Revolution für die Freiheit


Redakteur in Schaffhausen



Yüklə 0,96 Mb.
səhifə16/56
tarix27.10.2017
ölçüsü0,96 Mb.
#16324
1   ...   12   13   14   15   16   17   18   19   ...   56

Redakteur in Schaffhausen


Die Beziehungen zwischen Bringolf und mir waren nach alldem nicht die besten. Ich überließ ihm wieder die Redaktion der «Arbeiterzeitung» und arbeitete in Schaffhausen sowie teils auch in Zürich als Bauhandlanger. Im Oktober fanden die Wahlen zum Nationalrat statt. Der Wahlkampf war in dreifacher Hinsicht einzigartig: 1. Bringolf kandidierte zum erstenmal nach der schweren Parteikrise als Vertreter der kommunistischen Opposition; 2. Ihm stand nicht nur der traditionelle bürgerliche Kandidat gegenüber, da sowohl Sozialdemokraten wie linientreue Kommunisten je einen Kandidaten in den Wahlkampf schickten; 3. Die Zahl der Nationalratsmandate war für den Kanton Schaffhausen von drei auf zwei herabgesetzt worden. Überall schätzte man Bringolfs Wiederwahlchancen gering ein. Der sozialdemokratische und der kommunistische Kandidat hatten gar keine Aussicht, sie waren nur als Sprengkandidaten gegen den Vertreter der kommunistischen Opposition gedacht. Nach einem außerordentlichen heftigen Wahlkampf, an dem ich mich in der Zeitung und in Versammlungen beteiligte, wurde Bringolf mit 91 Stimmen Vorsprung vor dem zweiten bürgerlichen Kandidaten gewählt. Sozialdemokraten und parteitreue Kommunisten erhielten je einige hundert Stimmen. Die Schaffhauser Arbeiterschaft und ein weiterer Wählerkreis hatten die kommunistische Opposition gewissermaßen adoptiert. Was wollte diese Opposition? Was waren ihre Ziele? Schon ihr Name enthielt ihr Programm: Opposition, die zur Erneuerung der kommunistischen Bewegung ansetzte und nicht nur eine taktische, sondern in gewissen Grenzen auch eine strategische Kursänderung forderte. Rußland wurde in dieser Optik als ein Arbeiterstaat mit gewissen Degenerationserscheinungen betrachtet, die es auszumerzen galt. Weitere Forderungen waren: Keine bedingungslose Unterordnung unter Moskau, wohl aber Wiederherstellung einer freien Diskussion und der demokratischen Prinzipien. Die von Stalin und seinen Gefolgsleuten vertretene Linie den Sozialismus in einem einzigen Lande aufzubauen, wurde nicht bestritten, im Unterschied zur tiefergehenden Kritik der trotzkistischen Richtung.

Als Ausdruck der schweren Krise im kommunistischen Lager war die kommunistische Opposition international verwurzelt. In Deutschland gruppierte sie sich um die ehemalige Parteiführung von Heinrich Brandler, August Thalheimer, Paul Frölich, Jakob Walcher und andere. Sie hatte im ganzen Reich starke Gruppen und gab die Wochenzeitung «Arbeiterpolitik» heraus. Ähnliche Gruppen bildeten sich in Frankreich, Amerika und anderen Ländern. Bemerkenswert kraftvoll war die kommunistische Opposition zeitweilig im Elsaß, in Straßburg, Mülhausen und Colmar. In Straßburg eroberte die KPO unter der Führung von Charles Hueber die Mehrheit. Hueber wurde für einige Zeit Bürgermeister der Stadt. Im Elsaß mit seinen tiefsitzenden nationalen Eigenheiten wirkten sich die Nachäffung der russischen Politik, die Gewerkschaftsspaltung und die Theorie vom Sozialfaschismus besonders verheerend aus. Wie überall, blieben der Masse die inneren Parteistreitigkeiten fremd; der unsinnige Bruderkampf zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten widerte sie an, sie lehnten ihn instinktiv ab.

Im Herbst 1932 erhielt Walter Bringolf als Kantonsrat die höchste Stimmenzahl, die anderen Vertreter der KPO wurden ebenfalls mit hohen Stimmenzahlen gewählt. Die Kommunistische Opposition war und blieb die Partei der Schaffhauser Arbeiterschaft. Im November sollte die Wahl des Stadtpräsidenten stattfinden. Wir hatten nicht die geringste Absicht, uns daran zu beteiligen. Da entstand durch den Rücktritt des amtierenden Stadtpräsidenten Dr. Pletscher eine neue Situation, in der es nicht darum ging, einen bürgerlichen Kandidaten zu stürzen, sondern eine Vakanz auszufüllen. Von den bisherigen Erfolgen ermuntert nominierten wir Walter Bringolf. Nach einem scharfen Wahlkampf wurde er mit 113 Stimmen Vorsprung als Stadtpräsident gewählt. Hermann Erb zog in den Stadtrat ein und übernahm dort das Fürsorgewesen.

