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Dieses Szenario entwickelt Gerhard Syben als Konsequenz eines von ihm "Spaltung der Branche in einen qualifizierten Kern und eine Billiglohn-Peripherie" (Syben 1999b, 237) genannten Pfades. Dazu skizziert er die Folgen für das insbesondere für die At­traktion leistungsfähiger Arbeitskräfte bedeutsame Image der Branche: "Das grund­legende gesellschaftliche Problem dieses Entwicklungspfades aber dürfte in dem Bild bestehen, das die Bauwirtschaft auf diese Weise von sich selbst erzeugt. Auch wenn die Branche real durchaus noch Möglichkeiten der Ausbildung und des beruflichen Aufstiegs bieten würde, wäre doch sie selbst es gewesen, die das Symbol einer Bau­arbeit geschaffen hätte, die nur noch in einem kleinen Teil durch interessante Ar­beitsaufgaben und anspruchsvolle Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftig­ten gekennzeichnet ist, im wesentlichen aber durch ein niedriges Niveau von Tätig­keit und Bezahlung. Eine solche Branche, die sich selbst so deutlich sichtbar eine qualifikatorische Schrumpfkur verordnet hat, dürfte insbesondere von leistungsfähi­gen Jugendlichen gemieden werden" (ebd.)268. In nur einer Dekade hat sich offen­sichtlich die Politik der Branchenakteure so verändert, dass allenthalben vor dem da­durch provozierten Teufelskreislauf gewarnt wird. Haben die Arbeitgeberverbände, wie gezeigt, noch Ende der achtziger Jahre wenigstens der finanziellen Aufwertung der Bauarbeit auf programmatischer Ebene zugestimmt, so ist davon heute nicht mehr viel übrig. Denn mit der deutschen Vereinigung und der Erschließung neuer Ar­beitnehmertypen im europäischen Ausland hat bereits eine Entscheidung gegen die langfristige Qualifikationsentwicklung aufgrund kurzfristiger Rentabilitätsüberlegun­gen stattgefunden.
Mit der Transaktionskostentheorie (aber auch mit Marx'schen Kategorien) kann argu­mentiert werden, dass es ökonomisch rational sein kann, sich gegen längerfristige Überlegungen für eine Produktionsstrategie zu entscheiden, die für die momentanen betrieblichen Interessen Vorteile bringt. Diese Entscheidung kann selbst dann getrof­fen werden, wenn absehbar ist, dass sich diese Strategie langfristig gegen die be­trieblichen Interessen richtet. Diese Entscheidung wird trotz dieser absehbaren Nach­teile getroffen werden, wenn bei anhaltendem Preiswettbewerb längerfristige Kalküle vom Markt nicht entlohnt werden. Die Betonung des Preiswettbewerbs gegenüber einem Wettbewerb, der weniger den Preis als z.B. die Qualität oder die Termintreue, den Service usw., also nicht-preisliche Aspekte hervorhebt, geschieht in zwei Fällen. Entweder es handelt sich um einen Markt mit weitgehend uniformen Produkten, die sich überhaupt nur noch durch den Preis voneinander unterscheiden269, oder um ei­nen Markt, auf dem Verdrängungswettbewerb herrscht. Da die Baubranche, wie aus­führlich dargestellt, kaum zum ersten Typ gezählt werden kann und bei aller Automa­tisierung und stationären Vorfertigung auch in Zukunft nicht dazu zählen wird, muss es sich um einen Markt des zweiten Typs handeln – und auch dies konnte hier ja schon entwickelt werden. Tatsächlich besteht, u.a. wegen der niedrigen Marktzu­trittsschwellen, aber natürlich auch wegen der zurückgehenden (relativen) Nachfra­ge, auf den Märkten des Bausektors ein sich verfestigendes Überangebot, das auch in den nächsten Jahren nicht abgebaut werden wird.
