Blumhardt, Johann Christoph, * 16. 6.
1805 Stuttgart, + 25.2. 1880 Bad Boll, aufgewachsen unter dem Einfluß eines von Bengel und Oetinger geprägten —» Pietismus, Theologiestudium in Tübingen (Stift), 1829 Vikar in Dürrmenz, 1830 Lehrer am Missionshaus Basel, 1837 Vikar in Iptingen, 1838 Pfarrer in Möttlingen. Hier wird ihm der seelsorgerli- che Kampf um die Heilung der seelisch-körperlich kranken Gottliebin Dittus zum entscheidenden Erlebnis: Deren Krankheit enthüllt sich ihm als eigentliche Besessenheit, zugleich »überkommt« ihn die charismatisch zu nennende Gewißheit der helfenden Macht Jesu. Die Seelsorge wird zum Gebetskampf, der in der Weihnachtswoche 1843 mit einer dramatischen und endgültigen Heilung des Mädchens endet. Dem Ereignis folgt eine Erweckungsbewegung in M., gekennzeichnet als Bußbewegung und Absolution, zugleich begleitet von —» Krankenheilungen. Der Prediger und Seelsorger B. wird nun von Tausenden aufgesucht, was ihn nötigt, 1852 das Gemeindepfarramt aufzugeben, um sich im neu erworbenen Bad Boll ganz dem Kampf gegen das »Elend« der Menschen, das ihm in den Hilfesuchenden entgegentritt, zu widmen. 1869 und 1872 treten auch seine beiden Söhne in den Dienst des Werkes.
Es geht B. um eine charismatische Erneuerung der Gemeinde Christi. Er will, daß seine Zuhörer sich nicht mit dem Hören des
fohann Christoph Blumhardt
Wortes begnügen, sondern dessen Wirkung erfahren, nämlich den —> Geist, den das Wort vermittelt. Er sieht diese Wirkung aufgehalten durch die Gebundenheit der Menschen unter die Macht der Finsternis. Der Sinn des »Kampfes« ist daher die Brechung dieser Macht durch das rettende »Eingreifen« Jesu. »Jesus ist Sieger«. Glaube darf sich nach B. nicht auf die Gerechtmachung und Neuschöpfung erst im Jenseits vertrösten, sondern muß jetzt schon zum Durchbruch, zur Buße und zur Erfahrung der —» Wiedergeburt im Geiste führen. Die Zeichen der machtvollen Gegenwart Jesu sind für B. ein »Angeld« der kommenden Erneuerung und Rettung der ganzen Welt durch das Kommen Christi, das —» Reich Gottes. Die charismatische Erfahrung geht Hand in Hand mit einer intensiv gesteigerten endzeitlichen Hoffnung, die dem sehnsüchtig und für bald erwarteten Tag entgegensieht, wo die Macht Satans endgültig zerbricht und die ganze Welt der Herrlichkeit Gottes voll sein wird.
Lit.: Fr. Zündel, Joh.Chr. Blumhardt, i88ou.ö.-G. Sauter, Die Theologie des Reiches Gottes beim älteren und jüngeren B., 1962
Flückiger
Bodelschwingh, Friedrich d. Ä. von,
*6.3.1831 Tecklenburg, 12.4.1910 Bethel.
B. wurde als 6. Kind des westfälischen Landedelmanns, Oberpräsidenten und Finanzministers —> Friedrich Wilhelms IV., Ernst von B., geboren und wuchs in Berlin u.a. als Spielgefährte des späteren Kaisers Friedrich III. auf. Von daher hatte er allezeit gute Beziehungen zum kaiserlichen Hof. Zunächst erlernte er von 1849 bis 1851 die Landwirtschaft und war dann als Gutsverwalter in Pommern tätig. Mit durch eine Missionspredigt angerührt, entschloß er sich 1854, Theologie zu studieren und Missionar zu werden. Er studierte in Basel (—» Auberlen), Erlangen und Berlin,- W. —» Löhe in —» Neuendettelsau und Christoph —» Blumhardt in Bad Boll wurden seine eigentlichen Lehrer in praktischer Theologie. Nach Studienabschluß wurde er 1858 Hilfsprediger und Pastor der deutschen Gemeinde in Paris und nahm sich dort besonders der Lumpensammler und Straßenkehrer an. Von 1864 bis 1872 wirkte er als Pastor in Dellwig bei Essen, wo er 1869 innerhalb von 14 Tagen seine 4 Kinder an einer Keuchhustenepidemie verlor.
