Revolution für die Freiheit



Yüklə 0,96 Mb.
səhifə18/56
tarix27.10.2017
ölçüsü0,96 Mb.
#16324
1   ...   14   15   16   17   18   19   20   21   ...   56

Rupft die Millionäre


Ein Hauptthema der Sozialdemokratischen Partei im Kampf um die rote Mehrheit war die Ablehnung des von den bürgerlichen Parteien geforderten massiven Lohnabbaus von zwölf Prozent beim Staatspersonal. In den dreißiger Jahren herrschte in der Stadt noch eine große Arbeitslosigkeit. Um das Budgetdefizit zu verringern, forderte das Bürgertum demagogischerweise einen Lohnabbau bei den öffentlichen Diensten, darauf verweisend, daß deren Personal zu hoch bezahlt werde und überdies anstellungsmäßig abgesichert sei. Nicht zuletzt war die rote Mehrheit durch den massiven Einsatz der Gewerkschaft des Personals der öffentlichen Dienste (VPOD) unter der Leitung ihres Sekretärs Fritz Brechbühl errungen worden. Brechbühl wurde denn auch zum Regierungsrat gewählt und übernahm das Polizeidepartement.

Einmal an der Macht, vergaßen die sozialdemokratischen Regierungs räte und Parlamentarier ihre Wahlversprechen. Plötzlich entdeckten sie nun das «staatsmännische Interesse». Im kantonalen Parlament besaßen die bürgerlichen Parteien noch eine Mehrheit und konnten der roten Regierungsmajorität folglich Schwierigkeiten bereiten. Ungesäumt kündigten sie eine scharfe Opposition an. Unter diesem «Druck» kapitulierten die roten Regierungsvertreter ziemlich rasch. Die bürgerliche Parlamentsmehrheit verlangte weiterhin den Lohnabbau bei den Staatsbediensteten und stellte die Regierungsmehrheit vor die Alternative, entweder zu willfahren oder eine schwere Krise zwischen Regierung und Parlament heraufzubeschwören. Die sozialdemokratische Führung gab nach und beugte sich dem Ansinnen des Bürgertums, wenn sie auch anstelle der zwölfprozentigen Senkung den Kompromiß von «nur» sechs Prozent herausschlug. Nicht einmal die demokratischen Spielregeln wurden gewahrt, keine Partei- oder Wählerversammlung wurde über die stillschweigenden Abkommen zwischen Regierung und Parlament unterrichtet. Erstaunlicherweise erhob sich gegen diese Haltung in der Partei kaum Widerspruch.

Aber wir wollten gegen diese jämmerliche Haltung Sturm laufen. In der «Marxistischen Aktion» überlegten wir unser Vorgehen. Die Diskussion meines Vorschlags, eine stärkere Besteuerung der hohen Einkommen und Vermögen zu fordern, erbrachte kein konkretes Resultat. Wie konnten der Lohnabbau und die Kapitulation der Sozialdemokratischen Partei gekontert beziehungsweise ausgeschlachtet werden?

Nach einigem Blättern im Statistischen Jahrbuch der Stadt fand ich heraus, daß es mehr als einhundert Millionäre gab; ihnen standen dreitausend Arbeitslose gegenüber. Warum die Herren Millionäre nicht kräftiger zur Ader lassen? Ich setzte den Text einer Gesetzesinitiative für eine fünfprozentige Vermögensabgabe der millionenschweren Bürger auf. Ohne die Parteiinstanzen zu orientieren, begannen wir für die Initiative Unterschriften zu sammeln.

Die Aktion fand in den Reihen der Arbeiter volle Zustimmung. Besonders zündend wirkte sie auf die Arbeitslosen, mühelos mehrten sich gerade bei ihnen die Unterschriften. In knapp zwei Wochen hatten wir über zweitausend Unterschriften zusammen, fünfhundert mehr als damals notwendig waren. Die Sozialdemokraten schwiegen anfänglich die ganze Sache tot, die Kommunisten wandten sich heftig gegen das vom Trotzkisten Thalmann eingefädelte Abenteuer. Wir reichten die Unterschriften ein, die Initiative hatte die erforderliche Zahl von Unterschriften bekommen und war somit zur Volksabstimmung zu stellen. Jetzt erst gerieten die Instanzen der Sozialdemokratischen Partei in Bewegung. Nun mußten sie zunächst im Parlament zur Aktion Stellung beziehen. Sie taten das auf ihre Weise. Auf der sozialdemokratischen Bühne rollte ein Schauspiel in fünf Akten ab.