Da der Markt systematisch dazu tendiert, Kosten zu externalisieren, d.h. wo immer möglich, Kosten, die im Grunde als Produktionskosten zu werten sind, weiter zu rei­chen, werden solche Kosten eben nicht honoriert. Es gibt viele Beispiele für diese Tendenz, Kosten zu externalisieren. Umweltschutz, Infrastruktur, Bildung sind viel­leicht die wichtigsten. Es gibt sicher noch mehr. Das Problem ist dabei ein doppeltes: Erstens wird die Gesellschaft mit Kosten belastet, die ursächlich in der kapitalisti­schen Produktionsweise begründet liegen und somit private Kosten sind. Zweitens entsteht aus dieser Tendenz eine abgeleitete: Wurden Teile der Produktionskosten erst von einem Teil der Anbieter erfolgreich externalisiert, ergibt sich der Druck auf die anderen Anbieter, genauso zu handeln, weil ihre Produktionskosten nun relativ gestiegen sind und sich damit die Position am Markt verschlechtert hat. Sobald aber bestimmte Teile der Produktionskosten gänzlich aus der Kalkulation herausgenom­men wurden, ist es sehr schwer, sie wieder zu reintegrieren. Die ständig aufs Neue geführte Debatte um das Verursacherprinzip oder die noch immer nicht wirksam um­gesetzte Generalunternehmerhaftung zeigen dies in aller Deutlichkeit.
Daher verzichtet heute eine größer werdende Zahl von Baubetrieben auf Investitio­nen, die sich nicht im verkürzten Horizont des Marktes verwerten. Unterstützt wird diese Strategie von der neuen neoliberalen Normalität, die überbetriebliche Zusam­menhänge und damit die Möglichkeit marktfremder und inferiorer Ereignisse im Grunde leugnet. Mit dieser Entwicklung sind weitreichende negative Konsequenzen auf die Qualifizierungsfähigkeit von Bauarbeitern der Zukunft verknüpft.
Diese Strategie muss umso mehr dann verfolgt werden, wenn die durchschnittliche qualifikatorische Ausstattung der üblicherweise über Werkverträge gewonnenen Ar­beitskräfte für die gegebene Bauproduktion ausreicht, ohne zu Friktionen zu führen, die mehr Kosten nach sich ziehen als der Einsatz dieser Arbeitskräfte gegenüber der regulären Arbeitnehmerbeschäftigung spart. Solche kostenträchtigen Friktionen ent­stehen erst, wenn der Markt Qualitätsmängel u.ä. sanktioniert. Sollte sich aber eine Bauweise durchsetzen, die suboptimale Ergebnisse hervorbringt, wird sich die Sank­tionierungsfähigkeit auf Nischenplätze reduzieren. Im Allgemeinen wird der Markt solche Ergebnisse akzeptieren bzw. akzeptieren müssen, wenn es keine Anbieter mehr gibt, die zu vergleichbaren Preisen bessere Ergebnisse zu bringen imstande sind. Da es sich bei Bauprodukten aber wie gezeigt um sehr langlebige Produkte handelt, wird es sehr schwer sein, überhaupt nachzuweisen oder auch nur innerhalb des Gewährleistungszeitraums zu erkennen, dass schlecht gebaut wurde270.
Die vergangenen Jahre seit Beginn der Anwendung und Verbreitung dieser Arbeits­kräftestrategie können in dieser Hinsicht als Versuchsphase gewertet werden, in der brauchbare von nicht brauchbaren, d.h. in die eigene Produktionslogik passende oder eben nicht passende Zulieferer getrennt wurden und in der Netzwerke aufgebaut wurden, die für die Zukunft ausschließen sollen, dass unbrauchbare Zulieferer unter Vertrag genommen werden271. Zwar schränkt Werner Nienhüser (1999, 315) die ren­tierliche Einsetzbarkeit von Werkvertragnehmern in umgekehrter Anlehnung an Sy­ben in "Bereichen mit hochspezifischen Qualifikationsanforderungen" ein, insgesamt kommt er jedoch zu der Auffassung, "daß die Vergabe von Werkverträgen an auslän­dische Subunternehmen und Selbständige, aber auch die illegale Beschäftigung in der Bauwirtschaft weitverbreitete Arbeitskräftestrategien darstellen" (ebd., 306). Da die Anzahl der als "hochspezialisiert" zu geltenden Arbeitsplätze nicht zu hoch ange­setzt werden kann (Zahlen darüber, was hochspezialisiert ist, gibt es nicht), dürfte dieser so definierte Schutzraum auch nicht allzu groß sein.
