Soziale Integrationsarbeit als Identitätsarbeit
Durch Arbeitslosigkeit bedrohte Identität stellt eine der wesentlichen Herausforderungen für die Inklusionsarbeit dar. Der diesbezüglich zu bewältigende Konflikt lässt sich mit dem Gegensatzpaar „Identitätsarbeit“ versus „Zuweisung von Identität“ beschreiben.
Der von COHEN/TAYLOR (1980) geprägte Begriff „Identitätsarbeit“ steht für das basale Bedürfnis des Menschen nach aktiver und eigensinniger Gestaltung seines Lebens, im Gegensatz zur Befolgung vorgegebener Bahnen im Sinne eines „Gelebt-Werdens“. Dieses Bedürfnis respektierende Inklusionsarbeit ist gefordert, sich – mittels differenzierter Distanz zur eigenen normativen Selbstverständlichkeit und gängigen Annahmen darüber, was erfolgreiche und gelingende, zumindest aber respektable Lebensführung auszeichnet - kritisch zu hinterfragen (vgl. SCHERR. 2002: 38). Folgt sie diesem Postulat und versucht, ihre Adressaten zu bewusster Auseinandersetzung mit ihren kulturellen Kontexten zu befähigen, gerät sie unausweichlich in Konflikte mit den Intentionen ihrer Auftraggeber bzw. deren sozioökonomisch determinierter normativer Vorgaben. Falls sie jedoch die dominierenden Wirklichkeitsdeutungen im Kontext mit arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen in Frage stellt, läuft Soziale Arbeit selbst Gefahr, aus dem Feld des zweiten Arbeitsmarktes exkludiert zu werden.
Verlust des anerkannten sozialen Ortes
Thomas H. MARSHALL postulierte bereits kurz nach dem zweiten Weltkrieg in seinen berühmten Vorlesungen zum Thema „Bürgerrechte und soziale Klassen“, dass “a man who has lost his job has lost his passport to society“. Fünfzig Jahre später musste Andre GORZ immer noch feststellen, dass in der Lohnarbeitsgesellschaft der Arbeitsplatz “die wesentliche Voraussetzung [ist], um soziale Anerkennung zu gewinnen” (GORZ. 1994: 293f). Soziale Ausgrenzung in Form von Arbeitslosigkeit bedeutet vor allem den Verlust des anerkannten sozialen Ortes in der Gesellschaft, wobei jene Gesellschaft für diesen Zustand kein positives Angebot bereithält. Das macht Dauerarbeitslosigkeit quasi zu einem gesellschaftlichen „Niemandsland“ (vgl. KRONAUER et al. 1993: 177). Unter Bezugnahme auf WACQUANT und dem französischen Diskurs im Zusammenhang mit sozialem Ausschluss verweisen OTTO/ZIEGLER (2004: 119) auf die sozialpolitische Zuschreibung das Status von Arbeitslosen in erster Linie als „sans“, das heißt der Definition ihrer sozialen Identität durch das, was sie nicht haben, nämlich Arbeit. „Das Schicksal der Arbeitslosigkeit kommt […] dem nahe, was in archaischen Gesellschaften der Ausschluss aus der Gemeinschaft bedeutet, ist vergleichbar mit Exil und Verbannung in autoritären Gesellschaften der Neuzeit“ (LÜTZELER. 1998: 8).
In diesem Kontext stellt der Umgang mit Identitätsbedrohung infolge fehlender Zugehörigkeit und Anerkennung zum wesentlichen Thema beruflicher Erwachsenenbildung bzw. -sozialisation generell, sowie speziell in Maßnahmen zur Integration Langzeitarbeitsloser, wo man sich alltäglich mit „beschädigten“ bzw. nicht in Gang gekommenen Erwerbsbiografien respektive Zusammenbrüchen von Lebensentwürfen infolge Arbeitslosigkeit konfrontiert sieht. Dabei decken sich Beobachtungen in der Praxis hinsichtlich des individuellen Umgangs mit erzwungenen Brüchen und Diskontinuitäten weitgehend mit Ergebnissen der Arbeitslosenforschung. Dieser zufolge belaufen sich die Strategien im Umgang mit Identitätsbedrohung (vgl. GOFFMAN. 1975) in Bezug auf die Wahrnehmung der „Wirklichkeit“ im wesentlichen auf deren Verdrängung (mögliche Folgen: Krankheit, Sucht und Angst), Dekonstruktion (Projekt als „Heimat“, Selbstüberschätzung, verzerrte Wahrnehmung der Realität), Verabschiedung von der Realität (Depression, Verwahrlosung, Blockade, Interesselosigkeit) und Suche nach deren Veränderung („blinder“ Aktionismus, Legendenbildung, Lügen, Aggression) (vgl. KLEIN/REUTTER. 2004a: 208).
