklich hinter sich hatte und einen fast erwachsenen Sohn eignet; ich meinte, man müsse ja nicht gleich Ringe tauschen und das Heiraten kühle für gewöhnlich die Gefühle empfindlich. Vielleicht würde er nicht mal seine Einsamkeit los...
Draussen ist das Konzert der Frösche gewaltig, eigentlich so monoton, dass es wie aus einem Transformator tönt. Dass man mit so viel Anonymität noch etwas Individuelles bezwecken kann, scheint mir unglaubhaft. L'art pour l'art? Grosse Kunst ist es auch nicht. Und Spass? Liebe? Immerhin raspeln sie nicht, wenn die Störche unterwegs sind, sondern abends. Vielleicht machen sie den kollektiven Lärm, um einen Feind so zu verwirren, dass er verzagt, bzw. den Beutefrosch vor Fröschen nicht ausmachen kann.

21.05. Nymph, eben hätte ich Dich angerufen, oder Dir gar Obiges verehrt. Du kamst mir zuvor und so druck ich Dir mein Billett sofort. Küsschen! Faun.

(214) Ludbreg, Sonntag 21.4.1996; 7.05

Nymph,

bis gegen fünf hochzeitete man im Hause makrophagisch und makrophonisch, dass mir die Ohren wackelten. ein halbes Dutzend mal wollte jemand zu meiner Tür herein, die ich voraussehend verschlossen hatte. Wie viele Türen hat man wohl hingegen offen gefunden und den Frühling begangen? Oder hätte ich als Menschenfreund gewähren lassen sollen? Das Liebesleben der Spezies Homo croaticus scheint mir manchmal auf dem verkorksten Niveau der Italiener vor einem Vierteljahrhundert stattzufinden. Allerdings ist die Rolle der Frauen eine entwickeltere, wenn nicht die dominante. Das Mannswesen ist hier im allgemeinen charakterschwach und plump; dafür rächt es sich später durch groben Machismos und schlussendlich mit der Flucht aus den verwüsteten Schenkeln in die Schenken. Die Dalmatiner scheinen mir von heiterer und offenerer Lebensweise, was sich in lauterern Gesichtern beider Geschlechter ausdrückt und dem allzu slawischen Element sogar gewisse Reize abgewinnt. Während in Italien ein Mann schon durch seine blosse Präsenz genügend zu werben glaubt, tut er’s hier nur über sein Tun, seinen Überlebenswitz, sein Kombinieren und Übervorteilen. Wer nicht betrügt, schummelt, übertreibt, überschwatzt und profitiert – erklärte mir Nofta – gilt als dumm, schwach und uneffizient, also auch wenig begehrenswert für Frauen. Eleganz ist verdächtig, Schönheit geradezu ein Makel. Das Gefühl für Stil ist völlig unterentwickelt: Coiffeure, Modeschneider, Architekten, Innendekorateure, Designer, Reklameentwerfer begnügen sich mit gerade noch Erträglichem und importieren den Rest. Meist gehen höhere ästhetische Ambitionen glatt daneben; bis ins Groteske. Holyland ist ein beredtes Beispiel. Dass sich etwas ändert, zeigen allerdings die kroatischen Avantgardekünstler und besonders die Künstlerinnen, denen eine sonnigere Zukunft winken dürfte. Aber auch sie gedeihen vornehmlich am Ideen-import oder sie haben sich selbst ins Ausland exportiert.

Der lange Sozialismus hat die Gefühle für den Adel von Materie, die Echtheit von Struktur und die Harmonie von Form gründlich ausgemerzt, weil das Individuum verlernte, für diese Belange verantwortlich zu sein, Sorge zu tragen oder gar in Wettbewerb zu treten. Qualität war gleichbedeutend mit den vorgepredigten Chimären des Kapitals, Forderung danach Unterdrückung. Schein und Rauch tuns schliesslich auch. Billig is beauty. Beim erneuten Betrachten der Bilder Yuan Li's wird mir bewusst, wie himmelweit die Welten hier und dort, eine verinnerlichte und die veräusserbare, die sinn- und sinnenerfüllte und die sinnentleerte, die reiche und die ausgelaugte, die kontemplative und die geschäftige, die genügsame und die gierige, die konzentrierte und die zertreute, auseinanderklaffen. Ich weiss nicht, ob der Schaden in der korrumpierten Scheinwelt irreversibel ist: alle Schwarzmalereien haben sich zwar irgendwann nicht bewahrheitet. Aber es könnte lange gehen, bis geistige Auflösung und ethischer Zerfall so allgemein geworden ist, dass man sich zu neuen, immaterielleren und doch festeren, würdigeren Zielen aufrappeln muss, um nicht in Chaos und Nihilismus, Aggression oder Gleichgültigkeit zu verrotten.
10.00. Was ich da alles an einem sommerhaften Sonntagmorgen herbrummle...Was Du mit dem Morgenmuffeln, hab ich mit der Moral... Zeit, einen Kaffee zu trinken. Ivan ist unentwegt im Weinberg, das Schloss gähnt vor Leere.
10.45. Entfernte in einem unbeobachteten Moment den angewehten Müll aus dem Weltmittelplumps. Traf dann auf der grossen Weltscheibe Blagaj und Magić und machte nicht nur Pauls Feuertempel sondern auch die Idee schmackhaft, die Windrose zusätzlich mit kleinen Plaketten zu besetzen worin die Distanzen zu den grössten Städten Europas oder auch der Welt eingetragen wären: lehrreich und die sturen Farbringe belebend. Kostet nur einen Tag rechnerische Arbeit und das Beschriften der Messingschildchen. Der Platz zieht bereits nicht nur die Kirchgänger an, sondern Alt und Jung aus der Umgebung, obwohl alles noch ein Bauplatz ist. Kinder hüpfen, schreiten und rennen die Ringe ab. Als monumentale Städte-Windrose wäre das Pflaster keineswegs eine Konkurrenz zum Plumps, sondern die logische Fortsetzung. Da alle Hauseingänge, der Brunnen und die Kandelaberfussscheiben im weiteren Umkreis rund sind, spielen diese Formen überdies die Rolle von Planeten in einem homogenen Universum. Reiner Zufall. Der Planer hatte nicht die geringste Idee von dem, was man aus seinem Formspiel machen könnte... Nofta ist natürlich wieder mystisch entzündet und wird nicht ruhn, so was in die Tat umzusetzen.

Im Putnik grüsste man mich beim Namen und bat, gewissen Gästen aus Zagreb Unterlagen zum M.d.W. auszuhändigen. Nofta druckt nun einen neuen Stoss Depliants.

Da mich Ivan bat, die Autorenrechtsfrage schriftlich zu klären, um künftig Klarheit über die Benutzerrechte zu haben und seine eignen zu kennen, verfasste ich soeben eine Art Kultur-Testament:
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