Diese ungeahnte Wende hatte Konsequenzen. Als Stadtpräsident und Nationalrat konnte Bringolf die Redaktion der «Arbeiterzeitung» nicht beibehalten. Ich hatte mir in schwerster Zeit meine journalistischen Sporen verdient, und meine Ernennung war nicht zu umgehen. Doch mir allein, dem Kantonsfremden noch dazu, wollte man das Blatt nicht anvertrauen. Es war auch zu viel Arbeit. So wurde eine Zweierredaktion gewählt, bestehend aus mir und Georg Leu. Im Impressum der Zeitung stand Leus Name vor dem meinen, was den Eindruck erwecken sollte, er sei Hauptredakteur. Als «Ausländer» aus Basel nahm ich das lächelnd in Kauf, nachgerade kannte ich die Schaffhauser Subtilitäten zur Genüge. Leider aber - und das hatten die Verantwortlichen gewußt - verfügte mein Redaktionskollege nicht über die allergeringste journalistische Begabung, was viel schwerer zu ertragen war. Mit Erbs Einzug in den Stadtrat verwaiste das Arbeitersekretariat, das er zwei Jahre lang gut geleitet hatte. Das Schaffhauser Gewerkschaftskartell berief provisorisch Ernst Uli auf den Posten von Erb. So fügte es sich, daß wir drei «Moskauer» zusammen in einer Provinzstadt Funktionen ausübten.

In Deutschland nahm das Verhängnis seinen Lauf. Für jeden, der sehen wollte, stand die Machtübernahme der Nationalsozialisten bevor. Die Gräben infolge des mörderischen Bruderkampfes zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten waren zu tief, als daß sie in letzter Stunde hätten überbrückt werden können. Die Stalinsche Abenteurerpolitik verstieg sich 1932 bis zu Bündnissen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten, die in holder Eintracht gemeinsam Streiks gegen die Gewerkschaften provozierten. Sozialdemokratie und Gewerkschaften hatten nicht einmal die Kraft und den Willen zur Selbstverteidigung, wohl, weil sie sich über das Ausmaß einer faschistischen Machtergreifung unklar waren und noch demokratischen Illusionen nachhingen, mit denen Hitler dann schnell Schluß machte. Die Kommunisten, vollkommen desorientiert, faselten von Sowjets, von «Rotdeutschland», proletarischer Revolution und ähnlichen Unsinn. Am 30. Januar war der Spuk zu Ende und Hitler Reichskanzler. Parteien und Gewerkschaften wurden aufgelöst, der Reichstagsbrand lieferte den gewünschten Vorwand, die gesamte Arbeiterbewegung zu zerschlagen. Die ersten politischen Emigranten erschienen in der Schweiz. Schaffhausen als Grenzkanton befand sich in einer schwierigen Lage. Aus der nahen deutschen Nachbarschaft waren viele deutsche Arbeiter in der Schaffhauser Industrie beschäftigt. Zudem bestand im Kanton die deutsche Enklave Büsingen, die sich bald zu einem richtigen Nazinest entwickelte. Die Vorgänge in Deutschland hatten auf Teile des schweizerischen Bürgertums abgefärbt, vor allem in bürgerlichen Kreisen entstand rasch eine gewisse nazifreundliche Bewegung. Unter dem Namen «Neue Front» bildete sich nach dem Vorbild des verehrten Lehrmeisters Hitler eine Frontenbewegung zur Eneuerung der Schweiz. In der Stadt Schaffhausen griff diese Bewegung rasch um sich. Junge Freisinnige, weite Teile der akademischen Jugend und die bürgerlichen Turnvereine wanderten sozusagen über Nacht zu den Fronten ab, ein Herz und eine Seele gegen Sozialisten, Kommunisten, Gewerkschaften, Genossenschaften, Arbeiterbildungsvereine, kurz, gegen den Marxismus. In Schaffhausen wurde die Front von dem jungen Advokaten Rolf Henne geleitet, in Zürich stand der Akademiker Tobler an der Spitze. Um ihren Frontenfrühling gebührend zu feiern, veranstalteten die Frontisten ihre erste öffentliche Kundgebung im Schaffhauser Landhaus. Es war meines Wissens das erste Auftreten dieser Art in der Schweiz. Das durfte nicht ohne Gegenreaktion der Arbeiterschaft bleiben. Stadtpräsident Bringolf weilte zur Nationalratssitzung in Bern. In der «Arbeiterzeitung» und rasch verbreiteten Flugblättern rief ich zur Gegenkundgebung auf.