Im Zentrum steht hier vor allem die Frage, inwiefern das jeweilige Projekt zu einer konstruktiven Bearbeitung erlittener Enttäuschung beitragen kann, z.B. durch Hebung der Deutungskompetenz zur Abwehr weiterer Beschädigungen des Selbstbewusstseins und –vertrauens (vgl. STEHR. 2000: 33). Gelingt es, aktualisierte Zumutungen der Selbstverantwortlichkeit im Sinne individuellen Versagens umzukehren bzw. können Abwehrressourcen entwickelt werden? Dürfen die Adressaten auf Strategien der sozialen Integrationsarbeit eigensinnig reagieren? Diesbezügliche Anforderungen bzw. sozialarbeiterische Imperative befinden sich allerdings kontrovers zur impliziten Funktion des „cooling out“. 40
Adressenarbeit oder Arbeit an Menschen
Differenzierungstheoretisch betrachtet ist nicht „der Mensch“, der seine Arbeit verloren hat, Adressat der von Integrationsmaßnahmen zu erbringenden Leistung, sondern sein für den Arbeitsmarkt relevante und problematisch gewordene „Teil der ganzen Person“, nämlich seine nicht mehr nachgefragte Arbeitskraft. Dieses Kriterium erfährt eine weitere Einschränkung insofern, als eine auf diese gesellschaftliche Teilhaberolle reduzierte Person erst in ihrer Eigenschaft als Bezieherin einer Leistung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz auch seitens des staatlichen Subsystems Arbeitsmarktverwaltung“ statistisch (Erhöhung der Langzeitarbeitslosenstatistik), fiskalisch (entfallende Steuerleistung), ökonomisch („über Gebühr“ in Anspruch genommene Transferleistungen) und ordnungspolitisch (Unruhe- und Protestwahlpotential) für das herrschende politische System problematisch geworden ist.
Nach Individualisierung der Problematik durch entsprechend Umdeutungen wird der so reduzierte und funktionalisierte Mensch als „Fall“ mit dem Attribut selbst verschuldeter Hilflosigkeit der Sozialen Arbeit zugeführt mit dem Auftrag der Bearbeitung dessen individueller Problemstellungen und Korrektur dessen fachlicher und charakterlicher „Mängel“ – verschleiert hinter dem Terminus „Herstellung von Arbeitsfähigkeit“.
Im Falle des Maßnahmentyps A wird seitens der Maßnahme neuerlich selektiert, um schließlich endgültig in Frage kommende, das heißt, erfolgsversprechende „Fälle“ zu adressieren, wogegen im Fall des Maßnahmentyps B mit der Zuweisung durch das AMS diese Entscheidung bereits gefällt wird.
Die Soziale Arbeit hat mit diesem Prozess der Adressierung grundsätzlich Probleme, da nach ihrem Selbstverständnis jeder Mensch, der am Verlust der Arbeit bzw. dem damit verknüpften partiellen Ausschluss aus gesellschaftlichen Bereichen subjektiv leidet und diesbezüglich Hilfe sucht bzw. benötigt, potentieller Adressat ist. Dem entgegen ist sie aber immer massiver gezwungen, einerseits nachgefragte Hilfe zu verwehren (Referenzprojekt A), andererseits wiederum vielen, welche die spezifisch angebotene „Hilfe“ als inadäquat betrachten, eben selbige kraft Zuweisung durch die Auftraggeber aufzudrängen (Referenzprojekt B).
Selektion erfolgt also im systemtheoretischen Sinne als personale Inklusion, indem als Person konstruierte Adressaten in den Operationsmodus des jeweiligen Systems einbezogen wurden, wobei Person für die „Bezeichnung der sozialen Identifikation eines Komplexes von Erwartungen …, die an den Einzelmenschen gerichtet werden“ (LUHMANN. 1984: 286) steht. Somit wird - systemtheoretisch betrachtet und legitimiert - die „enthumanisierte Person“ als system- und situationsspezifischer Bezugspunkt adressiert. Soziale Arbeit, die in ihrer Problemorientiertheit grundsätzlich den „ganzen Menschen“ im Auge hat, wird vom sozioökonomischen System weitgehend zur Übernahme dessen personenbezogener Perspektive gezwungen, welche den einzelnen Arbeitslosen nur in funktionaler Hinsicht (entweder bezogen auf Vermittlungsquote im Referenzprojekt A oder bezogen auf Arbeitslosenstatistik im Referenzprojekt B) relevant werden lässt. 41
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