Insgesamt kann also mit der hier betriebenen Argumentation die Schlussfolgerung gezogen werden, dass bei fortgesetztem Zusammenwirken der schon bestehenden Wirkungsfaktoren (ungenügende konjunkturelle Entwicklung, Verfügbarkeit von qua­litativ und quantitativ genügenden und billigen Arbeitskräften vornehmlich aus dem europäischen Ausland, Dominanz des Preiswettbewerbs, innerer Umbau der Branche, Hegemonie neoliberaler Wirtschaftsmodelle, schlechte Reputation der Baubranche, säkularer Wandel der erwerbsbiografischen Ideale und Konzepte) schon die Aufrecht­erhaltung des gegebenen Qualifikationsniveaus schwierig sein wird, die weitere Erhö­hung der allgemeinen qualifikatorischen Ausstattung aber beinahe unmöglich.

8 Schlussbewertung



Ziel der vorliegenden Arbeit war es, ausgehend von einer Analyse der gegenwärtigen Veränderungen, denen sich die Bauwirtschaft gegenüber sieht und die sie selbst mit betreibt, mögliche Implikationen für die künftige Entwicklung der Bauarbeit und hier speziell der Qualifikation in der Bauarbeit aufzuzeigen. Dabei sollten mehrere Fragen geklärt werden. Zunächst sollten die Veränderungen selbst näher untersucht werden, um Konsequenzen für die Struktur der Beschäftigung benennen zu können. In die­sem Zusammenhang musste auch die veränderte politische Situation in Europa be­rücksichtigt werden, also die west- bzw. gesamteuropäische Integration. Hier war vor allem auf mögliche (in jüngeren Veröffentlichungen häufig konstatierte) negative Ein­flussfaktoren einzugehen. Da aber davon ausgegangen wurde, dass nicht nur solche gesetzten (im Text als externe Momente bezeichneten) Veränderungen Einfluss neh­men, sondern auch subtile gesellschaftliche Dynamiken (also z.B. die Verschiebung von Werteskalen oder -mustern) eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen mögen, war auch dies in die Untersuchung einzubeziehen. Daneben spielte die explizite Un­terscheidung nach inneren und äußeren Momenten der Veränderung eine heuristi­sche Rolle in dieser Arbeit. Entsprechend musste sich auch dies im Forschungsdesign niederschlagen. Schließlich musste gefragt werden, ob mögliche zu identifizierende Befunde unausweichlich sind oder ob die Möglichkeit der Einflussnahme besteht, wenn z.B. solche Befunde politisch nicht gewollt sind oder zu negativen Auswirkun­gen führen.
Dieser nicht einfach auf z.B. die Europäisierung der Märkte abstellende Forschungs­ansatz begründete sich mit der Überzeugung, dass in konkurrenzvermittelten waren­produzierenden Gesellschaften Dynamik vor allem in der Produktionssphäre entsteht, wenn schon in der Zirkulationssphäre angestoßen. Zwar gibt es eine ständige gegen­seitige Beeinflussung von in diesem Sinne äußeren und inneren Veränderungen, aber es wäre eben absolut unzureichend, diese Beeinflussung auf eine unidirektionale Be­ziehung zu verkürzen. Der Stachel der Konkurrenz wirkt in den beständig sich revolu­tionierenden Produktionsmethoden, die ihrerseits wieder vermittels der Konkurrenz­beziehungen auf die Produktionsmethoden einwirken. Der hier als unbefriedigend ab­gelehnte Ansatz der unidirektionalen Beziehung erfährt zwar in den letzten Jahren eine zunehmende Beliebtheit, die sich z.B. ausdrückt in der Flut von Publikationen, in denen das Entsendegesetz auf einer organisationspolitischen Ebene untersucht wird, oder in Arbeiten, in denen aktuell erlebbare und unbestreitbare Probleme in der Bau­wirtschaft direkt und unmittelbar auf die politischen Veränderungen in Europa zu­rückgeführt werden, oder in Arbeiten, die Qualifikationsbedarfe ermitteln wollen und sich dabei auf eine Befragung von Unternehmen beschränken mit der Begründung, dort würden die Qualifikationen schließlich nachgefragt werden, dort entstünde Nachfrage nach Qualifikation, die von den Qualifikation herstellenden Bildungsein­richtungen umzusetzen sei. Doch muss solchen Untersuchungen der Vorwurf ge­macht werden, all zu sehr an der gesellschaftlichen Oberfläche zu verharren und ins­gesamt unreflektiert Dynamik unbedingt an Personen und von Personen verfolgte Konzepte zu binden. Beides genügt der subtilen und inhärenten Dynamik kapitalis­tischer Systeme nicht.