Etwa fünfzig Arbeiter, standen wir vor dem Landhaus, um an der Kundgebung teilzunehmen. Nach deutschem Vorbild hatten die Frontisten einen Ordnerdienst aufgezogen und wollten uns am Betreten des Saales hindern. Wir formierten uns zu einem Keil, überrannten im Schwung die Ordner und gelangten in den Saal. Er war überfüllt, die Atmosphäre erhitzt. Dr. Tobler und Rolf Henne sprachen. Sie wiederholten die nationalsozialistischen Schlagworte, schimpften auf Juden, Gewerkschaften, Marxisten, Sozialisten und Kommunisten, das jüdische Finanzkapital. Am Schluß seiner Rede fragte Tobler stolz, ob ein Gegner das Wort wünsche. Lautes Gelächter. Ich meldete mich und betrat unter vielen Buhrufen das Podium. Meine Ausführungen wurden fortwährend tumultuös unterbrochen, immer drohender klang das Gebrüll «Schlagt den Sauhund tot!» Bevor mir Tobler das Wort erteilte, hatte er Henne schnell gefragt: «Willst du den Kerl abschlachten?» Für die Herren war das Ganze offenbar ein Sport. Indessen waren auf unseren Aufruf, wenn auch mit einiger Verspätung, zahlreiche Arbeiter angerückt und demonstrierten vor dem Gebäude. Es kam mit dem Ordnerdienst rasch zu Tätlichkeiten. Noch während ich sprach, stürzten Frontler mit blutverschmierten Gesichtern in den Saal, der Tumult wurde allgemein, die Versammlung endete in wildem Durcheinander. Auf der Straße standen sich Arbeiter und Frontisten in feindlichen Gruppen gegenüber, die angerückte Polizei konnte sie nur mit Mühe trennen. Unsere Absicht, zwar nicht die Versammlung zu verhindern, wohl aber den frischgebackenen Faschisten das Feld nicht widerspruchslos zu überlassen, war erreicht.



Von der Leitung der deutschen kommunistischen Opposition kamen Paul Böttcher und Arthur Lieberrasch, beide aus Sachsen, nach Schaff hausen. Böttcher wirkte seit langem im Führungsstab der KPO. In der kurzlebigen sächsisch-thüringischen Arbeiterregierung von Kommunisten und Linkssozialisten 1923 hatte er als Finanzminister amtiert. Böttcher war ein bedächtiger Mensch, der seine Ideen ruhig überlegte, bevor er sie äußerte. Es fehlte ihm jegliches Temperament; er gehörte zu den in meinem Leben selten gebliebenen Menschen, die alles und jedes «versachlichten», jedem Ereignis Salz und Pfeffer entzogen, es entwürzten. Böttcher begann sofort seine Tätigkeit an der «Arbeiterzeitung», doch befaßte er sich ausschließlich mit «Sachfragen». Lieberrasch war aus anderem Holz, hatte Herz, verfolgte und beurteilte die Dinge mit Leidenschaft, mit ihm konnte man lachen. Zu ihm stellte sich ein guter Kontakt her, und zwar auf menschlicher Basis, zu Böttcher dagegen bestand er nur aus kalter Vernunft. Auch Emigranten der Kommunistischen Partei Deutschlands kamen nach Schaffhausen. Kurz nach dem Reichstagsbrand veranstalteten wir eine öffentliche Versammlung mit Erb und mir als Rednern. In der Diskussion erklärte ein deutscher Kommunist in der für damals typischen Weise: «Hitlers Sieg ist ein Pyrrhussieg, das wird einige Wochen dauern, dann verjagen wir ihn. Die deutsche Arbeiterklasse ist nicht geschlagen, sie steht Gewehr bei Fuß und wird mit dem Hitlerspuk im gewollten Moment Schluß machen.» Gegen diesen stumpfen Starrsinn verpuffte jede Argumentation wirkungslos. Einige Wochen nach Hitlers Machtergreifung hatten wir in Straßburg eine Konferenz der internationalen KPO. Sie fand in den Räumen des Straßburger Stadthauses statt, Bürgermeister Charles Hueber als Gastgeber traktierte uns mit den auserlesensten Leckerbissen der elsässischen Küche. Hueber fehlte es nicht an Zivilcourage. Da er die Führer der deutschen Opposition in Gefahr wußte, organisierte er die Flucht von Brandler, Thalheimer, Leo Borochowitsch aus Deutschland. Auf seine Art. Mit seinem Auto und flatternder Trikolore fuhr er über die Kehler Brücke und holte seine Kameraden nach Frankreich. Aus Amerika war Jay Lovestone gekommen, Bringolf und ich vertraten die Schweizer Opposition. Es ergab sich ein Gedankenaustausch über die Weltsituation, die Stalinsche Politik, die Entwicklung in Rußland. Die deutsche Opposition hielt ehern fest am «Arbeiterstaat» in Rußland, der nur durch Stalins Politik Degenerationserscheinungen aufweise, welche durch eine andere klügere Führung der Partei ausgemerzt werden könnten. Ich wagte es, an diesen Auffassungen einige Zweifel verlauten zu lassen und wies darauf hin, daß praktisch das Sowjetsystem in Rußland nicht mehr existiere, sondern die Diktatur einer einzigen Partei bestehe, die sich mehr und mehr zu einer Einmann-Diktatur entwickle. Diese Gedanken wurden von Thalheimer, vor allem aber von Borochowitsch angegriffen und trugen mir das Etikett «Trotzkist» ein.