1. Akt. Unerwartet besuchte mich der zweite Redakteur der «Arbeiterzeitung», Walter Hungerbühler.

«Sag mal», begann er die Unterhaltung, «du bist doch arbeitslos, ich hätte da was für dich. Wir brauchen einen Berichterstatter für die Verhandlungen des basellandschaftlichen Landrates. Willst du das nicht übernehmen?»

Sofort erklärte ich mich dazu bereit.

«Ja, weißt du, daraus könnte eine feste Anstellung werden, aber natürlich müßtet du diese Initiative zurückziehen, die sowieso keine Aussichten in einer Volksabstimmung hat.» Das war es also. Kühl erwiderte ich ihm, so etwas käme nicht in Frage, zudem stünde es gar nicht mehr in meiner Macht, nachdem über 1500 Stimmberechtigte ihre Unterschrift gegeben hätten.

2. Akt. Ebenso unerwartet flog mir etwas später eine polizeiliche Vorladung ins Haus. Was hatte ich verbrochen? Ich trollte mich auf das Polizeidepartement und wurde sofort zu Regierungsrat Brechbühl geführt.

Brechbühl drückte mir die Hand, dirigierte mich in einen tiefen Ledersessel und bot mir eine dicke Zigarre an. Dann sprach er: «Genosse Thalmann, soeben haben einige Industrielle mein Büro verlassen, die zahlreiche Arbeiter beschäftigen. Sie sind über deine Initiative sehr beunruhigt und haben mir zu verstehen gegeben, daß sie ihre Betriebe nach Baselland verlegen und dort ihren Wohnsitz nehmen würden, falls dieser Vermögenssteuervorschlag Gesetzeskraft erlangte. Du siehst doch ein, daß das für die Stadt eine schwere Belastung wäre, eine Kapitalflucht würde ja nur die Zahl der Arbeitslosen vermehren. Als Initiant kannst du das Nötige veranlassen und die ganze Sache abblasen. Danach können wir uns ja über dein Weiterkommen unterhalten.» Schroff lehnte ich ab, indem ich ihm das gleiche erwiderte wie seinem Parteifreund von der Redaktion. Brechbühl wurde böse und drohte abschließend: «Nun, du wirst die Verantwortung zu tragen haben.»



3. Akt. Man hatte mich vor den Parteivorstand zitiert. Parteipräsident Herzog eröffnete die Gerichtssitzung. Er bezeichnete mein Vorgehen als undemokratisch, da ich die Parteiinstanzen nicht vorher orientiert hätte, mein Verhalten sei ein krasser Verstoß gegen die Parteidisziplin und die Statuten. Ich solle die Initiative zurückziehen. Regierungsrat Wenk hingegen war der Meinung, ein Rückzug der Initiative käme nicht mehr in Frage, sie sei eingereicht, die Partei müsse dazu Stellung beziehen und der Initiant die Verantwortung übernehmen.

4. Akt. Beim Quartierverein St. Johann, wo ich Mitglied war, stellte der Parteivorstand das Begehren auf Ausschluß. Ich verteidigte meinen Standpunkt im Quartierverein wie zuvor. In der hitzigen Debatte waren die Meinungen geteilt. Schließlich wurde der Ausschlußantrag mit großer Mehrheit abgelehnt, mir aber wegen parteiwidrigen Verhaltens eine Rüge erteilt.

5. Akt. Der letzte Akt spielte in der städtischen Parteiversammlung.

Diese sollte zu meiner Initiative und zugleich zum schweizerischen Parteitag Stellung nehmen. Als Redner des Parteivorstandes sprach Regierungsrat Hauser gegen meine Aktion, ohne auch nur ein einziges Mal meinen Namen zu nennen; er entledigte sich seiner Aufgabe ruhig und sachlich. Nun mußte ich antworten. Inzwischen war ich im Besitze einiger Informationen über die Verhandlungen der roten Regierungsmehrheit mit den bürgerlichen Parteien hinter den Kulissen. Ich legte abermals die Gründe meines Vorgehens dar und schilderte dann humorvoll und ironisch alle Versuche der Bonzen, mich mürbe zu machen. Darauf Unruhe in der Parteiversammlung. «Skandalös!» hieß es, ein Teil der Mitglieder klatschte, die Versammlungsleitung wurde sichtlich nervös.