Um den in dieser Arbeit verfolgten doppelten Ansatz (d.h. die Einbeziehung sowohl von äußeren wie von inneren Momenten der Bewegung) vorzubereiten, mussten im ersten Schritt die Spezifika der Bauwirtschaft in Abgrenzung zu anderen industriellen Sektoren herausgearbeitet werden. Damit sollte allerdings die in Arbeiten zur Bau­wirtschaft ebenfalls häufiger anzutreffende Charakterisierung dieses Sektors als uni­kal und sich von anderen Sektoren fundamental unterscheidend nicht wiederholt werden. Vielmehr wurde hier die Ansicht verfolgt, gerade die Gemeinsamkeit von oberflächlicher Besonderheit bei sehr wohl prinzipieller Identität begründe das Span­nungsfeld, in dem sich Veränderungen in spezifischer Weise übersetzen.
Mit diesen Fundamentalbestimmungen sozusagen vorbereitet konnte die Analyse der statistisch erfassten sektoriellen Wirklichkeit begonnen werden, mit der die vorher formulierten Vermutungen quantitativ überprüft werden sollten. Da die bloß quantita­tive Erfassung aber zur Beurteilung möglicher sektorieller Veränderungen nicht not­wendig ausreicht, musste im Anschluss der Fokus der Betrachtung wieder erweitert werden. Mit der Einbeziehung der mögliche Veränderungen hervorbringenden äuße­ren Momente wurde also der Untersuchungshorizont dahingehend vergrößert, dass nach der industriesoziologischen Analyse des Sektors (also der Überprüfung der inne­ren Momenten) und der Erfassung und Interpretation der statistisch-empirischen Wirklichkeit nun allgemeine gesellschaftliche Wirkungsgeflechte einbezogen werden konnten, die sich ja ihrerseits bereits in der statistischen Wirklichkeit niederschlagen. Dies diente wiederum der Verfolgung des doppelten Ansatzes. Erst die gemeinsame Betrachtung der so identifizierten doppelten Ursachenstruktur lässt die hinreichende Interpretation der gemessenen Wirklichkeit zu. Damit wurde also explizit weder eine rein induktive noch eine rein deduktive Methode, sondern die dialektische Verbin­dung beider betrieben. Insofern kann gesagt werden, dass ein doppelter Ansatz sowohl in Bezug auf die Ursachendimensionen als auch in Bezug auf die Untersu­chungsmethoden verfolgt wurde.

In einem Umfeld, das aufgrund der äußerst schwierigen Marktlage mit galoppieren­der sektorieller Arbeitslosigkeit und von Rekord zu Rekord stürmenden Pleitenzahlen ausgesprochen sensibel ist, in dem nach schnellen Lösungen zur Behebung der aku­ten Probleme gerufen wird, ist eine Forschungsarbeit sicher nicht einfach, in der nicht versucht wird, dieser Gemengelage Genüge zu tun. Dies zeigte sich in den Ge­sprächen, die mit Vertretern der Verbände und der Betriebe geführt wurden. Häufig wurden da schnelle Lösungen anstatt langwieriger Untersuchungen eingeklagt. Man wisse doch sowieso um die Ursachen, wozu also lange forschen? Wenn hier dennoch der Versuch gemacht wurde, jenseits der tagespolitischen Aufgeregtheit eine Unter­suchung anzustellen, die vielleicht auch über die aktuellen und womöglich sehr kurz­fristigen Debatten hinaus helfen kann, Fragen zu stellen und vielleicht Antworten zu finden, dann ist das vor allem der Überzeugung geschuldet, dass hektischer Aktionis­mus nicht zu Erkenntnissen führt, die langfristig weiterhelfen. Zwar soll überhaupt nicht bezweifelt werden, dass dramatische Situationen auch schnelles Handeln brau­chen, fundamentale Analysen werden so jedoch nicht überflüssig. Diese Arbeit ver­sucht, ihren Beitrag zu Letztgenanntem zu leisten.