Je mehr sich Hitlers Macht festigte, desto frecher wurden Frontisten und deutsche Nazis in Schaffhausen. Besonders ausgewählte provokatorische Elemente versuchten, die Grenze in Naziuniform zu überschreiten, und mußten mit Polizeigewalt daran gehindert werden. Es gelang uns, mit verschiedenen Gruppen der deutschen Arbeiteropposition in Deutschland selbst Verbindung herzustellen und bei uns in der Schweiz gedrucktes Material nach Deutschland hineinzuschmug geln. Letzteres übernahm häufig Clara. Bei dieser Arbeit kam es sogar zu einer stillschweigenden Kooperation mit den parteitreuen Kommunisten aus Schaffhausen. Die heimliche Wühlarbeit der Nazis, oft im Zusammenspiel mit den Frontisten, blieb uns nicht verborgen. In den Kneipen der Stadt tauchten oft Deutsche auf, die sich an Schaffhauser Bürger heranmachten und vor allem herausfinden wollten, durch welche Personen und auf welchen Wegen das politische Material gegen Hitler über die Grenze gelangte. So hatten zwei deutsche Zivilisten eine Serviertochter über diese Tätigkeit ausgeforscht. Das Mädchen erzählte die Sache ihrem Freund. Der war bei uns Mitglied und kam auf die Redaktion, um uns darüber zu berichten. Mit Hilfe des Stadtpräsidenten, dem das städtische Polizeikommando unterstand, stellten wir den Spitzeln eine Falle: Die Serviertochter verabredete mit den zwei Deutschen einen neuen Treff, wir mobilisierten einige kräftige Arbeiter. Die Sache klappte über Erwarten gut. Die zwei Spitzel kamen zur vereinbarten Zeit in die Kneipe. Dabei mußten sie durch einen engen Korridor gehen, wo unsere Leute sie elend verdroschen. Erst danach rückte unter Führung des Stadtpräsidenten ein kleines Polizeikommando an, um die Leute in Gewahrsam zu nehmen. Daraus wurde nichts. Die Arbeiter hatten so kräftig zugeschlagen, daß die beiden statt in Polizeihaft ins Krankenhaus verbracht werden mußten.

Es gab ein gerichtliches Nachspiel. Einige der Arbeiter wurden mit leichten Geldbußen bestraft; es stellte sich heraus, daß die zwei Deutschen höhere Zollbeamten waren. Nach ihrem Spitalaufenthalt wurden sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Um diese Zeit tauchte auf der Redaktion Ignazio Silone auf, der schon seit einiger Zeit als Emigrant in Zürich lebte. Silone war einer der Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens. Mit der Stalin‘schen Politik geriet er ungefähr zur gleichen Zeit und aus denselben Gründen in Konflikt wie unsere Richtung; sofern ich mich nicht täusche, gehörte Silone, wenn auch nur am Rande, einige Zeit der KPO an. Er kam zu uns, weil er hier, in einem Blatt, das ihm in Ideen und Haltung nahestand, seinen ersten Roman «Fontamara» veröffentlichen wollte. Die Verhandlungen verliefen günstig, als erste Zeitung publizierten wir den ersten großen Roman Silones im Feuilleton. Er wurde ein Welterfolg.