1872 übernahm er in Bielefeld die Leitung
Friedrich von Bodelschwingh d.Ä.
des 1869 gegründeten Diakonissenhauses und des ihm angegliederten Pflegehauses für epileptische Kinder. Schritt für Schritt baute er nun in einem Seitental des Teutoburger Waldes -» Bethel als Heimstatt für die von der Gesellschaft verstoßenen Epileptiker auf, wobei er bewußt die Gründung einer Anstalt vermied, sondern das Modell einer Großfamilie in Leben und Arbeiten vor Augen behielt. Ziel seiner Wirksamkeit war weniger die Durchführung eines sozialen Programms als der Wille, auch den Kranken ihre Gottesebenbildlichkeit (—»• Mensch) zu verkündigen und sie zur -> Nachfolge Christi aufzurufen. Aus diesem Ziel heraus kam es 1877 zur Gründung der Diakonenanstalt Nazareth. Wenig später wandte sich B. der Nichtseßhaftenfürsorge zu und gründete die Kolonistenhöfe von Wilhelmsdorf und später Freistatt bei Sulingen und Hoffnungstal bei Berlin, um durch Arbeit und Gemeinschaft der Verelendung der Wanderarmen abzuhelfen (»Arbeit statt Almosen«). Er knüpfte dafür Beziehungen zur Regierung und zur Sozialdemokratie, wurde Abgeordneter im Parlament und unbequemer Mahner des ganzen deutschen Volkes. Mit der Gründung des Vereins »Arbeiterheim« baute er in der Nähe Bethels eine Eigenheimsiedlung für Arbeiter auf und nahm damit den Gedanken des sozialen Wohnungsbaus um Jahrzehnte vorweg.
In Bethel war mit der Gründung des Hauses Morija die Betreuung der seelisch und geistig Kranken aufgenommen worden. 1890 trat B. in den Vorstand der 1886 gegründeten »Ev. Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafri- ka«, die 1906 nach Bethel verlegt wurde. Die Einsicht in die Zusammengehörigkeit von —> Innerer und Äußerer —> Mission ließ B. diesen Missionszweig in sein Werk integrieren und in Ostafrika u.a. ein kleines Bethel (Epilepsie- und Geisteskrankenhaus in Lu- tindi) aufbauen.
1890 begründete B. ein Kandidatenkonvikt, um das Interesse für -> Diakonie auch in der Pfarrerschaft zu wecken. Hieraus erwuchs 1905 die Theologische Schule, die ursprünglich als freie theologische Fakultät gegen die herrschende —» liberale Theologie geplant war. In der Gründung dieser Hochschule kommt B.s Beitrag zur Studienreform und praxisbezogenen —> Ausbildung des Theologen zum Ausdruck.
Aus dem Nichts hatte er so in vier Jahrzehnten das größte diakonische Werk der Welt aufgebaut und wurde als Pastor der Zionsgemeinde zum Anwalt der Notleidenden in Deutschland und aller Welt.
Lit.: Ausgewählte Schritten, 3 Bände, hg. v. A. Adam, 1955 bis 1964 - Briefwechsel, Teil 1 bis 12, hg. v. A. Adam 1966 bis 1974- Uber B.: M. Gerhardt-A. Adam, F. von B., 3 Bde., 1950 bis 1958 - K. Pergande, Der Einsame von Bethel, 1953 -B. Grämlich, B., Bethel und die Barmherzigkeit, 1964
Ruhbach
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