Das Baugewerbe wird in aller Regel als ein von Facharbeit dominierter Sektor charak­terisiert. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass mit dieser Beschreibung nur eine recht kurze historische Zeitspanne adäquat beschrieben ist. Tatsächlich nämlich war das Baugewerbe in Deutschland (und wahrscheinlich auch anderswo) bis in die sech­ziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein keineswegs von Facharbeit, sondern viel­mehr von einfacher, also nicht qualifizierter Arbeit geprägt. Erst im Zuge der allge­meinen wirtschaftlichen Erholung, der Verknappung des Angebots von Arbeitskräf­ten, aber auch der technischen und organisatorischen Entwicklung des Sektors selbst hat sich das Facharbeiterkonzept auf breiter Ebene durchgesetzt – und dies sogar gegen den allgemeinen Trend, dem entlang zu diesem Zeitpunkt tayloristische Ar­beitsprinzipien verfolgt wurden. Es ist gerade für die betriebene Argumentation von einiger Bedeutung, auf diesen Wechsel zu verweisen. Denn eben weil Bauarbeit lan­ge Zeit keine Facharbeit war, zur Facharbeit vielleicht nur geworden ist, weil anders der Bedarf an produktivem Vermögen nicht hätte gehalten oder gar entwickelt wer­den können, ist es heute durchaus vorstellbar, zu alten Arbeitskonzepten zurückzu­kehren (und sich so gewissermaßen erneut einem breiten Trend entgegengesetzt zu verhalten). Im Zuge des zyklenübergreifenden Aufschwungs nach dem zweiten Welt­krieg etablierte sich insbesondere im niedrig qualifizierten Bereich (wozu damals grö­ßere Teile der produzierenden Wirtschaft zu zählen waren) eine enorme zwischenbe­triebliche und sogar sektorübergreifende Arbeitskräftemobilität. Geringste Lohnunter­schiede veranlassten die Beschäftigten, den Betrieb und auch die Branche zu wech­seln, wie das heute in den europäischen Randstaaten durchaus noch immer üblich ist, wo die Arbeitsmärkte vielfach unstrukturiert sind. Schon damals war das Bauge­werbe also mit dem Problem der forcierten Abwanderung konfrontiert, auf das sie reagieren musste. Die Schaffung der Sozialkassen zum Ausgleich der sektorspezifi­schen Defizite war in dieser Hinsicht vielleicht die wichtigste Maßnahme. Wichtig war aber auch die Abkehr vom Prinzip der Jedermannsarbeit und die Hinwendung zum Prinzip der Facharbeit. Damit ging nämlich auch eine gewisse Sicherstellung der ei­genen Qualifikationsbedarfe einher, indem so ein fachlicher Arbeitsmarkt hergestellt wurde, der zwar eine Mobilität innerhalb der Branche zuließ (und damit tradierte Er­werbsformen und -verläufe bediente), aber eine Abwanderung aus der Bau- in ande­re Branchen wenn schon nicht unmittelbar, so doch mittelbar erschwerte oder doch immerhin nicht beförderte. Es ist in der konsequenten Verfolgung dieses Arguments aber allemal vorstellbar, dass mit veränderter allgemeiner Wirtschaftslage, neuer geopolitischer Situation, größer gewordenem Arbeitskräfteangebot und veränderter wirtschaftspolitischer Denkweisen auf das frühere Modell der Jedermannsarbeit zu­rückgegriffen wird.