Abschließend stellte ich fest: «Wie Sie wissen, wurde vom Bürgertum ein zwölfprozentiger Lohnabbau gefordert. Dazu kommt es nicht. Warum nicht? Ganz einfach. In den Verhandlungen mit den bürgerlichen Regierungsmitgliedern erklärten unsere Vertreter: ‹Wir können niemals einen Lohnabbau in diesem Ausmaß annehmen; wenn die bürgerlichen Parteien darauf bestehen, wird unsere Partei in der Volksabstimmung für die Initiative Thalmann stimmen.› Um diese Gefahr zu bannen, erklärten sich die bürgerlichen Vertreter mit einem Lohnabbau von sechs Prozent einverstanden. Mein angeblich parteischädigendes Verhalten hat also noch vor der Volksabstimmung einen viel drastischeren Lohnabbau verhindert.»

Die Enthüllung schlug ein. Das schwerste Geschütz wurde aufgefahren, doch meine Behauptungen waren nicht zu entkräften. Man konzentrierte sich vor allem auf mein statutenwidriges Verhalten und malte die Kapitalflucht an die Wand. Von einem Parteiausschluß in dieser Versammlung wagte niemand zu sprechen. Natürlich wurde mit großer Mehrheit beschlossen, die Millionärssteuer-Initiative dem Volk zur Ablehnung zu empfehlen.

An der Parteiversammlung nahm als Redner zum schweizerischen Parteitag der Parteipräsident Reinhard teil. Er vertrat die Mehrheit des schweizerischen Parteivorstandes, der die Programmrevision im Sinne der Landesverteidigung und der Bewilligung der Militärkredite guthieß. Auf Antrag aus der Versammlung wurde entschieden, daß je zwei Redner pro und contra gehört werden sollten. Wider Erwarten wurde ich zusammen mit Dr. Mattmüller von der «Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft» als Redner gegen die Befürworter der Programmrevision aufgestellt. Drei Richtungen waren vertreten: die Mehrheit des städtischen Parteivorstandes, die für die Programmänderung eintrat, eine mittlere Richtung um Friedrich Schneider, die noch mit einer Beschlußfassung zuwarten wollte, und eine Minderheit, die am alten Programm festzuhalten gedachte. Die Redner der Minderheit ernteten viel Beifall, und meine sehr angriffslustige Rede wurde teilweise stürmisch beklatscht. Das ärgerte den schweizerischen Parteipräsidenten Reinhard derart, daß er mich einen «dummen Buben» nannte. Dieser Fauxpas entfesselte einen Proteststurm und hat wahrscheinlich zu dem ganz unerwarteten Abstimmungsresultat beigetragen. Zum Entsetzen der Parteileitung ergab die Abstimmung eine Mehrheit gegen die Programmrevision (nicht wenige von Schneiders Parteigängern entschieden sich in letzter Minute für die Linke). Dem Resultat entsprechend wurden die Delegierten zum Parteitag bestimmt. Ich gehörte dazu. Die Parteiversammlung hatte die heftige, aber saubere Debatte genossen, und am Schluß der Versammlung wurde - welche Seltenheit! -die «Internationale» gesungen. Beim Verlassen des Saales sah ich mich zufällig neben Gustav Wenk und Ernst Herzog gedrängt; Regierungsrat Wenk kaute verbittert an seiner Brissago und knurrte Herzog zu: «Wir hätten diesen Kerl nie in die Partei aufnehmen dürfen!» Der Initiative gegen die Basler Millionäre das Genick zu brechen, waren alle Mittel recht. Die Kommunistische Partei hatte erst eine wütende Hetze gegen mich entfacht, doch acht Tage vor der Abstimmung mußte sie sie unter dem Druck ihrer Mitglieder befürworten. Die Sabotage erstreckte sich bis auf das Abstimmungsdatum - es wurde mitten in den Sommer verlegt. Die bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokraten betrieben eine wüste Propaganda gegen uns, der wir wenig gegenüberstellen konnten. Mittel hatten wir keine, und mit den Kommunisten hatten wir nichts zu tun. Wir begnügten uns mit einem breiten Klebestreifen, den wir nachts über alle Propagandaplakate pappten. Er trug den schlichten Text «Rupft die Millionäre». In der Volksabstimmung wurde die Initiative mit einer knappen Mehrheit von 600 Stimmen verworfen.