Die einzigartige Situation, daß die kommunistische Opposition über eine Tageszeitung verfügte, war auch im Ausland nicht übersehen worden. Es mag um diese Zeit (Ende 1933) gewesen sein, als bei mir trotzkistische Abgesandte erschienen und meine Einstellung sondierten. Der erste war Karl Retzlaw (der unter dem Pseudonym Karl Gröhl das Buch «Spartakus. Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters» veröffentlichte). In meiner redaktionellen Arbeit hatte ich kein Hehl daraus gemacht, wie sehr meine Ideen der linken, trotzkistischen Opposition nahestanden. Das war verständlich. Die faszinierende Gestalt des Schöpfers der Roten Armee, des engsten Mitarbeiters Lenins in den entscheidenden Jahren, sein politischer Kampf im Exil gegen den russischen Diktator, meine persönlichen Erinnerungen beeinflußten meine politische Überzeugung nachhaltig. Eine trotzkistische Bewegung bestand hierzulande noch nicht. Einzig in Zürich hatten sich einige Leute um den Lehrer Walter Nelz gesammelt, die begannen, die Ideen Trotzkis zu verbreiten. Die Schaffhauser Arbeiterschaft brachte kein Verständnis für die subtilen Fraktionskämpfe auf und stand ihnen begreiflicherweise ablehnend gegenüber. Die Aussichten der KPO, in der Schweiz eine wirkliche Reform der Kommunistischen Partei zu erzwingen, waren mehr als gering. Angesichts der drohenden faschistischen Gefahr bedurfte es nötiger denn je einer einigen, geschlossenen Arbeiterschaft. Schon immer war eine Tendenz vorhanden gewesen, wieder Anschluß an die Sozialdemokratische Partei zu finden. Jetzt wurde sie täglich stärker. Zu dieser Entwicklung war ich noch nicht bereit. In der Führungsspitze in Schaffhausen vertrat Walter Bringolf diesen Standpunkt, anfänglich zögernd, unter dem Druck der Ereignisse und seiner parlamentarischen Arbeit jedoch immer prononcierter. Ohne jeden Zweifel stand die Mehrheit der KPO Schaffhausens auf seiner Seite. Um meine weiter nach links abgleitenden Ideen zu vertreten, hätte es einer gründlichen Diskussion bedurft, einer neuen Auseinandersetzung, deren Nutzen mehr als fraglich war. Dazu verspürte ich nicht die geringste Lust. Hinzu kamen die unerfreulichen Arbeitsverhältnisse in der Redaktion. Obwohl ich jegliche Zusammenstöße mit meinem Redaktionskollegen vermied, gelang uns nie eine gute Zusammenarbeit. Die Kluft zwischen meinen Gedanken und denjenigen der Mehrheit in der KPO verbreiterte sich, ohne daß das nach außen sichtbar wurde. Verwunderlich war es also nicht, wenn ich den Besuch Gröhls begrüßte. Gröhl war schwerhörig und trug einen Hörapparat. Seine vierschrötige Gestalt wirkte wie die eines Schwerarbeiters. Gröhl war alter Spartakist, hatte im illegalen Apparat der KPD wichtige Missionen erledigt und war frühzeitig zur linken Opposition gestoßen. Er verfügte über direkte Verbindungen zu Trotzki, kam aber nicht in dessen Auftrag. Was er wollte, war klar: Ich sollte die «Arbeiterzeitung» mit der KPO zusammen ins trotzkistische Lager führen. Da dazu sozusagen alle Voraussetzungen fehlten, konnte ich ihn von der totalen Aussichtslosigkeit dieses Planes überzeugen. Anderseits bestärkten mich die Gespräche mit Gröhl in meinen Zweifeln, ob ein weiteres Verbleiben in der KPO, vor allem in der Redaktion, noch sinnvoll sei. Die politische Courage, die Zivilcourage meinen Freunden gegenüber, in der Partei eine neue interne Diskussion zu entfesseln, fehlte mir einfach. Mit Freunden in Zürich hatten wir seit einiger Zeit eine Reise durch den Balkan geplant. Ohne einen Menschen zu informieren, beschloß ich, bei Nacht und Nebel zu verschwinden, nachdem ich Claras anfängliche Widerstände ausgeräumt hatte. Auf der Redaktion hinterließ ich einen Brief, der meine Haltung begründete, und so verdrückten wir uns eines frühen Morgens für immer aus der Rheinstadt.

Yüklə 0,96 Mb.

Dostları ilə paylaş:
1   ...   12   13   14   15   16   17   18   19   ...   56




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©muhaz.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

gir | qeydiyyatdan keç
    Ana səhifə


yükləyin