Dass dies mehr als nur eine mögliche Strategie oder ein eher unwahrscheinliches Szenario ist, konnte in der vorliegenden Arbeit mit den Zahlen zur Fachkräftebeschäf­tigung und zur Ausbildung nachgewiesen werden. Es kann mit den jüngeren Daten nämlich nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass im Baugewerbe das Prinzip der Facharbeit, das ja nicht zuletzt eine weitgehend einheitliche Vorge­hensweise der Baubetriebe verlangt, unbefragt fortgesetzt wird. Es gibt etliche Indi­zien dafür, dass ein sukzessiver Ausstieg aus korporatistisch betriebenen Institutio­nen stattfindet. Dazu zählen nicht nur die Sozialkassen, die keinen Bestandsschutz haben, dazu zählt auch die forcierte Infragestellung ehemals gemeinsam aufgestell­ter Vereinbarungen, die das Brancheninteresse über das Betriebsinteresse stellten, wissend, dass letztlich jeder einzelne Betrieb von diesen Regelungen profitiert. Inzwi­schen steigen Betriebe aus diesen Vereinbarungen aus, sie entziehen sich dem Wir­kungsfeld der Kollektivverträge, sie ignorieren allgemeine Verabredungen. Und tat­sächlich steht die Frage im Raum, ob angesichts einer veränderten Welt mit einer breiten Verfügbarkeit von zusätzlichen Arbeitskräften in Verbindung mit einer wahr­scheinlich dauerhaft krisenhaft sich darstellenden Branche und daraus folgend ten­denziell sinkendem Arbeitskräftebedarf nicht tatsächlich ein kleiner Pool von qualifi­zierten Fachkräften ausreicht, die Produktion aufrecht zu erhalten. In den vergange­nen Jahren konnten die neuen Arbeitnehmer aus dem europäischen Ausland sich das für eine Arbeit in Deutschland erforderliche Know-how aneignen und das Beispiel der Schweiz zeigt, dass eine nationale Bauwirtschaft auch unter weitgehender Abwesen­heit einheimischer Arbeitskräfte dauerhaft funktionieren kann. Allerdings zeigt das selbe Beispiel auch, dass dies nicht von selbst klappt; die Marktabläufe müssen dazu gezielt beeinflusst werden. Beispielsweise werden dort die ausländischen Arbeitskräf­te (die häufig aus Portugal, aber mehr und mehr auch aus außereuropäischen Staa­ten kommen) in den Wintermonaten den Erfordernissen der schweizerischen Bau­branche gemäß weiter gebildet. Es gibt einen akzeptierten Vertretungsanspruch der Gewerkschaft Bau und Industrie; ausländische Arbeitnehmer genießen die selben Rechte wie einheimische Arbeitskräfte, so dass eine unmittelbare Konfrontation ver­mieden wird. Das Schweizer Beispiel weist ebenfalls auf die Unhaltbarkeit des hierzu­lande häufiger kolportierten Arguments hin, wonach die neuen Arbeitnehmer aus dem west- und vor allem osteuropäischen Ausland pauschal als weniger gut qualifi­ziert gelten können. Sowohl mit Erkenntnissen aus der Migrationsforschung als auch mit den Ergebnissen eigener Erhebungen kann im Gegenteil die Vermutung formu­liert werden, dass in vielen der neuen Wettbewerbsländer eine lange Bautradition vorliegt, die eher zu einer hohen durchschnittlichen Qualifikation der auswanderungs­willigen Menschen führt.
Für die deutsche Baubranche konnte gezeigt werden, dass die neunziger Jahre ins­besondere von einer forcierten Abkehr sowohl von der Bauausführung als auch und noch davor von der qualifizierten Baustellenarbeit geprägt waren. Diese Entwicklung dauert noch an und bedeutet vor allem, dass sich eine neue Arbeitskräfteeinsatzstra­tegie durchzusetzen beginnt, die sich begründet im verschärften Wettbewerb, der sehr stark auf den Preis reduziert ist, und im verkürzten Verwertungshorizont. Die breite Verfügbarkeit von der gegebenen Baupraxis durchaus genügenden Arbeitskräf­ten aus dem europäischen Ausland mit insgesamt erheblichen Kostenvorteilen unter­stützt diesen Strategiewechsel. Gerade die kleineren Betriebe des Baugewerbes sind mit dauerhaft zurückgehenden Auftragsbeständen und sinkenden Rentabilitäten kon­frontiert, die dazu führen, dass auf lange Frist angelegte Strategien noch weniger umgesetzt werden können als dies schon früher der Fall war, sind doch kleine Betrie­be häufig von einem eher passiven Marktzugang geprägt. Das heißt, kleine Betriebe verfügen selten über die notwendige Kapazität oder die notwendige Einsicht, um ak­tive Markterschließungsstrategien zu betreiben. Das mag bei gegebener Betriebsgrö­ße durchaus ausreichen und kann auch nicht grundsätzlich als Strategielosigkeit dif­famiert werden, doch ergeben sich daraus keine Möglichkeiten, einen Marktprozess zum eigenen Nutzen zu beeinflussen. Daraus folgt eine voranschreitende Gefährdung der betrieblichen Existenz, die sich ja tatsächlich in immer mehr Insolvenzen nieder­schlägt. Zwar sind auch große Betriebe von dieser Situation negativ betroffen, zwar sind gerade die Aktiengesellschaften ganz besonders auf kurzfristige Erfolge verwie­sen, aber dennoch muss eine besondere Krisenbetroffenheit der kleinen Betriebe konstatiert werden.