Der Parteitag der schweizerischen Sozialdemokratie tagte in Zürich, gut vorbereitet von der Parteileitung, die überzeugt war, die Delegierten fest in der Hand zu haben. Es kam anders. Trotz der hervorragenden Rede von Robert Grimm und des Einsatzes der gesamten Geschäftsleitung war die Opposition gegen eine Änderung der Parteilinie viel stärker als vorgesehen. Welscherseits wurde sie getragen von Paul Graber und Leon Nicole; aus der deutschen Schweiz trat keine bekannte, führende Persönlichkeit gegen die Burgfriedenspolitik auf, doch war sich die Mitgliederschaft über den einzuschlagenden Weg noch gar nicht schlüssig. Nach hitzigen und oft konfusen Debatten, in denen sich alle Richtungen durcheinandermischten, wurden die Anträge der Geschäftsleitung überraschend mit fünf Stimmen Mehrheit abgelehnt. Von diesen Stimmen kamen zwei aus der trotzkistischen Richtung, zwei aus Basel und eine aus Zürich. Das unerwartete, nicht einkalkulierte Resultat löste einen unsäglichen Tumult aus. Die Hälfte der Delegierten stand auf, um die «Internationale» zu singen, die andere Hälfte blieb bestürzt sitzen.

Nach einigen Minuten kam ein bleicher Robert Grimm auf die Bühne und verkündete mit erregter Stimme seine Demission. Neue Bestürzung, neuer Theatercoup. Sofort nach Grimm trat der alte Friedrich Adler, Sekretär der Zweieinhalbten Internationale, auf und beschwor Grimm in bewegten Worten, seinen Entschluß rückgängig zu machen. Die halbstündige Rede Adlers gab den Drahtziehern die gewünschte Atempause; so konnten sie sich von der Überraschung erholen und neue Manöver einleiten.

Das knappe Abstimmungsresultat wurde angefochten. Ein erneuter Wahlgang erbrachte wieder eine Mehrheit, diesmal von sechs Stimmen, gegen die Geschäftsleitung. Der Parteitag stak in einer Sackgasse. Am Montag, der dem Parteitag folgte, sollte im Nationalrat über die Militärkredite abgestimmt werden. Aufgrund geheimer Absprachen zwischen der Fraktion sozialdemokratischer Nationalräte und den bürgerlichen Parteien hatte es schon so ausgesehen, als würden die Kredite sozialdemokratischerseits erstmals bewilligt werden. Nun hatte der Parteitag genau das Gegenteil beschlossen. Ohne bindende Erklärungen abzugeben, ging der Parteitag zu den anderen Geschäften über. Die heterogene Mehrheit des Parteitages nutzte ihre Chance nicht aus, von der Nationalratsfraktion die verpflichtende Zusage zu verlangen, daß man sich an die Beschlüsse des Parteitages halten werde. Die Mehrheit der Nationalratsfraktion pfiff dann auch auf den Parteitagsbeschluß und stimmte - bei einigen wenigen Enthaltungen - glatt für die Militärkredite. Die Reaktion auf den offenen Verstoß gegen einen Parteitagsbeschluß war in den Sektionen stark. In Basel erhielt ich den Auftrag, gegen diese Entgleisung eine kleine Broschüre zu schreiben, die dann an die Sektionen versandt wurde. In Biel, Solothurn, Grenchen und anderen Sektionen konnte ich über den Disziplinbruch der Fraktion sprechen und fand Anklang. Unsere Forderung nach Einberufung eines außerordentlichen Parteitages erweckte breite Zustimmung. Dennoch verlief die Aktion im Sande, denn die in Pazifisten, Reformisten, Revolutionäre und religiöse Sozialisten gespaltene Opposition konnte sich nicht zu einer einheitlichen Auffassung durchringen. Taktisch geschickt hatte der schweizerische Parteivorstand eine Urabstimmung der Mitgliedschaft zwar gebilligt, aber um Monate auf später verschoben. Als diese Abstimmung dann endlich durchgeführt wurde, waren wir nicht mehr dabei. Hinter den Pyrenäen waren Wetterwolken heraufgezogen, die für die nächsten Jahre unsere Zukunft bestimmen sollten. Die Stürme im helvetischen Wasserglas waren vergessen.


Yüklə 0,96 Mb.

Dostları ilə paylaş:
1   ...   14   15   16   17   18   19   20   21   ...   56




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©muhaz.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

gir | qeydiyyatdan keç
    Ana səhifə


yükləyin