Dies ist ein weiteres wichtiges Ergebnis der vorliegenden Untersuchung: Die Bau­branche ist nicht einfach von zunehmenden Prekarisierungstendenzen betroffen; viel­mehr vollzieht sich eine tiefgreifende Segmentierung quer durch die Branche. Kleine Betriebe sind immer weniger in der Lage, Einfluss zu nehmen auf die Entwicklung der Branche und auf die Bedingungen ihres eigenen Bestehens. Sie sind mehr und mehr Vollzugsinstanzen der größeren Betriebe, die über die verstärkte Hierarchisierung der Branche, die sich ausdrückt im unterschiedlichen Marktzugang, immer mehr in der Lage sind, sich aus dem Dilemma des Bereitstellungsgewerbes zu befreien. Die gro­ßen und sogar schon die größeren Betriebe kaufen sich eine gewisse Verwertungs­sicherheit auf Kosten einer erhöhten Verwertungsunsicherheit der kleinen Betriebe. Das bedeutet, dass die seit inzwischen über zwei Jahrzehnten andauernde Krise im Baugewerbe, die nur unterbrochen wurde vom Sonderboom der Vereinigung, als Ausgangspunkt zu begreifen ist für eine sich neu sortierende Branche, in der viele der früher als gesichert geltenden Positionen neu definiert werden. Möglicherweise hätte die Krise zu anderen Ergebnissen geführt, wenn nicht in der Sonderboomphase gänzlich neue Verwertungsbedingungen entstanden wären. Vor knapp anderthalb Dekaden waren die Baubetriebe mit der unerwarteten Situation konfrontiert, mitten im Abbau von Kapazitäten eine sprunghaft steigende Nachfrage bedienen zu müssen. Die damals gefundenen Lösungswege müssen heute als Initialzündung für eine dau­erhaft veränderte Strategiewahl begriffen werden. Was damals erprobt wurde, ist heute Voraussetzung für erfolgreiches Agieren am Markt und damit integraler Be­standteil der sektoriellen Verwertungsbedingungen.
Doch wäre es verfehlt, die Veränderungen in der Branche einseitig auf die veränder­ten Verwertungsbedingungen aufgrund der neuen politischen Lage zu reduzieren; die gemachten Darstellungen unterstreichen ja die Bedeutung, die den sowieso ablau­fenden inneren Veränderungsmomenten zukommt. Zwar konnten in dieser Arbeit et­liche Indizien dafür gesammelt werden, dass in den neunziger Jahren wichtige Ände­rungen stattgefunden haben, die sicherlich auch auf die neuen politischen Rahmen­bedingungen zurückfahrbar sind. Doch ohne den sowieso bereits bestehenden Hand­lungsdruck wäre der Einfluss der neuen geopolitischen Lage womöglich ganz anders gewesen. Sicher hätte es in jedem Fall eine Beeinflussung gegeben, aber niemand kann sagen, wie sie ausgesehen hätte ohne den konstatierten Handlungsdruck. Inso­fern kann die Behauptung aufgestellt werden, die europäische Integration (vor und erst recht nach der Systemwende) habe katalytisch auf die Branchenbedingungen eingewirkt (und tut dies noch immer).

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